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OGH vom 16.06.2008, 8Ob46/08k

OGH vom 16.06.2008, 8Ob46/08k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätinnen Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des Peter S*****, zuletzt wohnhaft gewesen in *****, über den Revisionsrekurs des Einrichtungsleiters Günther K*****, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 15 R 37/08d-14, womit der Rekurs des Einrichtungsleiters gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom , GZ 42 HA 3/07h-5, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Peter S***** (in der Folge: Bewohner) lebte bis zu seinem Tod am in einem Altenheim, einer Einrichtung iSd § 2 Abs 1 HeimAufG.

Über Antrag der Bewohnervertreterin verkündete das Erstgericht in der am abgehaltenen Tagsatzung, in welcher auch die Erstanhörung durchgeführt wurde, nach Einholung eines Sachverständigengutachtens den Beschluss, dass die Freiheitsbeschränkung des Bewohners durch Hindern am Verlassen seines Bettes mittels angebrachter Seitenteile für unzulässig erklärt werde (der weitere Ausspruch des Erstgerichts über eine medikamentöse Freiheitsbeschränkung des Bewohners durch das Verabreichen des Medikaments Psychopax zu näher genannten Zeiträumen ist unbekämpft in Rechtskraft erwachsen).

Der Einrichtungsleiter - der sich während der Verhandlung entfernt hatte - meldete keinen Rekurs an.

Den vom Einrichtungsleiter am erhobenen Rekurs wies das Rekursgericht zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage der Rechtsmittellegitimation bzw zum Wegfall der Beschwer des Einrichtungsleiters bei Eintritt des Todes des Bewohners während des Rekursverfahrens höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtlich ging das Rekursgericht davon aus, dass zwar die Rechtsprechung zum UbG, wonach es dem Abteilungsleiter nach Aufhebung der Unterbringungsmaßnahme an der Beschwer zur Rekurserhebung mangle, nicht auf das HeimAufG zu übertragen sei. Allerdings sei hier zu beachten, dass der Bewohner während des laufenden Rekursverfahrens, nämlich am , verstorben sei. In diesem Fall könnte in Erledigung des Rechtsmittels des Einrichtungsleiters lediglich ausgesprochen werden, dass eine nicht mehr aktuelle und auch künftig nicht mehr aktuell werdende freiheitsbeschränkende Maßnahme weiterhin zulässig wäre. Diese Entscheidung wäre von rein theoretischer Natur. Ein Rechtsmittelrecht des Einrichtungsleiters sei bei dieser Sachlage zu verneinen.

Gegen diesen Beschluss des Rekursgerichts wendet sich der Revisionsrekurs des Einrichtungsleiters mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Rekursentscheidung dahin, dass der Beschluss über die Zurückweisung des Rekurses ersatzlos aufgehoben und dem Rekursgericht die inhaltliche Entscheidung über den Rekurs aufgetragen werde.

Im Revisionsrekurs macht der Einrichtungsleiter zusammengefasst geltend, dass es ihm zur Wahrung der Interessen der Einrichtung freistehen müsse, selbst nach dem Tod des Heimbewohners einen Beschluss, mit dem eine Freiheitsbeschränkung für unzulässig erklärt worden sei, inhaltlich überprüfen und abändern zu lassen. Der Ausspruch, dass eine Einrichtung eine angebliche unzulässige Freiheitsbeschränkung vorgenommen habe, könne nicht „ohne Rechtsschutz im Raum stehen bleiben". Es dürfe auch nicht übersehen werden, dass derartige Entscheidungen auch schadenersatzrechtliche Folgen nach sich ziehen könnten.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung der §§ 15 Abs 3, 16 Abs 2 HeimAufG fehlt. Der Revisionsrekurs ist jedoch nicht berechtigt.

Gemäß § 15 Abs 3 des Bundesgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit während des Aufenthalts in Heimen und anderen Pflege- und Betreuungseinrichtungen (HeimAufG BGBl I 2004/11) ist eine Freiheitsbeschränkung sofort aufzuheben, wenn sie das Gericht für unzulässig erklärt, es sei denn, dass der Leiter der Einrichtung in der Verhandlung gegen diesen Beschluss einen Rekurs anmeldet und dass das Gericht diesem Rekurs sogleich aufschiebende Wirkung zuerkennt. Eine Rekursanmeldung erfolgte im Verfahren nicht.

Gemäß § 16 Abs 2 HeimAufG kann der Leiter der Einrichtung gegen den Beschluss, mit dem eine Freiheitsbeschränkung für unzulässig erklärt wird, innerhalb von sieben Tagen ab Zustellung Rekurs erheben. Das Gericht erster Instanz hat unmittelbar nach Einlangen des Rekurses zu entscheiden, ob die dem Rekurs nach § 15 Abs 3 zuerkannte aufschiebende Wirkung weiter besteht. Gegen diese Entscheidung ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig.

Nach der ständigen, trotz der Kritik der Lehre (Hopf/Aigner UbG § 28 Anm 8a; Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts² Rz 352; ders zu 4 Ob 576/94 = RdM 1995/12) bis zuletzt aufrecht erhaltenen Rechtsprechung des OGH zum UbG mangelt es nach Aufhebung der Unterbringungsmaßnahmen und Ablauf der Frist, für die die strittigen Maßnahmen als zulässig erklärt worden waren, an einer aufrechten Beschwer des Abteilungsleiters durch die die Unterbringungsmaßnahmen für nicht zulässig erklärende Entscheidung (RIS-Justiz RS0007806; RS0076104; 1 Ob 189/05h; zuletzt 10 Ob 38/08y und 7 Ob 77/08m).

Zur bisher in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht behandelten Frage der Rekurslegitimation des Leiters der Einrichtung bei einer bereits erfolgten Aufhebung der freiheitsbeschränkenden Maßnahme nach dem HeimAufG wird in der Lehre die Auffassung vertreten, dass der Einrichtungsleiter ein Rechtsschutzinteresse auch dann habe, wenn die freiheitsbeschränkende Maßnahme zum Zeitpunkt der Rekursentscheidung (der Revisionsrekursentscheidung) bereits aufgehoben war (Barth, Spezielle Fragen zum Gerichtsverfahren nach HeimAufG, RZ 2006, 2 [8 f]; Barth/Engel, Heimrecht § 16 Anm 8; Klaushofer, Heimaufenthaltsgesetz [HeimAufG]: ein erster Überblick, ZfV 2004, 590 [605]; Zierl, Heimrecht² 165 f). Dieser Auffassung schloss sich in der Folge bisher auch ein Teil der zweitinstanzlichen Rechtsprechung an (LG Eisenstadt FamZ 2006/38; LG Salzburg FamZ 2006/12 = EFSlg 114.494). Als maßgeblicher Unterschied zur Rechtslage nach dem UbG wird angesehen, dass der Einrichtungsleiter bei seinen Entscheidungen über die Vornahme freiheitsbeschränkender Maßnahmen primär das öffentliche Interesse auf Gefahrenabwehr (§ 4 HeimAufG) zu verfolgen habe. Da - anders als im UbG - nicht jede Freiheitsbeschränkung vom Gericht amtswegig wahrzunehmen sei, sei das „Abstecken" eines „Zulässigkeitsrahmens" für zukünftige Freiheitsbeschränkungen (auch im Interesse der einrichtungsinternen und gerichtlichen Verfahrensökonomie) unabdingbar. Daher sei dem Einrichtungsleiter auch in § 11 Abs 1 HeimAufG ein Antragsrecht eingeräumt. Vor diesem Hintergrund habe auch dieser ein Rechtsschutzinteresse an einer gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit einer in seiner Einrichtung vorgenommenen, nunmehr aber beendeten Freiheitsbeschränkung (Barth, aaO RZ 2006, 9).

Eine abschließende Auseinandersetzung damit, ob die zitierte Rechtsprechung zur Rekurslegitimation des Abteilungsleiters nach UbG auf die Rekurslegitimation des Heimleiters nach dem HeimAufG zu übertragen ist, ist allerdings aus folgenden Gründen ebenso entbehrlich wie eine Prüfung der Frage, ob und welchen Einfluss der Tod des Bewohners während des Rekursverfahrens auf die Rekurslegitimation des Einrichtungsleiters im konkreten Fall hat:

Gemäß § 28 Abs 2 Satz 1 UbG kann der Abteilungsleiter gegen den Beschluss, mit dem die Unterbringung für unzulässig erklärt wird, unter der Voraussetzung des § 26 Abs 3 innerhalb von acht Tagen Rekurs erheben. In § 26 Abs 3 UbG ist festgelegt, dass bei Unzulässigerklärung der Unterbringung das Gericht diese sogleich aufzuheben hat, es sei denn, dass der Abteilungsleiter in der mündlichen Verhandlung die Erklärung abgibt, dass er gegen den Beschluss Rekurs erhebt und dass das Gericht diesem Rekurs sogleich aufschiebende Wirkung zuerkennt. Aus dem Verweis auf § 26 Abs 3 UbG in § 28 Abs 2 UbG folgt also, dass der Abteilungsleiter nur dann Rekurs erheben darf, wenn er das Rechtsmittel noch in der mündlichen Verhandlung angemeldet hat (Hopf/Aigner, UbG § 28 Anm 8; Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts² Rz 416). Auch in § 15 Abs 3 HeimAufG ist festgelegt, dass eine für unzulässig erklärte Freiheitsbeschränkung sofort aufzuheben ist, es sei denn, dass der Leiter der Einrichtung in der Verhandlung gegen diesen Beschluss einen Rekurs anmeldet und dass das Rekursgericht diesem Rekurs sogleich aufschiebende Wirkung zuerkennt.

Gemäß § 16 Abs 2 Satz 1 HeimAufG kann der Leiter der Einrichtung innerhalb von sieben Tagen ab Zustellung Rekurs gegen den Beschluss erheben, mit dem eine Freiheitsbeschränkung für unzulässig erklärt wird. Das in § 28 Abs 2 UbG ausdrücklich genannte Erfordernis der vorherigen Rekursanmeldung („unter der Voraussetzung des § 26 Abs 3 ...") enthält § 16 Abs 2 HeimAufG allerdings nicht.

Der Ministerialentwurf zum neuen HeimAufG ging insbesondere wegen der Betonung der Vorbildwirkung des Unterbringungsverfahrens jedoch davon aus, dass auch ein Rekurs durch den Leiter der Einrichtung nur bei vorheriger Rekursanmeldung möglich war, lautete doch § 9 Abs 2 des Entwurfs (366/ME BMJ vom , GZ 7.054/62-I.2/2002, 5) wie folgt:

„Gegen den Beschluss, mit dem eine Beschränkung für unzulässig erklärt wird, kann die Pflegeleitung unter der Voraussetzung des § 8 Abs 3 innerhalb von sieben Tagen Rekurs erheben. Das Gericht erster Instanz hat unmittelbar nach Einlangen des Rekurses zu entscheiden, ob dem Rekurs weiter aufschiebende Wirkung zukommt. Gegen diese Entscheidung ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig."

Die Textgegenüberstellung von § 9 Abs 2 des Ministerialentwurfs und § 16 Abs 2 der nachfolgenden Regierungsvorlage (353 BlgNR 22. GP), wie er zuletzt auch vom Nationalrat zum Gesetzesbeschluss erhoben wurde (BGBl I 2004/11), zeigt, dass die vorgenommenen Veränderungen einzig auf die Klarstellung des Beginns des Fristenlaufs für Rechtsmittel durch die Einrichtungsleiter ausgerichtet waren. Dieser Fristenlauf ist nämlich aus dem Wortlaut der „Vorbildbestimmung"des § 28 Abs 2 UbG nicht eindeutig ableitbar (Kopetzki, aaO Rz 421; zur Vorbildhaftigkeit des UbG für das HeimAufG im Allgemeinen siehe auch Leder, Heimaufenthalt und Unterbringen - ein Vergleich, FamZ 2006, 217).

Andere Absichten als eine Klarstellung des Beginns des Fristenlaufs waren mit der Neugestaltung nicht erkennbar intendiert. Das Erfordernis der vorherigen Rekursanmeldung wollte der Gesetzgeber also nicht inhaltlich aufgeben. Auch der Vergleich zwischen den Erläuterungen zu den §§ 8 und 9 des Ministerialentwurfs und den §§ 15 und 16 der Regierungsvorlage bestätigt diesen Befund: Aufbauend auf den Ausführungen zum Ministerialentwurf wird in Letzterer weiterhin auf § 26 Abs 3 und § 28 UbG verwiesen; ein Abgehen von der im Unterbringungsverfahren normierten Verpflichtung zur Rekursanmeldung wird an keiner Stelle erwogen (RV aaO, 16). Auch der - zugegebenerweise nicht eindeutige - Wortlaut des § 16 Abs 2 HeimAufG spricht nicht gegen diese Auslegung: § 16 Abs 2 Satz 2 HeimAufG legt fest, dass das Gericht erster Instanz unmittelbar nach Einlangen des Rekurses über das Weiterbestehen einer aufschiebenden Wirkung nach § 15 Abs 3 HeimAufG zu entscheiden hat. Diese unmittelbare Bezugnahme auf § 15 Abs 3 HeimAufG rechtfertigt die Schlussfolgerung, dass dem Leiter der Einrichtung - so wie dem Abteilungsleiter nach UbG - nur unter der Voraussetzung der Rekursanmeldung ein Rekursrecht zusteht, wobei die Frist für die Ausfertigung des angemeldeten Rekurses sieben Tage ab Zustellung der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung beträgt.

Auch im Schrifttum (Klaushofer, aaO ZfV 2004, 605; Zierl, Heimrecht² 166) wird die Auffassung vertreten, dass ein Rekurs durch den Einrichtungsleiter nur bei vorheriger Rekursanmeldung möglich ist. Insbesondere wegen dieser aus den Materialien deutlich hervorgehenden Absicht des Gesetzgebers, in der Frage der Zulässigkeit von Rechtsmitteln dem § 28 UbG zu folgen, ist diesem Ergebnis beizupflichten.

Daraus folgt aber, dass die Zurückweisung des Rekurses durch das Rekursgericht jedenfalls im Ergebnis schon deshalb berechtigt war, weil im hier zu beurteilenden Fall eine Rekursanmeldung in der Verhandlung durch den Einrichtungsleiter nicht erfolgt war. Seinem hiegegen ankämpfenden Revisionsrekurs war damit ein Erfolg zu versagen.