OGH vom 24.08.2017, 8ObA73/16t

OGH vom 24.08.2017, 8ObA73/16t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Brenn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Timea Pap und Robert Hauser in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D***** B*****, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte GbR in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen 613.315,71 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 49/16h-11, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 2 Cga 63/16w-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger ist Flugkapitän und war seit bei der Beklagten beschäftigt. Bis unterlag sein Dienstverhältnis dem Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Austrian Airlines und Lauda Air („OS KV Bord 2008“) sowie dem Zusatzkollektivvertrag 2 („KV-alt“).

Der Kläger wurde mit Schreiben vom über den zum bevorstehenden Betriebsübergang zur Tyrolean Airways Tiroler Luftfahrt GmbH und die damit verbundenen Änderungen informiert, insbesondere darüber, dass die Übernehmergesellschaft gemäß § 5 Abs 1 AVRAG die leistungsorientierten Pensionskassenzusagen laut OS KV Bord 2008 nicht übernehmen werde, sondern sich die Pensionszusagen ab dem Übergangsstichtag nach der bei ihr geltenden Betriebsvereinbarung BV 01 „Pensionskasse“ richten würden.

Gemäß Punkt 10. (63) KV-alt gebührte dem Kläger eine Firmenpension im Ausmaß von sechzig Prozent der Bemessungsgrundlage. Gemäß Punkt 8. des seit in Geltung stehenden Kollektivvertrags für das Bordpersonal der Austrian Airlines Group (OS KV 2015) wurde das zwingend einzuhaltende Schlichtungsverfahren eingeleitet. Die Schlichtungsstelle hat eine Befassung aufgrund der komplexen Rechtsfragen abgelehnt.

Der Kläger begehrt 602.991,66 EUR brutto sA mit der Begründung, wegen der Nichtübernahme der leistungsorientierten Pensionszusage schulde ihm die Beklagte gemäß § 5 Abs 2 AVRAG als Veräußerin eine nach dem Teilwertverfahren errechnete Abfindung in der eingeklagten Höhe.

Die Beklagte wandte ein, der Abfindungsanspruch nach § 5 Abs 2 AVRAG entstehe bei gänzlichem Wegfall der betrieblichen Pensionszusage. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt, weil auch im Betrieb der Übernehmerin für den Kläger eine – beitragsorientierte – kollektivvertragliche Pensionszusage gegolten habe. Eine bloße Verschlechterung der betrieblichen Pensionszusage sei deren Wegfall nicht gleichzuhalten.

Das wies das Klagebegehren ab.

Der Gesetzgeber habe in § 5 Abs 2 AVRAG ausdrücklich nur die Rechtsfolgen des Wegfalls der bisherigen betrieblichen Pensionszusage aufgrund rechtzeitigen Vorbehalts des Übernehmers geregelt und dafür eine Berechnungsmethode festgelegt. Eine planwidrige Gesetzeslücke sei nicht anzunehmen, weil dem Gesetzgeber die Möglichkeit eines bloßen Wechsels der Pensionszusage nicht entgangen sein könne. Hätte er aber den Wechsel der Pensionszusage miterfassen wollen, hätte er auch eine eigene Berechnungsmethode für die in diesen Fällen gebührende Abfindung vorgesehen und nicht die Frage offen gelassen, wie der künftige Anwartschaftserwerb beim Übernehmer zu berücksichtigen sei.

Das bestätigte diese Entscheidung unter ausdrücklicher Billigung der Rechtsausführungen des Erstgerichts. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Rechtsfrage, ob Voraussetzung für eine Pensionsabfindung nach § 5 Abs 2 AVRAG der Wegfall oder auch eine Minderung einer betrieblichen Pensionszusage sei, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Die von der Beklagten beantwortete des Klägers, mit dem er die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen anstrebt, ist aus den im Ausspruch des Berufungsgerichts genannten Gründen zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist auch berechtigt.

1. Der Kläger stützt seinen Anspruch auf § 5 Abs 1 und 2 AVRAG, welche lauten:

„(1) Eine auf Einzelvereinbarung beruhende betriebliche Pensionszusage wird Inhalt des Arbeitsvertrages zwischen Arbeitnehmer und Erwerber, wenn der Erwerber Gesamtrechtsnachfolger ist. Liegt keine Gesamtrechtsnachfolge vor, kann der Erwerber durch rechtzeitigen Vorbehalt die Übernahme einer solchen betrieblichen Pensionszusage ablehnen.

(2) Hat der Betriebsübergang den Wegfall der betrieblichen Pensionszusage zur Folge und hat der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses im Falle des Abs. 1 Satz 2 nicht widersprochen, so endet mit dem Zeitpunkt des Betriebsüberganges der Erwerb neuer Pensionsanwartschaften.

Der Arbeitnehmer hat gegen den Veräußerer Anspruch auf Abfindung der bisher erworbenen Anwartschaften als Unverfallbarkeitsbetrag im Sinne des Betriebspensionsgesetzes (BPG), Artikel I des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 282/1990.

Bei beitragsorientierten Zusagen errechnet sich dieser Betrag nach dem BPG, bei direkten Leistungszusagen, leistungsorientierten Pensionskassenzusagen oder

Für die Berechnung ist einerseits das Alter zum Zeitpunkt der Erteilung der Zusage, andererseits das Anfallsalter heranzuziehen. Der Rechnungszinssatz beträgt grundsätzlich 7 %. Bei Pensionszusagen, die eine rechtsverbindliche Valorisierung vorsehen, ist jedoch der Barwert der künftigen Pensionsleistungen unter Zugrundelegung eines Rechnungszinssatzes von 3 % zu berechnen.

Im Fall einer leistungsorientierten Pensionskassenzusage oder eines leistungsorientierten Versicherungsvertrages wird von dem so errechneten Betrag der sich nach den Rechnungsvorschriften der Pensionskasse oder der Versicherungsunternehmung ergebende Unverfallbarkeitsbetrag nach dem BPG abgezogen.

(3) Der Arbeitnehmer kann über den Betrag nach Abs 2 im Sinne des BPG verfügen, wobei er die Auszahlung dieses Betrages unabhängig von dessen Höhe vom Veräußerer verlangen kann.

2. Die Regelung des § 5 Abs 2 AVRAG ist nicht nur auf den Wegfall einer individualrechtlichen Pensionszusage eingeschränkt, sondern erfasst generell den Wegfall „der“ betrieblichen Pensionszusage, sohin auch infolge Betriebsübergangs, insbesondere infolge Kollektivvertragswechsels oder -wegfalls oder durch Wegfall der Betriebsvereinbarung (vgl 8 ObA 40/15p mwN; 9 ObA 69/15k).

Die Beklagte und die ihr folgenden Vorinstanzen gehen aber davon aus, dass der Gesetzgeber mit dem „Wegfall“ der betrieblichen Pensionszusage nur den Fall erfassen habe wollen, dass künftig überhaupt keine betriebliche Pensionszusage für den Arbeitnehmer mehr gelte. Der Abfindungsanspruch sei ausgeschlossen, wenn im Übernehmerbetrieb ebenfalls eine – wenngleich für den Arbeitnehmer ungünstigere – Betriebspensionszusage bestehe.

Der Kläger vertritt dagegen den Standpunkt, es komme lediglich darauf an, dass seine bisherige betriebliche Pensionszusage wegen des Vorbehalts des Übernehmers weggefallen sei.

3. Dem Revisionswerber ist beizupflichten, dass der Wortlaut des ersten Satzes des § 5 Abs 2 AVRAG jedenfalls beide Interpretationen zulässt, wobei nur die Auslegung des Klägers unmittelbar aus dem Wortsinn abzuleiten ist.

Die Beklagte und die Vorinstanzen haben sich nur auf die Bedeutung des Wortes „Wegfall“ bezogen, aber nicht geprüft, was im Kontext der Regelung unter „der“ betrieblichen Pensionszusage zu verstehen ist. Um eine der Auslegung des Berufungsgerichts entsprechende Bedeutung klar und eindeutig auszudrücken, müsste aber vom Wegfall „einer“ bzw „jeder“ oder „jeglicher“ betrieblichen Pensionszusage die Rede sein. Mit „der“ betrieblichen Pensionszusage wird prima facie nicht irgendeine, sondern die den Gegenstand der Regelung bildende, nicht übernommene Pensionszusage des Veräußerers angesprochen.

In der Literatur wurden bisher sowohl die Interpretation des Klägers als auch jene des Berufungsgerichts vertreten. So soll nach Schima (in Mazal/Risak [Hrsg], Das Arbeitsrecht – System und Praxiskommentar[28. Lfg 2016] Betriebspension und Betriebs(teil)übergang S 80 Rz 106) dann, wenn bei Kollektivvertragswechsel eine für den Arbeitnehmer bessere durch eine schlechtere Pensionszusage im Erwerber-Kollektivvertrag ersetzt werde, mangels „Wegfalls“ (s dazu aber oben) keine Differenzabfindung gebühren. Eine Teilabfindung würde den bewertenden Vergleich der zwei unterschiedlichen kollektivvertraglichen Zusagen voraussetzen; dieser müsste aber die künftige Entwicklung der Kollektivverträge unberücksichtigt lassen und sei völlig ungeeignet.

Nach Gahleitner (in ZellKomm² § 5 AVRAG Rz 9) soll eine Anwartschaftsabfindung in allen Fällen gebühren, die zu einem Wegfall der bisherigen betrieblichen Pensionszusage führen, unabhängig davon, ob diese im Einzelvertrag, in einer BV oder im KollV geregelt war. Sie solledaher auch dann zur Anwendung kommen, wenn die bisherige Pensionszusage durch eine schlechtere Zusage des Übernehmers ersetzt werde. Allenfalls könne, nach Wahl des Arbeitnehmers, bei einem bloßen Wechsel der Pensionszusagen nur eine Differenzabfindung gewährt und die bisherigen Anwartschaften sodann in das neue Anwartschaftssystem integriert werden.

Auch Binder (in Binder/Burger/Mair,AVRAG3§ 5 Rz 55 ff; vgl auch Binder Betriebsübergang und Schicksal der betrieblichen Altersversorgung, JBl 1998, 416) bejaht einen Abfindungsanspruch bei Kollektivvertragswechsel, wenn das Versorgungssystem des neu anwendbaren Kollektivvertrags völlig anders oder geringwertiger konzipiert sei als jenes nach dem Veräußererkollektivvertrag. Als Alternative zur Vollabfindung in Barem komme in diesen Fällen eine zwingende Aufrechterhaltung der Veräußerer-Anwartschaften in dem auf das neue Pensionsregulativ abgestimmten Maß bis zum Eintritt des Versorgungsfalls in Betracht. Im Interesse des Naturalvorranges und der gesicherten Versorgungskontinuität sei die Einbringung der Altanwartschaften in das neue Pensionssystem geboten, wodurch sich die Anwartschaftsdauer beim Erwerber entsprechend verlängere.

Für die Qualifikation als „Wegfall“ der bisherigen Betriebspensionszusage bei Wechsel, aber gegen einen Auszahlungsanspruch, sondern eine Harmonisierung im Sinne des „Kontinuitätsgedankens“ der betrieblichen Pensionszusage spricht sich auch Hainz (Betriebspensionen beim Betriebsübergang, in Schrammel [Hrsg], Betriebspensionsrecht S 52 ff) aus. Für die bisherigen leistungsorientierten Anwartschaften solle ein Unverfallbarkeitsbetrag gemäß § 5 BPG berechnet und an die Pensionskasse des Erwerbers einbezahlt werden (eine Frage, die sich im vorliegenden Fall insofern nicht stellt, als der Unverfallbarkeitsbetrag als Forderung gegen die Pensionskasse nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist).

In die gleiche Richtung argumentieren auch Holzer/Reissner (AVRAG² § 5 Rz 27).

4. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die Überlegungen jener Autoren, die das Modell einer Differenzabfindung und einer Einbringung der alten Anwartschaften in das Betriebspensionssystem des Erwerbers befürworten, nicht als Analyse eines gesetzlichen Istzustandes verstanden werden können, sondern als Überlegungen und Anregungen, deren praktische Umsetzung ein Tätigwerden des Gesetzgebers voraussetzen würde. De lege lata sieht § 5 Abs 2 AVRAG – worauf auch schon das Berufungsgericht verwiesen hat – diese Variante und die erforderliche Berechnungsmethode nicht vor. Eine Lösung dafür, wie die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Systeme und Leistungsbedingungen praktisch gegeneinander zu gewichten und eine Wertdifferenz zu errechnen wäre, vermögen auch die eine Differenzabfindung befürwortenden Autoren nicht anzubieten. Hinzu kommt, dass § 5 Abs 3 AVRAG ausdrücklich einen Auszahlungsanspruch des Arbeitnehmers normiert und damit der Annahme einer zwingenden Einbringung in das System des Erwerbers entgegensteht.

Dem Berufungsgericht kann daher darin gefolgt werden, dass die Nichtanordnung einer Differenzrechnung klar dafür spricht, dass der Gesetzgeber tatsächlich keine Differenzabfindung vorsehen wollte.

5. Allerdings kann daraus entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kein Argument gegen den Rechtsstandpunkt des Klägers oder für den Standpunkt der Beklagten gewonnen werden. Einer Differenzrechnung bedarf es nicht nur dann nicht, wenn eine Pensionszusage des Erwerbers die Abfindung ausschließt, sondern genauso wenig, wenn ein Wechsel in eine andere Pensionszusage für den Abfindungsanspruch irrelevant ist.

Die Revision weist in diesem Zusammenhang richtig darauf hin, dass es dem Arbeitnehmer nach § 5 Abs 3 AVRAG freisteht, über die Abfindung im Sinne des BPG zu verfügen. Er kann daher den Unverfallbarkeitsbetrag unter anderem gemäß § 5 Abs 2 bzw § 7 Abs 3 BPG in die Pensionskasse, eine Einrichtung im Sinne des § 5 Z 4 PKG, eine betriebliche Kollektivversicherung oder eine Gruppenrentenversicherung eines neuen Arbeitgebers übertragen. Der Gesetzgeber des AVRAG hat nicht nur offenkundig an die Möglichkeit eines Wechsels in ein neues System gedacht, sondern gleichzeitig eine Verwendungsoption normiert, die nur den Schluss zulässt, dass auch für diesen Fall der Abfindungsanspruch gebühren soll.

6. Zum selben Ergebnis gelangt man bei näherer Betrachtung des Zwecks der Regelung des § 5 Abs 2 AVRAG.

Art 3 Abs 3 der Betriebsübergangs-Richtlinie (nunmehr Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom ), deren Umsetzung den hier maßgeblichen Bestimmungen des AVRAG zugrundeliegt, lässt Regelungen der Mitgliedstaaten zu, nach denen die Rechte der Arbeitnehmer auf Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungs-einrichtungen außerhalb der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit – im Unterschied zu den sonstigen Rechten und Pflichten des Veräußerers aus einem bestehenden Arbeitsvertrag – nicht aufgrund des Betriebsübergangs auf den Erwerber übergehen. Wenn Mitgliedstaaten von dieser Ausnahme Gebrauch machen, sind sie aufgefordert, die „notwendigen Maßnahmen“ zum Schutz der Interessen der aktiven und ehemaligen Arbeitnehmer aus den genannten Zusatzversorgungseinrichtungen zu treffen.

D

Hainz aaO S 50 f mwN). In dieser werden – a

C164/00, Beckmann ECLI:EU:C:2002:330, Rn 29–31; Urteil C-4/01, Martin ua, ECLI:EU:C:2003:594).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 2 ASGG,§ 52 ZPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00073.16T.0824.000
Schlagworte:
1 Generalabonnement,11 Arbeitsrechtssachen

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