OGH vom 24.04.2020, 8ObA9/20m

OGH vom 24.04.2020, 8ObA9/20m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der U***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Manfred Harrer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei U***** GmbH, *****, vertreten durch Bauer Kerschbaummayr, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 69/19g-16, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 18 Cga 2/19p-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.487,34 EUR (darin 247,89 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Arbeitgeberin unterliegt dem Kollektivvertrag für Arbeiter und Arbeiterinnen in der Papierindustrie vom (fortan „KV“), dessen § 7 N64 lautet:

„64 Die vertragsschließenden Organisationen sind sich darüber einig, dass die Anpassung der Bestimmungen des Urlaubsgesetzes an die atypischen Arbeitsverhältnisse der vollkontinuierlichen Betriebsweise wie folgt vorzunehmen ist:

a) Als Urlaubstage gelten in vollkontinuierlichen Betriebsabteilungen die Arbeitstage; Arbeitstage sind jene Kalendertage – ausgenommen gesetzliche Feiertage – an denen laut Schichtplan zu arbeiten ist; demgemäß sind Sonntage, an welchen laut Schichtplan gearbeitet wird, Arbeitstage und gelten damit als Urlaubstage. Anderseits gelten schichtfreie Werktage nicht als Arbeitstage und zählen somit nicht als Urlaubstage;

b) Der Urlaubsanspruch jener Arbeitnehmer(innen), die in Betrieben bzw. Betriebsabteilungen im Durchfahrbetrieb gemäß Punkt 5b beschäftigt sind, beträgt bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Normalarbeitszeit von 38 Stunden 29 bzw. 35 Arbeitstage, bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden bzw. wo gemäß Punkt 5b ab 36 Stunden pro Woche eingeführt werden 28 bzw. 32 Arbeitstage, entsprechend den Anwartschaften des Urlaubsgesetzes.

Wird nach Inkrafttreten dieses Kollektivvertrages die 36-Stunden-Woche im Durchfahrbetrieb (Punkt 5b) etappenweise eingeführt, so ist der Urlaubsanspruch entsprechend anzupassen.

Haben Betriebe, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Kollektivvertrages die 36-Stunden-Woche im Durchfahrbetrieb bereits eingeführt haben, einen kürzeren Urlaubsanspruch für die im Durchfahrbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer(innen) vereinbart, so bleibt dieser bis zum aufrecht.

c) [...]“

Bei der Beklagten bestand bis Ende 2016 eine betriebliche Übung, zufolge der Arbeiter und Arbeiterinnen im Durchfahrbetrieb im Sinne von § 2 Abschnitt B N5a KV über den nach § 7 N64 lit b KV zustehenden Urlaubsanspruch hinaus zusätzliche Arbeitstage an Urlaub gewährt worden sind. Den seit dem Jahr 2017 neu eingetretenen Arbeitern und Arbeiterinnen im Durchfahrbetrieb wurde über den Urlaubsanspruch nach § 7 N64 lit b KV hinaus ein zusätzlicher Urlaub nicht mehr gewährt und dementsprechend schon im Zuge der Begründung des Arbeitsverhältnisses eine die Anwendung der bis dahin bestehenden betrieblichen Übung ausschließende Vereinbarungen im Arbeitsvertrag getroffen. Davon sind mindestens drei ab neu eingetretene Mitarbeiter betroffen.

Mit Feststellungsklage gemäß §

54 Abs 1 ASGG begehrt der klagende Arbeiterbetriebsrat die Feststellung, dass für die Arbeiter und Arbeiterinnen im Durchfahrbetrieb der Beklagten, die seit ein Arbeitsverhältnis begründet haben, der Urlaubsanspruch aus der kollektivvertraglichen Bestimmung in § 7 N64 lit b des Kollektivvertrags für Arbeiter und Arbeiterinnen der Papierindustrie und darüber hinaus der Zusatzurlaub aufgrund der Nachtschwerarbeit gemäß § 10a UrlG, soweit sie die dort angeführten Bedingungen erfüllen, gesondert besteht. Dazu brachte er vor, dass sich im Durchfahrbetrieb Probleme bei der Umrechnung der Urlaubstage ergeben könnten. In den komplexen Schichtsystemen werde in jeder einzelnen Arbeitswoche eine unterschiedliche Anzahl von (bis zu sieben) Schichten gearbeitet. Dennoch habe in allen möglichen Kombinationen und zeitlichen Lagen des Urlaubsverbrauchs ein Mindesturlaub von insgesamt fünf bzw sechs Wochen iSd § 2 Abs 1 UrlG gewährleistet werden müssen. Sinn und Zweck von § 7 N64 lit b KV sei allein die Sicherstellung dieses „Grundurlaubsanspruchs“ in dem vollkontinuierlichen Schichtbetrieb. Die kollektivvertragliche Bestimmung stelle somit keinen Zusatzurlaub aufgrund einer Belastung durch Schicht-, Schwer- oder Nachtarbeit iSd § 10a UrlG dar. Der gesetzliche Zusatzurlaub könne schon deswegen im Anspruch nach § 7 N64 lit b KV nicht enthalten sein, weil dort in keiner Weise die im Gesetz vorgesehene Staffelung dieses Zusatzurlaubs in Abhängigkeit von der Dauer geleisteter Nachtschichtschwerarbeit abgebildet sei. Die Anrechnungsbestimmung des Art XIII Abs 1 NSchG aus dem Jahr 1981 sei nicht anzuwenden, weil die kollektivvertragliche Bestimmung jüngeren Datums sei und Art XIII Abs 1 NSchG nur kollektivvertragliche Bestimmungen erfasse, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des NSchG in Geltung standen. Die Kollektivvertragsparteien hätten in Kenntnis über die Anrechnungsbestimmung des Art XIII Abs 1 NSchG die Regelung getroffen und dabei keine Anrechnung vorgesehen. Es stehe den Kollektivvertragsparteien frei zu regeln, ob Begünstigungen angerechnet werden oder nicht.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Das Urlaubsausmaß nach § 7 N64 lit b KV liege klar über dem gesetzlichen Anspruch nach § 2 Abs 1 UrlG.§ 7 N64 KV passe erklärtermaßen „die Bestimmungen des Urlaubsgesetzes“ und damit nicht nur § 2 UrlG, sondern auch § 10a UrlG an die atypischen Arbeitsverhältnisse der vollkontinuierlichen Betriebsweise an. In § 7 N64 lit b KV sei vom „Urlaubsanspruch jener Arbeitnehmer(innen), die in Betrieben bzw Betriebsabteilungen im Durchfahrbetrieb gemäß Punkt 5b beschäftigt sind“, die Rede, ohne den geringsten Hinweis darauf, dass damit nur ein Teil des zustehenden Urlaubsanspruchs gemeint wäre. Dass zwei Urlaubstöpfe mit verschiedenen Verrechnungseinheiten, zum einen Werktage (§ 10a UrlG), zum anderen Arbeitstage (§ 7 N64 lit b KV), nebeneinander bestehen sollten, sei dem KV nicht zu unterstellen. Ein solches Ergebnis würde einen einheitlichen Urlaubsverbrauch unmöglich machen, unterschiedliche Berechnungsweisen beim Urlaubsentgelt nach sich ziehen und getrennte Urlaubskonten erfordern. Auch Art XIII Abs 1 NSchG sehe eine Anrechnung günstigerer Ansprüche insbesondere in Kollektivverträgen auf den durch das NSchG geschaffenen Zusatzurlaub nach § 10a UrlG vor. Der Wortlaut des Art XIII Abs 1 NSchG stelle nicht auf den Abschlusszeitpunkt eines Kollektivvertrags ab. Selbst wenn man Art XIII Abs 1 NSchG nur auf bei Inkrafttreten des NSchG geltende Kollektivverträge anwendbar halten sollte, sei dieses Erfordernis erfüllt, weil § 7 N64 lit b KV auf § 7 N70 KV 1979 zurückgehe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. § 7 N64 lit b KV habe seinen Ursprung in dem mit in Kraft getretenen KV. Damit könne diese kollektivvertragliche Urlaubsregelung in keinerlei Zusammenhang mit dem erst mit durch das NSchG entstandenen Anspruch auf Zusatzurlaub gestanden sein, sondern sich nur auf den Grundurlaubsanspruch nach § 2 Abs 1 UrlG bezogen haben. Auch ergebe sich aus der Regelung kein Hinweis darauf, dass sie der „Verhinderung, Beseitigung oder Milderung der mit Nachtschicht-Schwerarbeit verbundenen Erschwernisse bzw zum Ausgleich von Belastungen“ – wie sie das NSchG gemäß seinem Art I bzw § 10a UrlG zum Gegenstand habe – dienen sollte. Auch dass § 7 N64 lit b KV genauso wie § 2 Abs 1 UrlG auf die Dauer der Dienstzeit abstelle spreche dafür, dass beide Bestimmungen nur miteinander korrespondierten. Im Ergebnis scheide eine Anrechnung auf den mit Art II NSchG geschaffenen Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 10a UrlG aus. Nach der Übergangsbestimmung des Art XIII Abs 1 NSchG würde eine Anrechnung eines kollektivvertraglich geregelten „Zusatzurlaubes“ – entsprechend dem Normzweck (Art I NSchG) – voraussetzen, dass mit der kollektivvertraglichen Regelung § 7 N70 KV 1979 ein „Zusatzurlaub“ als „Abgeltung für Schichtarbeit, Schwerarbeit oder Nachtarbeit“ geschaffen bzw dieser Zweck verfolgt worden wäre. Diese Voraussetzung liege nicht vor.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil im klagsabweisenden Sinn ab. Aus der zeitlichen Abfolge (Kollektivvertrag 1979 – Zusatzurlaub für Nachtschicht-Schwerarbeit 1981) sei nicht ableitbar, dass sich die kollektivvertragliche Urlaubsregelung nur auf den Grundurlaubsanspruch nach § 2 Abs 1 UrlG bezogen habe. Würde das zutreffen, hätte es der Übergangsbestimmung in Art XIII Abs 1 NSchG nicht bedurft. Die Anrechnungsbestimmung aus 1981 setze gerade voraus, dass es zeitlich davor auch schon kollektivvertragliche Regelungen gab, die einen Zusatzurlaub als Abgeltung für die mit Schicht-, Schwer- oder Nachtarbeit verbundenen Unannehmlichkeiten vorsahen. Im vorliegenden Fall liege es mit Blick auf die gebotene Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer auf der Hand, dass eine derart großzügige, ausschließlich die im Durchfahrbetrieb tätigen Arbeiter und Arbeiterinnen gegenüber den anderen Arbeitern und Arbeiterinnen begünstigende Urlaubsregelung nicht nur die Berechnung des Urlaubsanspruchs erleichtern und den gesetzlichen Urlaubsanspruch sichern, sondern zu einem wesentlichen Teil auch die mit dem Schichtbetrieb verbundene Arbeitserschwernis abgelten sollte. Eine derartige Absicht der Kollektivvertragsparteien finde auch im Einleitungssatz des § 7 N64 KV Deckung, wonach es um die Anpassung der Bestimmungen des UrlG an die vollkontinuierliche Betriebsweise gehe. Damit werde nicht nur auf den Grundurlaubsanspruch gemäß § 2 UrlG, sondern auf das gesamte UrlG verwiesen und die Berücksichtigung der Besonderheiten einer laut Schichtplan zu leistenden Arbeitszeit als Regelungsmotiv hervorgehoben. Für den Zweck, durch zusätzliche Urlaubstage einen Ausgleich für die Belastung durch den Schichtdienst zu schaffen, spreche auch, dass Punkt 70 KV 1979 sich nicht nur auf die Modalitäten der Umrechnung von Werktagen in Arbeitstage beschränke (lit a), sondern durch die gleichbleibende Zahl an Arbeitstagen statt der gesetzlichen Werktage einen zusätzlichen Urlaubsanspruch (lit b) normiere. Ausgehend von der 1979 geltenden 40-Stunden-Woche und beispielsweise einer Schichtdauer von 3 x 8 Stunden habe das im Jahresdurchschnitt eine 5-Tage-Woche und durch die Gewährung von 24/30 Arbeitstagen statt 24/30 Werktagen einen zusätzlichen Urlaub von fast einer Woche bedeutet. Dass diese zusätzlichen Tage nicht ausdrücklich als „Zusatzurlaubstage“ gewährt wurden, stehe einer Anrechnung nicht entgegen. Auch wenn der höhere Anspruch durch eine andere Vereinbarung zustande komme, etwa in der Form, dass der Urlaubsanspruch anstelle von Werktagen mit der gleichen Zahl an Arbeitstagen gewährt werde, stelle dies einen Zusatzurlaub dar. Die zwischen Kollektivvertrag und UrlG divergierenden Voraussetzungen für die Höhe und den Erwerb des Urlaubsanspruchs (Abhängigkeit von der Dienstzeit/von der Dauer der Leistung der Nachtschicht-Schwerarbeit) und das unterschiedliche Ausmaß (Arbeitstage/Werktage) lieferten weder für noch gegen eine Anrechnung Anhaltspunkte. Bei Fassung des Punktes 70 KV 1979 hätten die Kollektivvertragsparteien noch nicht die in § 10a UrlG zwei Jahre danach normierten Voraussetzungen für einen Zusatzurlaub voraussehen und eine auch praktisch leicht durchführbare Regelung schaffen können. Ex post betrachtet brauche man immer zwei Urlaubstöpfe, sodass weder die Gewährung von Zusatzurlaub in Werktagen neben der Gewährung von Grundurlaub in Arbeitstagen noch die Anrechnung von Urlaub in Arbeitstagen auf Urlaub in Werktagen praktikabel sei. Allerdings werde von den Kollektivvertragsparteien auch erwartet, einen Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen zu wollen. Unter diesem Aspekt sei es naheliegend, dass bei Schaffung des Punktes 70 im Jahr 1979 eine Begünstigung der im Durchfahrbetrieb tätigen Arbeiter und Arbeiterinnen nicht allein zur Garantie des gesetzlichen Urlaubsanspruchs, sondern wesentlich auch im Hinblick auf einen Ausgleich der mit dem Schichtbetrieb verbundenen Unbill erfolgt sei. Wenn sich die Beklagte entschieden habe, die betriebliche Übung, beide Urlaubsansprüche gesondert zu gewähren, nicht mehr weiterzuführen, sondern jenen Teil des kollektivvertraglichen Urlaubsanspruchs (Punkt 64), der über den gesetzlichen Urlaubsanspruch (§ 2 Abs 1 UrlG) hinausgehe, auf den Zusatzurlaub gemäß § 10a UrlG künftig anzurechnen, so stünden dem die gesetzlichen und kollektivvertraglichen Regelungen nicht entgegen.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung regelmäßig wegen des größeren Personenkreises der hievon betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers, mit dem er einen auf Wiederherstellung des Ersturteils gerichteten Abänderungs- und hilfsweise einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag stellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung der Revision.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zum Verhältnis von § 7 N64 lit b KV vom der Papierindustrie zum Zusatzurlaub nach § 10a UrlG keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorhanden ist und der Auslegung auch dieser Kollektivvertragsbestimmung wegen des größeren Personenkreises der hievon betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukommt (RS0109942).

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

1. Von der gegenständlichen Rechtssache sind unstrittig mindestens drei Arbeitnehmer der Beklagten betroffen. Die Klagslegitimation des Klägers nach §

54 Abs 1 ASGG wurde zu Recht nicht in Zweifel gezogen.

2. Es ist zunächst auf die Bestimmung des Art XIII Abs 1 Nachtschwerarbeitsgesetz (NSchG), BGBl 1981/354, einzugehen; diese lautet:

„Artikel XIII

Übergangsbestimmungen

(1) Ansprüche auf Zusatzurlaub in Kollektivverträgen, Arbeits(Dienst)ordnungen oder Betriebsvereinbarungen werden auf den nach diesem Bundesgesetz zustehenden Zusatzurlaub angerechnet, wenn sie als Abgeltung für Schichtarbeit, Schwerarbeit oder Nachtarbeit gewährt werden.

(2) [...]“

2.1. Bei Art XIII Abs 1 NSchG handelt es sich um eine materielle Übergangsbestimmung. Eine solche hat die Aufgabe, den Übergang zwischen altem und neuem Recht materiell-rechtlich auszugestalten. Es wird eine Art „Zwischenrecht“ geschaffen, das sich sowohl von dem alten als auch von dem neuen Recht unterscheidet (Vonkilch, Das Intertemporale Privatrecht [1999] 9 f, 69).

2.2. Bereits aus der ausdrücklichen Bezeichnung einer Bestimmung als „Übergangsbestimmung“ kann grundsätzlich geschlossen werden, dass sie nur auf bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes entstandene Sachverhalte anzuwenden ist (9 ObA 98/87 = ZAS 1989/8 [zust Zeiler]). Dass dies auch hier der Fall ist, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zum NSchG. Nach denen regelt Art XIII Abs 1 NSchG das Verhältnis von Art II NSchG (womit die Bestimmung des § 10a über einen „Zusatzurlaub“ in das UrlG eingefügt wurde) „zu entsprechenden Regelungen in Rechtsquellen, die dem Gesetz nachgeordnet sind und im Zeitpunkt des Inkrafttretens [des NSchG]in Geltung stehen“ (ErläutRV 720 BlgNR 15. GP 13 f; AB 784 BlgNR 15. GP 8; Hervorhebung durch den Senat). Damit ist Art XIII Abs 1 NSchG sowohl in Entsprechung seiner Funktion als Übergangsbestimmung als auch des Inhalts der Gesetzesmaterialien nur auf solche kollektivvertragliche Regelungen anzuwenden, die bei Inkrafttreten des NSchG am (s Art XIV Abs 1 NSchG) bereits in Geltung standen.

2.3. Materieller Zweck des Art XIII Abs 1 NSchG ist es in Fällen, in denen es bei Inkrafttreten des § 10a UrlG über einen Zusatzurlaub wegen Nachtschwerarbeit in einem Kollektivvertrag, einer Arbeits-(Dienst-)ordnung oder einer Betriebsvereinbarung bereits eine Bestimmung gab, die einen Zusatzurlaub als Abgeltung für Schichtarbeit, Schwerarbeit oder Nachtarbeit vorsah, eine Doppelbegünstigung der Dienstnehmer auszuschließen. Dazu wird eine Anrechnung des Zusatzurlaubs nach dem Kollektivvertrag, der Arbeits-(Dienst-)ordnung oder der Betriebsvereinbarung auf den gesetzlichen Zusatzurlaub angeordnet. „Anrechnung“ bedeutet, dass die Urlaubsansprüche aus dem Gesetz bzw aus dem Kollektivvertrag (Dienstordnung, Betriebsvereinbarung) nicht zusammengerechnet werden dürfen, sondern dass der höhere Anspruch gilt (B. Schwarz, Nachtschichtschwerarbeitsgesetz [1981] 114; vgl auch ErläutRV 720 BlgNR 15. GP 14). Der Gesetzgeber ging davon aus, dass vernünftige Kollektivvertragsparteien, hätten sie § 10a UrlG vorausgesehen, im Kollektivvertrag eine solche Anrechnung selbst angeordnet hätten. Für erst nach dem Inkrafttreten des NSchG vereinbarte Kollektivverträge brauchte der Gesetzgeber keine solche Anrechnung vorsehen, weil bei Kenntnis des NSchG und damit des § 10a UrlG Kollektivvertragsparteien selbst darüber entscheiden können, ob sie bei der Vereinbarung eines Zusatzurlaubs als Abgeltung für Schichtarbeit, Schwerarbeit oder Nachtarbeit im Kollektivvertrag eine Anrechnung auf den gesetzlichen Zusatzurlaub vorsehen oder ob sie von einer Anrechnung Abstand nehmen, sodass beide Ansprüche zur Gänze bestehen.

2.4. Die heutige, oben wiedergegebene Bestimmung des § 7 N64 KV 1998 geht auf § 7 N70 des Kollektivvertrags vom zurück. Jene Bestimmung entsprach der geltenden mit der Maßgabe, dass ihre lit b „Der Urlaubsanspruch beträgt 24 bzw. 30 Arbeitstage, entsprechend den Anwartschaftszeiten nach den Bestimmungen des Urlaubsgesetzes“ lautete.

Der Kollektivvertrag 1979 wurde in den folgenden Jahren von den Kollektivvertragsparteien (wiederholt) novelliert. Am wurde – wie am – sodann der gesamte Text des Kollektivvertrags als „Neuauflage“ vereinbart und kundgemacht. Die hier interessierende Bestimmung fand sich in diesem KV bereits (wie heute) als § 7 N64, wobei ihre lit b nunmehr „Der Urlaubsanspruch beträgt 29 bzw. 35 Arbeitstage, entsprechend den Anwartschaften des Urlaubsgesetzes.“ lautete. Wie bereits im Jahr 1979 war hinsichtlich der Vertragsdauer des (gesamten) Kollektivvertrags in § 17 aber (unverändert) vorgesehen, dass „dieser Kollektivvertrag“ am in Kraft tritt. Somit galt der Kollektivvertrag 1979 in der Fassung von 1989 weiter.

Am wurde abermals der gesamte Text des Kollektivvertrags als „Neuauflage“ vereinbart und kundgemacht. § 7 N64 blieb unverändert. Nunmehr sah aber § 17 vor, dass „dieser Kollektivvertrag“ am in Kraft tritt. Wird der gesamte Wortlaut eines Kollektivvertrags neu vereinbart und kundgemacht, so tritt der neue Kollektivvertrag zur Gänze an die Stelle der früheren Vereinbarungen der Kollektivvertragsparteien (9 ObA 119/18t). Damit ersetzte jedenfalls der Kollektivvertrag 1992 den alten Kollektivvertrag aus dem Jahr 1979.

Der geltende Kollektivvertrag stammt vom und trat gemäß seinem § 17 am in Kraft. Bei der Bestimmung des § 7 N64 dieses Kollektivvertrags handelt es sich daher um keine Bestimmung, welche – was Art XIII Abs 1 NSchG bei richtiger Auslegung aber verlangt – am bereits in Geltung stand. Art XIII Abs 1 NSchG ordnet damit keine Anrechnung der Ansprüche von Dienstnehmern nach dem KV 1998 und damit auch nicht der Ansprüche nach dessen § 7 N64 auf den gesetzlichen Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 10a UrlG an.

3. Dies weist aber noch nicht den Anspruch nach, ist es doch möglich, dass sich aus dem Kollektivvertrag selbst ergibt, dass mit dem darin vorgesehenen Urlaubsanspruch auch ein allfälliger Zusatzurlaub nach § 10a UrlG abgedeckt sein soll. Eine solche Anrechnung muss nicht ausdrücklich im Kollektivvertrag vorgesehen sein, sondern kann sich auch erst aus dessen weiterer Auslegung ergeben (Schrank, Leitentscheidungen der Höchstgerichte zum Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht, 16.7.1.Nr.1 [Anm zu 8 ObA 32/09b]). Dies ist hier – wie bereits vom Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, sodass auf dessen Urteil insofern verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO) – der Fall. Den Ausführungen des Klägers in der Revision ist ergänzend entgegenzuhalten:

3.1. In 9 ObA 78/17m (Punkt 3) wurde zu einer § 7 N64 KV 1998 ähnlichen kollektivvertraglichen Bestimmung (dort: N66) festgehalten, dass (auch) aus ihr „klar hervor[geht], dass die Kollektivvertragsparteien im Hinblick auf das Urlaubsausmaß der Arbeitnehmer grundsätzlich die Regelung des UrlG gelten lassen, dieses jedoch im Hinblick auf die atypischen Arbeitsverhältnisse der vollkontinuierlichen Betriebsweise, dh einer Betriebsweise von 24 Stunden/7 Tage die Woche, anpassen wollten“. § 7 N64 KV 1998 spricht nun davon, dass sich die vertragsschließenden Organisationen darüber einig sind, „dass die Anpassung der Bestimmung des Urlaubsgesetzes an die atypischen Arbeitsverhältnisse der vollkontinuierlichen Betriebsweise wie folgt vorzunehmen ist [...]“. Die Verwendung des Plurals indiziert, dass nach der Absicht der Kollektivvertragsparteien auch ein allfälliger Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 10a UrlG mit dem sich aus § 7 N64 KV 1998 ergebenden Urlaubsanspruch erledigt sein sollte.

3.2. Hierfür spricht vor allem, was das Berufungsgericht zutreffend besonders hervorgehoben hat, dass der kollektivvertragliche Anspruch bedeutend über den Grundurlaubsanspruch nach § 2 Abs 1 UrlG hinausgeht, nämlich praktisch im Ausmaß einer weiteren Woche. Dies wird dadurch erreicht, dass die Anzahl der Urlaubstage in Werktagen nach § 2 Abs 1 UrlG (bei einer Dienstzeit von weniger als 25 Jahren: 30 Werktage; nach Vollendung des 25. Jahres: 36 Werktage) schlicht nach der Formel „minus 1“ auf die Anzahl der Urlaubstage in Arbeitstagen umgelegt wird (§ 7 N64 lit b KV 1998: „Der Urlaubsanspruch […] beträgt bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Normalarbeitszeit von 38 Stunden 29 bzw. 35 Arbeitstage“). Der Oberste Gerichtshof hat in 9 ObA 506/87 zu einer vergleichbaren atypischen Urlaubsregelung, mit welcher (auch dort) „die Anpassung der Bestimmungen des Urlaubsgesetzes an die atypischen Arbeitsverhältnisse der vollkontinuierlichen Betriebsweise“ vorgenommen wurde, festgehalten, dass es bei atypischen Schichtplänen durchaus vorkommen kann, dass „24 bzw 30 Arbeitstage“ ein höheres Freizeitausmaß als „30 bzw 36 Werktage“ ergeben. Umso mehr stellt es eine gravierende Begünstigung der Arbeitnehmer dar, statt den gesetzlich vorgesehenen 30 bzw 36 Werktagen Urlaub 29 bzw 35 Arbeitstage Urlaub zu haben. Selbst wenn nun ein Arbeitnehmer einen Zusatzurlaub nach § 10a UrlG von sechs Werktagen hat (Maximalanspruch nach § 10a UrlG), so wird er durch die pauschale Zuweisung von (je nach Dienstalter) 30 bzw 36 Arbeitstagen Urlaub (zumindest) nicht schlechtergestellt. Eine gleich günstige Kollektiv-vertragsbestimmung verstößt nicht gegen § 12 UrlG (Kuderna, UrlG2§ 12 Rz 3; Gerhartl, Urlaubsrecht § 12 Rz 1; Mayr/Erler, UrlG3§ 1 Rz 20 aE, § 2 Rz 11).

3.3. Der Kläger führt für die von ihm vertretene Auffassung, dass § 7 N64 lit b KV 1998 nur den Urlaubsanspruch nach § 2 Abs 1 UrlG, nicht aber jenen nach § 10a UrlG abdecken solle, ins Treffen, dass die kollektivvertragliche Regelung nicht auf die für den Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 10a UrlG entscheidenden Parameter abstelle und dass eine Mitabgeltung dieses Zusatzurlaubs nicht der gebotenen Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen entspreche. § 10a UrlG solle einen zusätzlichen Urlaub (nur) zur Verhinderung, Beseitigung bzw Milderung der mit der Nachtschwerarbeit verbundenen Erschwernisse bewirken.

Bei der Regelung des § 10a UrlG über den Zusatzurlaub bei Nachtschwerarbeit geht es zwar – wie vom Kläger zutreffend erkannt – darum, jenen Arbeitnehmern, die durch ihre berufliche Tätigkeit besonders belastet sind, die damit einhergehenden Erschwernisse abzumildern und einen gewissen Ausgleich für diese Belastungen zu schaffen. Es steht den Kollektivvertragsparteien aber frei, wenn bereits gesetzlich für bestimmte Arbeitnehmergruppen Vergünstigungen vorgesehen sind, auch für weitere Arbeitnehmergruppen eigene Vergünstigungen vorzusehen. Im Rahmen des Schutzes der Erholungsbedürfnisse der Arbeitnehmer wegen beruflicher Belastungen ist es als zulässiges Ziel der kollektivvertraglichen Gestaltung anzusehen, auch weiteren Arbeitnehmergruppen diese Vergünstigungen zukommen zu lassen, ohne in den Verhandlungen dabei dadurch eingeschränkt zu sein, dass dann den bereits begünstigten Arbeitnehmergruppen zwingend noch zusätzliche Begünstigungen eingeräumt werden müssten (8 ObA 32/09b). Damit ist es nicht unzulässig, dass – wie hier geschehen – jener gesetzliche Zusatzurlaub, der gesetzlich nur besonders stark von Nachtschwerarbeit betroffenen Arbeitnehmern zusteht, allen von den atypischen Arbeitsverhältnissen der vollkontinuierlichen Betriebsweise betroffenen Arbeitnehmern kollektivvertraglich eingeräumt wird.

3.4. Der Kläger bezieht sich auch auf eine Vereinbarung der Kollektivvertragsparteien vom zum – eine Novelle des Kollektivvertrags vom darstellenden – Kollektivvertrag vom . Darin wurde „im Zusammenhang mit der Urlaubsgesetznovelle 1983“ betreffend Punkt 70 des Kollektivvertrags festgehalten, dass diese Vorschrift die Regelung „Arbeitstag = Urlaubstag“ beinhaltet; dass sich die Vertragsparteien für die Jahre 1984, 1985 und 1986 darüber einig sind, dass für Arbeitnehmer mit einer Dienstzeit von weniger als 20 Dienstjahren, von weniger als 25 Dienstjahren und ab Vollendung des 25. Dienstjahres ein in der Vereinbarung angeführter bestimmter Urlaubsanspruch in Arbeitstagen besteht; und dass die Vertragspartner anerkennen, „dass auch die Frage dieser atypischen Urlaubsregelung bei den Gesprächen über eine zukünftige Arbeitszeitverkürzung miteinbezogen wird, wobei nach Auffassung der Industrie eine Verteuerung der Erzeugungskosten vermieden werden soll“. Aus dieser Vereinbarung lässt sich entgegen der Revision nicht erkennen, dass mit § 7 N70 KV 1979 nur der Grundurlaubsanspruch nach § 2 Abs 1 UrlG, nicht aber auch ein allfälliger Zusatzurlaubsanspruch nach § 10a UrlG abgedeckt sein sollte.

3.5. Letztlich bietet auch eine Betrachtung der historischen Entwicklung (vgl etwa RS0112422) keinen Ansatz für die Annahme, dass die Kollektivvertragsparteien unabhängig von dem nach § 10a UrlG bestehenden Zusatzurlaub noch weitere Verbesserungen der gesamten Urlaubsansprüche nach dem Urlaubsgesetz vereinbaren wollten. Die Formulierungen der gerade auch auf von § 10a UrlG erfasste Fälle abstellenden Verbesserungen durch den Kollektivvertrag blieben vor und nach („Neuauflagen“) der Schaffung des § 10a UrlG gleich. Veränderungen waren offensichtlich nur auf andere Umstände zurückzuführen (Zusatzurlaubswoche 1983, Herabsetzung der kollektivvertraglichen Normalarbeitszeit). Dass die Verbesserungen vor der Schaffung des § 10a UrlG auf diesen anzurechnen waren, legt im Ergebnis auch der Kläger zugrunde.

3.6. Der Revision war aus den dargelegten Gründen der Erfolg zu versagen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG iVm § 41 und 50 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00009.20M.0424.000

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