TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 24.10.2018, 8Ob75/18i

OGH vom 24.10.2018, 8Ob75/18i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner, Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*****, vertreten durch Dr. Ramin Mirfakhrai, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. S***** AG, *****, 2. P*****, beide vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 201.385,38 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 5 R 23/18s-19, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 581 Cg 14/17p-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass die Einrede des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit sowie der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts hinsichtlich der zweitbeklagten Partei verworfen wird.

Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage (auch) hinsichtlich der zweitbeklagten Partei aufgetragen.

Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.347,90 EUR (darin enthalten 724,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Zuständigkeitsstreits im Rekurs und im Revisionsrekursverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Erstbeklagte ist eine Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht. Der Zweitbeklagte, der seinen Wohnsitz in der Schweiz hat, ist Mitglied ihres Verwaltungsrates und ihr Geschäftsführer. Die Erstbeklagte bietet Investitionen in südamerikanische Hart- und Edelholzplantagen an.

Der Kläger stieß über eine von der Erstbeklagten bezahlte Google-Werbung auf die Website der Erstbeklagten „www.sh*****.com“. Er gab seine Kontaktdaten ein und forderte Informationsmaterial an. Schließlich wurde er im Zuge von (von Mitarbeitern) der Erstbeklagten nach Österreich geführter Werbetelefonate vom Investment überzeugt. Zwischen Jänner 2012 und Juni 2014 schloss er mit der Erstbeklagten in Summe vier Kaufverträge über den Erwerb von Teak und Balsaholzbäumen in Brasilien, indem er die von der Erstbeklagten auf dem Postweg samt Rechnung zugesandten Vertragsunterlagen unterzeichnete und an die Erstbeklagte postalisch retournierte. Darunter waren die drei Kaufverträge 275551-V1 (705 Teakbäume um 67.328,85 EUR), 275551-V2 (2690 Teakbäume um 101.716,53 EUR) und 275551-V4 (1860 Balsaholzbäume um 32.340 EUR). Den Kaufpreis überwies der Kläger jeweils von seinem österreichischen Girokonto auf das Verrechnungskonto der Erstbeklagten in Deutschland.

Der begehrte von beiden Beklagten zur ungeteilten Hand die Zahlung von 201.385,38 EUR sA. Ein Mitarbeiter der Erstbeklagten habe ihm erklärt, dass die Investition in Bäume bei der Erstbeklagten ein absolut sicheres Geschäft sei, weil ihm das Eigentum an den Bäumen übertragen werde und die Bäume zudem gegen Schäden versichert seien. Die Erstbeklagte sei ihrer Verpflichtung aus dem Kaufvertrag, dem Kläger Eigentum an den Bäumen zu verschaffen, allerdings nicht nachgekommen. Dabei sei ihr und dem Zweitbeklagten auch von Anfang an bewusst gewesen, dass eine Eigentumsübertragung entgegen den Behauptungen nicht möglich sein würde. Dem Kläger sei es aber gerade auf seine Eigentümerstellung angekommen, weil er im Fall einer Insolvenz der Gesellschaft vor dem Verlust seiner Investition geschützt sein wollte. Hätte er gewusst, dass kein Eigentumsübergang möglich ist, hätte er die Verträge nie unterzeichnet. Die Erstbeklagte und der Zweitbeklagte hätten den Kläger über die Eigentumsverhältnisse vorsätzlich getäuscht. Der Zweitbeklagte sei die treibende Kraft und der Entwickler des Geschäftsmodells gewesen, das von vornherein auf Täuschung und Schädigung der Kunden angelegt gewesen sei. Obwohl dem Zweitbeklagten bewusst gewesen sei, dass für eine wirksame Eigentumsübertragung an den Bäumen behördliche und rechtliche Schritte durchgeführt werden müssten, habe er gegenüber dem Kläger und den weiteren Kunden den falschen Anschein erweckt, er würde ein unbedingtes dingliches Recht an den Bäumen allein durch Unterzeichnung des Vertrags und Ausstellung einer „Baumurkunde“ erwerben. Es sei dem Zweitbeklagten bewusst gewesen, dass der Kläger und die weiteren Kunden die Kaufverträge nicht abschließen würden, wenn sie nicht auf diese unwahren Angaben vertrauten. Aufgrund dieser (arglistigen) Täuschung des Zweitbeklagten, die sich auch die Erstbeklagte zurechnen lassen müsse, habe der Kläger Anspruch auf Schadenersatz und das Recht auf Vertragsanfechtung nach § 870 ABGB. Zudem stützte sich der Kläger auf das Widerrufsrecht gemäß § 3 KSchG aF iVm § 41a Abs 29 KSchG, weil die Erstbeklagte eine Belehrung über das Rücktrittsrecht unterlassen habe.

Zur auf Art 5 Z 3 LGVÜ 2007 gestützten Zuständigkeit brachte der Kläger vor, dass das schädigende Ereignis in Österreich eingetreten sei. Es liege ein heimischer „Tatort“ vor, weil die Täuschungshandlungen der Beklagten in Österreich vollzogen worden seien. Ferner sei der Vermögensverlust in Österreich durch die jeweiligen Abbuchungen vom Konto des Klägers eingetreten. Ein weiterer Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit bestehe nach Art 16 Z 1 LGVÜ 2007, weil der Kläger Verbraucher sei und seinen Wohnsitz im Inland habe. Der schadensstiftende Vertrag sei mit einem Unternehmer geschlossen worden.

Die erhoben die Einrede der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts, weil Art 5 Z 3 LGVÜ einen Gerichtsstand für Klagen schaffe, mit denen Ansprüche aus unerlaubten Handlungen, also insbesondere Schadenersatzansprüche ex delicto geltend gemacht würden. Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Bestimmung sei, dass zwischen Schädiger und Geschädigtem – anders als hier – kein Vertrag bestehe. Mangels Täuschungshandlungen liege zudem kein „Tatort“ in Österreich vor.

Das Erstgericht verwarf die Unzuständigkeitseinrede hinsichtlich der Erstbeklagten, erklärte sich aber für die Klage gegen den Zweitbeklagten unzuständig und wies diese zurück. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts hinsichtlich der Erstbeklagten ergebe sich aus Art 15 Abs 1 lit c LGVÜ 2007 iVm § 16 LGVÜ 2007. Aus einem Wahlgerichtsstand könne allerdings kein Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach § 93 JN abgeleitet werden. Art 5 Z 3 LGVÜ 2007 komme hinsichtlich des Zweitbeklagten nicht zur Anwendung, weil die gegen den Zweitbeklagten geltend gemachten deliktischen Ansprüche eng mit dem Vertrag zwischen dem Kläger und der Erstbeklagten verknüpft und entscheidend dadurch geprägt seien.

Dem vom Kläger gegen die Unzuständigkeitsentscheidung und Klagezurückweisung hinsichtlich des Zweitbeklagten erhobenen Rekurs gab das Rekursgericht keine Folge. Die Unzuständigkeit des Erstgerichts lasse sich zwar mit einem engen vertraglichen Zusammenhang zwischen dem gegen den Zweitbeklagten geltend gemachten Schadenersatzanspruch und dem mit der Erstbeklagten geschlossenen Vertrag nicht begründen, müsse es sich bei einem „Vertrag“ im Sinne des Art 5 Z 1 LGVÜ doch um einen Vertrag zwischen den Streitparteien handeln. Allerdings liege weder der Handlungs- noch der Erfolgsort in Österreich. Bei in Briefen oder Telefonaten begangenen Delikten liege der Handlungsort dort, wo der Brief aufgegeben bzw von wo aus das Telefongespräch geführt worden sei. Der Umstand, dass sich der finanzielle Schaden, den der Kläger in einem anderen Mitgliedstaat erlitten habe, gleichzeitig auch auf dessen Gesamtvermögen auswirke, führe nicht dazu, dass der Ort des Mittelpunkts des Vermögens des Geschädigten, der sich in den meisten Fällen mit dem Wohnsitz des Klägers decke, als Schadensort anzusehen sei. Der Vermögensabfluss am Sitz des Geschädigten sei deshalb für sich genommen nicht ausreichend, einen Schadenseintrittsort zu etablieren. Im vorliegenden Fall bestehe kein ausreichender Bezug zu Österreich. Der Kläger habe bei einer Schweizer Gesellschaft Rechte an einer in Brasilien befindlichen Baumplantage erworben, die „Baumurkunde“ sei in der Schweiz ausgestellt worden. Lediglich der Zahlungsfluss sei von einem österreichischen Konto ausgegangen. Der Kläger könne sich daher nicht erfolgreich auf Art 5 Z 3 LGVÜ 2007 berufen. Den Verbrauchergerichtsstand könne der Kläger mangels Vertragsverhältnisses zum Zweitbeklagten nicht in Anspruch nehmen. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO nicht zu.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos zu beheben und die Unzuständigkeitseinrede des Zweitbeklagten zu verwerfen.

Der Zweitbeklagte beantragte in der ihm freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisions-rekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts zulässig; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Nach Art 5 Z 3 LGVÜ 2007 kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Dies entspricht dem Gerichtsstand für Deliktsklagen nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 (früher Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000).

Zwecks Erreichung einer möglichst einheitlichen Auslegung des Übereinkommens ordnet Art 1 des Protokolls 2 zum LGVÜ 2007 an, dass die Gerichte jedes Vertragsstaats bei der Anwendung und Auslegung des LGVÜ 2007 jenen Grundsätzen „gebührend“ Rechnung tragen, die in „maßgeblichen Entscheidungen“ von Gerichten der anderen Vertragsstaaten und in Entscheidungen des EuGH zum LGVÜ 2007, zu ähnlichen Bestimmungen des LGVÜ 1988 und zum EuGVÜ entwickelt worden sind (Kodek/Mayr in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4, Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil und Handelssachen Rz 12).

1.2 Unter den Gerichtsstand für Deliktsklagen nach Art 5 Z 3 LGVÜ 2007/Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 fallen alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird, wenn diese nicht an einen – zwischen den Streitteilen bestehenden (7 Ob 291/02y) – Vertrag anknüpfen (RISJustiz RS0109739). Dazu werden auch Schadenersatzklagen bei Kapitalanlagen und auf rechtswidriges Verhalten gestützte Ansprüche gegen Gesellschaftsorgane gezählt (3 Ob 14/12y; 2 Ob 106/04h).

Grundsätzlich kann der Geschädigte seine Ansprüche alternativ am Handlungs- oder am Erfolgsort geltend machen (Ubiquitätsprinzip; Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4, Artikel 7 Rz 127).

2. Handlungsort ist der Ort des schadensbegründenden Geschehens, also der Ort, an dem das schadensbegründende Geschehen seinen Ausgang nahm (, Danmarks Rederiforening, Rn 41). Dabei kommt es auf den Ort des schadensbegründenden Handelns bzw Unterlassens des Schädigers an (3 Ob 14/12y mwN). Handlungsort ist daher der Ort, an dem der Schädiger tatsächlich gehandelt hat oder hätte handeln müssen (Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4, Artikel 7 Rz 127).

Mit dem Hinweis auf seine eigenen Dispositionen (wie die Autorisierung der Zahlungen) bringt der Kläger keinen Handlungsort im Sinne des Art 5 Z 3 LGVÜ 2007 zur Darstellung. Als den Beklagten zuzurechnendem Handeln zieht der Kläger in seinem Revisionsrekurs lediglich die Internet-Werbung heran. Das Schalten von – als solcher nicht irreführender, sondern nach dem Vorbringen des Klägers sich lediglich um die Aufmerksamkeit österreichischer Kunden bemühender – Werbung durch Google-Ads ist als reine Vorbereitungshandlung zu qualifizieren und vermag schon aus diesem Grund einen Handlungsort im Inland nicht zu begründen (Simotta in Fasching/Konecny2 Art 5 EuGVVO Rz 303).

3.1 Erfolgsort ist der Ort, an dem die schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten (, Shevill, Rn 28; Simotta in Fasching/Konecny2 Art 5 EuGVVO Rz 314).

Das Konzept des Erfolgsorts bereitet bei reinen Vermögensschäden – wie in Anlegerschadensfällen – allerdings Schwierigkeiten: Da die Vermögensverminderung in letzter Konsequenz immer am Wohnsitz des Geschädigten eintritt, würde ein (alleiniges) Abstellen auf die „Vermögenszentrale“ regelmäßig zu einem Klägergerichtsstand des Geschädigten führen. Der Vermögensabfluss am Sitz des Geschädigten ist deshalb nach der Rechtsprechung des EuGH für sich genommen nicht ausreichend, einen Schadenseintrittsort zu etablieren (, Kronhofer,Rn 21; 3 Ob 14/12y). Für den Bereich der reinen Vermögensschäden wird daher vertreten, dass der Geschädigte an seinem Interessenmittelpunkt (Wohnsitz) nur dann klagen kann, wenn neben der Vermögensbeeinträchtigung an diesem Ort ein weiteres Element der unerlaubten Handlung in diesem Staat eingetreten ist oder hier gesetzt wurde. Erst wenn dieses weitere Element, das je nach unerlaubter Handlung verschiedene Ausprägungen erfahren kann, im Staat des Geschädigten belegen ist, kommt es zum zuständigkeitsrechtlich beachtlichen Schadenseintrittsort in diesem Staat (Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands und Vollstreckungsrecht4, Artikel 7 Rz 128 mwN).

3.2 In diesem Sinn hat der EuGH im Fall Universal Music unter Bezugnahme auf die Vorentscheidung Kolassa, in der der Schadenseintritt am Ort des Bankkontos lokalisiert wurde (Kolassa/Barclays Bank plc),betont, dass nur dann, wenn auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Falls zur Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte des Orts, an dem sich ein reiner Vermögensschaden verwirklicht hat, beitrügen, ein solcher Schaden dem Kläger in vertretbarer Weise die Erhebung einer Klage vor diesem Gericht ermöglichen könnte (Universal Music Holding/Schilling ua, Rn 39).

3.3 Diese Rechtsprechung hat Schacherreiter dahin zusammengefasst, dass die Bestimmung des Erfolgsorts eine Gesamtbetrachtung aller Bezugspunkte zu einem Staat erfordere (Schacherreiter, Zur internationalen Zuständigkeit für Anlegerklagen gegen VW, ÖBA 2018, 50, 55). Ähnlich hat Zaprianos ausgeführt, dass an einem Ort mehrere als Anknüpfungspunkte dienende Elemente der unerlaubten Handlung zusammenkommen müssen, um diesen als zuständigkeitsrelevanten Erfolgsort zu qualifizieren. Die Bestimmung des Erfolgsorts basiere auf der Abwägung der je nach Fall relevanten Sachverhaltselemente (Zaprianos, Deliktsgerichtsstand am Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden, GPR 2016, 251, 254; in diesem Sinne auch Melcher, VbR 2017, 126, 128).

3.4 Der EuGH hat zuletzt im Fall Löber bekräftigt, dass in einer Situation, „in der ein Anleger eine Klage auf Haftung aus unerlaubter Handlung gegen eine Bank, die ein Zertifikat ausgegeben hat, in das er investiert hat, wegen des Prospekts zu diesem Zertifikat erhoben hat,die Gerichte des Wohnsitzes dieses Anlegers als Gerichte des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, für die Entscheidung über diese Klage zuständig sind, wenn sich der behauptete Schaden, der in einem finanziellen Verlust besteht, unmittelbar auf einem Bankkonto dieses Anlegers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte verwirklicht hat und die anderen spezifischen Gegebenheiten dieser Situation ebenfalls zur Zuweisung der Zuständigkeit an diese Gerichte beitragen (Löber/Barclays Bank plc, Rn 36).Diese Entscheidung erlaubt eine Einschätzung, welche „anderen spezifischen Gegebenheiten“ der EuGH für beachtlich hält. Konkret hatte die Klägerin im zugrundeliegenden Ausgangsverfahren ihren Wohnsitz in Österreich, es wurden alle Zahlungen für den Investitionsvorgang von österreichischen Bankkonten aus durchgeführt, sie hatte die Zertifikate auf dem österreichischen Sekundärmarkt erworben, die Angaben, die ihr zu diesen Zertifikaten übermittelt wurden, waren die Prospektangaben, „wie sie der Österreichischen Kontrollbank notifiziert wurden“, und sie ging die ihr Vermögen endgültig belastende Verpflichtung, die Anlage zu tätigen, auf der Grundlage dieser Angaben in Österreich ein.

4.1 Im Einklang mit der zitierten EuGHJudikatur hat der Oberste Gerichtshof im Verfahren 6 Ob 18/17s, in dem ein Aktionär eine Emittentin wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität gemäß § 15 Abs 1 dWpHG in Anspruch nahm, einen ausreichenden Bezug zu Österreich verneint, weil sich der Marktort, der Börseort, die Globalurkunde und das emittierende Unternehmen in Deutschland befanden. Der Klage lag der Vorwurf zugrunde, der Kläger hätte die Aktien der Beklagten weit über dem wahren Börsenpreis erworben, weil die Beklagte als Emittentin fundamentale Informationen zur Preisbildung verschwiegen habe. Sie habe bereits 2009 begonnen, die Software der von ihr hergestellten Dieselfahrzeuge vorsätzlich zu manipulieren und damit die Kunden über die Einhaltung der gesetzlichen Abgasnormen getäuscht. Trotz dieser für den Börsekurs maßgeblichen Risiken habe sie das Anlegerpublikum über diese Umstände nicht zeitgerecht informiert.

4.2 In der Entscheidung 3 Ob 14/12y hat der Oberste Gerichtshof die Ansicht vertreten, dass die Rechtsprechung des EuGH einer Anknüpfung am Ort der Vermögenszentrale nicht entgegensteht, wenn ein deliktisches Verhalten des Schädigers zum Geldabfluss von der Vermögenszentrale geführt hat (etwa in Fällen von Kapitalanlagebetrug). Das wurde unter Hinweis auf Schmaranzer (in Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/ Schmaranzer, Art 5 EuGVO Rz 54) damit begründet, dass sich in diesen Fällen der Ort des Erstschadens geradezu mit jenem der Vermögenszentrale decke. Dabei hat sich der Oberste Gerichtshof an der Judikatur des BGH angelehnt, der in den Entscheidungen XI ZR 57/08, XI ZR 28/09 und XI ZR 394/08 für den Fall einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung am Vermögen – durch Veranlassung der Überweisung von Anlagekapital zu Gunsten eines von vornherein chancenlosen Geschäftsmodells – den Erfolgsort am Ort der Minderung des Kontoguthabens angenommen hat.

Zu 3 Ob 14/12y wurde daher im Ergebnis die Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Klägers als dem Ort, an dem es zur Schädigung durch betrügerisches Abziehen des Anlagekapitals gekommen ist, bejaht.

5.1 Es trifft nicht zu, dass – wie das Rekursgericht meint – die Entscheidung 3 Ob 14/12y durch die Ausführungen zu 6 Ob 18/17s überholt wäre. Die selbstschädigende Überweisung beim Anlagebetrug kann durchaus als ein relevanter Bezugspunkt angesehen werden (Schacherreiter, Zur internationalen Zuständigkeit für Anlegerklagen gegen VW, ÖBA 2018, 50, 55). Dieser Ansatz wurde auch zu 6 Ob 18/17s nicht verworfen.

Soweit ersichtlich, hat der EuGH zu der in der Lehre kontrovers diskutierten Differenzierung zwischen einerseits Untreue- und Betrugsfällen, das heißt zwischen Fällen, in denen Anleger dadurch geschädigt werden, dass jemand (etwa ein Vermögensverwalter) seine rechtliche Verfügungsmacht über ihr Anlagekapital missbraucht, und andererseits solchen Fällen, in denen Anleger schon durch den Wertpapiererwerb geschädigt werden, weil sie zu diesem durch Täuschung veranlasst wurden, noch nicht Stellung genommen (vgl Schacherreiter, Zur internationalen Zuständigkeit für Anlegerklagen gegen VW ÖBA 2018, 50, 54; für diese Differenzierung etwa Hofmann/Kunz in Oetiker/Weibel, Basler Kommentar zum LugÜ2 Art 5 Rz 587; Acocella in Schnyder, LugÜ Art 5 Rz 250; Wagner in Stein/Jonas, ZPO23 Art 5 Rz 161; Hein in Kropholler/Hein, Europäisches Zivilprozessrecht9 Art 5 EuGVO Rz 90; dagegen etwa Oberhammer in Dasser/Oberhammer, LugÜ2 Art 5 Rz 118 f mwN).

5.2 Ob die selbstschädigende Überweisung bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung als alleiniges Sachverhaltselement für die Bestimmung des Erfolgsorts ausreicht, weil der Schaden beim Betrugsdelikt an jenem Ort eintritt, an dem der Geschädigte den Geldbetrag überweist bzw wo sich seine „Vermögenszentrale“ befindet, wie in 3 Ob 14/12y angenommen (zustimmend Fichtinger, Internationale Zuständigkeit bei Kapitalanlagedelikten, Zak 2012, 347; kritisch Thiede, ÖBA 2013, 441 [Glosse zu 3 Ob 14/12y]; ablehnend Haidmayer, EvBl 2012, 1005 [Glosse zu 3 Ob 14/12y]), muss hier allerdings nicht geklärt werden:

Im vorliegenden Fall sprechen weitere Sachverhaltselemente für die Zuweisung der Zuständigkeit an das Wohnsitzgericht des Klägers in Österreich. Es ging nicht nur der (selbstschädigende) Zahlungsfluss vom österreichischen Konto des Klägers aus, sondern wurden auch die Vertragsunterlagen samt Rechnungen dem Kläger per Post an seinen österreichischen Wohnsitz zugesandt und von ihm unterfertigt postalisch wieder in die Schweiz retourniert, sodass der Kläger die sein Vermögen endgültig belastende Verpflichtung, die Teak und Balsaholzbäume zu erwerben, in Österreich eingegangen ist. Damit ist jedoch die vom EuGH geforderte Vorhersehbarkeit eines am Wohnsitz des Klägers liegenden Erfolgsorts für den Zweitbeklagten gegeben gewesen (vgl Löber/Barclays Bank plc Rn 34). Darin liegt ein entscheidender Unterschied zu dem 6 Ob 18/17s zugrundeliegenden Sachverhalt, bei dem kein ausreichender Bezugspunkt zu Österreich erkannt werden konnte.

6. Im Sinne des vom EuGH zwecks Bestimmung des Erfolgsorts entwickelten beweglichen Systems ist hier daher aufgrund der spezifischen Gegebenheiten des Falls die inländische Gerichtsbarkeit und (örtliche und sachliche) Zuständigkeit des Erstgerichts auch hinsichtlich der Klage gegen den Zweitbeklagten gegeben. Der Zweitbeklagte hat in erster Instanz nie eingewandt, dass statt des angerufenen Handelsgerichts Wien ein anderer Gerichtshof in Österreich örtlich zuständig wäre, weil das Girokonto des Klägers an einem Ort außerhalb Wiens geführt würde. Abgesehen davon, dass es hier keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Ort der Kontoführung und der Wohnsitz des Klägers nicht im Sprengel des Handelsgerichts Wien zusammenfallen, ist nicht auf den Ort des Sitzes der jeweiligen Banken abzustellen, bei denen der Anleger Konten hält, ist dieser Ort für den Prozessgegner doch kaum vorhersehbar (vgl 4 Ob 185/18m). Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren daher im Sinne einer Verwerfung der Unzuständigkeitseinrede des Zweitbeklagten abzuändern.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 50, 41 ZPO. Als Kosten des Zwischenstreits sind nur die vom allgemeinen Verfahrensaufwand klar abgrenzbaren Kosten anzusehen; Kosten von Prozesshandlungen, die im fortgesetzten Verfahren verwertbar sind, sind im Rahmen der Entscheidung über die Kosten des Zwischenstreits nicht zuzusprechen (Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.331 mwN). Der in der Tagsatzung am auf den Zwischenstreit entfallende Verhandlungsaufwand ist nicht klar abgrenzbar, weil zu Beginn auch Vergleichsverhandlungen geführt wurden, die im weiteren (Haupt-)Verfahren verwertbar sind (vgl 8 ObA 52/14a ua). Der Zweitbeklagte hat dem Kläger daher nur die – auf Basis eines Streitwerts von 100.692,69 EUR verzeichneten – Kosten der Rechtsmittelverfahren zu ersetzen. Ein Ersatz von Pauschalgebühren für den Rekurs gebührt allerdings nicht, weil kein Fall des TP 2 Anm 1 oder 1a GGG vorliegt. Ebenso wenig steht dem Kläger nach § 15 RATG der für das Rekursverfahren verzeichnete Streitgenossenzuschlag zu, weil ihm darin nur mehr der Zweitbeklagte gegenüberstand.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00075.18I.1024.000

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.