OGH vom 23.02.2006, 8ObA90/05a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Johannes Denk als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der V*****, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei V*****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG (Streitwert EUR 630,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 65/05k-13, mit dem infolge der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 25 Cga 105/04z-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 199,87 (darin enthalten EUR 33,31 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht hat zutreffend das Feststellungsbegehren, wonach jene Arbeitnehmer, die Bereitschaftsdienst leisten und deren Wohnsitz mehr als 18 km Luftlinie vom Kraftwerk entfernt ist, sodass die Erreichbarkeit innerhalb von 30 Minuten nicht gewährleistet ist und die sich im Kraftwerk „aufhalten müssen", einen Anspruch auf Vergütung dieser Zeit als Anwesenheit im Sinne des Punktes XVI Z 1 des Kollektivvertrages für Arbeiter der Elektrizitätsversorgungsunternehmen hätten, abgewiesen. Es kann im Wesentlichen die Begründung des Berufungsgerichtes verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).
Ergänzend ist Folgendes festzuhalten:
In Punkt XVI des hier maßgeblichen Kollektivvertrages für Arbeiter der Elektrizitätsversorgungsunternehmen werden besondere Entgeltansprüche für Arbeitnehmer festgelegt, die in den Unterpunkten 1 bis 3 festgelegten Dienste („Anwesenheit", „Ruferreichbarkeit", und „allgemeine Erreichbarkeit") erbringen. Konkret wird für die hier im Rahmen der feststellungsbegehrten Vergütung für „Anwesenheit" in der Z 1 des Punktes XVI Folgendes festgelegt:
„Anwesenheit
1.) Anwesenheit liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer nach Beendigung seiner normalen, für den betreffenden Tag vorgesehenen regelmäßigen Arbeitszeit auf Anordnung des Arbeitgebers oder dessen Bevollmächtigten zwar sich jederzeit an der Arbeitsstätte zur Arbeit bereit halten muss, jedoch keine wirkliche oder kontinuierliche Arbeit zu leisten hat, sondern vielmehr ein Zustand zwischen Arbeitsruhe und Arbeitstätigkeit besteht. ...."
In weiterer Folge sieht dann unter den Punkt „allgemeine Erreichbarkeit" (Z 3) der Kollektivvertrag unter anderem vor, dass es sich um Fälle handle, in denen der Arbeitnehmer auf Anordnung des Arbeitgebers sich innerhalb einer Entfernung von 4 Wegkilometer von seiner Wohnung aufhalten und für allfällige Arbeitsleistungen erreichbar sein müsse. Soweit der Arbeitnehmer mit „drahtlosen Rufeinrichtungen" ausgestattet ist, kann er sich bis zu 6 Wegkilometer von seiner Wohnung entfernen. Insoweit sieht der Kollektivvertrag auch die Ermächtigung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung vor, wonach „anstelle der 6 Wegkilometer eine Zeitspanne" festgelegt werden kann. Im Rahmen der in der Z 2 geregelten „Ruferreichbarkeit", bei der der Arbeitnehmer in seiner Wohnung erreichbar sein muss, wurde keine Grundlage für die Erlassung einer Betriebsvereinbarung geschaffen.
Die Streitparteien haben aber trotzdem eine umfassende Betriebsvereinbarung über „Wartenschicht, Entstör- und Maschinendienst" geschlossen, in der sie zur „Sicherstellung der Ruferreichbarkeit" festlegen, dass die Arbeitnehmer über Telefon oder Rufempfänger erreichbar sein sollen und ab Verständigung spätestens binnen einer halben Stunde im Kraftwerk anwesend sein müssen. Dabei wird auch festgehalten, dass bei einer Entfernung des Wohnsitzes von mehr als 18 Kilometer Luftlinie dies nicht mehr als gewährleistet angesehen wird. Solchen Arbeitnehmern wird ein kostenloses Dienstzimmer in der Werkssiedlung bzw dem naheliegenden Gasthaus zur Verfügung gestellt. Sie erhalten auch eine zusätzliche Vergütung von 42 % des Taggeldsatzes für Betriebsfahrten nach dem Kollektivvertrag sowie das Kilometergeld für die Fahrt zwischen Wohnsitz und Kraftwerk. In dieser „Betriebsvereinbarung" ist auch ausdrücklich festgehalten, dass auch bei Beistellung eines Dienstzimmers nur die „Ruferreichbarkeit" vergütet wird.
Übereinstimmend und von den Parteien unbekämpft sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die „Betriebsvereinbarung" als „unzulässige freie" Betriebsvereinbarung keine normative Wirkung als Betriebsvereinbarung entfalten kann; welche anderen Rechtswirkungen einer solchen unzulässigen BV zukommen, richtet sich allein nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts, auf die sich der klagende Betriebsrat aber gar nicht stützt (vgl allgemein zuletzt mwN).
Die vom klagenden Betriebsrat im Ergebnis begehrte Feststellung, dass die Arbeitnehmer, deren Wohnsitz weiter als 18 km entfernt ist, Anspruch auf die Vergütung für „Anwesenheit" im Sinne des Punktes XVI Z 1 in Verbindung mit Z 5 des Kollektivvertrages für Arbeiter der Elektrizitätsversorgungsunternehmen hätten, wurde vom Berufungsgericht im Wesentlichen zutreffend mit der Begründung abgewiesen, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die hier zugrundegelegte „Ruferreichbarkeit" hinsichtlich der Intensität der dadurch bewirkten Beeinträchtigung der Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers einer „Anwesenheit" im Sinne des Punktes XVI Z 1 des Kollektivvertrages, die die ständige Anwesenheit des Arbeitnehmers an der Arbeitsstätte zur jederzeitigen Aufnahme der Arbeit zur Voraussetzung hat, gleichzustellen ist. Es kann nun dahingestellt bleiben, ob die Kollektivvertragsparteien alle möglichen Formen von Bereitschaftsdiensten regeln wollten, weil Gegenstand dieses Feststellungsbegehrens ja nicht die Verpflichtung zur Arbeitsleistung, sondern der behauptete Anspruch auf das Entgelt nach Art XVI Z 1 iVm 5 des Kollektivvertrages ist (vgl zu der erforderlichen Grundlage für die Verpflichtung zu einer bestimmten Art der Rufbereitschaft etwa ; allgemein RIS-Justiz RS0021696 mwN).
Schon allgemein werden Rufbereitschaft und Arbeitsbereitschaft unterschiedlich behandelt und danach unterschieden, dass bei einer Rufbereitschaft der Arbeitnehmer bloß erreichbar sein muss, und seinen Aufenthaltsort wählen kann, während er sich bei der Arbeitsbereitschaft an einer bestimmten Stelle zu jederzeitigen Verfügung des Arbeitgebers zu halten hat (vgl RIS-Justiz RS0051403; uva). Genau für so eine „Arbeitsbereitschaft", die im Wesentlichen mit der in Art XVI Z 1 festgelegten „Anwesenheit" - an der Arbeitsstätte - zugrundegelegt wird, findet sich aber hier kein Ansatzpunkt. Soll doch auch nach den festgestellten Abläufen der Arbeitnehmer nicht an der Arbeitsstätte bleiben, sondern kann sich frei bewegen, solange nur gewährleistet ist, dass er innerhalb von 30 Minuten wieder an der Arbeitsstätte eintrifft. Eine tatsächliche Verpflichtung, sich an der Arbeitsstätte aufzuhalten, konnte nicht festgestellt werden, sondern es wird den Arbeitnehmern nur eine Aufenthaltsmöglichkeit „zur Verfügung" gestellt. In welchen Umfang er diese in Anspruch nimmt, bleibt aber ihm überlassen (vgl allgemein zur Abgrenzung der Arbeitszeit von der Rufbereitschaft auch Schwarz in Cerny/Klein/Schwarz, AZG, 287 f). Dafür, dass die Grenzen von 30 Minuten für die Anfahrt bzw 18 Kilometer so eng wären, dass sie im Ergebnis auf einen Zwang zum Aufenthalt an der Arbeitsstätte hinausliefe, ergeben sich keine Anhaltspunkte.
Insgesamt war daher der Revision des klagenden Betriebsrates nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 2 ASGG, 50 und 41 ZPO.