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OGH vom 29.10.2015, 8ObA74/15p

OGH vom 29.10.2015, 8ObA74/15p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C***** K*****, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei T***** V.a.G., *****, vertreten durch Dr. Alfons Klaunzer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 15 Ra 50/15p 25, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Rahmenvertrag für Bezirks- und Reisevertreter der Rechtsvorgängerin der Beklagten (Landesversicherungsanstalt), der am sowohl vom Betriebsrat als auch von den Anstaltsreferenten und der Anstaltsdirektion unterfertigt wurde, wurde durch einzelvertragliche Vereinbarung in das Dienstverhältnis des Klägers (als hauptberuflicher Außendienstmitarbeiter) einbezogen. Nach den Vorgaben dieses Rahmenvertrags wurde der Kläger definitiv gestellt, also in ein unkündbares Dienstverhältnis übernommen. Dazu wird im Rahmenvertrag bestimmt, dass das Dienstverhältnis vom Dienstgeber nur nach den Bestimmungen der Disziplinarordnung der (Rechtsvorgängerin der) Beklagten gelöst werden kann. Danach kann eine Entlassung ohne vorangegangenes Disziplinarverfahren nur im Fall einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung wegen bestimmter Delikte erfolgen.

2. Die Beklagte steht dazu auf dem Standpunkt, dass die Disziplinarordnung „von Haus aus“ nicht anzuwenden sei, weil sie nicht in Form einer Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden sei. Es könne auch nicht Inhalt eines Einzelvertrags werden, was ein Vertragsteil nicht kenne. Außerdem sei sie nicht verpflichtet, ein strafrechtlich relevantes Verhalten strafgerichtlich überprüfen zu lassen.

Damit zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.

3.1 Die Beklagte bestreitet die Einbeziehung des Rahmenvertrags (als Vertragsschablone) in das Dienstverhältnis des Klägers nicht. Der Rahmenvertrag wurde im Verhältnis zum Kläger auch tatsächlich angewendet, also zwischen den Parteien „gelebt“.

Hinsichtlich der Auflösung eines (wie hier) unkündbar gestellten Dienstverhältnisses verweist der Rahmenvertrag auf die Disziplinarordnung der Rechtsvorgängerin der Beklagten und macht damit die entsprechenden Bestimmungen der Disziplinarordnung zum Inhalt des Rahmenvertrags. Dass ihr die Disziplinarordnung nicht bekannt sei, kann die Beklagte nicht ernsthaft behaupten. Der Kläger beruft sich ausdrücklich auf die danach beschränkte Auflösbarkeit seines Dienstverhältnisses.

3.2 Im Anlassfall stellt sich (nur) die Frage, ob die Auflösung eines Dienstverhältnisses (hier Entlassung) einzelvertraglich an die Abführung eines Disziplinarverfahrens bzw die Entscheidung einer Disziplinarkommission geknüpft werden kann. Kündigung und Entlassung sind nach ständiger Rechtsprechung keine Disziplinarmaßnahmen. Es geht im Anlassfall daher nicht um die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen (8 ObA 43/14b mit Hinweis auf 8 ObA 12/04d und 8 ObA 13/13i).

In der Entscheidung 8 ObA 12/04d hat der Oberste Gerichtshof klargestellt, dass die Selbstbindung des Dienstgebers an eine Dienstvorschrift (hier Disziplinarordnung des Dienstgebers) hinsichtlich des bei Entlassungen einzuhaltenden Verfahrens samt Entscheidung einer Disziplinarkommission und hinsichtlich der Einschränkung auf bestimmte Entlassungsgründe zulässig ist. Werden solche Regelungen vom Dienstgeber nicht beachtet, so ist die Entlassungserklärung rechtsunwirksam.

3.3 Eine solche Selbstbindung der Beklagten liegt hier im Rahmen von einzelvertraglichen Regelungen vor.

Die Ansicht der Beklagten, die Disziplinarordnung sei in ihrer Gesamtheit unwirksam, weil sie nicht als Betriebsvereinbarung oder Kollektivvertrag abgeschlossen worden sei, entspricht nicht der Rechtsprechung. Diese Frage war bereits Gegenstand der Entscheidung 9 ObA 153/11g. Darin wurde unter Hinweis auf die Teilunwirksamkeit einer Disziplinarordnung unter Bezugnahme auf die Entscheidung 8 ObA 12/04d wiederholt, dass Kündigungen und Entlassungen nicht als Disziplinarmaßnahme iSd § 102 ArbVG angesehen und daher nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung nach § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG sein können. Allerdings ist es zulässig, dass sich beide Teile des Dienstvertrags hinsichtlich der Auflösung eines Dienstverhältnisses mit der Vereinbarung eines bestimmten Verfahrens der Entscheidung eines dafür verantwortlichen Dritten (zB einer Disziplinarkommission) unterwerfen. In diesem Fall hat der Dienstgeber gemäß der von ihm eingegangenen Verpflichtung vor einer Entlassung das in der Dienst bzw Disziplinarordnung vorgesehene Disziplinarverfahren einzuhalten.

Im gegebenen Zusammenhang geht es also um die einzelvertragliche „Restgültigkeit“ eines vom Dienstgeber zu berücksichtigenden Verfahrens, mit dem die Auflösbarkeit des Dienstverhältnisses durch den Dienstgeber beschränkt wird. Eine solche Selbstbindung des Dienstgebers kann einzelvertraglich zulässig und wirksam vereinbart werden, sofern nicht der Kernbereich des Entlassungsrechts iSd § 879 ABGB beeinträchtigt wird. Letzteres wurde hier nicht behauptet.

4. Insgesamt gelingt es der Beklagten nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBA00074.15P.1029.000