OGH vom 26.01.2006, 8ObA82/05z

OGH vom 26.01.2006, 8ObA82/05z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Glawischnig sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Mag. Johann Ellersdorfer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Karl-Heinz R*****, vertreten durch Mag. Bernhard Graf, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Bank A*****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin, Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen EUR 34.970,78 brutto sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: EUR 20.001 sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 47/05t-17, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 34 Cga 178/04x-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.063,80 (darin EUR 177,30 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit bei der Beklagten bzw deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Sein Aufgabengebiet entwickelte sich im Lauf des Dienstverhältnisses und bestand zuletzt schwerpunktmäßig aus Schaltertätigkeiten (Girokonteneröffnung, Privatgiroservice, Kassaführung, Aktionsverantwortung) und Organisation von Kundenveranstaltungen. Der Kläger wurde nicht als reiner Schalterangestellter eingestellt. Er erbrachte seine Arbeitsleistungen in der Filiale der Beklagten in Feldkirch. Aufgrund seiner hervorragenden Arbeit war er bei Geschäftsleitung, Mitarbeitern und Kunden sehr geschätzt. Im Jahr 2001 hatte der Kläger erstmals gesundheitliche Probleme. Die Ursache dafür lag zum Teil in einer Überbelastung, die sich aufgrund der Kündigung von zwei Mitarbeitern ergab. Diese wurden zwar ersetzt; die neuen Mitarbeiter mussten jedoch vom Kläger eingeschult werden. Weitere Belastungsspitzen ergaben sich im Zusammenhang mit der Umstellung auf den Euro und mit der Verschmelzung der Bank A***** AG mit der C***** AG im Herbst 2002.

Etwa einen Monat vor der Fusionierung kollabierte der Kläger und wurde von seinem behandelnden Arzt aufgrund einer schwergradigen Angstdepression am für zunächst drei Wochen krankgeschrieben. Von diesem Krankenstand, der in der Folge bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses verlängert wurde, setzte der Kläger seinen Vorgesetzten in Kenntnis.

Im neuropsychiatrischen Zeugnis vom führte der behandelnde Arzt des Klägers aus, dass für diesen bis auf Weiteres nur noch eine Halbtagsbeschäftigung im geschützten Rahmen und ohne Kundenkontakt bei der Beklagten in Frage komme. Eine solche Beschäftigung als Kreditsachbearbeiter ohne Kundenkontakt im Ausmaß von 19 Wochenstunden in der Filiale in Bregenz wurde dem Kläger in der Folge angeboten. In einem weiteren Zeugnis vom bescheinigte der behandelnde Arzt dem Kläger eine „ausgeprägte krankheitsbedingte Aversion" in den Bankbereich zurückzukehren und äußerte Bedenken hinsichtlich des von der Beklagten angebotenen Ersatzarbeitsplatzes . Um eine weitere gesundheitliche Stabilisierung nicht zu gefährden, sehe er keinen anderen Weg als den Patienten einem völlig anderen Tätigkeitsfeld bei einem anderem Arbeitgeber zuzuführen . Die Beklagte teilte mit Schreiben vom die Kenntnisnahme der dauernden Arbeitsunfähigkeit mit, wiederholte aber ihr Angebot hinsichtlich einer Halbtagsbeschäftigung in Bregenz. Ein weiteres von der Klagsvertretung im Einvernehmen mit der Beklagten bei einem Gerichtssachverständigen für Neurologie und Psychiatrie in Innsbruck eingeholtes Gutachten bestätigte dem Kläger eine „depressiv gefärbte Angsterkrankung mit Soziophobie", wobei sich die Ängste überwiegend gegen die Begleitumstände der Berufsausübung als Bankangestellter richten . Der Gutachter kam zum Schluss, dass eine krankheitsbedingte Kündigung des Dienstverhältnisses mit dem derzeitigen Arbeitgeber jedenfalls aus medizinischer Sicht gerechtfertigt sei.

Die Beklagte bot dem Kläger daraufhin eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses unter Wahrung der gesetzlichen Abfertigungsansprüche und einzelner freiwilliger Leistungen an. Eine Gleichstellung wie bei einer Dienstgeberkündigung wurde abgelehnt.

Der Kläger lehnte dieses Angebot ab und erklärte mit Schreiben vom den Austritt aus dem Dienstverhältnis wegen dauernder Gesundheitsgefährdung.

Der Kläger leidet und litt im Zeitraum der Beendigung des Dienstverhältnisses an einer leichteren Persönlichkeitsstörung, eher vom anankastisch, eventuell auch ängstlich vermeidenden Typus mit Entwicklung einer Zwangsstörung vor etwa sechs Jahren. Etwa ab 2001 kam es zu einer Dekompensation mit Übergang in eine klinisch zumindest mittelschwere, passager auch schwere depressive Episode mit einer ausgeprägten Sozialphobie. Das Gesamtbild bestand auch unter Behandlung weiter, Zwänge, Ängste, depressive Anteile, wobei sich die Intensität in einem geschützten Rahmen (des Krankenstandes) gebessert hat, aber nach wie vor deutlich fassbar ist. Es besteht psychiatrischerseits nach wie vor ein schwerwiegendes Krankheitsbild, das vermutlich auch außerhalb des Bankbereiches nur bedingt Arbeitsfähigkeit möglich machen wird.

Im Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses war der Kläger zur Fortsetzung der Dienstleistung bei der Beklagten , sei es in direktem Kundenkontakt oder aber in einer anderweitigen, mit Verantwortung für Kunden verbundenen Position, nicht weiter fähig . Bei einem Wiedereintritt in diesen Arbeitsprozess besteht aufgrund des Krankheitsgeschehens die Gefahr einer Gesamtverschlechterung bis hin zur Möglichkeit der Suizidalität.

Der Kläger wurde an seinem Arbeitsplatz weder durch Mitarbeiter noch durch Vorgesetzte gemobbt.

Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom wurde der Anspruch des Klägers auf Berufsunfähigkeitspension für die Zeit vom bis anerkannt und festgestellt, dass aufgrund der Gewährung von Maßnahmen der Rehabilitation die Pension nicht anfällt.

Der Kläger begehrte von der Beklagten EUR 34.970,78 brutto an Urlaubsersatzleistung, anteiligen Sonderzahlungen und Abfertigung sowie die Feststellung, dass er Anspruch auf die Administrativpension (§ 8 des Kollektivvertrags betreffend die Neuregelung der Pensionsrechte, abgeschlossen am zwischen dem Verband österreichischer Banken und Bankiers sowie dem Österreichischen Gewerkschaftsbund der Privatangestellten, Sektion Geld und Kredit in der ab geltenden Fassung des Kollektivvertrages vom , beginnend mit ) habe. Eventualiter begehrte er die Feststellung, dass er für die Zeit vom bis Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitspension nach Maßgabe des § 5 des genannten Kollektivvertrags (in der Folge: PR 61) habe. Der Austritt des Klägers sei berechtigt und von der Beklagten verschuldet worden. Die Beklagte habe ihre Fürsorgepflicht als Dienstgeber verletzt, indem sie ihn über Gebühr belastet habe. Der Kläger sei daher so zu stellen, als ob er von der Beklagten gekündigt worden sei. Danach gebühre ihm nach § 8 PR 61 eine Administrativpension. Selbst ohne Verschulden der Beklagten am Austritt sei ihm diese Administrativpension zu gewähren. Dies analog zu den Regelungen betreffend die Abfertigung sowie in Hinblick auf § 23 PR 61.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete ein, der Austritt des Klägers sei weder berechtigt noch von ihr verschuldet gewesen. Dem Kläger sei ein adäquater Ersatzarbeitsplatz angeboten worden. Zudem habe die Beklagte ihm die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses unter Wahrung der gesetzlichen Abfertigungsansprüche und weiterer freiwilliger Leistungen angeboten. Infolge seines unberechtigten Austritts aus dem Dienstverhältnis habe der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Administrativpension nach § 8 PR 61. Diese stehe ihm auch deshalb nicht zu, weil an die Stelle der Administrativpension eine Pension gemäß §§ 5, 6, 7 lit b PR 61 trete, wenn in der Person des Administrativpensionisten die Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Pensionsanspruches nach dem ASVG eintreten.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von EUR 27.461,06 brutto sA und stellte weiters fest, dass der Kläger ab Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitspension nach Maßgabe des § 5 PR 61 so lange habe, als er Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitspension nach § 271 Abs 1 ASVG sowie, nach Wegfall des Anspruches auf eine Berufsunfähigkeitspension nach dem ASVG, einen Anspruch auf eine Administrativpension nach Maßgabe des § 8 PR 61 habe. Das Leistungsmehrbegehren von EUR 7.509,72 brutto sowie das Feststellungsbegehren, soweit auf die Feststellung des Anspruches auf Berufsunfähigkeitspension nach Maßgabe des § 5 PR 61 bereits ab gerichtet ist, wies das Erstgericht (unbekämpft) ab.

Das Berufungsgericht bestätigte über Berufung der Beklagten, die sich ausschließlich gegen die Feststellung wendet, dass der Kläger nach Wegfall des Anspruchs auf Berufsunfähigkeitspension einen Anspruch auf eine Administrativpension nach Maßgabe des § 8 PR 61 hat, das Ersturteil.

Seine rechtliche Beurteilung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Kollektivverträge seien in ihrem normativen Teil nach den Regeln, die für die Auslegung von Gesetzen gelten (§§ 6 und 7 ABGB) auszulegen. Enthalte ein Kollektivvertrag bei der Regelung eines Sachbereiches keine Bestimmung für eine Frage, die im Zusammenhang mit dieser Regelung an sich geregelt werden müsste, liege eine Lücke vor. Eine solche sei dort anzunehmen, wo das Gesetz (der Kollektivvertrag) gemessen an seiner Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig sei und seine Ergänzung nicht etwa einer vom Normgeber gewollten Beschränkung entspreche. Nur wenn vom Normgeber für einen bestimmten Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge bewusst nicht angeordnet worden sei, fehle es an einer echten Gesetzeslücke und daher an der Möglichkeit einer ergänzenden Rechtsfindung.

Unter Zugrundelegung einer wörtlichen Auslegung des § 8 Abs 1 PR 61 gelange man zum Ergebnis, dass eine Administrativpension auch gebühre, wenn einen Dienstnehmer an der Kündigung durch die Bank ein - wie auch immer geartetes - Verschulden treffe, wenn also die Bank grundsätzlich auch zur Entlassung berechtigt gewesen wäre. Selbst grobe Pflichtverletzungen des Dienstnehmers würden dessen Anspruch auf Administrativpension bei einer Wortinterpretation der zu beurteilenden Regelung nicht hindern, wenn nur das Dienstverhältnis durch eine Dienstgeberkündigung geendet habe. Hingegen wäre ein Dienstnehmer, der aufgrund Verschuldens der Bank oder aus anderen Gründen berechtigt austrete, schlechter gestellt als ein aus eigenem Verschulden gekündigter Dienstnehmer, da der berechtigte Austritt als eine die Administrativpension auslösende Beendigungsart in § 8 Abs 1 PR 61 nicht erwähnt sei. Bei der Prüfung der Frage, ob eine planwidrige Lücke vorliege, sei der Zusammenhang mit den übrigen Regelungen des Kollektivvertrags insbesondere denen, die die Verwirkung, das Ruhen und das Erlöschen des Anspruches auf Adiministrativpension regeln (§§ 23 bis 25), herzustellen. Das Argument der Beklagten, die Frage der Verwirkung stelle sich im Falle des berechtigten Austritts nicht, weil eine Verwirkung nur dann eintreten könne, wenn ein Anspruch dem Grunde nach bestehe, überzeuge nicht. Richtig sei, dass an sich nur ein bereits bestehendes Recht verwirkt werden könne. In diesem Sinne hätten aber die Kollektivvertragsparteien den Begriff „Verwirkung" in § 8 Abs 4 PR 61 und in der Überschrift des § 23 PR 61 offenkundig nicht verstanden. Einerseits regle nämlich die Bestimmung des § 8 PR 61 von vornherein nur die Voraussetzungen für das Entstehen eines Anspruches auf eine Administrativpension, sodass der Verweis in Absatz 4 auf eine Verwirkung nach § 23 Abs 3 PR 61, nur eine Normierung anspruchsvernichtender Gründe bedeuten könne. Andererseits beziehe sich § 23 Abs 3 iVm Abs 4 PR 61 auf einen so bezeichneten „Verlust der Bankleistung" in im Einzelnen aufgezählten Fällen eines schweren Verschuldens des Dienstnehmers an der Auflösung des Dienstverhältnisses. Da aber die Auflösung des Dienstverhältnisses eine der Voraussetzungen für das Entstehen des Pensionsanspruches sei, könne § 23 Abs 3 PR 61 wiederum nicht eine Verwirkung des Anspruches im rechtstechnischen Sinn, sondern ein den Grund des Anspruches betreffendes Hindernis vor Augen haben.

Dass in § 8 Abs 4 PR 61 auf eine Verwirkung des Anspruches nach § 23 PR 61 Bezug genommen werde, betreffe also nicht den Fall eines nachträglichen Wegfalls des Pensionsanspruches, sondern stelle eine Regelung dar, die sich auf den Anspruchsgrund beziehe, weshalb sie in einen Konnex mit dem die Anspruchsvoraussetzungen regelnden Absatz 1 des § 8 des KV gebracht werden müsse.

§ 23 Abs 3 und 4 PR 61 normiere Gründe für eine „Verwirkung" bzw einen „Verlust der Bankleistung" im Sinn anspruchsvernichtender Hindernisse.

Unter einer verschuldeten Auflösung des Dienstverhältnisses verstehe der Kollektivvertrag im Zusammenhang mit der Administrativpension einerseits eine Kündigung durch die Bank, die diese zu einer Entlassung berechtigt hätte, andererseits eine Entlassung. Damit werde aber die Bestimmung des § 8 Abs 1 PR 61, die nur von einer Kündigung durch die Bank - ohne Bezugnahme auf ein Verschulden des Dienstnehmers - spreche, relativiert. Schon das zeige, dass § 8 Abs 1 und § 8 Abs 4 sowie § 23 Abs 3 und 4 PR 61 in einem untrennbaren Zusammenhang stehen.

§ 23 Abs 4 letzter Satz PR 61 verdeutliche, dass eine längere Dienstverhinderung durch Krankheit oder Unglücksfall nicht als vom Dienstnehmer verschuldet gelte. Dies bedeute, dass eine Kündigung durch die Bank wegen einer krankheitsbedingten Dienstverhinderung des Dienstnehmers den Anspruch auf eine Administrativpension nicht berühre. Zu diesem Ergebnis gelange man ohne die Klarstellung in § 23 Abs 4 letzter Satz PR 61, denn eine gesundheitsbedingte Dienstverhinderung stelle keine Pflichtverletzung iSd § 23 Abs 1 Z 1 bis 3 PR 61 dar, sodass ein aus diesem Grund gekündigter Dienstnehmer schon deshalb einen Anspruch auf eine Administrativpension habe. Der Passus in § 23 Abs 4 PR 61 „längere Dienstverhinderung durch Krankheit ... gilt jedoch nicht als vom Dienstnehmer verschuldet" müsse also noch eine weitere Bedeutung haben. Es sei den Kollektivvertragspartnern nicht zu unterstellen, dass sie eine sinnlose Kollektivvertragsbestimmung vereinbart haben. Halte man sich die Bestimmung des § 23 Abs 3 Z 1 bis 3 vor Augen, werde deutlich, dass nach dem Willen der Kollektivvertragspartner nur besonders schwere Dienstverfehlungen des Dienstnehmers dem Anspruch auf eine Administrativpension entgegenstehen sollten. Bei nicht gravierenden Pflichtverletzungen, die nicht unter diese Regelung subsumiert werden könnten, gebühre also die Administrativpension; anders ausgedrückt habe auch jener Dienstnehmer einen Anspruch auf Administrativpension, der aus einem minderen Grad des Verschuldens gekündigt worden sei. Die Kollektivvertragsparteien wollten also dem Dienstnehmer, der sich nur einer als gering zu wertenden Verletzung von Dienstpflichten schuldig gemacht habe, in den Genuss der Adiministrativpension, die offensichtlich eine Unterstützungs- und Überbrückungsfunktion sowie eine Belohnungsfunktion für lange Betriebszugehörigkeit habe, bringen. Vor dem Hintergrund dieses Motives, könne man nicht zum Ergebnis gelangen, dass die Kollektivvertragspartner einen infolge gesundheitlicher Gründe berechtigt austretenden Dienstnehmer schlechter stellen wollten, als einen aus einem minderen Grad des Verschuldens gekündigten Dienstnehmer. Es sei nämlich davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten.

Wenn also die Kollektivvertragspartner einem verschuldet gekündigten Dienstnehmer die Administrativpension zugestehen wollten, sei im Hinblick auf die soziale Gerechtigkeit, die sie beim Abschluss des Kollektivvertrages zweifellos vor Augen hatten, auch als ihrem Willen entsprechend anzusehen, dass ein aus gesundheitlichen Gründen berechtigt ausgetretener Dienstnehmer einen Anspruch auf eine Administrativpension habe, zumal dieser in noch viel höherem Maß schutzbedürftig sei, als der verschuldet gekündigte Dienstnehmer. Dass man den krankheitsbedingt zur Dienstleistung unfähigen Dienstnehmer nicht gleich behandeln wolle, wie den aufgrund grober Pflichtverletzung gekündigten oder entlassenen Dienstnehmer, zeige die ausdrückliche Hervorhebung in § 23 Abs 4 letzter Satz PR 61. Die Bestimmung sei daher so zu interpretieren, dass bei einer infolge Krankheit erfolgten Auflösung des Dienstverhältnisses durch berechtigten Austritt keine „Verwirkung" bzw „kein Verlust der Bankleistung" iSd § 23 Abs 3 PR 61 eintrete. Da § 8 Abs 4 PR 61 mit seinem Verweis auf § 23 PR 61 anspruchsvernichtende Gründe normiere und die Auflösung des Dienstverhältnisses infolge krankheitsbedingter längerer Dienstverhinderung nach § 23 Abs 4 PR 61 kein Hindernis für eine Administrativpension darstelle, liege also in der unterbliebenen Erwähnung des berechtigten Austrittes infolge gesundheitsbedingter Dienstunfähigkeit des Dienstnehmers nicht eine gewollte, sondern eine planwidrige Lücke , die durch Analogie geschlossen werden müsste, vor. Aufgrund der Auslegung des Kollektivvertrages erweise sich die Rechtsansicht des Erstgerichts, das dem Kläger nach Wegfall des Anspruches auf Berufsunfähigkeitspension ein Anspruch auf Administrativpension zustehe, als zutreffend. Es erübrigten sich daher weitergehende Überlegungen darüber, ob grundsätzlich der berechtigte Austritt des Dienstnehmers nach § 26 Z 1 AngG von den Rechtsfolgen her einer Dienstgeberkündigung gleichzusetzen sei, und ob Parallelen zwischen der kollektivvertraglichen Administrativpension und der gesetzlichen Abfertigung gezogen werden könnten. Auch eines Eingehens auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Beklagte an seinem vorzeitigen Austritt ein Verschulden treffe, bedürfe es nicht. Die Revision sei zuzulassen, da der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung regelmäßig wegen des größeren Personenkreises der davon betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

Die Revision der Beklagten ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Die Revision wendet sich gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, dass in der unterbliebenen Erwähnung des berechtigten Austritts infolge gesundheitsbedingter Dienstunfähigkeit des Dienstnehmers in der hier anzuwendenden Kollektivvertragsbestimmung keine gewollte, sondern eine planwidrige Lücke zu erblicken sei.

Die Rechtsmittelwerberin führt im Wesentlichen aus, dass der subjektive Wille des Normsetzers, soweit nicht aus dem Text erkennbar sei, ebensowenig rational feststellbar sei, wie jener des staatlichen Gesetzgebers. Die Auslegung dürfte nicht dazu führen, dass im Ergebnis unbefriedigenden oder sachlich unzweckmäßigen Bestimmungen ein anderer (befriedigender oder zweckmäßigerer) Sinn beigelegt werde, als der, der sich aus dem eindeutigen Wortlaut ergebe. Das Berufungsgericht übersehe, dass in § 23 Abs 3 PR 61 ausschließlich solche Gründe für die Verwirkung des Anspruchs auf Administrativpension (im Fall einer Dienstgeberkündigung) genannt werden, die den Dienstgeber jedenfalls zu einer Entlassung berechtigten. Zweck dieser Regelung könne nur sein, dem Dienstgeber die Möglichkeit zu bieten, einen seit Jahren verdienstvollen Mitarbeiter, der sich nun etwas zum Verschulden kommen ließ, nicht entlassen zu müssen, um einen Anspruch des Mitarbeiters auf Administrativpension zu vermeiden. Das Berufungsgericht übersehe weiteres, dass die Kollektivvertragsparteien in § 8 Abs 1 PR 61 keine Rücksicht auf den Fall des berechtigten Austritts aus dem Dienstverhältnis genommen haben, sondern dass auch § 23 PR 61 diesen Fall der Beendigung des Dienstverhältnisses nicht berücksichtige.

Zwar bestehe insofern die Möglichkeit einer planwidrigen Lücke als die Entlassung ohne Vorliegen eines Entlassungsgrundes möglicherweise planwidrig in § 8 Abs 1 PR 61 nicht aufgezählt sei, ein berechtigter Austritt des Arbeitnehmers, an dem den Arbeitgeber kein Verschulden treffe, könne aber der unberechtigten Entlassung nicht gleichgestellt werden. In diesem Fall fehle es an der Ursächlichkeit des Verhaltens des Arbeitgebers für die Beendigung des Dienstverhältnisses. Nur dann, wenn der Arbeitgeber die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eigenes Handeln verursacht habe, stehe dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Administrativpension zu. Selbst wenn man eine analoge Anwendung des § 8 Abs 1 PR 61 auf die in dieser Bestimmung geregelte Beendigungsarten grundsätzlich bejahe, könnte sich diese nur auf jene Fälle erstrecken, in denen den Arbeitergeber am vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers ein Verschulden treffe. Ohne Verschulden des Arbeitgebers fehle die in § 8 PR 61 geforderte Beteiligung des Arbeitgebers an der Auflösung des Dienstverhältnisses. Der Arbeitnehmer sei auch dann zum vorzeitigen Austritt berechtigt, wenn den Arbeitgeber kein Verschulden treffe. In einem solchen Fall habe der (gerechtfertigt) ausgetretene Arbeitnehmer keinen Ersatzanspruch iSd § 29 AngG (§ 1162b ABGB), weil das in dieser Gesetzesstelle geforderte Verschulden des Arbeitgebers am Austritt nicht vorliege. Der vorzeitige Austritt des Arbeitnehmers mit bzw ohne Verschulden des Arbeitgebers sei daher in seinen rechtlichen Folgen teilweise so unterschiedlich, dass eine generelle Gleichstellung unzulässig sei.

Im Übrigen sei der Austritt des Klägers nicht einmal berechtigt erfolgt. Die Beklagte habe dem Kläger eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses angeboten. Es sei nicht einzusehen, wieso ein Arbeitnehmer, dem die Auflösung des Dienstverhältnisses unter Wahrung seines Abfertigunganspruches angeboten wurde, noch ein Recht haben solle, berechtigt aus dem Dienstverhältnis auszutreten.

Rechtliche Beurteilung

Die angefochtene Entscheidung erweist sich als zutreffend, weshalb ein Verweis auf die ausführlich begründete Entscheidung des Berufungsgerichtes ausreicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Revisionsausführungen Folgendes entgegenzuhalten:

Kollektivverträge sind nach ständiger Rechtsprechung in ihrem normativen Teil nach den Regeln, die für die Auslegung von Gesetzen gelten (§§ 6, 7 ABGB) auszulegen (9 ObA 62/95 mwH; RIS-Justiz RS0008782; RS0010088; 9 ObA 117/97i; 9 ObA 215/01k; 8 ObA 41/04v ua). Dabei ist vom objektiven Inhalt der Norm auszugehen. Die Normadressaten, denen nur der Text des Kollektivvertrags zur Verfügung steht, müssen sich darauf verlassen können, dass die Absicht der Parteien in erkennbarer Weise im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat und dieser so gilt, wie er von ihnen verstanden werden muss. In erster Linie ist daher der Wortsinn - auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen - und die sich aus dem Text des Kollektivvertrages ergebende Absicht der Kolllektivvertragsparteien zu erforschen (9 ObA 62/95 mwH). Dabei ist den Kollektivvertragsparteien zu unterstellen, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen, sowie einen berechtigten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (SZ 62/135; SZ 68/124; RIS-Justiz RS0010088; 9 ObA 215/01k; 8 ObA 41/04v). Entgegen der Auffassung der Rechtsmittelwerberin kann daraus, dass die Kollektivvertragsparteien nicht nur in § 8 Abs 1 PR 61 keine Rücksicht auf den Fall des berechtigten Austritts aus dem Dienstverhältnis genommen haben, sondern auch in § 23 PR 61 diesen Fall der Beendigung des Dienstverhältnisses nicht berücksichtigt haben, nicht darauf geschlossen werden, dass eine analoge Ergänzung des § 8 Abs 1 PR 61 um den berechtigten Austritt „unzulässig erscheine". Ob das Fehlen einer kollektivvertraglichen Regelung im Sinn einer Gesetzeslücke zu werten ist, ist vielmehr im Weg der teleologischen Auslegung zu prüfen (8 ObA 264/94 - 266/94). Die beklagte Partei gesteht selbst zu, dass insofern die „Möglichkeit einer planwidrigen Lücke" bestehe, als § 8 Abs 1 PR 61 die unberechtigte Entlassung des Arbeitnehmers nicht erfasse. Das Argument der Rechtsmittelwerberin, dass schon die unterschiedliche Behandlung des vorzeitigen Austritts, an dem den Arbeitgeber ein Verschulden trifft, und eines (berechtigten) vorzeitigen Austritts, an dem den Arbeitgeber kein Verschulden trifft, in § 29 AngG,§ 1162b ABGB eine Gleichstellung dieser Tatbestände unzulässig mache, überzeugt allerdings nicht. Dass die von der Rechtsmittelwerberin ins Treffen geführten Normen, die den Schadenersatz des Dienstnehmers bei vorzeitiger termin- und fristwidriger Auflösung des Dienstverhältnisses regeln, Verschulden des Arbeitgebers voraussetzen, kann wohl nicht überraschen, bietet jedoch kein taugliches Argument dafür, dass die Kollektivvertragsparteien den berechtigten , doch vom Arbeitgeber unverschuldet austretenden Arbeitnehmer bewusst nicht in die Regelung des § 8 PR 61 einbeziehen wollten.

§ 23 Abs 4 PR 61, der die „verschuldete" Auflösung des Dienstverhältnisses durch den Dienstnehmer definiert, führt in seinem letzten Satz ausdrücklich aus, dass längere Dienstverhinderung durch Krankheit ... nicht als vom Dienstnehmer verschuldet , gilt. Längere Dienstverhinderung durch Krankheit berechtigt jedoch den Dienstgeber bei Vorliegen einer dauernden Dienstunfähigkeit zur Entlassung. In Hinblick auf die Regelung des § 23 Abs 4 letzter Satz PR 61 bleibt aber trotz berechtigter Entlassung der Anspruch des Arbeitnehmers auf Administrativpension gemäß § 8 Abs 1 PR 61 gewahrt. Unter Berücksichtigung einer, den Kollektivvertragsparteien zu unterstellenden vernünftigen, zweckentsprechenden und einen gerechten Ausgleich der sozialen Interessen herbeiführenden Regelung wäre aber eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die infolge längerer krankheitsbedingter Dienstverhinderung berechtigt entlassen werden, gegenüber solchen, die aufgrund einer derartigen Dienstverhinderung berechtigt vorzeitig austreten unverständlich. In diesem Fall könnte der Dienstgeber, statt einen Arbeitnehmer, der als dienstunfähig infolge Krankheit anzusehen ist, zu kündigen oder zu entlassen, durch bloßes Zuwarten den Arbeitnehmer veranlassen, selbst aktiv zu werden und (berechtigt) vorzeitig auszutreten, wodurch sich - folgt man der Auffassung der Rechtsmittelwerberin - der Arbeitgeber die Administrativpension ersparen würde. Eine derartige Regelungsabsicht kann jedoch den Kollektivvertragsparteien nicht unterstellt werden.

Zwar ergibt sich aus § 8 Abs 1 PR 61 mit hinreichender Deutlichkeit, dass im Fall der Selbstkündigung des Arbeitnehmers Anspruch auf Administrativpension nicht besteht, doch kann aus § 23, auf den § 8 Abs 4 PR 61 ausdrücklich verweist, abgeleitet werden, dass in den übrigen Fällen der Beendigung des Dienstverhältnisses nur eine vom Dienstnehmer verschuldete Auflösung des Dienstverhältnisses zum Verlust der Bankleistung führen soll.

Entgegen der von der Berufungswerberin vertretenen Auffassung kann auch der Umstand, dass der Kläger das Angebot der Beklagten auf einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses unter Wahrung seines Abfertigungsanspruches abgelehnt hat, keinesfalls zum Verlust des Austrittsrechtes gemäß § 26 Z 1 zweiter Fall AngG führen.

Soweit die Rechtsmittelwerberin schließlich damit argumentiert, dass auf die Dienstverhältnisse aller Angestellten der beklagten Partei bis zum der Sparkassenkollektivvertrag anzuwenden gewesen sei und dem Erstgericht dies aufgrund der von der beklagten Partei beigelegten Beilage /.17 auch bekannt gewesen sei, ist dieses Vorbringen als unzulässige Neuerung unbeachtlich. Wenngleich der Inhalt kollektivvertraglicher Normen gemäß § 43 Abs 3 ASGG von Amts wegen zu ermitteln ist, setzt dies voraus, dass sich eine Partei darauf beruft. Der Kläger hat sich während des gesamten Verfahrens auf den als „PR 61" bezeichneten Kollektivvertrag berufen. Die beklagte Partei hat nie vorgebracht, dass abweichend davon der Sparkassenkollektivvertrag zur Anwendung käme. Nach ständiger Rechtsprechung kann die Vorlage einer Urkunde ein konkretes Prozessvorbringen aber nicht ersetzen (10 ObS 2344/96w uva).

Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.