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OGH vom 27.02.2020, 8ObA67/19i

OGH vom 27.02.2020, 8ObA67/19i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Michaela Puhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei P***** S*****, vertreten durch Forcher-Mayr & Kantner Rechtsanwälte Partnerschaft (OG) in Innsbruck, gegen die beklagte Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Martin Singer, LL.M., Rechtsanwalt in Schwaz, wegen 16.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 15 Ra 44/19m-24, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Gegenstand der Klage ist ein auf § 1328a ABGB gegründeter Entschädigungsanspruch des Klägers, der bei der Beklagten als Angestellter im Außendienst tätig war. Er hatte ein Dienstfahrzeug zur Verfügung, dessen Privatnutzung ihm als Sachbezug zustand. Die Beklagte ließ den Standort des Fahrzeugs ohne Einwilligung des Klägers rund um die Uhr, auch während seiner Freizeit und seines Urlaubs, mittels GPSOrtung überwachen. Eine Betriebsvereinbarung dazu besteht nicht. Der Kläger selbst hat sich wiederholt massiv dagegen ausgesprochen und auf eine dadurch verursachte Gesundheitsbeeinträchtigung hingewiesen. Der Kläger wurde immer wieder, selbst im Urlaub, von Mitarbeitern im Auftrag des Geschäftsführers angerufen und zur Rechtfertigung aufgefordert, etwa weshalb er an einer bestimmten Stelle eine Pause gemacht habe oder wie viele Kilometer er während des Auslandsurlaubs bereits gefahren sei. Der Kläger fühlte sich durch die ständige Überwachung nicht wertgeschätzt und empfand es als zermürbend, sich immer rechtfertigen zu müssen. Er reagierte mit psychosomatischen Störungen, die zur ärztlichen Verordnung einer Kur mit psychologischer Betreuung führten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

2. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 1 ZPO sind nicht erfüllt. Der Oberste Gerichtshof hat vielmehr zu den im Rechtsmittel der Beklagten angesprochenen Fragen erst jüngst in der Entscheidung 9 ObA 120/19s ausführlich Stellung genommen. Diesem ebenfalls gegen die hier Beklagte geführten Verfahren lag ein praktisch identer Sachverhalt zugrunde. Der Oberste Gerichtshof hat darin einen gleichartigen Entschädigungsanspruch nach § 1328a ABGB unter anderem mit folgender wesentlicher Begründung bejaht:

1.3. Unter den Begriff der Privatsphäre fällt der (höchst)persönliche Lebensbereich eines Menschen, der nur einem eingeschränkten Personenkreis bekannt ist und üblicherweise nicht einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird (...). Einen Anhaltspunkt für die Auslegung des Begriffs 'Privatsphäre' kann der verwandte Begriff des 'Privatlebens' in Art 8 Abs 1 EMRK bieten (...).

1.4. Die

2.1. Gemäß § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bedarf die Einführung von Kontrollmaßnahmen und technischen Systemen zur Kontrolle der Arbeitnehmer durch den Betriebsinhaber, sofern diese Maßnahmen (Systeme) die Menschenwürde berühren, zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des Betriebsrats. Korrespondierend dazu normiert § 10 Abs 1 AVRAG, dass die Einführung und Verwendung von Kontrollmaßnahmen und technischen Systemen, welche die Menschenwürde berühren, unzulässig ist, es sei denn, diese Maßnahmen werden durch eine Betriebsvereinbarung iSd § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG geregelt oder erfolgen in Betrieben, in denen kein Betriebsrat eingerichtet ist, mit Zustimmung des Arbeitnehmers.

(...)

2.4.Bei dem von der Beklagten veranlassten GPS-Kontrollsystem handelt es sich zweifelsohne um eine auf Dauer angelegte systematische Überwachungsmöglichkeit des Aufenthaltsortes des Dienstfahrzeugs und damit des Klägers, der dieses Dienstfahrzeug sowohl beruflich als auch privat nutzte (...). Damit griff die Beklagte in die Privatsphäre des Klägers ein.

3.1.Bei Maßnahmen oder Systemen, die – wie hier – die objektive Eignung zur Kontrolle der Arbeitnehmer erfüllen, ist dann gemäß § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bzw § 10 Abs 1 AVRAG weiters zu prüfen, ob dadurch die Menschenwürde berührt ist. (...)

3.2.Die Menschenwürde wird von einer Kontrollmaßnahme oder einem Kontrollsystem dann 'berührt', wenn dadurch die vom Arbeitnehmer in den Betrieb miteingebrachte Privatsphäre kontrolliert wird. Von der Privatsphäre abgesehen, kann aber auch durch die Kontrollintensität der Arbeitsleistung und des arbeitsbezogenen Verhaltens des Arbeitnehmers eine Berührung der Menschenwürde bewirkt werden, und zwar vor allem dann, wenn diese Kontrolle in übersteigerter Intensität organisiert wird und jenes Maß überschreitet, das für Arbeitsverhältnisse dieser Art typisch und geboten ist (...). Andererseits verlangt das 'Berühren' der Menschenwürde keine solche Eingriffsdichte, die bereits als 'Verletzung' anzusehen wäre. Durch § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers vielmehr der schmale Grenzbereich zwischen den die Menschenwürde verletzenden (und damit ohnehin sittenwidrigen) Maßnahmen und den die Menschenwürde überhaupt nicht tangierenden Maßnahmen des Betriebsinhabers geregelt werden (...).

3.3. Die Beantwortung der Frage, ob die Menschenwürde durch eine Kontrollmaßnahme auch nur berührt wird, bedarf einer umfassenden Abwägung der wechselseitigen Interessen. (...) So sind einerseits die Interessen des Arbeitgebers, der im Arbeitsverhältnis ein grundsätzliches Recht zur Kontrolle der Arbeitnehmer hat, aber darüber hinaus zB auch sein Eigentum sichern und schützen will, und andererseits die Interessen des Arbeitnehmers an der Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte gegeneinander abzuwägen. (...) Es ist das schonendste – noch zum Ziel führende – Mittel zu wählen (...)

Im Anlassfall verneinte der Oberste Gerichtshof das Bestehen ausreichender Rechtfertigungsgründe. Die dauernde Ortungsmöglichkeit des Klägers habe dessen Menschenwürde berührt und sei mangels Zustimmung – außerhalb der Arbeitszeit jedenfalls – unzulässig gewesen. Nicht zuletzt wegen der Beharrlichkeit des rechtswidrigen Verhaltens trotz wiederholter Proteste sei eine erhebliche Verletzung der Privatsphäre eingetreten.

3. Diese Begründung trifft auch im vorliegenden Verfahren zu. Die weit über die von der Beklagten zur Rechtfertigung ihrer Handlungsweise vorgebrachten neutralen Zwecke (effizientes Fuhrparkmanagement) hinausgehende, vor Freizeit und Privatleben nicht Halt machende Überwachung hat hier beim Kläger sogar eine behandlungsbedürftige psychische Beeinträchtigung nach sich gezogen.

Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts steht mit den dargelegten rechtlichen Grundsätzen sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung im Einklang.

4. Die Bemessung der Höhe immateriellen Schadenersatzes ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls(RISJustiz RS0031075; RS0125618). Mangels einer über den Anlass hinausreichenden Aussagekraft von Einzelfallentscheidungen steht die Revision zu ihrer Überprüfung nach § 502 Abs 1 ZPO nicht offen, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine eklatante Fehlbemessung unterlaufen, die ausnahmsweise zur Wahrung der Rechtssicherheit eine Korrektur bedürfte(RS0031075 [T7]; RS0022442 [T10]). Eine solche Fehlbeurteilung zeigt die Revision nicht auf.

Bei der Bemessung des eine Genugtuungsfunktion besitzenden Ersatzanspruchs für immateriellen Schaden bilden Dauer und Intensität des erlittenen Ungemachs einen bestimmenden Faktor. Es ist die psychophysische Situation des Betroffenen, die Beschaffenheit seiner Gefühlswelt, seine Empfindsamkeit, die Schwankungsbreite seiner Psyche gleichfalls zu berücksichtigen. Es geht nicht nur um einen Ausgleich für die beeinträchtigte Lebensfreude, sondern auch darum, dem Kläger das Gefühl der Verletzung zu nehmen und das beeinträchtigte Gleichgewicht in seiner Persönlichkeit wiederherzustellen (RS0022442).

Diesen Grundsätzen folgt die angefochtene Entscheidung. Das Berufungsgericht hat bei der Festsetzung der Entschädigung auf die Dauer und die mit somatischen Beschwerden einhergehende, über das Dienstverhältnis noch hinauswirkende psychische Belastung des Klägers Bedacht genommen. Soweit die Revision meint, es habe keine durchgehend gleichmäßige Beeinträchtigung vorgelegen, verkennt sie, dass es nicht nur auf die konkreten Anrufe der Beklagten in und außerhalb der Arbeitszeit des Klägers ankam, sondern dass er auch dazwischen unter den festgestellten Umständen jederzeit rund um die Uhr damit rechnen musste, heimlich kontrolliert zu werden.

Inwiefern es zu einer Minderung des Ersatzanspruchs des Klägers führen sollte, dass der Kläger, der davor zwei Jahre ohne Beschäftigung war und eine neuerliche Arbeitslosigkeit befürchtete, das Arbeitsverhältnis nicht von sich aus beendet hat, ist nicht nachvollziehbar.

Die Beklagte hatte es in der Hand, ihr – spätestens nach dem Protest des Klägers für sie erkennbar rechtswidriges – Verhalten umgehend einzustellen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00067.19I.0227.000

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