OGH vom 27.11.2012, 8ObA63/12s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte Hon. Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martina Rosenmayr Khoshideh und Susanne Jonak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** K*****, vertreten durch Mag. Boris Knirsch, Mag. Michael Braun, Mag. Christian Fellner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei T***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Roland Gerlach LLM, Mag. Branco Jungwirth, Mag. Michaela M. Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kündigungsanfechtung (Streitwert: 37.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 44/12k 27, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 13 Cga 178/08b 22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:
„Das Klagebegehren, die von der beklagten Partei am ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur klagenden Partei werde für rechtsunwirksam erklärt, wird abgewiesen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.963,44 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 327,24 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war seit dem als Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom das Arbeitsverhältnis zum Kläger zum auf. Grund für diese Kündigung war ein von der Beklagten wahrgenommener mangelnder Arbeitserfolg. Der Kläger, der zunächst die Anfechtungsfrist gemäß § 105 Abs 4 ArbVG versäumt hatte, stellte beim Erstgericht zur AZ 25 Cga 105/08f einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und brachte unter einem eine Anfechtungsklage mit dem Begehren ein, die am ausgesprochene Kündigung wegen Sozialwidrigkeit für rechtsunwirksam zu erklären.
Der Beschluss, mit dem dem Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist bewilligt wurde, wurde der Beklagten samt einer Ladung zu einem Verhandlungstermin am zugestellt. Nachdem bei der Beklagten derart bekannt wurde, dass der Kläger gegen die Kündigung eine Klage eingebracht hatte, entschloss man sich dazu, den Kläger ein weiteres Mal zu kündigen, weil die Anfechtung der ersten Kündigung erfolgreich sein könne und man den Kläger dann weiterbeschäftigen müsse. Der Betriebsratsvorsitzende der Beklagten wurde davon informiert und entschloss sich, der nun auszusprechenden Eventualkündigung zuzustimmen. Nach Einhaltung dieses Vorverfahrens sprach die Beklagte mit Schreiben vom die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum Kläger zum aus.
Im vom Kläger gegen die erste Aufkündigung am beim Erstgericht eingeleiteten Anfechtungsverfahrens wurde diese wegen Sozialwidrigkeit für rechtsunwirksam erklärt.
Der Kläger begehrt nunmehr die Unwirksamerklärung der Eventualkündigung. Soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, brachte er vor, dass diese wegen eines verpönten Motivs gemäß § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG ausgesprochen worden sei. Grund für die zweite Kündigung sei der Umstand, dass der Kläger seinen Arbeitgeber mit der ersten Anfechtungsklage in Anspruch genommen habe. Die Berechtigung dieses Anspruchs des Klägers ergebe sich daraus, dass das erste Anfechtungsverfahren auch erfolgreich gewesen sei.
Die Beklagte bestritt, aus einem verpönten Motiv gehandelt zu haben. Eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Eventualkündigung sei während eines noch laufenden Kündigungsverfahrens zulässig. Sie verdeutliche lediglich den Standpunkt des Arbeitgebers, dass er das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer auch für den Fall endgültig beenden wolle, dass der Arbeitnehmer mit seinem Anfechtungsbegehren gegen die erste Kündigung durchdringe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Für die Eventualkündigung des Klägers sei der Umstand maßgebend gewesen, dass der Kläger die erste Kündigung bei Gericht angefochten habe. Dem Kläger sei es gelungen, iSd § 105 Abs 5 ArbVG glaubhaft zu machen, dass dieser Umstand das alleinige Motiv der Beklagten für die Eventualkündigung gewesen sei. Darüber hinaus habe die Beklagte zum Zeitpunkt des Ausspruchs dieser Kündigung aufgrund der Zustimmung des Betriebsrats gewusst, dass eine nochmalige Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit nicht mehr zulässig sei. Der Anspruch des Klägers, bei der Beklagten trotz der rechtsunwirksamen ersten Kündigung des Arbeitsverhältnisses weiter beschäftigt zu bleiben, sei ein offenbar nicht unberechtigter Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis, der gerade durch den Ausspruch der Eventualkündigung nach Zustimmung des Betriebsrats habe verhindert werden sollen. Es liege daher ein verpöntes Motiv gemäß § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG vor. Dass ein anderes Motiv für die Eventualkündigung maßgebend iSd § 105 Abs 5 ArbVG gewesen wäre, habe die Beklagte nicht glaubhaft gemacht.
Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Aus dem Umstand, dass eine Eventualkündigung grundsätzlich zulässig sei, lasse sich nicht bereits der Schluss ziehen, dass die Anfechtung der ersten Kündigung als Grund für die Eventualkündigung kein verpöntes Motiv gemäß § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG sein könne. Mit der Anfechtung der ersten Kündigung habe der Kläger nicht offenbar unberechtigt einen von der Beklagten in Frage gestellten Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht, nämlich den Anspruch auf ununterbrochene Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses. Der Kläger habe glaubhaft gemacht, dass die Eventualkündigung auf die Geltendmachung dieses Anspruchs durch ihn zurückzuführen sei. Dies stelle ein verpöntes Motiv iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG dar. Dass ein anderes Motiv mit höherer Wahrscheinlichkeit für die Kündigung ausschlaggebend gewesen wäre, habe die Beklagte nicht einmal behauptet. Die im Gegensatz zur ersten Kündigung nunmehr erteilte Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten Eventualkündigung stelle für sich allein kein sachliches Kündigungsmotiv dar, das die Beklagte dem verpönten Kündigungsmotiv entgegensetzen könne.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei.
Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts zulässig, sie ist auch berechtigt.
1. Eine zu einem späteren Zeitpunkt für den Fall der Stattgebung einer Kündigungsanfechtung hinsichtlich einer zuvor ausgesprochenen Kündigung ausgesprochene Eventualkündigung ist grundsätzlich zulässig (8 ObA 4/03a; 9 ObA 119/05y ua). Dies wird auch vom Kläger gar nicht mehr in Frage gestellt.
2. Nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG kann eine Kündigung dann angefochten werden, wenn sie wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung von vom Arbeitgeber in Frage gestellten Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis durch den Arbeitnehmer erfolgt. Der wesentliche Zweck dieser Anfechtungsbestimmung liegt darin, die arbeitsrechtliche Stellung des Arbeitnehmers zu schützen (8 ObA 68/03p mwH). Umfasst ist dabei nicht nur die Geltendmachung von Geldansprüchen, sondern auch anderer vom Arbeitgeber in Frage gestellter Ansprüche (9 ObA 223/93; RIS Justiz RS0104686). Bei diesem Kündigungsanfechtungsgrund geht es also darum, dass der Arbeitgeber nach Meinung des Arbeitnehmers bestehende Ansprüche nicht erfüllt, dass der Arbeitnehmer diese nicht erfüllten Ansprüche dem Arbeitgeber gegenüber geltend macht, und dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen dieser Geltendmachung kündigt (RIS Justiz RS0051666). Vom Schutzzweck sind nicht nur schon entstandene Ansprüche, sondern zusätzlich Ansprüche auf Wahrung der Rechtsposition aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis gegen einseitige Eingriffe erfasst (8 ObA 298/99b ua).
3. Der von § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG verfolgte Zweck des Schutzes der arbeitsrechtlichen Stellung des Arbeitnehmers bezieht sich aber auf den Schutz des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis . Das Bestreben des Arbeitnehmers, nicht gekündigt zu werden, stellt hingegen angesichts der im österreichischen Arbeitsrecht geltenden Kündigungsfreiheit keinen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis dar, der durch § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG geschützt ist. Die Beklagte, die mit der von ihr ausgesprochenen Eventualkündigung für den Fall des Erfolgs der Anfechtung der ersten Kündigung nur an ihrer Absicht festhielt, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu beenden, stellte daher mit dieser Eventualkündigung keinen offenbar nicht unberechtigten Anspruch des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis in Frage. Das dargestellte Motiv für die Eventualkündigung ist aus diesen Gründen kein verpöntes Motiv iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG. Ein anderes verpöntes Motiv im Sinn dieser Bestimmung hat der Kläger nicht geltend gemacht. Der bloße Umstand, dass dem Kläger die Anfechtung der neuerlich ausgesprochenen Kündigung infolge der nunmehr erfolgten ausdrücklichen Zustimmung des Betriebsrats nicht mehr wegen Sozialwidrigkeit möglich ist, kann nicht der Beklagten zugerechnet werden.
Der Revision war daher Folge zu geben und das Klagebegehren abzuweisen.
Ein Kostenersatz findet im Verfahren erster und zweiter Instanz gemäß § 58 Abs 1 iVm § 50 Abs 2 ArbVG nicht statt. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2012:008OBA00063.12S.1127.000