OGH vom 07.03.2007, 13Os114/06y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp und Dr. T. Solé, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hinterleitner als Schriftführer in der Strafsache gegen Andreas H***** wegen des Verbrechens der versuchten Mitwirkung am Selbstmord nach §§ 15, 78 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom , GZ 33 Hv 162/05d-22, sowie über die Beschwerde gegen den zugleich gefassten Beschluss nach § 50 Abs 1 StGB nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Bauer und des Verteidigers Dr. Lang, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung und der Beschwerde wird nicht Folge gegeben. Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andreas H***** des Verbrechens der versuchten Mitwirkung am Selbstmord nach §§ 15, 78 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er „am bzw um den in F***** dadurch, dass er dem am geborenen Markus W***** auf dessen Verlangen hin 10 Stk. Limbitrol, 20 Stk. Buspar, 20 Stk. Dominal und 100 Stk. Truxal zum Preis von insgesamt 300 Euro übersandte und ihm dazu auch detaillierte Anweisungen zur Durchführung eines Selbstmordes unter Verwendung dieser Medikamente gab, versucht, Markus W*****, der im Juni 2004 unter Verwendung dieser Arzneimittel nach diesen Anweisungen einen Selbstmordversuch unternahm, dazu Hilfe zu leisten, sich selbst zu töten".
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Schuldspruch aus Z 5, 5a, 9 lit a und 9 lit b sowie 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.
Die Mängelrüge (Z 5) vermisst eine Begründung für die Urteilsannahmen, der Angeklagte sei bis zum ersten Quartal des Jahres 2005 unter dem Nicknamen „Schneemann" im Internetforum „forum.selbstmord.com" aufgetreten und habe dabei ernsthafte Anstrengungen unternommen, weitere Arzneimittel zu erwerben (US 3 f). Sie bezieht sich damit aber - entgegen den Erfordernissen einer erfolgreichen Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399) - auf keine schuld- oder subsumtionsrelevante Tatsache.
Gleiches gilt für das Vorbringen der Tatsachenrüge (Z 5a), die Tatrichter hätten sich nicht ausreichend mit dem - keine entscheidende Tatsache bildenden - Motiv für die Tat auseinandergesetzt. Mit dem Hinweis darauf, der Angeklagte sei von Markus W***** „regelrecht angebettelt und angefleht" worden, ihm die Medikamente zu übersenden, vermag die Beschwerde daher keine erheblichen Bedenken gegen die den Schuldspruch tragenden Feststellungen zu erwecken. Soweit sie meint, „die Berücksichtigung dieser wesentlichen Aspekte hätte dazu geführt, dass sich das Erstgericht mit den Bestimmungen der §§ 8 und 9 StGB auseinandergesetzt hätte", legt sie nicht nachvollziehbar dar, aufgrund welcher Verfahrensergebnisse dies indiziert gewesen wäre. Die in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) aufgestellte Behauptung, das Erstgericht gehe „irriger Weise davon aus, dass die Unmittelbarkeit zwischen dem Selbstmordversuch im Juni 2004 und der Übersendung der Medikamente im Februar 2004 vorliegt", lässt jegliche aus dem Gesetz abgeleitete Begründung vermissen, warum die zur Versuchsstrafbarkeit erforderliche - jedoch nicht mit Erfolgsnähe zu verwechselnde - Ausführungsnähe trotz der (durch Versenden der Anleitung zum Selbstmord und der dafür benötigten Arzneimittel) bereits vollendeten Tathandlung fallbezogen nicht bereits erreicht sein sollte (vgl Hager/Massauer in WK2 §§ 15, 16 Rz 26, 48; Fabrizy StGB9 § 12 Rz 11). Der Einwand, versuchte Hilfeleistung zum Selbstmord sei nicht strafbar, orientiert sich nicht an den Urteilsannahmen, wonach Markus W***** unter Verwendung der vom Angeklagten bezogenen Medikamente und nach dessen Anweisungen (US 4) einen Selbstmordversuch unternommen hat. Über die Berechtigung des Einwandes muss daher nicht abgesprochen werden.
Schließlich legt die Beschwerde nicht deutlich und bestimmt dar, warum Mitleid des Angeklagten mit dem „Betroffenen" der irrtümlichen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhaltes iSd § 8 StGB oder einem Rechtsirrtum nach § 9 StGB gleichzuhalten wäre.
Die vom Beschwerdeführer reklamierte Feststellung, dass er „nicht gewusst habe", dass seine Handlung, „strafbar" sei (Z 9 lit b), war insofern entbehrlich, als dem Angeklagten von den - erkennbar von einem solchen Wissensdefizit ausgehenden - Tatrichtern angelastet wurde, sich trotz seines seit August 2001 währenden Aufenthalts in Österreich und seiner intensiven Beschäftigung mit Selbstmord nicht mit den betreffenden Bestimmungen des österreichischen Strafrechts vertraut gemacht zu haben (§ 9 Abs 2 zweiter Fall StGB). Auch mit seinem Einwand, es könne ihm die mangelnde Auseinandersetzung mit der Gesetzeslage nicht vorgeworfen werden, ist er nicht im Recht. Die den Täter treffende Verpflichtung, sich mit den einschlägigen Vorschriften bekannt zu machen, ist unter Anlegung eines objektiv-subjektiven Doppelmaßstabes (Kienapfel/Höpfel AT12 Z 18 Rz 26 mwN; RIS-Justiz RS0089406) danach zu beurteilen, ob sich ein gewissenhafter und mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch in der Lage des Täters ebenso verhalten hätte. Davon ausgehend sind dem Angeklagten die versäumten Erkundigungen über die Rechtslage in Österreich, zu denen er nach seinen individuellen Verhältnissen befähigt war (US 7), zum einem schon wegen seiner eingehenden, die rechtlichen Konsequenzen jedoch ausblendenden Beschäftigung mit dem Thema Selbstmord zum Vorwurf zu machen. Zum anderen bedingt der besondere Stellenwert des verletzten Rechtsgutes entsprechend hohe Sorgfaltspflichten. Dem menschlichen Leben kommt als unverzichtbarem Rechtsgut ein vom Wertbewusstsein der Allgemeinheit eingeforderter besonders hoher Schutz- und Achtungsanspruch zu (vgl dazu Moos in WK2 § 78 Rz 3), sodass jegliches dieses Rechtsgut zur Disposition stellende Verhalten, somit auch die beabsichtigte Beteiligung an einer Selbsttötung, stets eine uneingeschränkte Erkundigungspflicht zur Folge hat. Soweit der Nichtigkeitswerber die irrtümliche Annahme einer Einwilligung des Markus W***** in eine Körperverletzung oder Gefährdung der körperlichen Sicherheit behauptet und sich in diesem Zusammenhang neuerlich auf § 8 StGB beruft, lässt er einerseits die gebotene Orientierung am festgestellten Urteilssachverhalt vermissen, dem ein solcher Irrtum nicht zu entnehmen ist, und legt andererseits nicht dar, warum sich eine solche allenfalls irrtümlich angenommene Einwilligung auch auf den im Anlassfall angestrebten Tötungserfolg erstrecken und dies rechtlich von Bedetung sein sollte. Mit dem - bloß Berufungsgründe geltend machenden (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 728) - Vorbringen der Sanktionsrüge (Z 11) ist der Angeklagte auf die Ausführungen zur Berufung zu verweisen.
Das Erstgericht verurteilte Andreas H***** nach § 78 StGB zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten.
Bei der Strafbemessung wertete es keinen Umstand als erschwerend. Als mildernd wurden die geständige Verantwortung des Angeklagten, seine eingeschränkte Dispositionsfähigkeit, der bisher ordentliche Lebenswandel sowie der Umstand, dass es beim Versuch blieb, berücksichtigt.
Zutreffend bringt die Berufung (wie schon unter Z 11) als weiteren Milderungsgrund vor, dass der Angeklagte die Tat - kurz - vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen hat (13 Os 38/04). Das auf Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 StGB gerichtete Vorbringen übersieht allerdings - ebenso wie das Erstgericht -, dass zufolge der Bestimmung des § 36 letzter Satz StGB ohnehin das Mindestmaß der Strafdrohung entfällt.
Trotz des Hinzutretens eines Milderungsgrundes erweist sich die über den Angeklagten verhängte Sanktion als dem Tatunrecht und der Täterschuld angemessen. Im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungserwägungen war nämlich zu berücksichtigen, dass das Verhalten des Angeklagten, der ohne eine medizinische oder psychologische Ausbildung zu haben, allein aufgrund einer „Internet-Ferndiagnose" zu einem Selbstmordversuch beigetragen hat, als besonders verantwortungslos zu werten ist und gegenüber deliktstypischen Fällen einen gesteigerten Handlungsunwert aufweist. Der von der Berufung ins Treffen geführten günstigen spezialpräventiven Prognose hat das Erstgericht durch Gewährung der bedingten Strafnachsicht Rechnung getragen.
Der Beschwerde gegen die - zugleich mit dem Urteil ausgefertigte (s aber Fabrizy StPO9 § 494 Rz 1) - beschlussmäßige Weisung, sich einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen, war nicht Folge zu geben, ist diese Behandlung doch medizinisch indiziert (S 67, 86/II). Im Übrigen hatte ihr der Angeklagte ausdrücklich zugestimmt (S 87/II).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.