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OGH vom 02.04.2009, 8ObA88/08m

OGH vom 02.04.2009, 8ObA88/08m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin Dr. Lovrek und die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und AR Angelika Neuhauser in der Arbeitsrechtssache des Klägers Markus W*****, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Thomas Bründl, Rechtsanwalt in Straßwalchen, wegen 169,50 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 107/08h-16, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 27 Cga 112/07y-12, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens als unbekämpft unberührt bleiben, werden dahin abgeändert, dass sie im Übrigen zu lauten haben:

„Das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen 169,50 EUR brutto samt 4 % Zinsen seit zu bezahlen, wird abgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 726,74 EUR bestimmten Verfahrenskosten (darin enthalten 121,12 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Der Kläger ist weiters schuldig, der Beklagten die mit 410,54 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten 68,42 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe :

Der Kläger war von bis bei der Beklagten als Marktleiter-Stellvertreter zu einem Bruttogehalt (einschließlich Zulagen und Überstundenpauschale) von 1.534,26 EUR monatlich beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch Dienstgeberkündigung.

Der Kläger befand sich vom bis , dann aufgrund eines Arbeitsunfalls vom bis und schließlich vom bis , diesmal wegen Lumbago, im Krankenstand. Am Sonntag, dem hatte der Kläger arbeitsfrei, am konsumierte der Kläger einen Postensuchtag.

Für den Krankenstand ab zahlte die beklagte Partei noch das halbe Entgelt fort.

Der Kläger begehrt von der Beklagten zuletzt einen Betrag von 169,50 EUR brutto sA an restlichem Gehalt, ausgehend davon, dass ihm für den Krankenstand ab durch fünf Kalendertage Entgeltfortzahlung im Ausmaß von 100 % zustehe.

Die Beklagte wendet ein, der Kläger habe für die Zeit seines Krankenstands ab nur mehr Anspruch auf eine 50%ige Entgeltfortzahlung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (mit Ausnahme der unbekämpft gebliebenen Abweisung eines Zinsenteilbegehrens) statt. In seiner rechtlicher Beurteilung ging das Erstgericht davon aus, dass sich der Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers durch seinen Krankenstand vom 2. 5. bis gemäß § 8 Abs 1 AngG um 14 Tage verlängert habe, weil er durch einen Arbeitsunfall verursacht wurden sei. Diese Verlängerung wirke sich auch auf einen weiteren „normalen" Krankenstand aus, weil ein Angestellter ansonsten je nach zeitlicher Lagerung des auf einen Arbeitsunfall zurückzuführenden Krankenstands unterschiedlich behandelt würde. Da der Kläger vor Antritt des dritten Krankenstands bereits 51 Krankenstandstage verbraucht habe, verbleibe ein Anspruch von fünf Kalendertagen, für die er die volle Entgelthöhe fortgezahlt erhalten müsse.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Der Standpunkt der Beklagten sei mit dem eindeutigen Wortlaut des § 8 Abs 1 AngG unvereinbar, wonach sich die Dauer der vollen Entgeltfortzahlung durch sechs Wochen im Fall einer auf einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit beruhenden Dienstverhinderung um die Dauer dieser Dienstverhinderung, höchstens jedoch um zwei Wochen verlängere. Im Ergebnis würde die Rechtsansicht der Beklagten dazu führen, dass dann, wenn der Angestellte noch keinen Krankenstand in Anspruch genommen habe oder der wegen eines Arbeitsunfalls eintretende Krankenstand das Ausmaß von sechs Wochen nicht erreiche, der in § 8 Abs 1 zweiter Satz AngG vorgesehenen Fristverlängerung auf acht Wochen der Boden entzogen würde. Diese Bestimmung werde nur dann sinnerfüllt, wenn bei einer Dienstverhinderung aufgrund eines Arbeitsunfalls die volle Entgeltfortzahlung jedenfalls um die Dauer dieses Krankenstands, und, falls dieser (wie hier) länger als zwei Wochen andauere, um diesen Zeitraum verlängert werde. Für eine Einschränkung in dem Sinn, dass eine bereits eingetretene Verlängerung der Frist für einen weiteren, nachfolgenden Krankenstand - sei dieser auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen oder nicht - nicht gelten solle oder die Frist wieder verkürzt werde, biete das Gesetz keinen Anhaltspunkt. Vom Gesetz werde die Dienstverhinderung durch Arbeitsunfall bzw Berufskrankheit nicht isoliert von „normalen" Krankenständen geregelt, sodass es aufgrund dieser Tatbestände zu zusätzlichen vollen Entgeltfortzahlungsansprüchen von bis zu zwei Wochen komme.

Der Kläger habe daher aufgrund des durch den Arbeitsunfall hervorgerufenen Krankenstands gemäß § 8 Abs 1 AngG insgesamt einen Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung von acht Wochen (= 56 Tage). Da er mit dem ersten und zweiten Krankenstand erst 51 Tage verbraucht habe, verbleibe ein dem Ausmaß nach unbestrittener Restanspruch von fünf Tagen. Die Höhe des ausstehenden Betrags sei unbestritten (§ 267 Abs 1 ZPO).

Die Revision sei im Hinblick auf die klare und eindeutige Regelung des § 8 Abs 1 AngG hinsichtlich der Frage der Dauer der vollen Entgeltfortzahlung nicht zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klageabweisenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des § 8 AngG bezüglich der hier verfahrensentscheidenden Frage fehlt.

In der Revision wiederholt die Beklagte ihre Rechtsansicht, dass der Kläger einen Gesamtanspruch auf Entgeltfortzahlung während eines Krankenstands von 42 Tagen habe, wovon durch den ersten Krankenstand 21 Tage verbraucht worden seien, sodass weitere 21 Tage verblieben. Da der zweite, auf einem Arbeitsunfall beruhende Krankenstand insgesamt 30 Tage gedauert habe, verlängere sich der volle Entgeltfortzahlungsanspruch (nach Abzug der noch nicht verbrauchten 21 Tage) nur um die restlichen 9 Tage, sodass der Kläger lediglich in diesem Umfang - bis einschließlich - Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung habe. Der wegen des Arbeitsunfalls längere Entgeltfortzahlungszeitraum schlage nicht auf die neuerliche, in keinem Konnex mit einem Arbeitsunfall stehende Erkrankung des Klägers ab durch. Somit habe der Kläger sein Kontingent bereits aufgebraucht, sodass ihm ab diesem Zeitpunkt nur mehr die 50%ige Entgeltfortzahlung zustehe.

Dazu hat der Senat Folgendes erwogen:

Der Standpunkt der Beklagten steht mit dem Gesetz in Einklang:

Gemäß § 8 Abs 1 AngG behält ein Angestellter seinen Anspruch auf das Entgelt bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er nach Antritt des Dienstverhältnisses durch Krankheit oder Unglücksfall an der Leistung seiner Dienste verhindert ist, ohne dass er die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. Beruht die Dienstverhinderung jedoch auf einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit im Sinne der Vorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung, so verlängert sich die Frist von sechs Wochen um die Dauer dieser Dienstverhinderung, höchstens jedoch um zwei Wochen. [...] Durch je weitere vier Wochen behält der Angestellte den Anspruch auf das halbe Entgelt.

Nach Abs 2 dieser Bestimmung hat der Angestellte für die Zeit der Dienstverhinderung, soweit die Gesamtdauer der Verhinderung die in Abs 1 bezeichneten Zeiträume übersteigt, Anspruch nur auf die Hälfte des ihm gemäß Abs 1 gebührenden Entgelts, wenn innerhalb eines halben Jahres nach Wiederantritt des Dienstes abermals eine Dienstverhinderung eintritt.

Sieht man vorerst von der Sonderkonstellation ab, dass ein Krankenstand auf einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit zurückzuführen ist, bewirkt das Zusammenspiel von § 8 Abs 1 und 2 AngG, dass dem Angestellten (mit einer Dienstzeit von nicht mehr als fünf Jahren), der innerhalb eines halben Jahres wiedererkrankt, ein Gesamtanspruch auf volle Entgeltfortzahlung bis zu sechs Wochen zusteht.

Strittig ist nun, ob eine gemäß § 8 Abs 1 Satz 2 AngG eingetretene Verlängerung des „vollen" Entgeltfortzahlungsanspruchs des Angestellten mit einer Dienstzeit von nicht mehr als fünf Jahren (um bis zu 14 Tage) in der Form weiterwirkt, dass diese Verlängerung auch für einen späteren, nicht mit einem Arbeitsunfall im Zusammenhang stehenden Krankenstand ausgenützt werden kann.

Die Vorinstanzen stützen sich dabei auf den allgemein gehaltenen Wortlaut des § 8 Abs 1 Satz 2 AngG, wonach sich im Fall einer auf einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit zurückzuführenden Dienstverhinderung die Frist von sechs Wochen um die Dauer dieser Dienstverhinderung, höchstens jedoch um zwei Wochen, verlängert. Die Bestimmung wird also so gelesen, dass bei hintereinander ablaufenden Krankenständen im Halbjahreszeitraum die Zeit einer arbeitsunfall- oder berufskrankheitbezogenen Dienstverhinderung jedenfalls zu einer Verlängerung des Sechswochenzeitraums auf bis zu acht Wochen, je nach Dauer des arbeitsunfall- oder berufskrankheitbezogenen Krankenstands führt. Mit anderen Worten ist der auf den Arbeitsunfall zurückzuführende Krankenstand in Bezug auf die Entgeltfortzahlung primär aus dem vierzehntägigen „Verlängerungskontingent" abzudecken; sodann könnten noch „übrig gebliebene" Tage aus dem Sechswochenzeitraum für jede Art von Krankenstand ausgenützt werden, um zu einer 100%igen Entgeltfortzahlung für diesen Zeitraum zu gelangen. Diese Ansicht würde dazu führen, dass beispielsweise nach einem siebenwöchigen, auf einen Arbeitsunfall zurückzuführenden Krankenstand noch immer ein Kontingent von einer Woche für einen „normalen" Krankenstand übrig bliebe; die Privilegierung wirkt sich also auch auf Folgekrankenstände aus, die nicht auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen sind.

Wie die Bezugnahme auf „die Dienstverhinderung" und „diese Dienstverhinderungen" in § 8 Abs 1 Satz 2 zeigt, stellt der Gesetzgeber einen engen Konnex zwischen einer bestimmten Art des Krankenstands und der Verlängerung her, indem die arbeitsunfallbezogene Dienstverhinderung in Form einer Verlängerung der Sechswochenfrist privilegiert wird. Das Wort „verlängert" zeigt an, dass in erster Linie das sechswöchige „Grundkontingent" aufzubrauchen ist; sollte der arbeitsunfallbezogene Krankenstand über die sechs Wochen hinausreichen, kann diese Sechswochenfrist verlängert werden, aber nur für die Dauer des arbeitsunfallbezogenen Krankenstands, wobei eine maximale Verlängerung um zwei Wochen vorgegeben ist. Diese (sachlich nicht zu beanstandende) Privilegierung gilt unabhängig davon, ob beim Aufeinanderfolgen mehrerer Dienstverhinderungen durch Krankheit ein „normaler" Krankenstand einem arbeitsunfallbezogenen folgt oder umgekehrt; (nur) der Arbeitsunfall zieht einen Krankenstand nach sich, der mit einer längeren vollen Entgeltfortzahlung ausgestattet sein kann.

Auch die Lehre kommt zu dem Ergebnis, dass sich ein nicht voll ausgeschöpfter privilegierter Anspruch nicht auf nachfolgende - für sich betrachtet nicht privilegierte - Krankenstände auswirkt. Nach Schrammel (Arbeitsrecht 26 [2008] 150 [FN 30]) schlägt dann, wenn die Ersterkrankung Folge eines Arbeitsunfalls bzw einer Berufskrankheit ist, die längere Dauer des Anspruchs nicht auf Folgeerkrankungen durch. Lindmayr (Entgelt ohne Arbeit [2006] 123) und Drs in ZellKomm [2006] § 8 AngG Rz 100) teilen diesen Standpunkt. Ausführlicher hat sich zuletzt Melzer-Azodanloo (in Löschnigg, Angestelltengesetz I8 [2007] § 8 AngG Rz 160) mit der Thematik befasst. Aufgrund des Wortlauts des § 8 Abs 1 AngG kann ihres Erachtens die Privilegierung nur dem vom Gesetz privilegierten Krankenstand zugute kommen, nicht aber einem „normalen" Folgekrankenstand.

Es war daher der außerordentlichen Revision Folge zu geben und das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich ebenso wie die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.