OGH vom 08.10.2008, 9ObA58/08g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Manuel D*****, gegen die beklagte Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Kapp Rechtsanwalts GmbH in Graz, wegen 16.877,80 EUR brutto sA, über die (als außerordentlicher Revisionsrekurs bezeichnete) außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 101/07w-27, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1) Der geltend gemachte Mangel des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, die Tatsachenrüge der Beklagten sei nicht gesetzmäßig ausgeführt worden, in keineswegs unvertretbarer Weise begründet. Im Übrigen hat es sich ohnedies mit den von der Beklagten bekämpften Feststellungen auseinandergesetzt; es hat sie aber unter Hinweis auf die Ergebnisse des Beweisverfahrens gebilligt.
2) Auf die in der Revision kritisierte Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Aufnahme der vom Kläger verzeichneten Überstunden in eine Zeitliste (bzw hier in eine Datei) des Dienstgebers als deklaratives Anerkenntnis zu werten sei, das die Verjährungs- und die Verfallsfrist unterbreche, kommt es gar nicht an. Der Einwand des Verfalls ist nämlich aus folgenden, schon vom Erstgericht angestellten Überlegungen verfehlt:
Nach § 19 Z 2 des hier anzuwendenden Kollektivvertrags für das holz- und kunststoffverarbeitende Gewerbe müssen alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis mit Ausnahme des reinen Lohnanspruchs innerhalb von vier Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht werden. Nach § 19 Z 4 des Kollektivvertrags sind Ansprüche, die zwar rechtzeitig, aber erfolglos geltend gemacht wurden, innerhalb von 18 Monaten seit der ersten Geltendmachung gerichtlich anhängig zu machen, widrigenfalls sie verwirkt sind.
Hier haben - was die Revisionswerberin völlig außer Acht lässt - die Parteien vereinbart, dass die vom Kläger geleisteten Überstunden durch Zeitausgleich abgegolten werden sollen. Auf Zeitausgleichsguthaben, die ja der Arbeitnehmer (zunächst) nicht nach eigenem Gutdünken verbrauchen kann, sind aber die von der Revisionswerberin ins Treffen geführten Verfallsbestimmungen nicht anzuwenden, was sich schon daraus ergibt, dass vor einer entsprechenden Vereinbarung zwischen den Parteien oder einer Vorgangsweise iSd § 19f Abs 2 AZG von einem „fälligen" Anspruch nicht gesprochen werden kann.
Nach der Rechtsprechung zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des mit BGBl I 1997/46 eingeführten § 19f Abs 2 AZG hat sich das Zeitguthaben des Arbeitnehmers erst dann wieder in einen Geldanspruch umgewandelt, wenn feststand, dass die von den Parteien vereinbarungsgemäß erwartete Verrechnung des Guthabens durch Zeitausgleich nicht mehr möglich sein wird, regelmäßig also erst mit Ende des Arbeitsverhältnisses. Erst mit diesem Zeitpunkt hat daher die Verfallsfrist zu laufen begonnen (Arb 11.015 ua).
Mit seiner Entscheidung 9 ObA 114/03k ist der Oberste Gerichtshof unter Hinweis auf das Inkrafttreten des § 19f Abs 2 AZG von seiner früheren Rechtsprechung abgegangen. Nach dieser Bestimmung (in der auch hier noch anwendbaren Fassung vor der Novelle BGBl I Nr 2007/61) kann der Arbeitnehmer bei Überstundenarbeit, für die Zeitausgleich gebührt, ohne dass der Zeitpunkt des Ausgleichs im Vorhinein vereinbart worden wäre, wenn der Ausgleich nicht binnen 13 Wochen gewährt wird, binnen einer weiteren Woche bekannt gegeben, dass er den Zeitpunkt des Ausgleichs zu einem späteren Zeitpunkt einseitig bestimmen wird. Mangels einer solchen Bekanntgabe ist die Überstunde gemäß § 10 Abs 1 Z 1 und Abs 3 AZG abzugelten. Die Frist von 13 Wochen beginnt, wenn - wie offenkundig auch hier - kein Durchrechnungszeitraum im Sinn des § 4 Abs 6 AZG vereinbart wurde, gemäß § 19f Abs 2 Z 2 AZG, sobald ein Anspruch auf Zeitausgleich von 30 Stunden entstanden ist, spätestens jedoch nach einem Jahr. Wurde somit der Zeitpunkt des Zeitausgleichs - wie dies hier offenkundig der Fall war - nicht im Vorhinein vereinbart, und kommt es nicht innerhalb von 13 Wochen zu einem Verbrauch, kann der Arbeitnehmer binnen einer weiteren Woche dem Arbeitgeber mitteilen, dass er den Verbrauch des Zeitausgleichs einseitig bestimmen werde. Teilt er dies nicht mit, sind die Überstunden in Geld zu vergüten (Grillberger, AZG2, 165; 8 ObA 35/04m; 9 ObA 114/03k; 8 ObS 93/02p). Der Arbeitnehmer kann daher nach Ansammeln von zumindest 30 Überstunden nach 13 Wochen den Verbrauch des Guthabens einseitig bestimmen oder nach Verstreichen einer weiteren Woche auf die Auszahlung des auf die Überstunden entfallenden Entgelts bestehen. Dies bedeutet aber, dass nach dem jeweiligen Ansammeln von 30 Überstunden und dem Verstreichen von insgesamt 14 Wochen mangels einseitiger Bestimmung des Verbrauchs des Guthabens durch den Arbeitnehmer die darauf entfallenden Entgeltansprüche fällig werden (8 ObA 35/04m; 9 ObA 114/03k). Trotz dieser „Rückumwandlung" des Zeitguthabens in einen fälligen Geldanspruch schon während des Arbeitsverhältnisses erachtete der Oberste Gerichtshof kollektivvertragliche Verfallsbestimmungen, die sich auf Entgeltansprüche für Überstunden beziehen, auf die jeweils „rückumgewandelten" Entgeltforderungen als nicht anwendbar (8 ObA 35/04m; 9 ObA 114/03k). Die in den genannten Entscheidungen maßgebenden Verfallsbestimmungen tragen - wie auch die hier ins Treffen geführten Verfallsbestimmungen - der durch § 19f AZG bewirkten Änderungen der Rechtslage in keiner Weise Rechnung. Sie knüpfen an den normalen Ablauf der Dinge an, der dadurch gekennzeichnet ist, dass der Arbeitnehmer ohne Schwierigkeiten überprüfen kann, ob seine (für ihn aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs leicht überschaubaren) Ansprüche in der nächsten in Betracht kommenden Gehaltsabrechnung berücksichtigt wurden. Im Gefolge des § 19f Abs 2 AZG kommt bzw kam es nun aber laufend zur „Rückumwandlung" von Zeitausgleichsguthaben in fällige Entgeltansprüche. Damit wäre der Arbeitnehmer, der die Verfallsfrist einhalten will, gezwungen, nicht nur über sein sich aus dem Saldo von Überstundenleistung und Zeitausgleich ergebendes Zeitguthaben genau Buch zu führen; darüber hinaus müsste er die überaus komplizierten Fristenbestimmungen des § 19f Abs 2 Z 1 und 2 AZG nicht nur kennen sondern auch richtig anwenden, um den Zeitpunkt zu ermitteln, wann und in welchem Umfang er nun Geldansprüche geltend machen (oder den Zeitpunkt des Ausgleichs einseitig bestimmen) kann bzw muss. Dazu kommt, dass im Laufe der Zeit fortlaufende Überstundenleistungen neue Fristenläufe auslösen können, sodass es notwendig sein kann, für verschiedene Ansprüche parallele Berechnungen durchzuführen. Es kann daher nicht angenommen werden, dass die Kollektivvertragsparteien vom Arbeitnehmer zur Vermeidung des Verlustes von Ansprüchen ein ihn angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Fristen und der Kompliziertheit der maßgebenden Regelung wohl regelmäßig überforderndes Verhalten verlangen wollen. Dies muss umso mehr gelten, als die in Rede stehenden Verfallsbestimmungen im Fall der Vereinbarung der Abgeltung der Überstunden durch Zeitausgleich ja auch nach der früheren Rechtslage nicht zur Anwendung kamen. Wie schon das Erstgericht richtig erkannt hat, kann sich die Revisionswerberin daher auf die Verfallsbestimmung des § 19 Z 2 und 4 des Kollektivvertrags nicht mit Erfolg berufen.