OGH vom 16.01.2007, 10ObS4/07x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Canan Aytekin-Yildirim (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mario K*****, Schüler, *****, vertreten durch Dr. Roland Gabl und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, wegen Versehrtenrente, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 103/06p-20, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen. Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Der am geborene Kläger ist Schüler und lebt von den Unterhaltsleistungen seiner Eltern. Im Jahr 2003 war er nicht erwerbstätig. Im Jahr 2004 war er für geplante vier Wochen als Ferialarbeiter bei einer Baufirma beschäftigt. Bereits am ersten Arbeitstag () erlitt er einen Arbeitsunfall, für dessen Folgen ihm aufgrund eines im Vorverfahren abgeschlossenen Vergleichs eine vorläufige Versehrtenrente von 20 vH der Vollrente für den Zeitraum von bis im gesetzlichen Ausmaß gebührt.
Mit Bescheid vom hat die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt als Bemessungsgrundlage für diese Leistung gemäß § 182 ASVG den Betrag von EUR 3.749,69 festgestellt. Demnach beträgt die Versehrtenrente ab monatlich EUR 35,71; für den Zeitraum bis gebührt dem Kläger eine Leistung von insgesamt EUR 145,80.
Das Erstgericht sprach dem Kläger die bescheidmäßig gewährte Leistung von EUR 145,80 zu und wies das auf Zuerkennung der Versehrtenrente auf Basis einer höheren Bemessungsgrundlage (EUR 20.431,60 jährlich) gerichtete Mehrbegehren ab. Die Bemessungsgrundlage wäre im vorliegenden Fall zwar nach § 179 Abs 4 ASVG errechenbar; das Ergebnis wäre allerdings unbillig hoch, da das Beschäftigungsverhältnis des Klägers eindeutig nur für kurze Dauer bestehen sollte. Umgekehrt wäre es auch unbillig, ein aus besonderen Gründen vorübergehend niedriges, der normalen Lebenshaltung des Versicherten nicht entsprechendes Arbeitseinkommen der Rentenberechnung als Jahresarbeitsverdienst zugrunde zu legen und als Maßstab für die gesamte Laufzeit der Rente zu machen. Diese Grundsätze müssten auch für ein vorübergehend hohes, ebenfalls nicht der normalen Lebenshaltung des Versicherten entsprechendes Einkommen gelten. Im vorliegenden Fall liege ein atypisches Dienstverhältnis vor, zumal der Kläger nur vorübergehend als Ferialarbeiter für eine kurze Dauer beschäftigt gewesen sei. Die Bemessungsgrundlage müsse daher in Anwendung des § 182 ASVG nach billigem Ermessen festgelegt werden, wobei gegen die von der beklagten Partei vorgenommene Anknüpfung an ein (ganzjährig) geringfügiges Beschäftigungsverhältnis keine Bedenken bestünden. Die auf dieser Basis ermittelte Bemessungsgrundlage nehme auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers im letzten Jahr vor dem Unfall ausreichend Bedacht, sei der Kläger doch Schüler und habe 2003 über kein Einkommen verfügt, sondern nur von den Unterhaltszahlungen seiner Eltern gelebt. Lediglich im Jahr 2004 habe er sich als Ferialarbeiter etwas dazu verdienen wollen. Da somit für das Jahr 2003 überhaupt keine Beitragszahlungen zur gesetzlichen Unfallversicherung und im Jahr 2004 nur solche für einen sehr kurzen Zeitraum geleistet worden seien, erweise sich die Festsetzung der dem Kläger gebührenden Versehrtenrente auf Basis einer Bemessungsgrundlage von EUR 3.749,69 als zutreffend.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, dass die Bemessungsgrundlage nur dann, wenn sie nicht nach den §§ 179 - 181b ASVG errechnet werden könne oder die Errechnung nach diesen Bestimmungen eine Unbilligkeit bedeuten würde, gemäß § 182 ASVG nach billigem Ermessen festzustellen sei. Die letztgenannte Voraussetzung sei etwa anzunehmen, wenn ein Beschäftigungsverhältnis nur auf kurze Dauer eingegangen worden sei. Auch im vorliegenden Fall sei entscheidend, dass der Kläger nicht regelmäßig erwerbstätig gewesen sei, sondern mit der Ferialpraxis im Jahr 2004 überhaupt zum ersten Mal und nur für wenige Wochen einer versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen habe wollen; er hätte beabsichtigt, erst nach Absolvierung der Matura (also frühestens 2007 oder 2008) in das Erwerbsleben einzusteigen. Den Bedenken des Klägers, dass mit dieser Lösung gravierende Nachteile jugendlicher Versicherter für die gesamte Dauer ihres Erwerbslebens zu befürchten seien, sei entgegen zu halten, dass der Gesetzgeber, um die Unterversorgung junger Unfallopfer zu vermeiden, in § 180 ASVG eine besondere Bemessungsgrundlage zur Verfügung stelle. Erfolge der Unfall während der Dauer der Berufs- oder Schulausbildung, seien Geldleistungen nur bis zum Zeitpunkt der voraussichtlichen Beendigung der begonnenen Ausbildung nach den allgemeinen Vorschriften zu bemessen; ab der fiktiven Beendigung der Ausbildung sei hingegen das jeweilige kollektivvertragliche Einkommen für Personen mit gleicher Ausbildung und gleichem Alter heranzuziehen. An altersbedingten Erhöhungen des Aktiveinkommens nehme der Verunfallte auf diese Weise bis zur Vollendung seines 30. Lebensjahres teil. Für eine Berücksichtigung dieser besonderen Bemessungsgrundlage würden im vorliegenden Fall aber die Voraussetzungen fehlen, weil der Kläger zum einen seine Schulausbildung noch nicht abgeschlossen habe und zum anderen der Gesamtvergütungszeitraum, für den die Versehrtenrente gebühre, hier von vornherein auf 4 Monate beschränkt und zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz längst abgelaufen sei. Künftige Entwicklungen der Bemessungsgrundlage könnten daher im vorliegenden Fall noch gar nicht berücksichtigt werden. Insgesamt erscheine die Berücksichtigung des durchschnittlichen (fiktiven) Erwerbseinkommens eines im Unfallszeitpunkt knapp 16-jährigen und zum ersten Mal kurzfristig als Ferialarbeiter tätigen Schülers mit EUR 3.749,69 jährlich jedenfalls nicht unangemessen. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil es sich bei den anzustellenden Billigkeitserwägungen hinsichtlich der Bemessungsgrundlage um eine nach den Umständen des Einzelfalles zu lösende Rechtsfrage handle.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Kläger gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision ist nicht zulässig.
In seiner Zulassungsbeschwerde wendet sich der Kläger in erster Linie gegen die Anwendung des § 182 ASVG; es bedürfe einer höchstgerichtlichen Klarstellung, ob diese Bestimmung auch bei Ferialarbeitsverhältnissen herangezogen werden könne. Weiters sei auch eine Klarstellung hinsichtlich der Höhe geboten, weil eine vom maximalen monatlichen Beitrag bei geringfügiger Beschäftigung ausgehende Festsetzung willkürlich erscheine.
Damit wird aber keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 ZPO aufgezeigt.
1. Zur Anwendbarkeit des § 182 ASVG auf einen Fall wie den vorliegenden hat bereits das Berufungsgericht auf die Entscheidung 10 ObS 226/90 (= SSV-NF 4/88 = ZAS 1991/17, 174 [Gahleitner]) hingewiesen, in der der Oberste Gerichtshof mit Tomandl (Das Leistungsrecht der österreichischen Unfallversicherung [1977] 89 [FN 9]) und Seitler (Die Bemessungsgrundlagen in der gesetzlichen Unfallversicherung, SozSi 1974, 563 [566]) die Errechnung der Bemessungsgrundlage nach § 179 Abs 3 ASVG für einen Pensionisten, der nur wenige Tage gearbeitet hat, für unbillig gehalten hat. Diese Rechtsansicht wurde auch in der Entscheidung 10 ObS 158/98b(SSV-NF 12/71) aufrechterhalten, wenn auch dort eine Unbilligkeit verneint wurde.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem zu 10 ObS 226/90 entschiedenen Fall und dem vorliegenden ist nicht erkennbar. Die Abs 1 - 4 des § 179 ASVG gehen grundsätzlich von einer auf ein Kalenderjahr bezogenen Bemessungsgrundlage aus, sodass beispielsweise auch schwankendes Einkommen „ausgeglichen" wird. Bei einem von vornherein nur sehr kurzfristig angelegten Dienstverhältnis würde eine Berechnung entsprechend den Regeln des § 179 ASVG insofern zu einem unbillig hohen Ergebnis führen, als auch das nur ganz für kurze Zeit zu erwartende Einkommen hinsichtlich der Abgeltung der Unfallfolgen auf ein Dauereinkommen hochgerechnet würde.
2. Geht man als Konsequenz von der Anwendung des § 182 ASVG aus, erscheint die Heranziehung eines (fiktiven) Erwerbseinkommens eines im Unfallszeitpunkt knapp 16-jährigen und zum ersten Mal kurzfristig als Ferialarbeiter tätigen Schülers mit EUR 3.749,69 jährlich jedenfalls nicht unangemessen niedrig und ist nicht zu beanstanden. Ein grober Beurteilungsfehler, der im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste, ist dem Berufungsgericht keineswegs unterlaufen (10 ObS 139/04w = SSV-NF 18/87).
Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b) ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse, welche einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach dieser Gesetzesstelle an den Kläger rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich.