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OGH vom 16.03.1988, 9ObA197/87

OGH vom 16.03.1988, 9ObA197/87

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dkfm. Reinhard Keibl und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat der W*** Handelsgesellschaft mbH, Wien 16., Kreitnergasse 1-3, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W*** Handelsgesellschaft mbH, Wien 16., Kreitnergasse 1-3, vertreten durch Dr. Franz Josef Salzer und Dr. Gunter Granner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Herausgabe von Bilanzabschriften (Streitwert S 31.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 33 Ra 90/87-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 23 Cga 1081/87-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.829,95 (darin S 257,25 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit der vorliegenden Klage begehrt die klagende Partei von der beklagten Partei die Herausgabe der Bilanzen einschließlich der Gewinn- und Verlustausweise für die Jahre 1983, 1984 und 1985. Die beklagte Partei beantragte, die Klage abzuweisen. Die Geschäftsanteile der beklagten Partei würden durch Geschäftsführer der H*** Arzneiwarengroßhandlung Gesellschaft mbH (im folgenden H***) für diese Gesellschaft in Treuhand gehalten. Die beklagte Partei entfalte keinen Geschäftsbetrieb auf eigene Rechnung. Alle ihre geschäftlichen Aktivitäten seien in die Tätigkeit der H*** integriert. Der Jahresabschluß der beklagten Partei erschöpfe sich in der Erfassung des Aufwandes für Löhne und Gehälter, deren Vergütung durch die H*** erfolge. Mit Rücksicht auf ihre Struktur unterliege die beklagte Partei keiner Ertragssteuer. Es bestehe keine Bilanzierungspflicht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Die beklagte Partei ist eine Gesellschaft mbH, deren Stammkapital S 501.000 beträgt. Sie beschäftigt 8 Angestellte und 35 Arbeiter. Es besteht ein gemeinsamer Betriebsrat (die klagende Partei).

Die beklagte Partei, die keine eigene Geschäftstätigkeit entfaltet, wurde nur gegründet, um den Marktnutzen ihrer Firma verwerten zu können. Der Geschäftsbetrieb der beklagten Partei wird auf Rechnung der H*** geführt, die auch die Buchhaltung besorgt. Die Angestellten der beklagten Partei nehmen Warenbestellungen entgegen, die ohne eine rechtliche Übertragung des Auftrages von der H***, der das gesamte Warenlager gehört, ausgeliefert und fakturiert werden. Die H*** vergütet der beklagten Partei den Lohn- und Gehaltsaufwand in der jeweiligen Höhe.

Die beklagte Partei erstellt jährlich eine handelsrechtliche Bilanz und gibt Erklärungen zur Umsatz-, Körperschafts- und Gewerbesteuer ab. Das Finanzamt schreibt dazu keine Steuerbeträge vor.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die beklagte Partei ein Handelsbetrieb mit über 30 Arbeitnehmern im Sinne des § 108 Abs 3 ArbVG und damit verpflichtet sei, der klagenden Partei die begehrten Unterlagen zu übermitteln.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, daß es die beklagte Partei zur Übermittlung der Abschriften der Bilanzen einschließlich der Unterlagen über die Ermittlung des Gewinnes und Verlustes für die Jahre 1983 bis 1985 verpflichtete; es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 30.000 übersteige. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß die beklagte Partei bereits durch die Entgegennahme von Warenbestellungen Leistungen erbringe, die ein steuerbarer Umsatz seien. Sie betreibe sohin eine Umsatztätigkeit, welche einem Handel mit Waren entspreche. An der für das Vorliegen eines Betriebs im Sinne des § 34 Abs 1 ArbVG erforderlichen Einheit des Betriebsinhabers der beklagten Partei sei nich zu zweifeln. Es werde von ihr auch durch die Verwendung des Marktnutzens ihres Namens durch eine eigene Organisationseinheit ein einheitlicher von den Zielsetzungen der H*** verschiedener technischer Zweck auf Dauer verfolgt. Eine gewisse Selbständigkeit liege in der Zuteilung eines schon aus dem Betriebszweck hervorleuchtenden besonderen Aufgabenkreises und schließe die Wertung der Tätigkeit der beklagten Partei als bloßen Hilfsbetriebs der H*** aus. Auf eine Erwerbsabsicht oder Gewinnerzielung sowie auf die rechtliche Qualifikation des Betriebsinhabers und die Art der rechtlichen Beziehungen zu den Betriebsmitteln komme es nicht an. Die Verpflichtung, dem Gebot des § 108 Abs 3 ArbVG nachzukommen, bestehe unabhängig davon, ob tatsächlich ein Unterschiedsbetrag aus dem Vermögensvergleich resultiere. Entscheidend sei lediglich, daß eine steuerliche Veranlagung erfolge.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Entgegen der Meinung der Revisionswerberin reichen die Feststellungen als Grundlage für die Annahme, die beklagte Partei sei ein "Handelsbetrieb" im Sinne des § 108 Abs 3 ArbVG aus, zumal sich aus den Erläuterungen zur Bilanz 1985 ein wesentlich umfangreicherer Gegenstand des Unternehmens der beklagten Partei und aus der Aussage der Geschäftsführerin der beklagten Partei, Mag. Ranthild S***, eine wesentlich differenziertere Unterscheidung in den Tätigkeitsbereichen der beklagten Partei und der H*** ergibt, als es der bloßen Entgegennahme von Warenbestellungen durch die beklagte Partei entspricht. Hingegen liegen Feststellungen entsprechend der erstmals in der Revision aufgestellten und daher im Revisionsverfahren nicht zu berücksichtigenden Behauptung, daß die beklagte Partei ein "reiner Dienstleistungsbetrieb" sei, nicht vor. Die Entgegennahme von Bestellungen dient zumindest zum Teil dem Handel mit Waren und somit der Umsatztätigkeit. Es ist im vorliegenden Fall weiters nicht von Belang, ob die beklagte Partei mit der H*** in Wahrheit einen einheitlichen Betrieb bildet (vgl. dazu Doralt-Csoklich, Betriebseinheit trotz Betriebsaufspaltung? RdW 1987, 163 ff; Arb.8.846, 10.441). Auch dem Begriff des Betriebs im Sinne des § 34 ArbVG (vgl. Arb.10.525; RdW 1987, 59) kommt nach § 108 ArbVG nicht die von der Revisionswerberin hervorgehobene allein ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. Floretta-Strasser MKK ArbVG2 § 108 Anm.7). Wesentlich ist vielmehr, daß von den Arbeitnehmern der beklagten Partei unbestritten ein Betriebsrat gewählt worden ist, dessen Wahl nach der Aktenlage unangefochten blieb; eine Nichtigkeit der Wahl (§ 60 ArbVG) wurde weder behauptet noch bietet das Verfahren einen Anhaltspunkt dafür. Damit wurde aber die Struktur der Belegschaftsvertretung gleichsam festgeschrieben, und die Zuständigkeit der klagenden Partei erstreckt sich jedenfalls auf jene organisatorische Einheit, für die sie gewählt wurde, sohin auf den Tätigkeitsbereich der beklagten Partei. Selbst eine fehlende Betriebseigenschaft der beklagten Partei im Rahmen eines einheitlichen Handelsbetriebs - eine negative Feststellungsklage im Sinne des § 34 Abs 2 ArbVG wurde im übrigen nicht erhoben, ein Feststellungsurteil über eine fehlende Betriebseigenschaft ist nicht ergangen; der im Berufungsverfahren von der Beklagten gestellte Zwischenantrag auf Feststellung der fehlenden Betriebseigenschaft wurde vom Berufungsgericht rechtskräftig zurückgewiesen - hätte daher auf die Bestands- und Tätigkeitsdauer der gewählten Betriebsräte mangels Vorliegens eines Endigungsgrundes im Sinne des § 62 ArbVG keinen Einfluß (vgl. DRdA 1979/12 mit Besprechung von Spielbüchler; Marhold, Betriebsrat ohne Betrieb, ZAS 1980, 211 ff;

220; Mazal, Zur Kompetenzerstreckung des Betriebsrats bei Betriebsteilung, ZAS 1986, 190 mit weiteren Judikaturhinweisen;

Arb.9.805). Adressat der Mitwirkungsrechte der Belegschaft der beklagten Partei ist diese als das als Unternehmer legitimierte Rechtsobjekt (vgl. Strasser ArbR2 II 216 f; Tomandl, ArbR 1 66;

Doralt-Csoklich aaO 164), gegen welches daher das Recht auf Vorlage der Bilanzen geltend gemacht werden kann. Die Pflicht des Betriebsinhabers, dem Betriebsrat eine Abschrift der Bilanz einschließlich des Gewinn- und Verlustausweises zu übermitteln, hängt nicht vom Aussagewert dieser Unterlagen ab.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.