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OGH vom 21.07.2020, 14Os33/20i

OGH vom 21.07.2020, 14Os33/20i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. SetzHummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Weinhandl in der Strafsache gegen ***** M***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Hochverrats nach § 15, 12 zweiter Fall, 242 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten M***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Geschworenengericht vom , GZ 13 Hv 117/19d538, weiters die von diesem Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Anordnung der Bewährungshilfe ergriffene Beschwerde nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde werden
– teils zufolge verfügter Wiederaufnahme des Strafverfahrens im außerordentlichen Weg – das angefochtene Urteil und der zugrunde liegende Wahrspruch sowie die zugleich ergangenen Beschlüsse auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und auf Anordnung von Bewährungshilfe aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung der Schuldsprüche I/1 und II/1 an das Landesgericht Steyr als Geschworenengericht zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung, im Übrigen zur weiteren Verfahrensführung an die Staatsanwaltschaft Graz verwiesen.

Darauf werden der Angeklagte M***** mit seinen Rechtsmitteln sowie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden, Urteil wurden ***** M***** (zu I) und ***** H***** (zu II) jeweils eines Verbrechens der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 vierter Fall (iVm Abs 1) StGB (1), des Hochverrats nach § 15, 12 zweiter Fall, 242 Abs 1 StGB (2), der Gewalt und gefährlichen Drohung gegen den Bundespräsidenten nach § 15, 12 zweiter Fall, 249 StGB (5) und des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (6) sowie jeweils mehrerer Verbrechen der Nötigung eines verfassungsmäßigen Vertretungskörpers, einer Regierung, des Verfassungsgerichtshofs, des Verwaltungsgerichtshofs oder des Obersten Gerichtshofs nach § 15, 12 zweiter Fall, 250 StGB (3) und der Nötigung von Mitgliedern eines verfassungsmäßigen Vertretungskörpers, einer Regierung, des Verfassungsgerichtshofs, des Verwaltungsgerichtshofs oder des Obersten Gerichtshofs oder des Präsidenten des Rechnungshofs oder des Leiters eines Landesrechnungshofs nach § 15, 12 zweiter Fall, 251 StGB (4) schuldig erkannt.

Danach haben

I/ M***** in S***** und an anderen Orten

1/ den „In***** (kurz: I*****)“, eine Verbindung, deren wenn auch nicht ausschließlicher Zweck es ist, auf gesetzwidrige Weise, nämlich durch Etablierung von „Pseudogerichtshöfen“, die in Form von an ordentliche Strafverhandlungen angelehnte „Pseudoverhandlungen“ Selbstjustiz üben, bei denen staatliche Entscheidungsträger, Politiker, Beamte, Richter und Privatpersonen hätten entführt, gefangen gehalten und „verurteilt“ werden sollen, somit durch systematische Verletzung von staatlichen Vorschriften, weiters durch Gewalt und gefährliche Drohung mit Gewalt die ordentliche Gerichtsbarkeit, somit eine verfassungsmäßige Einrichtung der Republik Österreich, zu erschüttern, indem dieser Einrichtung die Legitimation aberkannt und sie durch einen von der Verbindung eingerichteten Gerichtshof, nämlich den „I*****“ ersetzt werden sollte, in sonst erheblicher Weise unterstützt, indem er seit 2014 bis in seiner Funktion als „Court Officer“ sowie „Regional Court Director OÖ“ und als Mitglied des Führungsgremiums („High Council“) maßgeblich an der Planung und am Aufbau der Organisation des I***** mitwirkte, an Führungstreffen teilnahm, Schreiben und Propaganda für den I***** zum Versand an diverse Ämter und Behörden „beglaubigte“ oder mitunterschrieb und H***** als neues Mitglied für die staatsfeindliche Verbindung warb;

2/ am im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit H***** Polizeibeamte und den (damaligen) Bundesminister für Inneres zu bestimmen versucht, es zu unternehmen, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer durch faktische Maßnahmen, nämlich durch die Festnahme der Mitglieder des Nationalrats, des Bundesrats und der Gemeinderäte sowie des Bundeskanzlers, des Vizekanzlers und der übrigen Mitglieder der Bundesregierung, weiters durch Einsetzung „einer, einer repräsentativ-parlamentarischen Demokratie nicht entsprechenden 'Übergangsregierung', die sich nicht an geltende Gesetze hält, die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nicht respektiert und sowohl gesetzgebend, justiziell als auch exekutiv tätig werden sollte, die weiters das geltende Verfassungsrecht, insbesondere in Bezug auf das Legalitätsprinzip, jenes der Demokratie, der Gewaltenteilung sowie der Bundesstaatlichkeit unanwendbar machen und eine neue Verfassungslage schaffen, zu ändern“, indem M***** mehrere E-Mails an die Landespolizeidirektionen von Vorarlberg, Niederösterreich und der Steiermark verschickte, Dokumente auf eine von ihm betriebene Homepage hochlud sowie M***** und H***** gemeinsam eine Postsendung von der Postfiliale in S***** an den Bundesminister für Inneres verschickten, welche „die in AS 175–205 der ON 2 in ON 202 ersichtlichen und von beiden Angeklagten unterfertigten Haftbefehle (genannt 'Strafanträge' und 'Strafanzeigen') betreffend

1. Bundespräsident ***** ***** (AS 175–177 der ON 2 in ON 202),

2. Bundeskanzler ***** ***** (AS 179–181 der ON 2 in ON 202),

3. Vizekanzler ***** ***** (AS 183–185 der ON 2 in ON 202),

4. sämtliche Nationalratsabgeordneten der Republik Österreich (AS 187–189 der ON 2 in ON 202),

5. sämtliche Bundesräte der Republik Österreich (AS 191–193 der ON 2 in ON 202),

6. sämtliche Landtagsabgeordneten der Bundesländer (AS 195–197 der ON 2 in ON 202),

7. sämtliche Gemeinderäte der Republik Österreich (AS 199–201 der ON 2 in ON 202)“,

samt mehrerer (unter anderem an den Bundesminister für Inneres adressierter) Schreiben enthielten, in denen M***** und H***** Polizeibeamte und den Bundesminister für Inneres aufforderten, eine Übergangsregierung zu bilden und alle „derzeitig Herrschenden“ zu verhaften, wobei es infolge der Weigerung der Beamten der Landespolizeidirektionen von Vorarlberg, Niederösterreich und der Steiermark sowie des Bundesministers für Inneres, die übermittelten Haftbefehle („Strafanträge“ und „Strafanzeigen“) zu vollziehen und die angeordnete polizeiliche Übergangsregierung einzurichten, lediglich beim Versuch blieb;

3/ durch die zu 2 beschriebenen Handlungen Mitglieder der Polizei und den Bundesminister für Inneres zu bestimmen versucht, es zu unternehmen, den Nationalrat, den Bundesrat und die Landtage aller Bundesländer mit Gewalt, nämlich durch ungesetzliche Festnahme und Inhaftierung (gemeint: ihrer Mitglieder), zu hindern, ihre Befugnisse überhaupt auszuüben, wobei es aus den zu 2 genannten Gründen lediglich beim Versuch blieb;

4/ durch die zu 2 beschriebenen Handlungen Mitglieder der Polizei und den Bundesminister für Inneres zu bestimmen versucht, den Bundeskanzler und den Vizekanzler mit Gewalt, nämlich durch ungesetzliche Festnahme und Inhaftierung zu hindern, ihre Befugnisse überhaupt auszuüben, wobei es aus den zu 2 genannten Gründen lediglich beim Versuch blieb;

5/ durch die zu 2 beschriebenen Handlungen Mitglieder der Polizei und den Bundesminister für Inneres zu bestimmen versucht, es zu unternehmen, den Bundespräsidenten mit Gewalt, nämlich durch ungesetzliche Festnahme und Inhaftierung, abzusetzen oder durch eines dieser Mittel zu hindern, seine Befugnisse überhaupt auszuüben, wobei es aus den zu 2 genannten Gründen lediglich beim Versuch blieb;

6/ durch die zu 2 beschriebenen Handlungen Mitglieder der Polizei und den Bundesminister für Inneres zu bestimmen versucht, mit dem Vorsatz, dadurch die in den inkriminierten Schreiben genannten Personen an ihrem Recht auf persönliche Freiheit zu schädigen, „ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, konkret Festnahmen gemäß § 35 VStG, § 171 Abs 1 StPO und § 45 Abs 1 SPG auszusprechen und zu vollziehen, wissentlich zu missbrauchen“, wobei es aus den zu 2 genannten Gründen lediglich beim Versuch blieb;

II/ H*****

1/ in S***** und an anderen Orten die zu I/1 genannte Verbindung sonst in erheblicher Weise unterstützt, indem er von Anfang 2015 bis als „Clerk of the Court OOE“ und als Mitglied des Führungsgremiums („High Council“) maßgeblich an der Planung und am Aufbau der Organisation des I***** mitwirkte, an Führungstreffen teilnahm sowie Schreiben und Propaganda für den I***** zum Versand an diverse Ämter und Behörden beglaubigte und unterschrieb;

2/ am in S***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit M***** durch die zu I/2 beschriebenen Handlungen Polizeibeamte und den Bundesminister für Inneres zu bestimmen versucht, es zu unternehmen, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer durch faktische Maßnahmen, nämlich durch die Festnahme der Mitglieder des Nationalrats, des Bundesrats und der Gemeinderäte sowie des Bundeskanzlers, des Vizekanzlers und der übrigen Mitglieder der Bundesregierung, weiters durch Einsetzung „einer, einer repräsentativ-parlamentarischen Demokratie nicht entsprechenden 'Übergangsregierung', die sich nicht an geltende Gesetze hält, die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nicht respektiert und sowohl gesetzgebend, justiziell als auch exekutiv tätig werden sollte, die weiters das geltende Verfassungsrecht, insbesondere in Bezug auf das Legalitätsprinzip, jenes der Demokratie, der Gewaltenteilung sowie der Bundesstaatlichkeit unanwendbar machen und eine neue Verfassungslage schaffen, zu ändern“, wobei es aus den zu I/2 genannten Gründen lediglich beim Versuch blieb;

3/ durch die zu I/2 beschriebenen Handlungen Mitglieder der Polizei und den Bundesminister für Inneres zu bestimmen versucht, es zu unternehmen, den Nationalrat, den Bundesrat und die Landtage aller Bundesländer mit Gewalt, nämlich durch ungesetzliche Festnahme und Inhaftierung (gemeint: ihrer Mitglieder), zu hindern, ihre Befugnisse überhaupt auszuüben, wobei es aus den zu I/2 genannten Gründen lediglich beim Versuch blieb;

4/ durch die zu I/2 beschriebenen Handlungen Mitglieder der Polizei und den Bundesminister für Inneres zu bestimmen versucht, den Bundeskanzler und den Vizekanzler mit Gewalt, nämlich durch ungesetzliche Festnahme und Inhaftierung, zu hindern, ihre Befugnisse überhaupt auszuüben, wobei es aus den zu I/2 genannten Gründen lediglich beim Versuch blieb;

5/ durch die zu I/2 beschriebenen Handlungen Mitglieder der Polizei und den Bundesminister für Inneres zu bestimmen versucht, es zu unternehmen, den Bundespräsidenten mit Gewalt, nämlich durch ungesetzliche Festnahme und Inhaftierung, abzusetzen oder durch eines dieser Mittel zu hindern, seine Befugnisse überhaupt auszuüben, wobei es aus den zu I/2 genannten Gründen lediglich beim Versuch blieb;

6/ durch die zu I/2 beschriebenen Handlungen Mitglieder der Polizei und den Bundesminister für Inneres zu bestimmen versucht, mit dem Vorsatz, dadurch die in den inkriminierten Schreiben genannten Personen an ihrem Recht auf persönliche Freiheit zu schädigen, „ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, konkret Festnahmen gemäß § 35 VStG, § 171 Abs 1 StPO und § 45 Abs 1 SPG auszusprechen und zu vollziehen, wissentlich zu missbrauchen“, wobei es aus den zu I/2 genannten Gründen lediglich beim Versuch blieb.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die vom Angeklagten M***** aus den Gründen der Z 6, 8 und 12 des § 345 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von einem nicht geltend gemachten Rechtsfehler (Z 11 lit a) zum Nachteil der beiden Angeklagten, der von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, § 344 zweiter Satz StPO).

Bei geschworenengerichtlichen Urteilen entspricht die von § 342 dritter Satz StPO verlangte Wiedergabe des Wahrspruchs, also der Fragen an die Geschworenen und deren Antworten, der Feststellung der entscheidenden Tatsachen, bildet also das tatsächliche Korrelat zur Subsumtion nach § 260 Abs 1 Z 2 iVm § 302 Abs 1 StPO. Um sicherzugehen, dass einerseits die Geschworenen die Bedeutung der in den zu prüfenden Tatbeständen verwendeten Begriffe richtig verstanden haben und andererseits eine effektive (also nicht bloß zirkuläre) Rechtskontrolle durch den Obersten Gerichtshof möglich ist, verlangt dieser daher eine – je nach Tatbestand und Komplexität des Falles unterschiedlich auszugestaltende – Anführung konkreter Tatumstände, welche die gesetzlichen Merkmale verwirklichen. Das erfordert gegebenenfalls auch eine (sachverhaltsmäßige) Auflösung vom Tatbestand verwendeter, wertausfüllungsbedürftiger Begriffe. Der Wahrspruch bildet eine geeignete Urteilsbasis nur dann, wenn die an die Geschworenen gerichteten Fragen die Rückführung der zu beurteilenden Rechtsbegriffe auf den (entscheidenden) Sachverhalt aus sich selbst heraus ermöglichen. Denn angesichts der Besonderheiten des geschworenengerichtlichen Verfahrens geht es nicht an, Undeutlichkeiten (oder Widersprüchlichkeiten) des Wahrspruchs, die auf der Fragestellung beruhen, durch Einbeziehung der pragmatischen Sprachebene (wie etwa im schöffengerichtlichen Verfahren [vgl RISJustiz RS0117228]) zu beseitigen (zum Ganzen Ratz, WK-StPO § 281 Rz 616 sowie § 345 Rz 28 und 40 f; Lässig, WK-StPO § 312 Rz 9, 17, 19 und 21; vgl auch RISJustiz RS0100780 [insb T 5], RS0114319).

Von diesem Maßstab ausgehend zeigt sich, dass zu den Hauptfragen 1 und 8 (in Richtung Verbrechen der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 vierter Fall StGB) die gebotene (sachverhaltsmäßige) Auflösung des vom Tatbestand verwendeten Begriffs „Verbindung“ unterblieben ist. Darunter verstehen Rechtsprechung und Lehre einen Zusammenschluss einer größeren Zahl von Menschen, der auf eine gewisse Dauer angelegt ist und ein Mindestmaß an Organisation aufweist, um das damit angestrebte Ziel zu erreichen (RIS-Justiz RS0088004; Bachner-Foregger in WK2 StGB § 246 Rz 4; Salimi/Tipold, SbgK § 246 Rz 15 ff; Leukauf/Steininger/Huber, StGB4§ 246 Rz 5 f). Konkrete Tatsachen zur Beurteilung dieser Voraussetzungen enthält der Wahrspruch nicht (RIS-Justiz RS0120637).

Dieser Rechtsfehler erfordert die Aufhebung der davon betroffenen Schuldsprüche (I/1 und II/1) und des zugrunde liegenden Wahrspruchs (zu den Hauptfragen 1 und 8), demgemäß auch der beiden Strafaussprüche sowie (RISJustiz RS0100194 und RS0092214 [T1]) der zugleich gefassten Beschlüsse auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und auf Anordnung von Bewährungshilfe (US 27; vgl zum Gebot gesonderter Ausfertigung letzteren Beschlusses RIS-Justiz RS0120887 [T2 und T 3]).

Bei der vorläufigen Beratung über die Nichtigkeitsbeschwerde ergaben sich für den Obersten Gerichtshof überdies erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldsprüchen I/2 bis 6 und II/2 bis 6 im Wahrspruch (zu den Hauptfragen 3 bis 7 und 10 bis 14) zugrunde gelegten Tatsachen.

Die subsumierten Tatbestände (§ 242 Abs 1 StGB zu I/2 und II/2, § 250 StGB zu I/3 und II/3, § 251 StGB zu I/4 und II/4 sowie § 249 StGB zu I/5 und II/5) setzen – soweit nach dem Urteilssachverhalt relevant – Ausübung von Gewalt voraus. Besteht diese (wie hier intendiert) in polizeilicher Festnahme, kommt Strafbarkeit nach diesen Tatbeständen nur dann in Betracht, wenn Polizeibeamte dabei nicht wegen gesetzmäßiger Ausübung von Eingriffsbefugnissen (etwa nach § 171 StPO) gerechtfertigt sind (vgl Lewisch in WK2 StGB Nach § 3 Rz 248 ff; Fuchs/Zerbes, AT I10 18/8 ff; Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15 E 1 Rz 49 f; Jeschek/Weigend, AT5, 390). § 302 Abs 1 StGB wiederum setzt (zu I/6 und II/6) Befugnisfehlgebrauch der Polizeibeamten voraus, welcher nicht vorliegt, wenn diese eine Festnahme unter Einhaltung der formellen und materiellen Voraussetzungen durchführen (vgl Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 116 und 193).

Wer von rechtmäßiger Ausübung einer Festnahmebefugnis ausgeht, nimmt also in Bezug auf § 242 Abs 1, 249, 250 und 251 StGB einen rechtfertigenden Sachverhalt an, weshalb im Irrtumsfall § 8 StGB zur Anwendung kommt (Lewisch in WK2 StGB Nach § 3 Rz 252; Höpfel in WK2§ 8 Rz 8). Bei § 302 Abs 1 StGB führt eine solche Annahme (allenfalls im Weg eines Tatbildirrtums [Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 136]) zum Nichtvorliegen der in Bezug auf den Befugnismissbrauch erforderlichen Wissentlichkeit.

Nach den Feststellungen im Wahrspruch hätten die beiden Angeklagten in den inkriminierten Schreiben Polizeibeamte – jeweils mit den in den zuvor genannten Tatbeständen genannten Zielen – zu (rechtswidriger) Gewalt durch Festnahme von politischen Funktionsträgern aufgefordert.

Dagegen ergeben sich aus diesen Schreiben, auf die im Wahrspruch übrigens teils bloß durch Verweise auf Fundstellen in den Akten Bezug genommen wird (vgl zur Problematik derartiger Verweise im Geschworenenverfahren 11 Os 9/20p), erhebliche Bedenken. Die Schreiben sind jeweils mit „Strafanzeige“ oder „Strafantrag“ überschrieben (ON 2 S 175 ff in ON 202). Inhaltlich wird weder auf den zu den Schuldsprüchen I/1 und II/1 gegenständlichen I***** oder sonst auf eine vorgebliche behördliche Autorität, sondern lediglich auf einen „Bu*****“ (kurz: B*****) Bezug genommen (vgl dazu die Anklage ON 498 S 12 [derzufolge diese Gruppierung keinen Zusammenhang mit dem I***** aufgewiesen und nur aus den beiden Angeklagten bestanden habe]), weshalb schon die Annahme, es habe sich nach Vorstellung der Angeklagten jeweils um „Haftbefehle“ gehandelt, einer Grundlage in den zitierten Urkunden entbehrt.

In den Schreiben werden (im Wesentlichen wortgleich) den im Wahrspruch (teils namentlich genannten) Organwaltern – wenngleich sachverhaltsmäßig unsubstantiiert, nach strafrechtlichen Tatbeständen teilweise präzisierte – „Straftaten“ und „Strafvergehen“ vorgeworfen, „die dafür zuständige Behörde (= Exekutive, Judikative etc.)“ aufgefordert, „unverzüglich zu handeln“, insbesondere dazu, die Genannten „unverzüglich in Gewahrsam zu nehmen, da der Verdacht auf Fluchtgefahr besteht“. Nach Ansicht der Angeklagten sei jeweils „ein Strafverfahren, sowie ein Suspendierungsverfahren und Amtsenthebungsverfahren“ einzuleiten.

In einem – im Wahrspruch nicht ausdrücklich zitierten – sogenannten „Begleitschreiben“ (ON 450 S 55 ff) wird aufs Wesentliche zusammengefasst ausgeführt, „die derzeitigen Herrschenden, Regierenden, Verantwortlichen, Staatsträger, Staatsfunktionäre, Staatsorgane, etc.“ hätten „nicht nur versagt“, sondern (soweit hier wesentlich) „mehrere strafbare Handlungen, Straftaten, begangen, und sind daher lt. dem Gesetz in Haftung zu nehmen, anzuklagen, einem Strafprozess zuzuführen“ sowie „die derzeitigen Verantwortlichen müssen sich vor dem gesamten Volk, für ihre Taten, nachweislich begangenen Straftaten, verantworten“. Davon ausgehend verlangten die Angeklagten vor allem „ein ordentliches Verfahren vor einem Schiedshof, dass von uns bestimmt ist und wird“, die „sofortige Suspendierung der betroffenen Staatsorgane“, „sofortige Amtsenthebungsverfahren“, „Einleitung von Disziplinarverfahren“, „Herstellung der 'alten Ordnung', 'neuen, alten und/oder alten, neuen Ordnung' (Rechtsstaatlichkeit, Gewährleistung der Rechte, … etc.)“, „Neuorganisation des Staates (Infrastrukturen, [Neu]Organisation, Besitz, Gemeinschaft … etc.“). Weiters wurde die Bildung einer „Übergangsregierung“ angekündigt, wobei die Angeklagten „auf die Zusammensetzung“ und „die Einhaltung der Rechte“ achten würden. Die Angeklagten kündigten an, sie würden „die reGIERenden“ mit ihren „eigenen Waffen, Kraft des Gesetzes“ schlagen, denn „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“, und schließlich, „jetzt 'schießen wir mal scharf', denn jetzt 'knallen wir Euch Eure eigenen Gesetzbücher, eure eigenen Paragraphen um die Ohren, das Euch sehen und hören vergeht'“.

Die inkriminierten Schreiben stehen (auch unter Berücksichtigung der Verantwortung der beiden Angeklagten) der im Wahrspruch mehrfach wiederholten Feststellung, die Angeklagten seien davon ausgegangen, die von ihnen angestrebten Festnahmen der genannten Organwalter seien (mangels von diesen begangener Straftaten, also zufolge Fehlens der formellen und materiellen Voraussetzungen) rechtswidrig (und daher nicht gerechtfertigt), selbst unter Zugrundelegung eines weiten Beweiswürdigungsspielraums der Geschworenen (vgl RISJustiz RS0118780, RS0099720; Ratz, WKStPO § 362 Rz 4 iVm § 281 Rz 490) qualifiziert entgegen. Eine Grundlage für die (zu den Hauptfragen 3 und 10 als Voraussetzung eines Schuldspruchs nach § 242 Abs 1 StGB [näher dazu 14 Os 98/19x]) getroffene Annahme, die Angeklagten hätten Polizeibeamte als Adressaten der Schreiben zu gewaltsamer (zumindest faktischer) Änderung grundlegender Bestimmungen der Verfassung des Bundes oder eines Bundeslandes bestimmen wollen, findet sich darin ebenso wenig. Insbesondere ist kein Anhaltspunkt dafür zu erkennen, dass die Polizeibeamten nach der Intention der Angeklagten eine (laut Wahrspruch) „Übergangsregierung, die sich nicht an geltende Gesetze hält, die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nicht respektiert und sowohl gesetzgebend, justiziell als auch exekutiv tätig werden sollte, die weiters das geltende Verfassungsrecht, insbesondere in Bezug auf das Legalitätsprinzip, jenes der Demokratie, der Gewaltenteilung sowie der Bundesstaatlichkeit unanwendbar machen und eine neue Verfassungslage schaffen solle“, hätten einsetzen sollen.

Es war daher gemäß § 362 Abs 1 Z 1 StPO die Wiederaufnahme des Strafverfahrens im Umfang der Schuldsprüche I/2 bis 6 und II/2 bis 6 zu verfügen. Das Verfahren tritt insoweit in den Stand des Ermittlungsverfahrens (§ 362 Abs 4 iVm § 358 Abs 2 StPO).

Bleibt im Übrigen anzumerken, dass der Wahrspruch zu den Hauptfragen 7 und 14 (in Richtung des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB) keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die (rechtliche) Annahme, die Angeklagten hätten mit dem Wissen um zumindest vorsätzlichen Befugnisfehlgebrauch der unmittelbaren Täter gehandelt, enthält, was jedoch Voraussetzung für die Strafbarkeit als Bestimmungstäter wäre (RIS-Justiz RS0108964; Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 180). Indem der Wahrspruch insoweit keine Aussage zum (Tatbild-)Vorsatz enthält, bringt er (gerade umgekehrt) bloß bedingten Vorsatz der Angeklagten in Bezug auf (überflüssig erwähntes) wissentliches Handeln der Adressaten ihrer Schreiben zum Ausdruck (vgl § 7 Abs 1 StGB; RIS-Justiz RS0113270 [insb T 3]; Lässig, WK-StPO § 312 Rz 13).

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00033.20I.0721.000

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