OGH vom 13.09.2019, 10ObS36/19w

OGH vom 13.09.2019, 10ObS36/19w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer, sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Robert Galler und Dr. Rudolf Höpflinger, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-HillegeistStraße 1, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 122/18z22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 18 Cgs 85/17h18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin arbeitet seit laufend als teilzeitbeschäftigte Pflegehelferin im Ausmaß von 75 % einer Vollzeitbeschäftigung in einem Seniorenheim. Strittig ist im Revisionsverfahren noch, ob die Tätigkeit der Klägerin im Zeitraum bis Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV, BGBl II 2006/104 (novelliert mit BGBl II 2013/201) war (die Monate Oktober 2007, August 2009, Jänner und Mai 2011, Mai 2012 und September 2016 wurden bereits rechtskräftig als Schwerarbeitsmonate nach § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV festgestellt).

Das Seniorenheim, in dem die Klägerin tätig ist, verfügt über 76 Betten. Die Bewohner beziehen Pflegegeld der Stufen 1 bis 7; etwa 40 % der Bewohner sind dement, wobei der Ausprägungsgrad der Demenz nicht feststeht.

Die Arbeit wird in Schichten mit 5,5 und mit 11,5 Stunden (eine halbe Stunde wird standardmäßig als gesetzliche Ruhepause abgezogen) eingeteilt; es sind auch Nachtdienste zu leisten, die von 18:30 bis 6:30 Uhr dauern und von zwei Pflegehilfskräften verrichtet werden.

Ein Tagdienst der Klägerin gestaltete sich – zusammengefasst – folgendermaßen:

Beim Arbeitsbeginn um etwa 6:15 Uhr erfolgte die Dienstbesprechung mit Arbeitseinteilung und Dienstübergabe. Nach dem Aufwachen der Bewohner wurden diese gepflegt (Körperpflege, Inkontinenzpflege, Toilettengang, Einlagenwechsel, Hautpflege, Ankleiden, etc) und – mit Rollstuhl bzw Gehhilfe – in den Aufenthalts- bzw Frühstücksraum transferiert. Dort wurden Frühstück und Medikamente bereitgestellt, wobei teilweise auch die Eingabe des Essens notwendig war; anschließend wurde die Medikamenteneinnahme kontrolliert bzw verwaltet. In weiterer Folge wurde das Bett kontrolliert, das häufig zur Gänze abgezogen werden musste; Badeutensilien mussten erneuert werden, es wurden frische Einlagen, Pflegecremen und sonstiger medizinischer Bedarf bereitgestellt und die Zimmer aufgeräumt. Danach war die Klägerin auch bei sterbenskranken Palliativpatienten beschäftigt, die vermehrt betreut wurden. Über den Vormittag verteilt wurde die Dokumentation geführt (Planung individueller Pflege, Krankengymnastik, Ergotherapie, Musiktherapie, Krankenhaustransporte etc). Nach dem Mittagessen, bei dem auch die Flüssigkeitsbilanz kontrolliert und dokumentiert wurde, wurden die Bewohner weiter betreut, aber auch die Dokumentation weitergeführt und Pflegeprobleme mit anderen Pflegepersonen besprochen. Während des Abendessens wurden Pflegeutensilien nachgefasst und der Wäschewagen angefüllt. Danach wurden die Bewohner weiter gepflegt und auch ins Bett begleitet sowie die Dokumentation weiter erfasst. Schlussendlich wurde der Wäschewagen aufgefüllt für den Nachtdienst; die Zimmer wurden kontrolliert und dann wurde der Dienst übergeben.

Die Tätigkeit der Klägerin an den Patienten war nicht nach Pflegegeldstufen zu trennen. Aus Sicht der Pflegedienstleitung war es notwendig, dass jede Pflegekraft mit jedem Patienten – egal welcher Pflegegeldstufe – arbeiten kann, was auch die Pflege der schwerkranken Patienten mit einschloss. Es steht nicht fest, dass die Klägerin aufgrund ihrer persönlichen Eignung mehr bei den schwierigeren Patienten eingesetzt war. Es steht nicht fest, wie anstrengend die Pflege eines Patienten einer bestimmten Pflegegeldstufe ist. Die manuelle Arbeit ist bei Personen mit den Stufen 5 bis 7 anstrengender als bei anderen Patienten.

Im Jahresdurchschnitt bezog folgender Anteil der Bewohner Pflegegeld der Stufen 5–7:

Jahr%

2006 21,862

2007 18,992

200820,072

200923,086

2010 25,792

2011 27,672

2012 27,449

2013 24,058

2014 30,023

2015 33,217

2016 33,980

201735,689

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin auf Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum bis ab, dies ua auch gemäß § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung der genannten Zeiten als Schwerarbeitszeiten. Sie sei aufgrund ihrer Erfahrung und körperlichen Fähigkeiten überwiegend, zumindest zu 75 % ihrer Arbeitstätigkeit, und regelmäßig bei der Betreuung von Patienten der Pflegestufe 5 oder höher eingesetzt gewesen.

Dem hielt die Beklagte entgegen, dass die von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten nicht den Anforderungen des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV genügten, nur ca ein Drittel der Heimbewohner hätten die Pflegestufen 5 bis 7 erreicht.

Das Erstgericht stellte fest, dass die Klägerin in den Monaten Oktober 2007, August 2009, Jänner und Mai 2011, Mai 2012 und September 2016 Schwerarbeitsmonate gemäß § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV erworben hat. Im Umfang dieser Feststellung erwuchs seine Entscheidung unangefochten in Rechtskraft.

Das Mehrbegehren auf Feststellung von weiteren Schwerarbeitszeiten im Zeitraum bis wies das Erstgericht ab. Es verneinte die Voraussetzungen des Vorliegens von Schwerarbeit gemäß § 1 Abs 1 Z 1 und Z 4 SchwerarbeitsV für diese Monate. Zu § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV führte es aus, dass nur zwischen 21,86 % (2006) und 35,68 % (2017) der Heimbewohner die Pflegegeldstufen 5 bis 7 erreichten. 40 % der Patienten seien dement, allerdings stehe der Grad der Demenz nicht fest. Die SchwerarbeitsV habe Einrichtungen im Auge, welche sich intensiv mit Palliativmedizin bzw mit der Pflege und Betreuung von Schwerstkranken bzw sterbenden Menschen beschäftige, dazu könne ein Seniorenheim nur ausnahmsweise gehören. Die unmittelbare Pflege an schwer dementen Menschen mit Pflegestufe 5 oder mehr sei von der Klägerin zeitlich gesehen nicht überwiegend erbracht worden, sodass Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV nicht vorliege.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen den klageabweisenden Teil des erstgerichtlichen Urteils erhobenen Berufung nicht Folge. Die Klägerin habe nach den Feststellungen an allen Arbeitstagen – ungeachtet der von ihr jeweils zu verrichtenden Arbeitsschichten – mindestens vier Stunden gearbeitet, sodass sie auch als Teilzeitbeschäftigte nach der Rechtsprechung Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV verrichten könne. Es genüge jedoch nicht, wenn sie regelmäßig auch Menschen mit Pflegegeldstufe 5 oder mehr zu pflegen habe. Vielmehr setze die Qualifikation als Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV voraus, dass die besonders belastende Tätigkeit nahezu ausschließlich erbracht werde, dies mindestens an 15 Tagen jeweils in zeitlichen Blöcken von mindestens vier Stunden pro Tag. Wechsle hingegen – wie im vorliegenden Fall – die Pflege von Menschen mit besonderem Pflegebedarf mit der Pflege von Menschen mit „geringerem“ Pflegebedarf während der Tätigkeit ab, erreiche die damit verbundene psychische Belastung nicht jenes Ausmaß, das für die Qualifikation als Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV erforderlich sei. Die Revision an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, dass die Voraussetzungen der Qualifikation einer Tätigkeit als Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV durch höchstgerichtliche Rechtsprechung nicht abschließend geklärt erscheine.

Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Beklagten nicht beantwortete Revision der Klägerin, mit der sie die Stattgebung des Klagebegehrens anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin führt unter Berufung auf die Entscheidung 10 ObS 116/17g SSV-NF 31/50, aus, dass es ausreiche, dass sie in den hier zu beurteilenden Zeiten neben der Pflege von Menschen mit geringerem Pflegeaufwand regelmäßig Menschen gepflegt habe, die einen erhöhten Behandlungs- und Pflegebedarf haben. Eine zwingende Quantifizierung des notwendigen Ausmaßes der Pflege sei auch überhaupt nicht notwendig: Es komme nicht auf die Arbeitsdauer, sondern auf die psychische Belastung durch die Pflegetätigkeit an. Dazu ist auszuführen:

1.1§ 607 Abs 14 ASVG und § 4 Abs 4 APG definieren Schwerarbeit im Wesentlichen in gleicher Weise mit „Tätigkeiten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht wurden“ bzw unter „psychisch oder physisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen“. Nach beiden Bestimmungen soll die Festlegung, welche Tätigkeiten als Schwerarbeit gelten, durch Verordnung erfolgen.

1.2§ 1 Abs 1 SchwerarbeitsV lautet auszugsweise:

„§ 1 (1) Als Tätigkeiten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht werden, gelten alle Tätigkeiten, die geleistet werden

5. zur berufsbedingten Pflege von erkrankten oder behinderten Menschen mit besonderem Behandlungs- oder Pflegebedarf, wie beispielsweise in der Hospiz- oder Palliativmedizin, …“

2.1 Der Tatbestand des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV stellt nicht auf eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit ab, sondern knüpft an die psychische Belastung an, die sich aus dem besonderen Behandlungs- oder Pflegebedarf schwerstkranker Menschen in besonders schwierigen Lebenssituationen ergibt (10 ObS 23/16d, SSV-NF 30/30; 10 ObS 30/16h). Die Klägerin ist, worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat, auch als Teilzeitkraft im konkreten Fall nicht von der Möglichkeit der Erfüllung des Tatbestands des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV ausgeschlossen (10 ObS 23/16d).

2.2 Der Gesetzgeber verfolgt die Absicht, nicht jede Art von schwerer Arbeit schlechthin, mag sie auch psychisch belastend sein, sondern nur bestimmte Formen von besonders belastender Schwerarbeit zu berücksichtigen (10 ObS 149/12b, SSV-NF 26/86; 10 ObS 151/14z, SSV-NF 29/14; 10 ObS 2/15i, SSV-NF 29/8). Als Schwerarbeit im Sinn des § 4 Abs 4 APG,§ 607 Abs 14 ASVG gilt daher nicht jede berufsbedingte Pflegetätigkeit, sondern nur eine solche im Rahmen der „Pflege von erkrankten oder behinderten Menschen mit besonderem Behandlungs- oder Pflegebedarf, wie beispielsweise in der Hospiz- oder Palliativmedizin“ (§ 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV). Eine gewisse nähere Determinierung dafür, wie der Verordnungsgeber diese sehr allgemein gehaltene Definition der Belastung konkretisiert haben will, findet sich in den Erläuternden Bemerkungen zur Verordnung (abgedruckt bei Pöltner/Pacic, ASVG [96. Erg-Lfg], Anhang SchwerarbeitsV Anm 10):

„§ 1 Abs. 1 Z 5 des Entwurfes erfasst die hospiz- oder palliativmedizinische Pflege von Schwerstkranken und die Betreuung von Pfleglingen mit einem Pflegebedarf zumindest der Stufe 5 nach § 4 Abs. 2 des Bundespflegegeldgesetzes. Dabei handelt es sich um pflegebedürftige Personen, deren Pflegebedarf durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich beträgt, wenn ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand erforderlich ist. Davon umfasst ist u.a. auch die Pflege von Demenzerkrankten im geriatrischen Bereich“.

Der Verordnungsgeber gibt hier einen deutlichen Hinweis, dass bei der Beurteilung von Schwerarbeit nach § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV auf Regelungen des BPGG (zB „außergewöhnlicher Pflegeaufwand“) zurückgegriffen werden kann. Der Hinweis auf die Pflege von Demenzerkrankten im geriatrischen Bereich zeigt, dass die Qualifikation als Schwerarbeit aber nicht von der Betreuung von Personen abhängt, die zumindest Pflegegeld der Stufe 5 beziehen.

2.3 In diesem Sinn kann festgehalten werden, dass § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV für die Beurteilung des zur Verwirklichung von Schwerarbeit im Sinne des Gesetzes erforderlichen Ausmaßes der psychischen Belastung an einen „besonderen Behandlungs- oder Pflegebedarf“ der gepflegten Personen anknüpft. Gerade dieser besondere Behandlungs- und Pflegebedarf wird dann verwirklicht, wenn die gepflegte Person die Voraussetzungen für den Anspruch zumindest auf Pflegegeld der Stufe 5 nach § 4 Abs 2 BPGG erfüllt (10 ObS 149/12b SSV-NF 26/86; 10 ObS 30/19p; siehe auch Milisits, Schwerarbeitsverordnung [2007], die die Pflegegeldstufen 4 und 5 als Richtwert heranzieht). Auf den faktischen Bezug von Pflegegeld durch die betreute Person kommt es dabei nicht an (Rainer/Pöltner in SV-Komm [166. Lfg] § 4 APG Rz 177).

2.4 Zur Frage 40, was unter besonderem Behandlungs- oder Pflegebedarf gemäß § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV zu verstehen sei, gibt der von den Krankenversicherungsträgern in Zusammenarbeit mit dem BM für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz und der beklagten Pensionsversicherungsanstalt erarbeitete „Fragen-Antworten-Katalog“ zur SchwerarbeitsV (abrufbar über https://www.pensionsversicherung.at/cdscontent/load?contentid=10008.577695) folgende Antwort:

„Auf bestimmten Stationen wie zB der Palliativ- oder Hospizmedizin wird ein solcher vorliegen.

Grundsätzlich wird ein erhöhter Pflegeaufwand vorliegen, wenn Pflege notwendig ist, wie sie ab der Pflegestufe 5 nach dem Bundespflegegeldgesetz erforderlich ist.“

2.5 Die Orientierung an Pflegegeldstufen kann nur einen Anhaltspunkt für die Beurteilung des Ausmaßes an psychischer Belastung bilden. Dies zeigt nicht nur der Umstand, dass der Verordnungswortlaut nicht explizit darauf abstellt und die Erläuternden Bemerkungen Fälle anführen, die sich nicht Pflegegeldstufen zuordnen lassen. Auch die Antwort auf Frage 37 des „Fragen-Antwort-Katalogs“ zur SchwerarbeitsV (siehe unten 3.2) ist in diesem Licht zu sehen. Dazu kommt, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens von § 607 Abs 14 ASVG und § 4 Abs 4 APG bzw § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV mit ein (bei Erfüllung auch der zeitlichen Komponente) den Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5 begründender „außergewöhnlicher Pflegeaufwand“ laut § 6 der EinstufungsV 1999 zum BPGG dann vorlag, „wenn die dauernde Bereitschaft, nicht jedoch die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich ist“. Es liegt auf der Hand, dass diese Qualifikation nicht zwingend auf besonders belastende Bedingungen schließen lässt.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 10 ObS 149/12b SSV-NF 26/86 ausführlich dargelegt hat, kann aber die Pflegegeldeinstufung – neben anderen dort genannten Elementen – ein Indiz für die psychische Belastung bilden.

In dieser Entscheidung wurde weiters aus der Verwendung des Begriffs „berufsbedingte Pflege“ in § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV abgeleitet, dass der Verordnungsgeber als Indikator für das besondere Ausmaß an psychischer Belastung auch den bei Durchführung der Pflege gegebenen unmittelbaren Kontakt mit den Patienten und deren besonders schwieriger Lebenssituation erachtete (10 ObS 116/17g SSV-NF 31/50), was durch den in den Erläuterungen zur SchwerarbeitsV enthaltenen Hinweis auf die Pflege demenzkranker Menschen deutlich wird (abgedruckt bei Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG [96. ErgLfg], Anh SchwerarbeitsV, Anm 10).

3.1 Wie auch im konkreten Fall ist es denkbar, dass innerhalb einer Einrichtung (einer Station) Menschen mit unterschiedlichem Pflegebedarf (zB mit unterschiedlichen Pflegegeldstufen) beruflich zu pflegen sind. Auch in diesem Fall kann Schwerarbeit vorliegen (Milisits, Neueste OGH- und EuGH-Judikatur Bereich „Sozialversicherung“, ZAS 2009/18, 102 [104]). Darauf nehmen Frage und Antwort 37 (in 10 ObS 116/17g noch: 35) des „Fragen-Antworten-Katalogs“ zur SchwerarbeitsV Bezug, die von der Revisionswerberin für ihren Standpunkt zitiert werden (näher dazu 10 ObS 30/19p).

3.2Frage 37 lautet:

„Im Pflegebereich (Z 5) stellt sich die Frage, ob auch bei der Betreuung unterschiedlicher Pflegestufen insgesamt Schwerarbeit vorliegt oder ob die Überschreitung der notwendigen Pflegestufenhöhe jeden einzelnen Monat vorliegen muss?“.

Die Antwort auf diese Frage lautet:

„Die Pflegestufe ist kein Kriterium bei der Beurteilung, ob Schwerarbeit vorliegt.

Im Pflegebereich gilt folgender Grundsatz:

Schwerarbeit liegt vor, wenn die Pflege im Rahmen einer Berufsausübung durch entsprechend qualifiziertes (Pflege)Personal geleistet wird, wobei regelmäßig Personen gepflegt werden müssen, die über einen erhöhten Behandlungs- oder Pflegebedarf verfügen. Beispiele sind hier die Pflege von Schwerstkranken, von Demenzerkrankten und Pfleglingen mit einem Pflegebedarf zumindest der Stufe 5 des Bundespflegegeldgesetzes (das entspricht einem Pflegeaufwand von durchschnittlich mehr als 180 Stunden im Monat). Die ambulante Pflege ist der stationären Pflege gleich gestellt.

Schwerarbeit liegt demnach auch bei der Pflege von Pfleglingen mit unterschiedlichem Pflegeaufwand vor, wenn (in der Einrichtung, auf der betroffenen Station) regelmäßig Personen gepflegt werden müssen, die über einen erhöhten Behandlungs- oder Pflegebedarf verfügen.“

3.3 Diese Ansicht ist jedoch im Lichte der obigen Ausführungen unter 2.5 zu sehen, dass die Pflegegeldeinstufungen der betreuten Personen – neben anderen Elementen, wie speziell den in § 4 Abs 5 und 6 BPGG genannten pflegeerschwerenden Faktoren – ein gewisses Indiz für die psychische Belastung bilden kann.

4.1 Werden unterschiedliche Tätigkeiten ausgeübt, so kommt es nach der Rechtsprechung auf das (zeitliche) Überwiegen der Ausübung berufsbedingter Pflegetätigkeiten unmittelbar am Patienten an.

4.2 In 10 ObS 149/12b lag keine Schwerarbeit vor, weil die an einer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendchirurgie als Intensiv-(Stations-)Schwester tätige Klägerin nicht überwiegend Pflegetätigkeiten unmittelbar am Patienten erbrachte, sondern Führungsaufgaben (Mitarbeitergespräche, Planungs-, Organisations-, Kontrolltätigkeiten) im Vordergrund standen.

4.3 Die als Pflegehelferin in der orthopädischen Abteilung eines Landesklinikums tätige Klägerin in 10 ObS 151/14z erwarb ua auch deshalb keine Schwerarbeitszeiten, weil nicht feststand, dass von ihr Tätigkeiten in der Hospiz- oder Palliativmedizin ausgeübt wurden und dass es sich bei dem überwiegenden Teil der Patienten regelmäßig um Personen gehandelt hätte, deren monatlicher Pflegebedarf 180 Stunden überschritten hätte bzw bei denen ein besonderer oder außergewöhnlicher Pflegeaufwand gegeben gewesen wäre (ähnlich für die als Pflegehelferin in der chirurgischen Abteilung eines Landesklinikums tätige Klägerin in 10 ObS 2/15i).

4.4 In der Entscheidung 10 ObS 116/17g bestanden die Tätigkeiten des Klägers als in einer Werkstätte eingesetzter Behindertenbetreuer nicht überwiegend in Pflegetätigkeiten unmittelbar am Patienten, sondern in erster Linie in der Betreuung und Kontrolle behinderter Personen im Zusammenhang mit deren Beschäftigungstherapie bei der Durchführung diverser kleinerer Montagearbeiten, weshalb er keine Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV ausübte. In dieser Entscheidung sprach der Oberste Gerichtshof entgegen der von der Revisionswerberin vertretenen Ansicht nicht aus, dass eine bloß „regelmäßige“ berufsbedingte Pflege von Menschen mit erhöhtem Pflegeaufwand zur Verwirklichung dieses Tatbestands genüge. Vielmehr hielt er – wie schon in 10 ObS 149/12b ausdrücklich fest, dass die unmittelbare Pflege am Menschen – zeitlich gesehen – überwiegend erbracht werden muss, damit Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV vorliege. Daran hielt der Oberste Gerichtshof im Fall eines ebenfalls als Behinderten-Fachbetreuers tätigen Klägers in der Entscheidung 10 ObS 30/19p ausdrücklich fest (Pkt 3.3 und 3.4 dieser Entscheidung; RS0132681).

5.1 Werden – wie im vorliegenden Fall – in einer Einrichtung berufsbedingt Menschen mit unterschiedlichem besonderen Behandlungs- oder Pflegebedarf im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV gepflegt, so genügt es nach den dargestellten Intentionen des Gesetzgebers und der Rechtsprechung nicht, dass bloß „regelmäßig“ auch Menschen mit besonderem Behandlungs- oder Pflegebedarf gepflegt werden.

5.2 Die berufliche Pflegetätigkeit für Menschen mit unterschiedlichem besonderen Behandlungs- oder Pflegebedarf ist demnach nur dann Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV, wenn diese Pflege an Menschen mit dem besonderen Behandlungs- und Pflegebedarf entweder zeitlich gesehen überwiegend erbracht wird (zuletzt 10 ObS 30/19p), oder sich das Überwiegen der im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV qualifizierten berufsbedingten Pflege aus der Anzahl der zu pflegenden Patienten mit besonderem Behandlungs- und Pflegebedarf in der Einrichtung (Station) ergibt (Brandstetter/Prohaska, Berufsbedingte Pflege - Schwerarbeit? ÖZPR 2016/98, 164 [165] mwH). Diese Voraussetzungen sind jeweils im konkreten Einzelfall zu prüfen.

5.3Ergebnis: Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV liegt im Fall der berufsbedingten Pflege von erkrankten oder behinderten Menschen mit unterschiedlichem besonderen Behandlungs- oder Pflegebedarf nur dann vor, wenn die Pflegetätigkeit unmittelbar an erkrankten oder behinderten Menschen mit besonderem Behandlungs- oder Pflegebedarf im Sinn dieser Bestimmung entweder zeitlich oder nach der Anzahl der zu pflegenden Menschen mit besonderem Pflegeaufwand in einer Einrichtung überwiegt.

6.1 Ausgehend davon haben die Vorinstanzen das Klagebegehren im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen weder zeitlich noch nach der Anzahl der Patienten im erforderlichen Maß überwiegend Menschen mit besonderem Behandlungs- und Pflegebedarf im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV im hier zu beurteilenden Zeitraum berufsbedingt gepflegt. Einer Auseinandersetzung mit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin müsse als Teilzeitkraft nahezu ausschließlich Menschen mit besonderem Behandlungs- und Pflegebedarf pflegen, um Schwerarbeit zu leisten, bedarf es im konkreten Fall daher nicht.

6.2 Die festgestellte Arbeitstätigkeit der Klägerin ist daher zweifellos schwer und mit psychischer Belastung verbunden, sie fällt dennoch nicht unter den Begriff der Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00036.19W.0913.000

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