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OGH vom 29.03.2006, 9ObA195/05z

OGH vom 29.03.2006, 9ObA195/05z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Personalausschuss der T*****, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner ua Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. T***** AG, 2. T***** GmbH, beide *****, beide vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG (Streitwert EUR 21.800), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 93/05b-8, womit der Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 26 Cga 213/04i-4, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 1.090,79 (darin EUR 181,80 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit EUR 1.308,38 (darin EUR 218,06 USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der klagende Personalausschuss begehrte die Feststellung (§ 54 Abs 1 ASGG), dass die ehemaligen Dienstnehmer der R***** AG, die von den Beklagten eine Pension nach dem Pensionszuschuss-Statut der R***** AG erhalten und in den Wirkungsbereich des Klägers fallen, das Recht haben, dass ihnen von den Beklagten diese Pension ab um 2,5 %, ab um weitere 2 % und ab um weitere 1,9 % erhöht ausbezahlt werde. Die ehemaligen Dienstnehmer der R***** AG haben aufgrund eines Pensionszuschuss-Statuts einzelvertragliche Rechtsansprüche auf Leistung eines Pensionszuschusses erworben, die Verpflichtungen daraus seien auf die Beklagten als Rechtsnachfolger der R***** AG übergegangen. Insbesondere seien die Pensionsansprüche mit einer Valorisierungsklausel verbunden, derzufolge die Pensionen sich im selben Ausmaß erhöhen sollten wie die Aktivbezüge. Diese hätten sich ab um 2,5 %, ab um 2 % und ab um 1,9 % erhöht. Den Pensionisten seien jedoch diese Erhöhungen nicht gewährt worden.

Die Beklagten beantragten die Zurück- bzw Abweisung der Klage, da dem Kläger hinsichtlich ausgeschiedener Arbeitnehmer keine Kompetenz mehr zukomme und es ihm daher an einer Klagelegitimation gemäß § 54 Abs 1 ASGG mangle. Im Übrigen bestritten die Beklagten das Klagebegehren, weil es zu den vorangeführten Erhöhungen bei den aktiven Arbeitnehmern nicht gekommen sei und beantragten die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht wies die Klage zurück und begründete dies damit, dass sich die Klagebefugnis der parteifähigen Organe der Arbeitnehmerschaft gemäß § 54 Abs 1 ASGG nur auf aktive Arbeitnehmer und nicht, wie hier, auf ausgeschiedene Arbeitnehmer erstrecke. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge, hob den angefochtenen Beschluss ersatzlos auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens über die Klage auf. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass der Wirkungsbereich des Organs der Arbeitnehmerschaft gemäß § 54 Abs 1 ASGG nicht nur aktive, sondern auch frühere Arbeitnehmer des Arbeitgebers erfasse, wenn das Verfahren zumindest Nachwirkungen aus dem seinerzeitigen Arbeitsverhältnis betreffe. Der mit der Schaffung des § 54 ASGG verfolgte Gesetzeszweck, durch Testverfahren (nach Abs 1 und Abs 2) eine streitvermindernde Wirkung auf die Ansprüche der betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erzielen, treffe ganz besonders auch für die Klärung von Streitfragen zu, die betriebliche Ruhegeldzahlungen an ehemalige Arbeitnehmer beträfen. Gemäß § 73 Abs 1 Post-Betriebsverfassungsgesetz übe der Kläger die Vertretungsbefugnis aus, die sonst einem Betriebsrat zukomme. Das Rekursgericht sprach aus, dass im Hinblick auf die bestehende Rechtsprechung (insbes RIS-Justiz RS0085676) der Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil eine ausdrückliche Rechtsprechung zur Legitimation eines Belegschaftsorgans hinsichtlich einer Klagsführung nach § 54 Abs 1 ASGG für aus dem Betrieb ausgeschiedene Arbeitnehmer fehlt; er ist auch berechtigt. Gemäß § 54 Abs 1 ASGG können in Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 die parteifähigen Organe der Arbeitnehmerschaft (hiezu zählt z.B. auch der Personalausschuss der Bediensteten der Österreichischen Post AG: 8 ObA 118/01p) im Rahmen ihres Wirkungsbereiches sowie der jeweilige Arbeitgeber auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen, die mindestens drei Arbeitnehmer ihres Betriebes oder Unternehmens betreffen, klagen oder geklagt werden (Urfassung BGBl 104/1985).

Nach Eypeltauer („Das besondere Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG, 1. Teil", in JBl 1987, 490, 491) ist „Wirkungsbereich" nicht so zu verstehen, dass damit eine Beschränkung auf den dem jeweiligen Organ aufgrund des ArbVG zukommenden Zuständigkeitsbereich gemeint sei. Dagegen sprächen nicht nur ausdrücklich die Gesetzesmaterialien, sondern vor allem auch der Umstand, dass sich die Klagslegitimation dem Gesetzestext nach auf „Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1" bezieht. Nicht § 50 Abs 1, sondern § 50 Abs 2 ASGG betreffe jedoch Rechtsstreitigkeiten nach dem II. Teil des ArbVG, sodass die Bestimmungen des ArbVG über die Kompetenz der Organe der Arbeitnehmerschaft keinen Einfluss auf deren Klagslegitimation zu entfalten vermögen. Ähnlich argumentiert Gamerith („Die besondere Feststellungsverfahren nach § 54 ASGG" in DRdA 1988, 303, 306). Dieser Argumentation schließt sich auch Kuderna (ASGG² 345) an. Uneinigkeit besteht indes darüber, ob sich dieser Wirkungsbereich auch auf ehemalige Arbeitnehmer (Pensionisten) erstreckt. Gamerith (aaO 307) will auch diese Arbeitnehmergruppe umfasst sehen. Er argumentiert, dass gemäß § 51 Abs 1 ASGG Arbeitnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes auch Personen seien, die zu einem Arbeitgeber in einem Arbeitsverhältnis gestanden sind. Die Bestimmung, dass sich Arbeitnehmer vor den Gerichten erster Instanz durch ein Mitglied des zuständigen Betriebsrats vertreten lassen dürfen (§ 40 Abs 2 Z 1 ASGG), gelte gemäß § 51 Abs 1 ASGG auch für ehemalige Arbeitnehmer. Daraus sei verallgemeinernd zu schließen, dass der Betriebsrat auch dann im Rahmen seines Wirkungsbereichs nach § 54 Abs 1 ASGG handle, wenn er eine Feststellungsklage erhebe, die Rechte ehemaliger Arbeitnehmer aus dem seinerzeitigen Arbeitsverhältnis und aus dessen Nachwirkungen betreffe oder wenn er wegen einer solchen Feststellungsklage des Arbeitgebers in Anspruch genommen werde. Demgegenüber vertritt Eypeltauer (aaO 493) die Meinung, dass der ehemalige Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr Mitglied der Belegschaft sei, weshalb seine Interessen auch nicht mehr von den Organen der Arbeitnehmerschaft wahrgenommen werden könnten. Zudem ginge der Schutzzweck, der mit der Einführung des besonderen Feststellungsverfahrens verfolgt worden sei, ins Leere. Den parteifähigen Organen der Arbeitnehmerschaft fehle sohin die Klagslegitimation hinsichtlich eines besonderen Feststellungsverfahrens über das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Wirkungsbereich der Organe der Arbeitnehmerschaft werde jedoch dann nicht überschritten, wenn die Feststellung des aufrechten Bestehens von Arbeitsverhältnissen wegen Rechtsunwirksamkeit von Auflösungserklärungen begehrt werde.

In zahlreichen besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG war die Frage strittig, ob die jeweilige Fachgewerkschaft auch für bereits aus dem Betrieb ausgeschiedene Arbeitnehmer zur Antragstellung legitimiert ist (RIS-Justiz RS0085676). In der Leitentscheidung (SZ 61/274 = 9 ObA 503/88) heißt es hiezu:

„Vorauszuschicken ist, dass der Antrag in den Wirkungsbereich des Antragstellers (§ 54 Abs 2 ASGG) fällt. Dieses Tatbestandsmerkmal ist so wie in § 54 Abs 1 ASGG im Sinne des persönlichen Wirkungsbereiches, hier also mitgliederbezogen, zu verstehen. Der Wirkungsbereich der einzelnen Fachgewerkschaften erstreckt sich aber nicht nur auf ihre Mitglieder, sondern auch auf nicht kollektivvertragsangehörige Arbeitnehmer eines kollektivvertragsangehörigen Arbeitgebers (§ 12 ArbVG; RdW 1986, 53). Der Wirkungsbereich des Antragstellers erfasst in diesem weiteren Rahmen, ebenso wie nach § 54 Abs 1 ASGG, nicht nur aktive Arbeitnehmer, sondern auch Personen, die zu einem kollektivvertragsangehörigen Arbeitnehmer früher in einem Arbeitsverhältnis gestanden sind (§ 51 Abs 1 ASGG), also im Zeitpunkt der Antragstellung bereits Pensionisten waren, wenn das Verfahren zumindest Nachwirkungen aus dem seinerzeitigen Arbeitsverhältnis betrifft ...". Der Oberste Gerichtshof berief sich hiezu auf Gamerith (aaO) und lehnte die enger gefasste Meinung von Eypeltauer (aaO) ab. Diese - für die Beurteilung nach § 54 Abs 2 ASGG allerdings nicht präjudizielle - dargelegte Rechtsauffassung wurde in der Folge fortgeschrieben. Gestützt auf Gamerith (aaO 307) und diese Rechtsprechung lehrt auch Kuderna (aaO 346), dass der „Wirkungsbereich" des Organs der Arbeitnehmerschaft nicht nur die im aktiven Dienst stehenden Arbeitnehmer, sondern auch die Angelegenheiten von Personen, die früher zu dem betreffenden Arbeitgeber in einem Arbeitsverhältnis standen, im Zeitpunkt der Einbringung der Klage aber bereits Pensionisten sind, umfasst, wenn das Verfahren zumindest Nachwirkungen aus dem seinerzeitigen Arbeitsverhältnis betrifft.

Grießer („Zur Regelungsbefugnis der Betriebsparteien auf Pensionsansprüche ausgeschiedener Arbeitnehmer" in RdW 2001, 473,

480) meint, dass der Betriebsrat nur die Interessen jener Arbeitnehmer wahrnehmen könne, auf die sich seine Tätigkeit beziehe. Zumindest drei anspruchsberechtigte Arbeitnehmer müssten noch im Betrieb beschäftigt sein, damit die Klagsvoraussetzungen gegeben seien. Der Betriebsrat könne also nicht eine besondere Feststellungsklage für bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer einbringen, die Ansprüche gegen den Arbeitgeber aus dem beendeten Arbeitsverhältnis zu besitzen behaupten. Grießer verweist in diesem Zusammenhang auf die Novelle BGBl 1994/624, durch die erst eine Ausnahmeregelung von diesem Grundsatz geschaffen worden sei. Obwohl letztgenanntes Argument in die vorgenannte Rechtsprechung noch keinen Eingang fand (und im Hinblick auf die überwiegend vor dem Inkrafttreten der Novelle liegenden Entscheidungszeitpunkte auch nicht finden konnte) kommt diesem erhebliche Bedeutung zu:

Mit der Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz-Novelle 1994, BGBl 624/1994, wurde dem § 54 Abs 1 ASGG folgender Satz angefügt: „Es ist jedoch ohne Belang, wenn sich nach der Streitanhängigkeit die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer des Betriebs oder Unternehmens auf einen Arbeitnehmer verringert oder die Strittigkeit des Rechts oder Rechtsverhältnisses zwar nicht mehr einen Arbeitnehmer des Betriebs oder Unternehmens, wohl aber zumindest noch einen zwischenweilig aus dem Betrieb oder Unternehmen ausgeschiedenen Arbeitnehmer betrifft."

Zur Begründung dieser Änderung heißt es in den Materialien (RV XVIII. GP 1654 der Beilagen, 20): „Derzeit ist es notwendig, dass von der in der Klage angestrebten Feststellung mindestens drei Arbeitnehmer des Betriebs oder Unternehmens betroffen sind; diese Voraussetzung wird als besondere Form des rechtlichen Interesses verstanden und muss daher bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung gegeben sein (Fasching, Lehr und Handbuch² Rz 1102). Sinkt also während des Feststellungsverfahrens die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer - infolge des Ausscheidens der weiteren, vom Feststellungsverfahren bis dahin betroffenen Arbeitnehmer aus dem Betrieb oder Unternehmen - auf unter drei, so steht der klagenden Partei nur noch die Möglichkeit offen, das Klagebegehren auf den Ersatz der Prozesskosten einzuschränken. In diesem Fall ist im Rahmen der Prüfung der Berechtigung des Kostenersatzanspruchs doch wiederum die Frage der Berechtigung des ursprünglichen Feststellungsbegehrens zu entscheiden. Es ist demnach prozessökonomischer, den bereits vorhandenen Prozessaufwand durch die Möglichkeit einer Entscheidung in der Sache selbst zu nutzen, wenn auch nur noch ein Arbeitnehmer des Betriebs oder Unternehmens oder auch nur ein - zwischenweilig (Anm: Hervorhebung durch das Gericht) aus dem Betrieb oder Unternehmen ausgeschiedener - Arbeitnehmer von der Feststellung über das Bestehen oder Nichtbestehen des klagsgegenständlichen Rechts oder Rechtsverhältnisses betroffen ist. Hinsichtlich eines aus dem Betrieb oder Unternehmen bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmers muss es sich freilich um Rechte oder Rechtsverhältnisse handeln, die mit dem Arbeitsverhältnis zu diesem Betrieb oder Unternehmen im Zusammenhang stehen."

Diese Novelle zwingt zu einem anderen Verständnis auch des Satzes 1 des § 54 Abs 1 ASGG. Wären nämlich nach dem Verständnis des Gesetzgebers ausgeschiedene Arbeitnehmer von Anfang an vom „Wirkungsbereich" des Belegschaftsorgans umfasst gewesen, hätte es dieser „Erweiterung im Sinne der Prozessökonomie" nicht bedurft, weil sich durch ein Ausscheiden dann kein anderer Aspekt ergeben hätte, wenn von Anfang die Betroffenheit von drei Personen (sei es Aktive und/oder Pensionisten) genügt hätte. Aus dem Gesetzestext der Novelle und den hiezu ergangenen Materialien ist vielmehr der Schluss zu ziehen, dass der Gesetzgeber den „Wirkungsbereich" des Belegschaftsorgans auf die aktiven Angehörigen des Betriebs bzw Unternehmens eingeschränkt wissen wollte und nur im neu eingeführten Ausnahmefall die Klagelegitimation des Belegschaftsorgans auch für zwischenweilig (dh nach Anhängigwerden der Feststellungsklage) ausgeschiedene Arbeitnehmer aufrecht bleiben sollte. Daraus folgt, dass die Meinung, der Wirkungsbereich und somit die Klagelegitimation des Belegschaftsorgans erstrecke sich grundsätzlich auch auf schon bei Klagseinbringung ausgeschiedene Arbeitnehmer, nicht aufrechterhalten werden kann, sodass dem Revisionsrekurs Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Im Rahmen des Zuspruchs der Kosten des Revisionsrekursverfahrens war zu beachten, dass entgegen dem diesbezüglich durch das RATG nicht gedeckten Kostenbestimmungsantrag für den Revisionsrekurs nur 50 %, nicht jedoch 100 % Einheitssatz zustehen.