OGH vom 29.11.2016, 9ObA53/16h

OGH vom 29.11.2016, 9ObA53/16h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Dr. Gerda Höhrhan Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C***** P*****, vertreten durch Mahringer Steinwender Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Christian Adam, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 125,46 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 2/16z 16, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 10 Cga 68/15w 9, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 186,46 EUR (darin 31,08 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten vom bis als Mietwagenfahrer in Vollzeit (173 Stunden im Monat) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war der Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw anwendbar. Der Bruttomonatslohn des Klägers betrug 1.207,11 EUR, der Bruttostundenlohn daher 6,98 EUR.

Die Beklagte betreibt ein Mietwagengewerbe und bietet insbesondere Flughafentransfers an. Die Zentrale der Beklagten befindet sich in der Stadt Salzburg, von wo aus der Kläger jeweils seinen Dienst mit Übernahme des Fahrzeuges begann und mit dessen Abstellen auch wieder beendete. Der Kläger holte hauptsächlich Fluggäste des Flughafens München von deren Wohnsitz in Salzburg oder in der Umgebung von Salzburg ab und chauffierte sie nach München bzw von dort wieder zurück nach Salzburg. In der Zeit zwischen den Transporten hatte der Kläger bis zum Rücktransport der nächsten Gäste Pause. In dieser Pausenzeit konnte er sich frei bewegen und über seine Pausenzeiten frei disponieren. Auch diese Zeiten entlohnte die Beklagte mit einem Stundenlohn von 6,98 EUR brutto. Ab und zu hatte der Kläger auch Dienst am Flughafenschalter der Beklagten in München zu versehen. Der Kläger verrichtete im Jänner 2015 in Deutschland tatsächlich Arbeit im Ausmaß von 50 Stunden und 52 Minuten. Die Zeiten der Rufbereitschaft betrugen 41 Stunden und 41 Minuten.

Der Kläger begehrt von der Beklagten 125,46 EUR brutto sA an restlichem Lohn. Für die von ihm im Jänner 2015 in Deutschland erbrachten Arbeitsleistungen im Ausmaß von 23,92 Normalarbeitsstunden und 39,08 Überstunden stehe ihm nach dem auch für Arbeitgeber mit Sitz in Österreich anwendbaren deutschen Mindestlohngesetz (MiLoG) ein Arbeitsentgelt von mindestens 8,50 EUR brutto je Zeitstunde (für die Überstunden mit einem Zuschlag von 50 %) zu.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und – soweit für das Revisionsverfahren relevant – die Anwendbarkeit des deutschen Mindestlohngesetzes auf das Arbeitsverhältnis des Klägers. Dieses greife in unzulässigerweise in die Dienstleistungsfreiheit ein. Im Übrigen habe der durchschnittliche Stundenlohn des Klägers gar nicht weniger als 8,50 EUR betragen. Dem Kläger sei nämlich auch für Rufbereitschaftszeiten ein Bruttostundenlohn von 6,98 EUR bezahlt worden. Nach dem MiLoG gebühre der Mindestlohn aber nur für konkrete Einsatzzeiten. In Deutschland gebührten auch keine Sonderzahlungen.

Mit Beschluss vom verwarf das Erstgericht die von der Beklagten erhobene E inrede der internationalen Unzuständigkeit.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Auf den vorliegenden grenzüberschreitenden Sachverhalt komme gemäß Art 8 Rom I VO österreichisches Arbeitsrecht zur Anwendung. D ie Niederlassung der Beklagten liege in Salzburg, die Fahrten des Klägers hätten jeweils dort begonnen und geendet, und es wären hauptsächlich Fluggäste aus dem Raum Salzburg befördert werden. § 20 MiLoG, der Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland verpflichte, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohnes nach § 1 Abs 2 MiLoG (8,50 EUR je Zeitstunde) zu zahlen, könne nicht als Eingriffsnorm iSd Art 9 Rom I VO angesehen werden. Die Transitfahrten der Beklagten berührten nämlich den Arbeitsmarkt und Wettbewerb des Transitlandes Deutschland nicht erheblich.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Richtig sei, dass auf das gegenständliche Arbeitsverhältnis gemäß Art 8 Abs 2 Rom I VO österreichisches Arbeitsrecht Anwendung finde. Die Frage, ob § 20 MiLoG auf den vorliegenden Fall anzuwenden sei, könne aber letztlich dahin gestellt bleiben, weil der Kläger daraus keine Ansprüche ableiten könne. Gehe man nämlich davon aus, dass die Regelung als Eingriffsnorm anzusehen sei, wäre Art 9 Abs 3 Rom I VO anzuwenden. Danach könne den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, Wirkung verliehen werden, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden ließen. Die Erfüllung des gegenständlichen Arbeitsvertrags wäre bei einer Tätigkeit des Klägers in Deutschland dann unrechtmäßig gewesen, wenn der deutsche Mindestlohn von 8,50 EUR pro Zeitstunde nicht erzielt worden wäre. Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz (ArbZG) fielen aber nur Zeiten der Arbeitsbereitschaft und des Bereitschaftsdienstes, nicht jedoch jene der Rufbereitschaft unter den Begriff der nach dem MiLoG zu entlohnenden Arbeitsstunde. Rechne man die von der Beklagten vorgenommene Entlohnung für diese Rufbereitschaftszeiten, die auch ein Entgelt für die Leistungserbringung in Deutschland darstelle und die monatlich unwiderruflich gewährt worden sei, auf die Zeitstundenvergütung an, werde der deutsche Mindestlohn für die in Deutschland erbrachten Arbeitsleistungen weit übertroffen.

Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil zur Frage, unter welchen Voraussetzungen § 20 MiLoG als Eingriffsnorm unabhängig vom österreichischen Arbeitsvertragsstatut zur Anwendung gelange, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung bestehe (§ 502 Abs 1 ZPO).

In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger bestreitet die Qualifikation der am Flughafen München verbrachten Arbeitszeiten als Rufbereitschaftszeiten, weil er in diesen Zeiten telefonisch erreichbar sein habe müssen. Tatsächlich habe es sich nach deutschem Recht um Bereitschaftsdienst gehandelt, der mit dem Mindestlohn zu vergüten sei. Jedenfalls aber dürfe das für die Wartezeit am Flughafen bezahlte Entgelt nicht auf den Stundenlohn für die Zeiten der aktiven Arbeitsleistung angerechnet werden. Das MiLoG garantiere nämlich einen Mindeststundenlohn und keinen Mindestmonatslohn. Allenfalls sei davon auszugehen, dass für die Zeiten der Rufbereitschaft ein niedrigeres Entgelt, und zwar in Höhe des bezahlten Stundensatzes von 6,98 EUR schlüssig vereinbart worden sei.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung , die Revision des Klägers zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Auf den gegenständlichen, nach dem geschlossenen Arbeitsvertrag findet die Verordnung [EG] Nr 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) Anwendung (Art 28 Rom I VO). Nach deren Art 8 Abs 2 unterliegt der Individualarbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt ist. Der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, wechselt nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet.

Dass nach dieser Kollisionsnorm auf das vorliegende Arbeitsverhältnis grundsätzlich österreichisches Arbeitsrecht Anwendung findet, weil die Arbeitsvertragsparteien keine Rechtswahl vorgenommen haben, der Kläger seine Dienste jeweils von Österreich aus antrat und auch dort beendete und sein Arbeitseinsatz in Deutschland nur vorübergehend war (vgl Erwägungsgrund 36 Rom I VO; , Koelzsch , Rn 49f), wird von den Parteien im Revisionsverfahren nicht weiter in Frage gestellt.

Der Kläger beruft sich im Verfahren auch nicht (iSd Art 23 Rom I VO) auf die Anwendung der Richtlinie 96/71/EG des europäischen Parlaments und des Rates über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vom (Entsenderichtlinie) und die sich aus deren Art 3 Abs 1 allenfalls ergebende Anwendung des § 20 MiLoG auf das Arbeitsverhältnis. Insbesondere erstattete er kein Sachverhaltsvorbringen zum Vorliegen eines Entsendetatbestands iSd Art 1 Abs 3 lit a bis c der Entsenderichtlinie.

2. Somit stellt sich die Frage, ob die Bestimmungen der §§ 1, 20 des deutschen Mindestlohngesetzes (MiLoG) als Eingriffsnormen iSd Art 9 Rom I VO angesehen werden können und auf das gegenständliche, dem österreichischen Arbeitsrecht unterliegenden Arbeitsverhältnis einwirken. Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen (Art 9 Abs 1 Rom I VO). Eingriffsnormen – diese können öffentlich rechtlicher oder privatrechtlicher Natur sein (2 Ob 122/11x) –, stellen staatliche Zwangsvorschriften dar, die im öffentlichen Interesse aus ordnungspolitischen Gesichtspunkten, also insbesondere aus beschäftigungs-, gesundheits- oder sozialpolitischen Überlegungen auf das Arbeitsverhältnis am jeweiligen Beschäftigungsort einwirken, selbst wenn dieser nur vorübergehend wäre (9 ObA 65/11s; Wolfsgruber in ZellKomm 2 Art 9 Rom I VO Rz 32; Pfeil , Grenzüberschreitender Einsatz von Arbeitnehmern [Teil I], DRdA 2008, 3 [8]; Musger in KBB 4 , Art 9 Rom I–VO Rz 1 unter Bezugnahme auf ua, Arblade Rz 30). Ob eine Norm internationalen Geltungswillen beansprucht, bestimmt der Staat, der eine solche Vorschrift erlässt (9 ObA 65/11s; 2 Ob 40/15v; Rauscher / Thorn , EuZPR/EuIPR [2016] Art 9 Rom I–VO Rn 8f).

3. Nach § 20 des – gemäß Art 15 Abs 1 des Tarifautonomiestärkungsgesetzes am in Kraftgetretenen – deutschen Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MiLoG) sind Arbeitgeber mit Sitz im In oder Ausland verpflichtet, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Absatz 2 spätestens zu dem in § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 genannten Zeitpunkt zu zahlen. Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber (§ 1 Abs 1 MiLoG). Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem brutto 8,50 Euro je Zeitstunde (§ 1 Abs 2 Satz 1 MiLoG), ab dem 8,84 Euro. Die Fälligkeit des Mindestlohns regelt § 2 MiLoG. In § 21 Abs 1 Z 9 MiLoG finden sich Bußgeldvorschriften auch für den Fall eines Verstoßes gegen § 20 MiLoG.

4. Selbst wenn man nun unter Anwendung der unter Punkt 2 genannten Erwägungen in Einklang mit der österreichischen ( Niksova , Das deutsche Mindestlohngesetz in grenzüberschreitenden Sachverhalten, ZAS 2016/28, 156 [162]; Windisch-Graetz , Grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse im Spannungsfeld von Rom I und Entsenderichtlinie, ZfRV 2015/24, 192 [197]) und deutschen Lehre (BeckOK ArbR/ Greiner MiLoG § 20 Rn 1–2; ErfK/ Franzen MiLoG § 20 Rn 1; Franzen , Mindestlohn und kurzzeitige Beschäftigung in Deutschland, EuZW 2015, 449; Pfeiffer , Der internationale Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes, in FS Coester Waltjen [2015] 612 mwN; Sittard , Gilt das Mindestlohngesetz auch beim Kurzeinsatz in Deutschland?, NZA 2015, 78 [79]) davon ausgeht, dass die §§ 1, 20 MiLoG Eingriffsnormen iSd Art 9 Abs 1 Rom I VO sind, wäre für den Kläger nichts gewonnen.

5.1. Die unmittelbare Anwendung von Eingriffsnormen iSd Art 9 Abs 1 Rom I VO setzt nämlich nach Art 9 Abs 3 Satz 1 Rom I VO voraus, dass den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, Wirkung verliehen wurde, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Unter „Wirkungsverleihung“ ist sowohl die unmittelbare Anwendung einer im Recht des Erfüllungsorts enthaltenen Sanktion (Nichtigkeit, Anfechtbarkeit) als auch die Berücksichtigung der Norm als Erfüllungshindernis im Rahmen des Vertragsstatuts (Unmöglichkeit der Leistung) zu verstehen ( Musger in KBB 4 Art 9 Rom I VO Rz 4 mwN).

5.2. Bei der Entscheidung, ob den Eingriffsnormen iSd Art 9 Abs 1 Rom I VO Wirkung zu verleihen ist, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden (Art 9 Abs 3 Satz 2 Rom I VO). Die Einbeziehung von Art und Zweck der ausländischen Eingriffsnorm in diese Ermessensentscheidung des Gerichts ermöglicht dem Richter eine materiell rechtliche Bewertung der ausländischen Eingriffsnorm ( Rauscher / Thorn , EuZPR/EuIPR [2016] Art 9 Rom I-VO Rn 71).

5.3. Der deutsche Gesetzgeber wollte, wie aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 18/1558, 2) hervorgeht, durch die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns Arbeitnehmer vor unangemessen niedrigen Löhnen schützen. Zugleich trage der Mindestlohn dazu bei, dass der Wettbewerb zwischen den Unternehmen nicht zu Lasten der Arbeitnehmer durch die Vereinbarung immer niedrigerer Löhne, sondern um die besseren Produkte und Dienstleistungen stattfinde. Das Fehlen eines Mindestlohns könne ein Anreiz sein, einen Lohnunterbietungswettbewerb zwischen den Unternehmen auch zu Lasten der sozialen Sicherungssysteme zu führen, weil nicht existenzsichernde Arbeitsentgelte durch staatliche Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende „aufgestockt“ werden könnten. Der Mindestlohn schütze damit die finanzielle Stabilität der sozialen Sicherungssysteme.

Der Zweck des deutschen Mindestlohngesetzes, Arbeitnehmer vor unangemessen niedrigen Löhnen zu schützen, betrifft vorrangig Arbeitnehmer, die ständig bzw längerfristig und nicht nur vorübergehend ihre Arbeitstätigkeit in Deutschland verrichten. Denn sie kommen nicht unerheblich mit den deutschen Lebenshaltungskosten in Berührung. Dass auch der Kläger, der nur fallweise und kurzfristig mit Arbeitseinsätzen in Deutschland betraut und nach dem österreichischen Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw entlohnt wurde, einen besonderen Bezug zu den deutschen Lebenshaltungskosten aufwies und einen dazu im Verhältnis unangemessenen Lohn bezog, hat er nicht behauptet. Berücksichtigt man weiters, dass den vom Arbeitgeber in Österreich – im Gegensatz zu jenen in Deutschland – beschäftigten Taxilenkern nach Art XV des Bundeskollektivvertrags für das Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw (Arbeiter) bzw Art XIV Bundeskollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw (Angestellte) an Sonderzahlungen eine Urlaubs- und Weihnachtsremuneration zusteht, dann ist auch die Gefahr des Lohndumpings durch österreichische Arbeitgeber in Deutschland nicht evident. Gegenteiliges hat auch der Kläger nicht behauptet.

Der Stundenlohn nach dem in Rede stehenden Kollektivvertrag beträgt in Österreich inclusive der Sonderzahlungen 8,14 EUR brutto ([1.207, 11 x 14:12] :173). Der Unterschied zwischen dem kollektivvertraglichen Stundenlohn in Österreich und dem deutschen Mindeststundenlohn nach dem MiLoG von 8,50 EUR beläuft sich daher auf 0,36 Cent pro Arbeitsstunde. Der Kläger hätte somit bei Nichtanwendung des deutschen Mindestlohngesetzes für seine festgestellten Arbeitsverrichtungen in Deutschland einen um diesen Betrag geringeren Grundstundenlohn erhalten.

Der Zweck des deutschen Mindestlohns, die finanzielle Stabilität der sozialen Sicherungssysteme zu schützen, kommt im vorliegenden Fall nicht zum Tragen. Der Kläger hat nämlich auch nicht behauptet, am deutschen sozialen Sicherungssystem teilzunehmen.

5.4. Die Folgen der Anwendung des deutschen Mindestlohngesetzes für den beklagten Arbeitgeber mit Sitz in Österreich sind hingegen gravierend. Wird ein Arbeitnehmer vom österreichischen Arbeitgeber, wie im Anlassfall, an einzelnen Tagen und kurzfristig mit der teilweisen Verrichtung von Arbeitstätigkeiten in Deutschland betraut, wird er durch die umfassenden, ihn treffenden Melde und Dokumentationspflichten gemäß §§ 16, 17 MiLoG beschränkt (BeckOK ArbR/ Greiner MiLoG § 22 Rn 5; ErfK/ Franzen MiLoG § 20 Rn 2; Franzen , Mindestlohn und kurzzeitige Beschäftigung in Deutschland, EuZW 2015, 449 [450]). Damit wäre unter Umständen – wie im vorliegenden Fall – jede spontane Tätigkeit der Beklagten in Deutschland (zB eine sofortige Taxifahrt nach Anruf eines Kunden von Salzburg nach München) faktisch unmöglich (vgl Sittard , Gilt das Mindestlohngesetz auch beim Kurzeinsatz in Deutschland?, NZA 2015, 78 [82]). Gemäß § 16 Abs 1 MiLoG sind Arbeitgeber mit Sitz im Ausland nämlich verpflichtet, schon vor Beginn jeder Werk- oder Dienstleistung eine schriftliche Meldung in deutscher Sprache bei der zuständigen Behörde der Zollverwaltung vorzulegen, in der ua Name, Beginn, Dauer und Ort der Beschäftigung zu nennen sind. § 17 Abs 1 MiLoG verpflichtet in bestimmten Fällen ausländische Arbeitgeber – wie auch hier die Beklagte –, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertags aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Die seit in Kraft getretene Mindestlohndokumentations pflichtenverordnung (MiLoDokV) sieht zwar eine Erleichterung dahingehend vor, dass die Melde- und Dokumentationspflichten der §§ 16, 17 MiLoG für solche Arbeitnehmer nicht gelten, deren monatliches Entgelt 2.985 EUR brutto überschreitet oder 2.000 EUR brutto, wenn der Arbeitgeber dieses Entgelt nachweislich für die letzten vollen 12 Monate bezahlt hat, doch trifft dies auf das gegenständliche Arbeitsverhältnis nicht zu.

6. Die abschließende Abwägung der unter Punkt 5.3. beschriebenen Folgen für den Kläger durch die Nichtanwendung des MiLoG mit jenen unter Punkt 5.4. dargelegten für die Beklagte durch eine Anwendung des MiLoG lässt es unter Berücksichtigung von Art und Zweck der Bestimmungen der §§ 1, 20 des deutschen Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MiLoG) gerechtfertigt erscheinen, diesen Bestimmungen im vorliegenden Fall keine Wirkung iSd Art 9 Abs 3 Satz 2 der Verordnung [EG] Nr 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) zu verleihen. Dies führt im Ergebnis dazu, dass die Bestimmungen der §§ 1, 20 MiLoG auf das konkrete im Anlassfall zu beurteilende Arbeitsverhältnis nicht anzuwenden sind. Es bleibt daher nach Art 8 Abs 2 Rom I dabei, dass der dem Kläger zustehende Lohn nach österreichischem Recht zu beurteilen ist.

Der Revision des Klägers war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00053.16H.1129.000