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OGH vom 26.11.2018, 8ObA66/18s

OGH vom 26.11.2018, 8ObA66/18s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Ing. Bieta Sodeyfi (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schleinbach (aus der Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei W***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Fellner, Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 9 Ra 58/18t-30, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Text

Begründung:

Der am geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem als Buslenker beschäftigt und wurde mit Schreiben vom zum gekündigt. Er ist in einem sehr guten Allgemeinzustand, leidet aber etwa seit dem Jahr 2013 an einer rezidivierenden
– allerdings zu keinem Zeitpunkt zu behandelnden – Lumbalgie, einer Pseudolisthese L4/L5 und einer inc. Coxarthrose beidseits bei geringgradiger Restdysplasie beidseits. Die Diagnose Pseudolisthese bedeutet die theoretische Möglichkeit eines Wirbelgleitens, die Untersuchung des Klägers hat jedoch ergeben, dass die Pseudolisthese stabil ist. Aufgrund dieser orthopädischen Diagnosen ist der Kläger in seiner Arbeitsfähigkeit lediglich dahingehend eingeschränkt, dass Arbeiten in gebückter Haltung oder unter Tischniveau nur halbzeitig und nicht in einem möglich sind. Dem Kläger sind jedenfalls schwere Arbeiten zumutbar und es spricht nichts gegen die Tätigkeit als Busfahrer.

Die Vorinstanzen wiesen das mit der Begründung, der Kläger sei wegen seiner gesundheitlichen, als Behinderung nach § 3 BEinstG zu wertenden Einschränkung gekündigt worden, erhobene Kündigungsanfechtungsbegehren übereinstimmend ab. Beim Kläger liege keine Behinderung vor, die geeignet wäre, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren.

Rechtliche Beurteilung

1. Die außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine Rechtsfrage in der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

2. Als Ausfluss des in § 7b BEinstG statuierten Diskriminierungsverbots kann eine Kündigung wegen einer Behinderung gemäß § 7f Abs 1 BEinstG bei Gericht angefochten werden. Gemäß § 7b Abs 4 BEinstG ist auf den Behinderungsbegriff der Abs 1 bis 3 die Bestimmung des § 3 BEinstG mit der Maßgabe anzuwenden, dass ein festgestellter Grad der Behinderung nicht erforderlich ist. Nach § 3 BEinstG ist eine Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

3. Das Vorliegen einer „Behinderung“ iSd § 3 BEinstG ist im Zweifel von der Person zu beweisen, die sie behauptet (S.Mayer, Behinderung und Arbeitswelt [2010], 47; RV 836 BlgNR 22. GP 6).

3.1 Eine „Funktionsbeeinträchtigung“ bzw eine „Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen“ iSd § 3 BEinstG ist nach herrschender Ansicht eine Einschränkung jener Funktionen, die bei einem gesunden Gleichaltrigen in der Regel vorhanden sind (Auer-Mayer in Widy, Behinderteneinstellungsgesetz8 [2016] § 3 Erl 4; ausführlich S.Mayer, Behinderung und Arbeitswelt [2010], 44 ff, jeweils mwN; Körber-Risak in Mazal/Risak, Arbeitsrecht System, Kap VIII Rz 96). Nicht jede Funktionsbeeinträchtigung ist allerdings auch eine Behinderung (S.Mayer, Behinderung und Arbeitswelt [2010], 46 u 47). Zusätzlich ist erforderlich, dass die Auswirkung der Beeinträchtigung die Teilhabe des Betroffenen am Arbeitsleben erschweren kann, wobei auch auf gesellschaftliche Konstrukte („Stigmatisierung“) Bedacht zu nehmen ist, wie etwa bei der Diagnose HIV positiv ohne Merkmale von Aids (RV 836 BlgNR 22. GP 7).

3.2 Dem Kläger ist zuzustimmen, dass viel dafür spricht, bei dieser Beurteilung nicht (nur) auf die konkrete Arbeitsplatzsituation, sondern auf den abstrakten Arbeitsmarkt abzustellen (S.Mayer, Behinderung und Arbeitswelt [2010], 53 ff; Auer-Mayer, Behinderung und Arbeitsrecht, DRdA 2018, 183 [187]; Körber-Risak in Mazal/Risak, Arbeitsrecht System, Kap VIII Rz 96; Gerhartl, Probleme des Diskriminierungsschutzes behinderter Arbeitnehmer, RdW 2007, 416 Fn 3; Kozak, Adipositas ist nicht das Ende!, DRdA 2015, 316 [320]; aA wohl Brodil in Tomandl/Schrammel, Arbeitsrechtliche Diskriminierungsverbote 75). Dafür sprechen der Gesetzeswortlaut („Arbeitsleben“) und die Gesetzesmaterialien (RV 836 BlgNR 22. GP 6: „Bei der Beurteilung des Vorliegens einer Behinderung ist die abstrakte Möglichkeit einer Beeinträchtigung einer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft einzubeziehen.“), aber auch der Zweck des Gesetzes. Eine andere Betrachtungsweise könnte den Schutz vor Diskriminierungen unterlaufen, weil eine Ungleichbehandlung von Betroffenen, deren Arbeitsfähigkeit zwar nicht in Bezug auf den konkreten Arbeitsplatz beeinträchtigt ist, deren Beeinträchtigung aber abstrakt eine Behinderung darstellt und konkret zu einer Diskriminierung führt, folgenlos bliebe (vgl dazu Körber-Risak in Mazal/Risak, Arbeitsrecht System, Kap VIII Rz 96; S.Mayer, Behinderung und Arbeitswelt [2010], 53 ff).

3.3 Das Berufungsgericht hat die Klagsabweisung hier jedoch nicht ausschließlich darauf gestützt, dass die festgestellte geringfügige körperliche Beeinträchtigung keine relevanten Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit – gemessen an einer Vergleichsperson als Busfahrer – habe, sodass dem Kläger dadurch die Teilhabe am Arbeitsleben eines Busfahrers nicht erschwert werde. Es hat darüber hinaus ausgeführt, dass diese Beeinträchtigung auch dann nicht das erforderliche Mindestmaß (vgl dazu etwa S. Mayer aaO; Potz, Bestandschutz behinderter Arbeitnehmer, ecolex 2009, 466)erreichen würde, um die Teilhabe des Klägers am Arbeitsleben zu erschweren, wenn man davon ausginge, dass bei dieser Prüfung nicht bloß auf seine Tätigkeit als Busfahrer abzustellen sei.

4. Wird die Entscheidung der zweiten Instanz auch auf eine selbständig tragfähige Hilfsbegründung gestützt, muss auch diese im außerordentlichen Rechtsmittel bekämpft werden (RISJustiz RS0118709).

Der Kläger hält der Hilfsbegründung des Berufungsgerichts allerdings lediglich entgegen, dass die Wertung des Berufungsgerichts in keiner Weise nachvollziehbar sei, was der bloßen Rüge, das Berufungsgericht habe die „Rechtsfrage unrichtig gelöst“, gleichzuhalten ist. Damit bringt der Kläger aber keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zur Darstellung (vgl RIS-Justiz RS0043654).

5. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00066.18S.1126.000

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