OGH vom 24.10.2011, 8ObA69/11x

OGH vom 24.10.2011, 8ObA69/11x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Helwig Aubauer und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** F*****, vertreten durch Nusterer Mayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei E***** GmbH *****, vertreten durch Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 6.803,83 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 77/11m 16, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Das Unterbleiben der beantragten mündlichen Berufungsverhandlung begründet keine Nichtigkeit des Verfahrens. Der erkennende Senat hat dazu erst jüngst in der Entscheidung 8 ObA 65/11h ausgeführt, dass § 44 Abs 2 ASGG keine Regelung iSd § 2 Abs 1 ASGG für alle Berufungsverfahren in Arbeits und Sozialrechtssachen, sondern lex specialis nur für das Rechtsmittelverfahren in Bagatellsachen ist. Nach § 44 Abs 1 ASGG ist § 501 ZPO über die Beschränkung der Rechtsmittelgründe in Arbeits und Sozialrechtssachen nicht anzuwenden, wohl aber sollte durch § 44 Abs 2 ASGG in Form einer „Ausnahme von der Ausnahme“ die in § 501 ZPO aF vorgesehene Vereinfachung des Berufungsverfahrens beibehalten werden. Nachdem mit Inkrafttreten der Änderung des § 480 Abs 1 ZPO idF BGBl I 2009/52 diese Ausnahme im allgemeinen Zivilprozess zur Regel und die vorher nur für Bagatellverfahren geltende Vereinfachung auf das gesamte Berufungsverfahren übertragen wurde, mit dem Ziel, die Anzahl bloß formaler Berufungsverhandlungen zurückzudrängen (ErläutRV 113 BlgNR 24. GP 33), verbleibt für § 44 Abs 2 ASGG derzeit kein Anwendungsbereich. Für eine plötzliche Umdeutung dieser Regelung von einer lex specialis für Bagatellsachen zu einer lex specialis für alle Nichtbagatellsachen besteht keine Grundlage, zumal sie der in den Materialien zum Ausdruck kommenden Intention des Gesetzgebers grundlos zuwiderlaufen würde. Seit der Änderung des § 480 Abs 1 ZPO und dem Außerkrafttreten des § 492 ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, steht die Entscheidung, ob eine Berufungsverhandlung im Einzelfall erforderlich ist, daher generell im Ermessen des Berufungsgerichts (§ 2 Abs 1 ASGG;8 ObA 32/10d). Ist, wie hier, eine abschließende Sacherledigung ohne eine Berufungsverhandlung möglich, was der Berufungssenat überzeugend begründete, stellt es nach § 480 Abs 1 ZPO idgF auch keinen Verfahrensmangel dar, die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung zu erledigen (RIS Justiz RS0125957).

2. Dass sitten bzw treuwidriges Verhalten des Vertragspartners eingewendet werden muss, ist grundsätzlich richtig (6 Ob 546/90). Allerdings genügt es nach der ständigen Rechtsprechung, dass jene Tatumstände vorgebracht werden, die die Sittenwidrigkeit (bzw das treuwidrige Verhalten des Vertragspartners) begründen können (RIS Justiz RS0016451). Ob das Vorbringen einer Partei in einem bestimmten Sinn zu interpretieren ist, ist immer eine Frage des Einzelfalls und begründet daher von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen nicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO. Eine krasse Fehlbeurteilung ist den Vorinstanzen, die das Vorbringen des Klägers zur Bestreitung des Verfallseinwandes als ausreichend erachteten, nicht unterlaufen: Die Beklagte, die nach wie vor auf dem Standpunkt steht, den Kläger vertragsgemäß (nämlich entsprechend dem zwischen den Parteien geschlossenen freien Dienstvertrag, der ein Erfolgshonorar vorsah) abgerechnet zu haben, unterliegt hier einem Fehlverständnis. Die Vorinstanzen sind nämlich übereinstimmend davon ausgegangen, dass das Vertragsverhältnis der Streitteile in Wahrheit als echtes Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist. Dies wird von der Beklagten in der Revision auch nicht mehr bekämpft. Der Berufung des Klägers auf diesen Umstand ist aber die (hier gar nicht strittige) Behauptung, dass er nicht entsprechend den für einen echten Arbeitsvertrag geltenden Regelungen „ordnungsgemäß“ (hier also nach dem Kollektivvertrag für die Handelsarbeiter) abgerechnet wurde, inhärent.