OGH vom 22.01.2003, 9ObA220/02x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Univ. Prof. DI Hans Lechner und Reg. Rat Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst, 1013 Wien, Hohenstaufengasse 10, vertreten durch Mag. Johannes Hochstetter und Mag. Gabriele Jarosch, 1013 Wien, Hohenstaufengasse 10, gegen die Antragsgegnerin Wirtschaftskammer Österreich, Fachverband Gastronomie und Fachverband der Hotel- und Beherbergungsbetriebe, 1045 Wien, Wiedner Hauptstraße 63, vertreten durch Dr. Bernhard Hainz, Rechtsanwalt in Wien, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Antrag auf Feststellung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der (Haupt-)Antrag, es werde festgestellt, dass Vereinbarungen zwischen Lehrberechtigten und Lehrlingen, die dem Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe unterliegen, wonach bei Zurverfügungstellung und Reinigung der Dienstkleider das Dienstkleidungspauschale entfällt, unwirksam sind, wird abgewiesen. In Stattgebung des Eventualantrages wird festgestellt, dass der Entfall des im Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe für Lehrlinge vorgesehenen Dienstkleidungspauschales im Gegenzug zur Zurverfügungstellung und Reinigung von Dienstkleidung nur auf Grund einer schriftlichen Vereinbarung zwischen dem Lehrberechtigten und dem Lehrling zulässig ist, die für den Lehrling günstiger ist als die Zahlung des Dienstkleidungspauschales.
Text
Begründung:
Die Kollektivvertragsfähigkeit der Parteien ergibt sich aus § 4 Abs 2 bzw. § 4 Abs 1 ArbVG. Beide sind daher im Sinne des § 54 Abs 2 letzter Satz ASGG als Parteien des besonderen Feststellungsverfahrens legitimiert.
Der Antragsteller beantragt wie im Spruch ersichtlich und bringt dazu im Wesentlichen vor:
Im Rahmenkollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe (in der Folge: KV) ist unter Punkt 7h ein Dienstkleidungspauschale vorgesehen. Die Bestimmung hat (in der Fassung des KV 1992) folgenden Wortlaut:
"Lehrlinge haben Anspruch auf ein Pauschale für die Dienstkleidung in der Höhe von S 320,- pro Monat. Das Dienstkleidungspauschale bei Absolvierung einer Doppellehre Koch/Kellner erhöht sich um 50 Prozent während der gesamten Dauer des Lehrverhältnisses."
Das Dienstkleidungspauschale wurde in der Folge in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich erhöht und beträgt derzeit in der Steiermark und in Salzburg EUR 29,44, in den übrigen Bundesländern EUR 29,80.
Manche dem KV unterliegenden Arbeitgeber stellen den Lehrlingen Dienstkleidung zur Verfügung und reinigen diese auch. Diesen Lehrlingen - jedenfalls mehr als drei - wird das Kleiderpauschale mit der Begründung nicht ausgezahlt, dass sie ohnedies keinen Aufwand für die Dienstkleidung zu tragen hätten.
Richtigerweise stehe jedoch das Pauschale den Lehrlingen unabhängig davon zu, ob ihnen Dienstkleidung zur Verfügung gestellt werde. Die Vereinbarung eines Dienstkleidungspauschales sei keine Pauschalierung eines Aufwands gemäß § 1014 ABGB. Eine solche setze nämlich voraus, dass zumindest dem Grunde nach ein Anspruch auf Ersatz des Aufwandes für eine normale Dienstkleidung bestehe. Bei der Dienstkleidung handle es sich jedoch um dem Grunde nach nicht unter § 1014 ABGB fallende Anschaffungen und Aufwendungen der privaten Lebensführung. Nach der Judikatur des VwGH könnten die Kosten für Berufskleidung nur dann als Werbungskosten berücksichtigt werden, wenn es sich um typische Berufskleidung oder um Arbeitsschutzkleidung handle, nicht aber wenn es sich um Bekleidung handle, die üblicherweise auch außerhalb der beruflichen Tätigkeit getragen werde. In diesem Sinne ordne auch der KV an, dass die Kosten für Hausuniformen (über den Rahmen der üblichen Berufskleidung hinausgehende Dienstkleidung, die in einem anderen Betrieb nicht verwendet werden könne) vom Arbeitgeber zu tragen seien. Demnach sei der Arbeitnehmer verpflichtet, sich Dienstkleidung auf eigene Kosten anzuschaffen und sie zu reinigen. Das den Lehrlingen gewährte Pauschale sei somit - wie auch eine Reihe anderer kollektivvertraglicher Zulagen (zB Schmutzzulage, Außendienstzulage etc) - Entgelt im Sinne des umfassenden Entgeltbegriffes. Leiste ein Arbeitgeber bzw Lehrberechtigter statt dem Geldlohn in Naturalien, so sei diese Leistung ein aliud. Ein Arbeitnehmer sei nicht gezwungen, gegen seinen Willen eine andere Leistung als die geschuldete anzunehmen. Der Anspruch auf Geldlohn könne nicht einseitig durch die Leistung von Naturalien ersetzt werden. Aber auch die Möglichkeit der Beteiligten, diesbezügliche Vereinbarungen zu treffen, sei eingeschränkt. Im Geltungsbereich eines Kollektivvertrages seien hinsichtlich der dort geregelten Mindestentgelte vertragliche Dispositionen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht zulässig. Das im Bereich kollektivvertraglicher Mindestentgelte geltende Geldzahlungsgebot schließe abweichende Sondervereinbarungen aus. Daran sei im Hinblick auf das auch für Lehrlinge geltende "Truckverbot" (§ 78 Abs 2 GewO 1859 iVm § 34 Abs 4 Z 1 BAG) festzuhalten. Vereinbarungen, wonach das Entgelt in Naturalien geleistet werde, seien nur soweit zulässig, als dies in § 78 Abs 2 oder Abs 3 GewO 1859 vorgesehen sei. Die Hingabe von Kleidung, sei es auch Dienstkleidung, statt Geld sei aber in § 78 GewO 1859 nicht vorgesehen. Entsprechende Vereinbarungen seien daher gemäß § 78c GewO nichtig.
Selbst wenn man diese Auffassung nicht teile, sei jedenfalls die einseitige Streichung des Dienstkleidungspauschales unter gleichzeitiger Zurverfügungstellung und Reinigung der Dienstkleidung unzulässig. Wenn überhaupt, könne eine solche Maßnahme nur im Wege einer schriftlichen Vereinbarung gemäß § 12 Abs 5 Z 1 BAG erfolgen, die in jedem Einzelfall nach dem Günstigkeitsprinzip zu beurteilen sei.
Der Antragsgegner beantragt, das Feststellungsbegehren abzuweisen und führt dazu aus wie folgt:
Bei Beurteilung der Rechtsnatur des Dienstkleidungspauschales sei auf die umfangreiche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zurückzugreifen, die jedoch - im Gegensatz zu den insofern unvollständigen Ausführungen der Antragstellerin - typische Berufskleidung im Gastgewerbe nicht als Entgelt behandle. Vielmehr handle es sich im Sinne der sozialversicherungsrechtlichen und lohnsteuerrechtlichen Rechtsprechung bei der im Gastgewerbe typischerweise verwendeten Dienstkleidung, soweit sie der Dienstnehmer selbst beizustellen habe (Kochmütze, Kochhose, Kochoberteil, Kellnerweste etc) um Aufwandsersatz. Daher sei der Arbeitgeber berechtigt, den Aufwandsersatz in natura zu leisten, indem er selbst den ansonsten dem Arbeitnehmer obliegenden Aufwand tätigt.
Das im KV vereinbarte Dienstkleidungspauschale sei auch der Höhe nach ein angemessener und daher typischer Aufwandsersatz. Auf Grund von Recherchen der Antragsgegnerin angestellte Berechnungen (siehe im Detail S 4 der Stellungnahme der Antragsgegnerin) zeigten, dass das Pauschale - über den Zeitraum eines Jahres betrachtet - den üblicherweise anfallenden Kosten entspreche.
Das sogenannte "Truckverbot" sei auf Aufwandsersätze nicht anzuwenden.
Der vom Antragsteller gewünschte Doppelbezug (Naturalzurverfügungsstellung und Lukrierung des Bekleidungspauschales) würde den Intentionen des KV widersprechen und zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Lehrlinge führen.
Rechtliche Beurteilung
Der Hauptantrag des Antragstellers ist nicht berechtigt, wohl aber sein Eventualantrag.
Vorweg ist klarzustellen, dass es für die hier zu treffende Beurteilung, ob es sich beim im Rede stehenden Pauschale um Entgelt oder um Aufwandsersatz handelt, nicht auf steuer- oder sozialrechtliche Begriffe und die dazu ergangene Rechtsprechung sondern ausschließlich auf die arbeitsrechtliche Rechtslage ankommt. Der arbeitsrechtliche Entgeltbegriff ist weit auszulegen; er umfasst jede Leistung, die der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber dafür bekommt, dass er ihm seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Zulagen, Zuschläge, Beihilfen, Gewinnbeteiligungen, Provisionen aber auch Naturalleistungen des Arbeitgebers sind daher grundsätzlich "Entgelt". Nur dann, wenn eine Leistung des Arbeitgebers nicht für die Bereitstellung der Arbeitskraft, sondern zur Abdeckung eines mit der Arbeitsleistung zusammenhängenden finanziellen Aufwandes des Arbeitnehmers erbracht wird, gilt sie als - nicht dem Entgeltbegriff zu unterstellende - Aufwandsentschädigung (Arb 10355; SZ 70/20 uva). Ob eine bestimmte Leistung des Arbeitgebers unter den Begriff des Entgelts fällt oder aber als Aufwandsentschädigung anzusehen ist, bestimmt sich nicht nach der für sie gewählten Bezeichnung sondern allein danach, ob und inwieweit sie lediglich der Abdeckung eines finanziellen Aufwandes des Arbeitnehmers dient oder (auch) Gegenleistung für die Bereitstellung seiner Arbeitskraft ist. Wird ein Aufwand des Arbeitnehmers überhöht abgegolten, dann handelt es sich bei der Leistung nur in jenem Umfang um Aufwandsersatz, in dem ein tatsächlicher Aufwand abgegolten wird. Im darüber hinausgehenden Umfang ist die Leistung als Entgelt zu qualifizieren (Arb 10.355; 9 ObA 57/00y mwN). Dass ein Aufwand des Arbeitnehmers pauschal und ohne Abrechnungsverpflichtung abgegolten wird, ändert am Charakter der Abgeltung als Aufwandsersatz nichts, sofern im Durchschnitt die konkreten Aufwendungen im Wesentlichen der Summe der Pauschalen entsprechen bzw. die Pauschalzahlungen nicht unrealistisch hoch angesetzt werden (9 ObA 57/00y; 9 ObA 54/90).
Die hier zu beurteilende Bestimmung des KV kann nach ihrem Inhalt - vor allem nach der Höhe des Pauschales und auch im Hinblick auf die Erhöhung der Abgeltung für den Fall der Doppellehre Koch/Kellner - nur dahin verstanden werden, dass damit ein mit der Arbeitsleistung verbundener finanzieller Aufwand - nämlich der Aufwand der für den Beruf des Kochs oder des Kellners typischen Berufskleidung - abgegolten werden soll. Dass die Abgeltung im Vergleich zum tatsächlichen Aufwand unrealistisch hoch bzw klar überhöht ist, wurde nicht behauptet und ist nach der Höhe des Pauschales auch nicht anzunehmen. Der Antragsgegnerin ist daher beizupflichten, dass es sich dabei um einen echten Aufwandsersatz handelt.
Soweit die Antragstellerin aus Hinweis auf Vorentscheidungen des Obersten Gerichtshofs ableiten will, dass die Zurverfügungstellung von Dienstkleidung in jedem Fall Entgeltcharakter habe, ist ihr nicht zu folgen. Gerade in der im Antrag zitierten Entscheidung 9 ObA 2019/96v wird darauf abgestellt, dass im konkreten Fall die der Arbeitnehmerin - einer Angestellten einer Fluglinie - erbrachte Leistung eine Abgeltung für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft war. Das erscheint angesichts des damals zu beurteilenden Sachverhaltes plausibel, zumal der zitierten Entscheidung zu entnehmen ist, dass die Leistungen des Arbeitgebers ua in Schuhen bzw Handtaschen bestanden, also auch Gegenstände betrafen, die auch eine außerdienstliche Nutzung möglich erscheinen lassen. Gerade das ist aber bei der im Gastgewerbe typischen Berufskleidung nicht der Fall. Die weiteren im Antrag zitierten Fälle (ArbSlg 7.899 [Schmutzzulage]; ArbSlg 9.838 [Außendienstzulage]) sind von vornherein ungeeignet, die Qualifikation der hier zu beurteilenden Leistung als Aufwandsersatz zu widerlegen, weil in den zitierten Fällen überhaupt nicht zweifelhaft sein kann, dass - anders als hier - kein konkreter Aufwand abgegolten, sondern ein Entgelt für die Bereitstellung der (in einer bestimmten Form qualifizierten) Arbeitsleistung geleistet wurde.
Im Gegensatz zur Meinung der Antragsgegnerin kann aber daraus, dass die hier zu beurteilende Abgeltung als Aufwandsersatz zu werten ist, nicht geschlossen werden, dass der Lehrberechtigte berechtigt wäre, die im KV vorgesehene Geldleistung einseitig durch eine Naturalleistung zu ersetzen.
Wie die Antragsgegnerin zutreffend geltend macht, handelt es sich bei der Zurverfügungstellung der Kleidung in natura gegenüber der im Kollektivvertrag vereinbarten Geldleistung um ein aliud. Das einseitige Abgehen von einer kollektivvertraglichen Vereinbarung über eine Geldleistung durch Leistung von Naturalien ist aber dem Dienstgeber auch dann verwehrt, wenn es sich bei der Geldleistung um Aufwandsersatz handelt und wenn die Naturalleistung einem Günstigkeitsvergleich standhält. Ein solches einseitiges Abgehen ist mit der Rechtsnatur des Kollektivvertrages und dessen einseitig zu Gunsten des Arbeitnehmers zwingenden Wirkung (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG Rz 6 zu § 3; Cerny in Cerny/Gahleitner/Kundtner/Preiss/Schneller, ArbVG, Rz 1 zu § 3) nicht vereinbar. Wohl aber können kollektivvertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer durch Einzelvereinbarung verbessert werden, weil § 3 Abs 1 ArbVG "Sondervereinbarungen" - soweit sie der Kollektivvertrag nicht ausschließt - zulässt, sofern sie für den Arbeitnehmer günstiger sind (Strasser, aaO, Rz 6 zu § 3; Cerny, aaO, Rz 3 zu § 3). Dass die Regelung gleich günstig ist, reicht dafür allerdings nicht aus (Strasser, aaO, Rz 6 zu § 3).
Nichts anderes kann für die hier zu beurteilende kollektivvertragliche Vereinbarung gelten. Mit Einzelvereinbarung zwischen Lehrberechtigten und Lehrling ist es möglich, die Regelung über einen Aufwandsersatz in Geld durch die Verpflichtung zur Zurverfügungstellung und Reinigung der an sich durch den Aufwandsersatz abgegoltenen Dienstkleidung zu ersetzen, sofern die mit Einzelvereinbarung getroffene Regelung günstiger ist als die kollektivvertragliche. Dass die Vereinbarung zwischen Lehrberechtigtem und Lehrling schriftlich geschlossen werden muss, ergibt sich aus § 12 Abs 1 BAG (dazu und zur Bedeutung des § 12 Abs 7 BAG: Berger/Fida/Gruber, BAG, Rz 1 ff sowie 14 f zu § 12). Auch eine entsprechende Abänderung oder Ergänzung des Lehrvertrages bedarf der Schriftform (Berger/Fida/Gruber, BAG, Rz 15 zu § 12). Das von der Antragstellerin ins Treffen geführte sogenannte "Truckverbot" des § 78 GewO 1859 ändert an diesem Ergebnis nichts, weil sich dieses auf den Lohn bezieht und einer Vereinbarung nicht entgegensteht, die darauf abzielt, einen bisher vereinbarten Aufwandsersatz in Geld durch Beistellung der abgegoltenen Leistungen in natura zu ersetzen.
Damit erweist sich der Hauptantrag der Antragstellerin als nicht berechtigt, weil er die Zulässigkeit von Vereinbarungen über den Ersatz der in Rede stehenden Geldleistung durch eine Naturalleistung generell als unzulässig bezeichnet und daher zu weit ist. Der Hauptantrag war daher abzuweisen. Der Eventualantrag der Antragstellerin, der auf die Feststellung abzielt, dass solche Vereinbarungen zulässig sind, soweit sie schriftlich abgeschlossen werden und für den Lehrling günstiger sind, als die kollektivvertragliche Regelung, erweist sich hingegen als berechtigt. Diesem Antrag war daher stattzugeben.