OGH vom 19.12.2012, 8ObA78/12x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. H***** G*****, vertreten durch die Dr. Andrea Wukovits Rechtsanwältin GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei L***** reg GenmbH in Liquidation, *****, vertreten durch die Zeinhofer Scherhaufer Rechtsanwalts GmbH in Linz, wegen 23.685,92 EUR sA und Feststellung (Gesamtstreitwert 68.685,92 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 17/12m 19, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.1 Der Ansatz der Beklagten, dass der Grundsatz der (insolvenzrechtlichen) Gläubigergleichbehandlung einem Schuldner bereits mit Eintritt der materiellen Insolvenz verbietet, einzelne Gläubiger zu begünstigen, ist durchaus richtig (2 Ob 185/03z; 9 ObA 87/08x). Die sich daraus ergebende Konsequenz besteht aber nicht darin, dass die Ansprüche der Gläubiger „rechtlich“ gekürzt oder vernichtet werden. Vielmehr ist der Schuldner zur Vermeidung seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit oder der Verwirklichung eines Anfechtungs oder Haftungstatbestands rein faktisch zur Zahlungseinstellung gehalten.
1.2 In diesem Sinn ist es somit durchaus richtig, dass sich das Tatbestandsmerkmal der „letzten 60 Tage vorher“ in § 30 Abs 1 KO (IO) sowohl auf den Antrag auf Konkurseröffnung als auch auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bezieht. Dies führt allerdings bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsmerkmale zur Anfechtbarkeit der Rechtshandlung gegenüber dem Gläubiger wegen Begünstigungsabsicht des Schuldners (1 Ob 156/05f; vgl auch 2 Ob 185/03z). Der Anfechtungserfolg soll die Insolvenzmasse so stellen, als ob die Insolvenz schon bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung eröffnet worden wäre (10 Ob 54/03v; 3 Ob 99/10w).
Ähnliche Überlegungen gelten für die von der Beklagten angeführten Haftungsbestimmungen der §§ 25 GmbHG und 84 AktG, die ebenfalls das Gebot der Gleichbehandlung der Gläubiger einer insolventen Gesellschaft beinhalten (vgl Reich Rohrwig in Straube , GmbHG § 25 Rz 52). Verletzt ein Geschäftsführer bzw ein Vorstandsmitglied eine solche im Verhältnis zur Gesellschaft bestehende Verpflichtung und verstößt er damit gleichzeitig gegen eine Norm zum Schutz der Gesellschafter oder Gläubiger, so haftet er diesen Geschädigten nach allgemeinem bürgerlichem Recht ( Strasser in Jabornegg/Strasser , AktG II 5 §§ 77 84 Rz 101). In diesem Sinn besteht auch eine Haftung der organschaftlichen Vertreter einer juristischen Person wegen Insolvenzverschleppung (2 Ob 117/12p; Reich Rohrwig aaO Rz 124). Entgegen der Ansicht der Beklagten folgt aus diesen Haftungsbestimmungen selbst wenn sie an die materielle Insolvenz anknüpfen aber nicht das Recht auf einseitige Reduktion der Ansprüche. Vor allem aus Gläubigerschutzinteressen kann eine (quotenmäßige) Forderungskürzung nur im Weg eines (standardisierten) Insolvenzverfahrens bewirkt werden.
2. Das in der außerordentlichen Revision angesprochene Pensionskassengesetz ist gemeinsam mit dem Betriebspensionsgesetz am in Kraft getreten. Damit wurden vor allem organisatorische Rahmenbedingungen für Pensionskassen und Betriebspensionszusagen in Form von Pensionskassenzusagen geschaffen. Dem Pensionskassenge-setz liegt das Modell der Übertragung von Anwartschaften und Leistungsverpflichtungen aus direkten Leistungszusagen auf eine Pensionskasse zugrunde. Der Beitritt zur Pensionskasse erfolgt durch den Pensionskassenvertrag zwischen Pensionskasse und Arbeitgeber. Die konkrete Leistungszusage gegenüber dem Arbeitnehmer erfolgt durch den Abschluss der Übertragungsvereinbarung (8 ObA 52/03k; 8 ObA 81/11m).
Die hier zu beurteilenden Pensionsansprüche des Klägers beruhen nicht auf dem Pensionskassenmodell, sondern auf einem Einzelvertrag . Der von der Beklagten geforderte Analogieschluss, der eine nicht gewollte Gesetzeslücke bzw eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes voraussetzt (8 ObA 91/11g), ist nicht gerechtfertigt, weil das Pensionskassengesetz ausschließlich den Spezialfall der Übertragung der Leistungspflichten auf das besondere Pensionskassenmodell regelt. Die Beklagte kann sich daher nicht auf das Anpassungsrecht der Pensionskasse nach § 48 Abs 2 PKG berufen.
3.1 Eine einzelvertragliche Zusage über Betriebspensionen kann entweder mit einem Widerrufsvorbehalt (vgl 8 ObA 17/99d; 9 ObA 36/04s) oder ohne Widerrufsvorbehalt (vgl 9 ObA 513/88; 9 ObA 38/09t) ausgestaltet sein.
Es entspricht herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung, dass es eines Widerrufsvorbehalts bedarf, damit der Arbeitgeber (entgeltnahe) Leistungen einstellen, ruhend stellen oder kürzen darf. Dies gilt insbesondere auch für Betriebspensionen. Ein Widerrufsvorbehalt muss ausdrücklich und für den Arbeitnehmer erkennbar und nachvollziehbar formuliert sein (RIS Justiz RS0028297). Den Überlegungen von Eypeltauer (Betriebspension und Widerrufsvorbehalt, ecolex 2010, 479 [480]), es widerspreche allgemein jedem vernünftigen wirtschaftlichem Verständnis, dass sich der Arbeitgeber trotz massiver Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und eines drohenden Konkurses zur (ungekürzten) Erbringung der Leistungen hätte verpflichten wollen, weshalb für den Fall einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers von einer konkludenten Widerruflichkeit auszugehen sei, sind mit den vertragsrechtlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen (vgl Egermann , Zum Widerrufsvorbehalt im Lichte der Rsp, ecolex 2010, 590 mwN). Aus diesem Grund schränkt auch Eypeltauer seine Überlegungen dahin ein, dass jedenfalls dann, wenn konkrete Ansätze für die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts vorhanden seien, von einem solchen auszugehen sei.
3.2 Im Anlassfall wurde in der einzelvertraglichen Pensionszusage der Widerruf bzw die Kürzung des Pensionsanspruchs nur für den Fall einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung des Klägers wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat vorgesehen. Ein Widerruf bzw eine Kürzung der Pension aus allen anderen Gründen wurde ausdrücklich ausgeschlossen. Damit fehlt es im gegebenen Zusammenhang an einer Widerrufsklausel. Ohne Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts kommt die einseitige Einstellung oder Einschränkung von Leistungen durch den Arbeitgeber aber nicht in Frage (9 ObA 38/09t). Dies gilt auch für unwiderrufliche Vertragspensionen. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass die Vertragsparteien das Risiko der (auch drastischen) Verschlechterung der Wirtschaftslage bewusst dem Arbeitgeber zugewiesen haben (9 ObA 513/88; vgl auch 9 ObA 87/08x).
Es kann auch nicht etwa gesagt werden, dass bestimmte wirtschaftliche Verhältnisse gerade zu den typischen Voraussetzungen des in Rede stehenden Vertragstyps gehörten (9 ObA 513/88). Die Verweigerung der Zustimmung durch die Pensionisten zu einer Reduktion ihrer Betriebspension bei drohender Insolvenz stellt auch keinen sittenwidrigen Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 879 ABGB dar ( Egermann aaO 591).
4. Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen mit den dargelegten Rechtsgrundsätzen im Einklang. Die Beklagte vermag insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.