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OGH vom 22.09.2020, 11Os66/20w

OGH vom 22.09.2020, 11Os66/20w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen resp. Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, Dr. BachnerForegger, Mag. Fürnkranz und Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen DI Reinholf F***** und weitere Beschuldigte wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach § 146, 147 Abs 3 StGB, AZ 28 St 10/19w der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (zuvor AZ 617 St 1/17z der Staatsanwaltschaft Wien), AZ 333 HR 122/17m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Erneuerungsantrag des belangten Verbands A***** GmbH in Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 20 Bs 197/19w (ON 584 der HRAkten), nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGHGeo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) führte zu AZ 28 St 10/19w ein – in weiterer Folge mit (zufolge Beschwerde nicht rechtskräftigem) Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 333 HR 122/17m-608 gemäß § 108 Abs 1 Z 2 StPO eingestelltes – Ermittlungsverfahren (u.a.) gegen den belangten Verband A***** GmbH wegen § 3 VbVG iVm § 146, 147 Abs 3 StGB.

Mit Beschluss vom , GZ 333 HR 122/17m-430, wies das Landesgericht für Strafsachen Wien einen Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 StPO) des belangten Verbands vom (ON 387) ab. Die A***** GmbH hatte darin eine Verletzung in ihren Rechten auf Akteneinsicht, „Verteidigung“, „faires Verfahren“ und „Waffengleichheit mit der Privatbeteiligten“ releviert, die sie in der einer Weisung der Oberstaatsanwaltschaft Wien (ON 372) entsprechenden Entnahme von Aktenstücken aus den Ermittlungsakten und deren Rückstellung an das Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV) erblickte.

Das Oberlandesgericht Wien als Rechtsmittelgericht gab der dagegen gerichteten Beschwerde (ON 435) mit Beschluss vom , AZ 20 Bs 197/19w, nicht Folge (ON 584).

Das Beschwerdegericht schloss sich ausdrücklich den Erwägungen des Erstgerichts an (BS 33), wonach durch die Rückstellung der vom BMLV unter ausdrücklichem Hinweis auf die Amtsverschwiegenheit gemäß Art 20 Abs 3 B-VG vorgelegten Aktenstücke, die sensible militärische Geheimnisse beinhalten sollen, deren Weitergabe an Dritte die öffentliche Sicherheit gefährden würde, subjektive Rechte der Einspruchswerberin nicht verletzt wurden. Hinweise dafür, dass durch die angesprochene Vorgangsweise das Recht auf ein faires Verfahren insgesamt verletzt worden sei, sah das Oberlandesgericht nicht (BS 36).

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich der – nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gestützte – (rechtzeitige) Antrag des belangten Verbands auf Erneuerung des Strafverfahrens, mit welchem dieser eine Verletzung von Art 6 Abs 1 MRK geltend macht.

Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag (RIS-Justiz RS0122228), bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und Art 35 MRK sinngemäß (RIS-Justiz RS0122737, RS0128394).

Demnach hat – weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein (Grabenwarter/Pabel, EMRK6§ 13 Rz 16) – auch ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS-Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0124359, RS0128393) und – soweit er (auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag – seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln (RIS-Justiz RS0125393 [T1]).

Den oben dargestellten Erfordernissen wird das gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien gerichtete Vorbringen nicht gerecht.

Der belangte Verband behauptet eine Verletzung von Art 6 Abs 1 MRK. Damit bezieht sich sein Antrag auf eine Konventionsgarantie, welche auf die Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage, also über Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten zielt und die demgemäß in der Hauptverhandlung oder im Rahmen der Urteilsanfechtung im Sinn des Art 13 MRK wirksam durchgesetzt werden kann. Indem der Antragsteller nicht nachvollziehbar darlegt, weshalb er – unter Berücksichtigung der Gesamtheit des in Rede stehenden Strafverfahrens – in einem Ermittlungsverfahren durch die Rückgabe klassifizierter Dokumente in seinen durch Art 6 MRK garantierten Verteidigungsrechten verletzt worden sein soll, legt er die Opfereigenschaft nicht deutlich und bestimmt dar.

Warum der Erneuerungswerber ungeachtet der Möglichkeit, in einem (allfälligen) Haupt- und Rechtsmittelverfahren die Beischaffung der zurückgestellten Aktenteile und Einsicht in dieselben zu begehren, Opfer im Sinn des Art 34 MRK sei, erklärt der Antrag nicht (RIS-Justiz RS0122737 [T17]; vgl 13 Os 67/16a mwN, 17 Os 19/16x; zum gegenständlichen Ermittlungsverfahren auch schon 11 Os 19/19g [11 Os 20/19d]).

Dass durch die behauptete Verkürzung von Rechten im Ermittlungsverfahren das reklamierte Grundrechtsziel eines zur Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage führenden fairen Verfahrens endgültig vereitelt worden wäre, wird im Erneuerungsantrag insoweit bloß unsubstantiiert behauptet (vgl aber RIS-Justiz RS0121366, RS0126370 [T4]): Denn die ins Treffen geführten Judikate des EGMR (Rowe and Davis vs UK; Matyjek vs Polen; Regner vs Tschechien) betrafen im Instanzenzug bestätigte Verurteilungen der jeweiligen Beschwerdeführer und ging es jeweils um einseitig beschränkte Akteneinsicht, nicht aber um keiner der Verfahrensparteien zur (weiteren) Verfügung stehende Unterlagen. Gleiches gilt für die Hypothese, dem belangten Verband sei nunmehr der Zugriff auf „möglicherweise entlastende Dokumente unwiederbringlich und auf Dauer verwehrt“ (zu solchen Spekulationen vgl aber EGMR , M. gg Niederlande Nr 2156/10).

Im Übrigen legt der Antrag nicht dar,

worin eine Verletzung der Waffengleichheit gelegen sein könnte, zumal der Staatsanwaltschaft (deren grundsätzlich ausschließliche Stoffsammlungskompetenz das Oberlandesgericht zutreffend betont [BS 34 f]) die von ihr entnommenen (vgl dazu RIS-Justiz RS0128957) Unterlagen ebenfalls nicht zur (weiteren) Verfügung standen,

aus welchem Grund eine sinnvolle Verteidigung verunmöglicht worden wäre (RISJustiz RS0132446, RS0130263) oder

welcher nachteilige Einfluss auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung erfolgt sein sollte (Art 35 Abs 3 lit b MRK; Reindl-Krauskopf, WK-StPO § 363a Rz 6; Meyer-Ladewig/Peters in Meyer-Ladewig/Nettesheim/Raumer, EMRK Handkommentar4, Art 35 Rz 55).

Soweit weiters kritisiert wird, § 76 Abs 2 StPO sei vorliegend nicht anwendbar und aufgrund einer vermeintlich planwidrigen Lücke des nationalen Prozessrechts die analoge Anwendung von § 112 StPO eingefordert wird, entzieht sich dieses Vorbringen einer inhaltlichen Erwiderung, weil Erneuerungsanträge auf eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle abzielen und andere Rechtsverletzungen bei der Behandlung dieses Rechtsbehelfs außer Betracht bleiben (RIS-Justiz RS0129606 va [T2]).

Der Antrag war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, aber entgegen der dazu erstatteten Äußerung der Erneuerungswerberin – bereits nach nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00066.20W.0922.000

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