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OGH vom 19.12.2001, 9ObA189/01m

OGH vom 19.12.2001, 9ObA189/01m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Erwin Blazek und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Helga G*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr. Hans Rieger, Rechtsanwalt in Bad Ischl, gegen die beklagte Partei Kurverband B*****, vertreten durch Dr. Walter Rinner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Kündigungsanfechtung (Streitwert S 80.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 67/01m-38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 17 Cga 22/99i-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 6.086,40 (darin S 1.014,40 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor; diese Beurteilung bedarf keiner Begründung (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Sozialwidrigkeit der Kündigung zutreffend verneint. Es reicht daher insofern aus, auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin Folgendes entgegenzuhalten:

Bei der Lösung der Frage, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG), muss vorerst ohne Rücksicht auf andere Anfechtungsvoraussetzungen und ohne Koppelung mit anderen Tatbeständen oder Tatbestandsmerkmalen geprüft werden, ob durch sie wesentliche Interessen des betroffenen Arbeitnehmers beeinträchtigt werden (Arb 10.755; DRdA 1989/24 [Floretta]; Arb 10.874; RIS-Justiz RS0051640, RS0051746 ua). Sind wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt, kann die Kündigung nur dann nicht sozialwidrig sein, wenn der Arbeitgeber den Nachweis des Vorliegens eines Ausnahmetatbestandes erbringt, etwa den der betriebsbedingten Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG. Aber auch die Verwirklichung dieses Ausnahmetatbestandes hebt für sich allein die Sozialwidrigkeit nicht auf. Die beiderseitigen Interessen treten vielmehr dann in eine Wechselwirkung; die Interessen des Arbeitgebers an der Kündigung und des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung seines Arbeitsplatzes sind gegeneinander abzuwägen (Floretta im ArbVG-Handkommentar, 637 f; Kuderna, DRdA 1975, 9 [14 f]; DRdA 1989/24 [Floretta]; Firlei, WBl 1989, 197; Köck, ecolex 1990, 42 [44]; Arb 10.874; DRdA 1992/41 [Runggaldier]; DRdA 1994/20 [Trost]; RdW 1996, 332; RdW 1998, 357; RIS-Justiz RS0051818 ua). Während bei dem nur über entsprechendes Vorbringen des Arbeitnehmers zu berücksichtigenden Sozialvergleich gemäß § 105 Abs 3 ArbVG (DRdA 1989/24 [Floretta]; Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht8 585) auch Arbeitnehmer einzubeziehen sind, die weiter beschäftigt werden, aber von der Kündigung weniger hart betroffen wären als der Gekündigte, geht es bei der sozialen Gestaltungspflicht des Arbeitgebers und der damit verbundenen Prüfung, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt ist, um die Besetzung einschlägiger vorhandener Stellen (Arb 10.874). Eine Kündigung ist in den Betriebsverhältnissen nur dann begründet, wenn sie im Interesse des Betriebes notwendig ist (DRdA 1988/10 [Floretta]; DRdA 1994/20 [Trost]); dabei muss die wirtschaftliche Bedingtheit der Kündigung vom Arbeitgeber in rational nachvollziehbarer Weise dargetan werden (Arb 10.874; RIS-Justiz RS0051825). Zweckmäßigkeit und Richtigkeit der betrieblichen Rationalisierungsmaßnahmen sind aber vom Gericht nicht zu überprüfen und dem wirtschaftlichen Ermessen des Betriebsinhabers vorbehalten (DRdA 1988/10 [Floretta]; DRdA 1989/24 [Floretta]; infas 1997, A 114; Tomandl, ZAS 1999, 104 [110 ff]; RIS-Justiz RS0051649; RS0052008). Auch hochrentable Unternehmen sind frei in ihrer Entscheidung, rentabilitätserhöhende Rationalisierungsmaßnahmen durchzuführen (ecolex 1998, 155; 8 ObA 153/97a). Die Freiheit des Unternehmers, auf die betrieblichen Erfordernisse nach wirtschaftlichem Ermessen zu reagieren, ist ein tragendes Element der Marktwirtschaft (Pircher, JBl 2001, 694 [701, 703]).

Der Kündigungsschutz steht nach dem Vorgesagten im Spannungsverhältnis zwischen der Fürsorgepflicht, die eine weitgehende Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen verlangt, und dem Prinzip der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit (Pircher, JBl 2001, 694 [701]). Bei der Abwägung sind die durch die Kündigung beeinträchtigten Interessen des Arbeitnehmers den Interessen des Arbeitgebers gegenüberzustellen und zu untersuchen, welche überwiegen. Überwiegen die Interessen des Arbeitgebers, ist die Kündigung nicht sozialwidrig (DRdA 1992/41 [Runggaldier]; DRdA 1994/20 [Trost]).

Fällt der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers wie im vorliegenden Fall weg, ist zu prüfen, ob nicht allenfalls vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt eine Verwendung des Arbeitnehmers in einem anderen Bereich des Betriebes möglich ist. Der Betriebsinhaber hat in Berücksichtigung der sozialen Interessen seiner Arbeitnehmer trotz Rationalisierung alle ihm zumutbaren Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen (DRdA 1988/10 [Floretta]; RdW 1998, 357; RdW 2000/461; RIS-Justiz RS0051827, RS0052008). Erst wenn auch dann eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit fehlt, ist die Kündigung in den Betriebsverhältnissen als ultima ratio gerechtfertigt (RdW 1995, 438; ecolex 1998, 155; 8 ObA 153/97a; 8 ObA 172/98x); das betriebliche Ziel soll nämlich mit dem mildesten Mittel verfolgt werden (Pircher, JBl 2001, 694 [708]). Besondere Umstände, die ausnahmsweise eine Reichweite der sozialen Gestaltungspflicht über den Betrieb der beklagten Partei hinaus rechtfertigen würden (vgl Pircher, JBl 2001, 694 (696); RdW 1989, 400 [bereits wiederholte Verwendung in verschiedenen Betrieben des Betriebsinhabers]; DRdA 1999, 147 [Leiharbeit] ua), liegen hier gleichfalls nicht vor. Die Betriebsverfassung bezweckt die Herbeiführung eines Interessenausgleichs zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes (§ 39 Abs 1 ArbVG). Der Interessenausgleich hat dabei einerseits die Belegschaft als Kollektiv und andererseits den Betrieb als wirtschaftliche Grundlage für die Beschäftigten im Auge (Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Kundtner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht Bd 2² Erl 1 zu § 39 ArbVG). Der Kündigungsschutz berührt mittelbar die Interessen der Belegschaft. Die Abwägung zwischen der Fürsorgepflicht und der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit hat so zu erfolgen, dass die (langfristigen) Interessen des Betriebes, d.h. seiner gesunden wirtschaftlichen Basis, nicht gefährdet werden, da der Betrieb für die Belegschaft eine Existenzsicherung bildet. Der Kündigungsschutz darf nicht so praktiziert werden, dass die Lage der Belegschaft und somit des Betriebes langfristig gefährdet wird (Pircher, JBl 2001, 694 [701 ff]). Dies wäre jedoch bei der Aufrechterhaltung des betriebswirtschaftlich überflüssig gewordenen Arbeitsplatzes der Klägerin der Fall (Grillberger, WBl 1990, 7 [12]). Der Unternehmer darf nicht über den Kündigungsschutz mittelbar gezwungen werden, unwirtschaftliche Arbeitsplätze zu erhalten (Pircher, JBl 2001, 694 [703]). Soweit die Revisionswerberin argumentiert, ihr Arbeitsplatz wäre nicht weggefallen, sondern nachbesetzt worden, entfernt sie sich von den bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen. Auf die Überlegungen der Revisionswerberin zu einem allfälligen Betriebteils-Übergang auf die B*****gesellschaft mbH kommt es nicht an, weil die gegenständliche Kündigung nach den bindenden Feststellungen ihren tragenden Grund nicht in diesem Umstand hat. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist auch nicht das Verhältnis zum Erwerber, weshalb die Frage, ob überhaupt ein Übergang stattgefunden hat, hier auf sich beruhen kann.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG.