zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 27.04.2011, 9ObA59/10g

OGH vom 27.04.2011, 9ObA59/10g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Brigitte Augustin und Dr. Gerda Höhrhan Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft, Wien, gegen die beklagte Partei T***** Ges.m.b.H., *****, vertreten durch Mag. Günter Petzelbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 4.966,50 EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 21/10x 14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 6 Cga 108/09h 10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 4.966,50 EUR brutto samt 8,38 % Zinsen seit binnen 14 Tagen zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der Wirtschaftskammer Wien, Stubenring 8-10, 1010 Wien, 605 EUR an Aufwandersatz für das Verfahren erster Instanz und für das Berufungsverfahren 297,96 EUR an Aufwandersatz sowie der beklagten Partei die mit 493 EUR (Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 1.062,82 EUR (darin 74,30 EUR USt und 617 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit als Maurer bei der Beklagten beschäftigt, ab befand er sich im Krankenstand, der bis andauerte. Er wurde von der Beklagten während des Krankenstands zum gekündigt, sodass das Arbeitsverhältnis noch vor Beginn eines neuen Arbeitsjahres endete. Die Entgeltfortzahlungsansprüche des Klägers aus dem laufenden Arbeitsjahr wurden zur Gänze befriedigt.

Der Kläger begehrt, gestützt auf § 5 EFZG, den Zuspruch von 4.966,50 EUR sA an Entgeltfortzahlung (8 Wochen volles, 4 Wochen halbes Entgelt) für die Zeit ab Beginn eines neuen Arbeitsjahres (). Die Kündigung während des Krankenstands bewirke nicht nur einen Anspruch auf noch nicht verbrauchte Entgeltfortzahlungsanteile des laufenden Arbeitsjahres; wegen des durchgehenden Krankenstands sei auch ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Folge-Arbeitsjahr entstanden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Arbeitsverhältnis habe noch vor Beginn des neuen Arbeitsjahres geendet, sodass kein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung mehr habe entstehen können.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit der Begründung Folge, dass wegen des ins „neue Arbeitsjahr“ hineinreichenden Krankenstands trotz der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der schon zuvor erreichten Ausschöpfung des Jahreskontingents dennoch ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entstanden sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und stützte sich dabei im Wesentlichen auf die Entscheidung 9 ObA 115/05k. Es sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil der hier zu beurteilende Sachverhalt von dem der zitierten Entscheidung mangels in einander übergreifender Entgeltfortzahlungszeiträume abweiche.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig. Die vorliegende Frage wurde zwar bereits vom erkennenden Senat in vergleichbaren Fällen einer (neuerlichen) Beurteilung unterzogen und entschieden (9 ObA 36/10z; 9 ObA 139/09w). Diese Entscheidungen lagen jedoch bei Zulassung der ordentlichen Revision durch das Berufungsgericht noch nicht vor. Die Revision der Beklagten ist auch berechtigt.

Seit der Entscheidung 8 ObA 163/98y (= ZAS 1999/18 [ Pernkopf ] = SZ 72/17 ua) geht die einhellige Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0111429 ua) in Übereinstimmung mit der in der Entscheidung zitierten herrschenden Lehre dahin, dass bei ununterbrochen fortdauernder krankheitsbedingter Arbeitsverhinderung mit Beginn des nächsten Arbeitsjahres ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch auch dann entsteht, wenn der Arbeitnehmer zuerst wegen Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs kein Entgelt mehr erhalten hatte. Dieser Rechtsprechung lagen jedoch immer fortdauernde, das heißt im relevanten Beurteilungszeitraum noch nicht beendete Arbeitsverhältnisse zu Grunde.

Wird der Arbeitnehmer während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 EFZG gekündigt, ohne wichtigen Grund vorzeitig entlassen oder trifft den Arbeitgeber ein Verschulden an dem vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers, so bleibt gemäß § 5 EFZG der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die nach diesem Bundesgesetz vorgesehene Dauer bestehen, wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet.

Diese Regelung soll verhindern, dass sich der Arbeitgeber von der Pflicht zur Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer dadurch befreit, dass er während der Arbeitsverhinderung das Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder ungerechtfertigte Entlassung löst; der Anspruch auf Entgeltfortzahlung soll so auch über die rechtliche Dauer des Arbeitsverhältnisses hinaus gewahrt werden. Für die Frage der Entgeltleistung wird in diesem Fall die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses ohne den Hinderungsgrund fingiert, die vereinbarte Leistung gilt als geleistet. Sonst könnte der Arbeitgeber über den Kündigungszeitpunkt bzw den Zeitpunkt der Entlassung zeitlich hinausgehende Ansprüche des Arbeitnehmers zunichte machen (RIS-Justiz RS0109426 ua).

Zu 9 ObA 115/05k hatte sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage auseinanderzusetzen, ob im Fall, dass ein Arbeiter während des Krankenstands gekündigt wird und ein neues Arbeitsjahr zwar erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, aber noch während des fortdauernden Krankenstands beginnt, ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht. Der Oberste Gerichtshof bejahte diese Frage. Der Schutzzweck des § 5 EFZG gebiete auch dann das Entstehen eines neuen Entgeltfortzahlungsanspruchs, wenn das Arbeitsverhältnis noch im alten Arbeitsjahr, aber während eines fortdauernden Krankenstands geendet habe, und wenn die Fortzahlungszeiträume des alten und (fiktiven) neuen Arbeitsjahres ineinander übergreifen.

Diese Entscheidung stieß ganz überwiegend auf Kritik, die den erkennenden Senat in mittlerweile zwei Entscheidungen (zunächst zu 9 ObA 36/10z, dann zu 9 ObA 139/09w) veranlasste, von der zu 9 ObA 115/05k eingenommenen Position Abstand zu nehmen. Gerade die im Ergebnis zustimmende Meinung Kallabs (in DRdA 2007/24) zeigt deutlich auf, dass eine Eingrenzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs bei arbeitsjahr-übergreifendem Krankenstand auf ineinander übergreifende Fortzahlungszeiträume aus dem Gesetz nicht ableitbar ist. Bei näherer Betrachtung überzeugt aber auch das Argument nicht, dass der Gesetzgeber trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Fall des mehrjährig fortdauernden Krankenstands für ein immer wieder neues Aufleben des Entgeltfortzahlungsanspruchs in Kauf nehmen wollte (9 ObA 36/10z). Die Kritik Eypeltauers (Kündigung durch den Arbeitgeber während des Krankenstands, in ecolex 2011 145, 146 f) an dieser Judikaturwende überzeugt nicht. Der Autor wirft dem Obersten Gerichtshof zwar vor, sich mit dem Gesetzeswortlaut der §§ 5 EFZG, 9 Abs 1 AngG nicht ausreichend auseinandergesetzt zu haben, unterlegt aber seinerseits diesen Bestimmungen eine Absicht des Gesetzgebers, die de lege lata nicht zu vertreten ist.

Es ist daher daran festzuhalten, dass § 5 EFZG grundsätzlich davon ausgeht, dass ein Krankenstand der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während der Dauer der Arbeitsverhinderung nicht entgegensteht. Dem kranken Arbeitnehmer soll aber der volle Anspruch auf Ausschöpfung des nicht verbrauchten Kontingents an Entgeltfortzahlung aus dem laufenden Arbeitsjahr auch dann gewahrt bleiben, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung erfolgt. Endet jedoch das Arbeitsverhältnis vor Beginn des neuen Arbeitsjahres und kann daher kein neues Arbeitsjahr zu laufen beginnen, gibt § 5 EFZG trotz fortdauernden Krankenstands keine geeignete Grundlage ab, einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 2 Abs 1 EFZG entstehen zu lassen (9 ObA 36/10z; 9 ObA 139/09w).

Der Revision der Beklagten ist daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen sind im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Entscheidung über den Zuspruch der verzeichneten Aufwandersätze gründet sich auf § 58a ASGG iVm §§ 41, 50 ZPO, diejenige über den Ersatz der Pauschalgebühr für die Berufung sowie der Kosten des Revisionsverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.