OGH vom 10.10.2001, 10ObS300/01t

OGH vom 10.10.2001, 10ObS300/01t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Gunter Krainhöfner und Franz Ovesny (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Anton G*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Clemens Endl, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Aufrechnung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 161/01k-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 11 Cgs 117/00p-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Da die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes zutreffend ist, kann gemäß § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO auf deren Richtigkeit verwiesen werden. Den Revisionsausführungen ist noch Folgendes entgegenzuhalten:

Nach § 71 Abs 2 GSVG ist unter anderem die Aufrechnung nach § 71 Abs 1 Z 1 GSVG "bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig". Diese Bestimmung entspricht § 103 Abs 2 ASVG. Im ASVG befindet sich diese Regelung bereits seit seiner Stammfassung (BGBl 1955/189). Weder § 103 Abs 2 ASVG noch § 71 Abs 2 GSVG wurde vom Gesetzgeber abgeändert, insbesondere auch nicht im Zuge der mehrfachen umfangreichen Novellen der Exekutionsordnung in den

letzten Jahren. Bereits in der Grundsatzentscheidung 10 ObS 146/93 =

SSV-NF 7/100 = SZ 66/134 hat der Oberste Gerichtshof mit

ausführlicher Begründung dargelegt, dass die Pfändungsbeschränkungen der EO einer Aufrechnung bis zur Hälfte der vom Versicherungsträger zu erbringenden Geldleistungen im Sinne des § 103 Abs 2 ASVG nicht entgegenstehen, weil § 293 Abs 3 EO zwar die Aufrechnung gegen die der Exekution entzogenen Teile einer Forderung auf Ausnahmsfälle einschränke, nach seinem ausdrücklichen Wortlaut jedoch nicht in den Fällen gelte, in denen nach bereits bestehenden Vorschriften Abzüge ohne Beschränkung auf den der Exekution unterliegenden Teil gestattet sind. § 103 Abs 2 ASVG sei aber eine solche bestehende Ausnahmevorschrift, die dem eigentlichen Exekutionsrecht als speziellere Norm vorgehe und eine Aufrechnung in den nach der EO pfändungsfreien Teil zulasse. Es bleibe demnach dem alleinigen Ermessen des Sozialversicherungsträgers überlassen, die Höhe der Abzugsrate auf relativ niedrigem Niveau festzulegen. An dieser Ansicht hat der Oberste Gerichtshof in den Folgejahren (vgl SSV-NF 12/85, 12/103, 10 ObS 392/98i ua, RIS-Justiz RS0013254; vgl auch Resch in Burgstaller/Deixler, EO, Rz 15 zu § 293; Zechner, Forderungsexekution Rz 1 zu § 290 und Rz 9 zu § 291a jeweils mwN ua) sowie auch in jüngster Zeit - nach der Änderung des § 71 Abs 1 Z 1 GSVG (ebenso § 103 Abs 1 Z 1 ASVG,§ 67 Abs 1 Z 1 BSVG) durch das Steuerreformgesetz 2000, BGBl I 1999/106 - unter anderem unter Hinweis darauf, dass auch die EO-Novelle 2000 insoweit keine Änderung der Rechtslage gebracht hat, ausdrücklich festgehalten (vgl 10 ObS 119/01z, 10 ObS 152/01b, 10 ObS 252/01h ua). Die Revisionsausführungen bieten keinen Anlass, von dieser ständigen Rechtsprechung abzugehen.

Der erkennende Senat teilt aber auch nicht die vom Revisionswerber gegen die Bestimmung des § 71 Abs 1 Z 1 GSVG idF des Steuerreformgesetzes 2000, BGBl I 1999/106, geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken.

Nach der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Steuerreformgesetzes 2000 war eine Aufrechnung nur mit Beitragsforderungen des konkret leistungspflichtigen Versicherungsträgers zulässig (SSV-NF 7/100). Wie der erkennende Senat in der Entscheidung 10 ObS 392/98i näher dargelegt hat, bleibt ungeachtet des Umstands, dass der Krankenversicherungsträger die Einhebung der Beiträge zur Sozialversicherung ausschließlich betreibt und auch die entsprechenden Rückstandsausweise zu erlassen hat, der Versicherungsträger, für den die Einbringung erfolgt, weiterhin Gläubiger der Forderung, soweit die Einbringung für seine Rechnung erfolgt. Insoweit war daher nach der alten Rechtslage auch die für eine Aufrechnung grundsätzlich vorgesehene Gegenseitigkeit der Forderungen gegeben.

Seit dem Inkrafttreten des Steuerreformgesetzes ist eine Aufrechnung aber auch "trägerübergreifend" (also nicht nur zB Pensionsversicherungs- und Krankenversicherungsträger, sondern auch Versicherungsträger nach dem ASVG und dem GSVG, BSVG usw) zulässig. Solche trägerübergreifenden Aufrechnungsbestimmungen finden sich nicht nur in § 71 Abs 1 Z 1 GSVG, sondern auch in den gleichlautenden Bestimmungen der §§ 103 Abs 1 Z 1 ASVG und 67 Abs 1 Z 1 BSVG. Auch in § 44 Abs 1 Z 1 B-KUVG wurde eine solche Bestimmung aufgenommen. Die Ansicht des Revisionswerbers, dass es in der Praxis nur bei GSVG-Pensionsbeziehern und nicht auch bei ASVG-Pensionsbeziehern zu einer trägerübergreifenden Aufrechnung kommen könne, lässt die Bestimmungen über die Wanderversicherung (§ 251a ASVG) außer Betracht (vgl 10 ObS 252/01h und 10 ObS 131/01i jeweils betreffend einen ASVG-Pensionsbezieher). Die Bestimmungen über die Wanderversicherung zeigen, dass dem System der österreichischen Sozialversicherung auch in anderen Bereichen trägerübergreifende Wirkungen immanent sind. So wird im Rahmen der Bestimmungen über die Wanderversicherung (vgl § 251a ASVG) Vorsorge dafür getroffen, dass bei Vorliegen von Versicherungszeiten in verschiedenen Versicherungen die einzelnen Versicherungsträger auf die in der anderen Versicherung erworbenen Versicherungszeiten Bedacht nehmen, um zu verhindern, dass einem Versicherten beim Wechsel der Versicherung (etwa beim Übergang von der Selbständigkeit zur Unselbständigkeit und zurück) ein Nachteil in dem Sinne erwächst, dass die in vorangegangenen Versicherungen erworbenen Anwartschaften verloren gehen oder bei der Renten(Pensions)leistung nicht berücksichtigt werden. Es trifft zwar zu, dass durch die Möglichkeit der "trägerübergreifenden" Aufrechnung der Grundsatz der Gegenseitigkeit bei der Aufrechnung stark relativiert wurde. Angesichts der gleichen oder ähnlichen Zielsetzung der von den Versicherungsträgern zu erfüllenden Aufgaben würde es aber eine unnötige Verwaltungserschwerung bedeuten, die Versicherungsträger streng an das Erfordernis der Gegenseitigkeit der aufzurechnenden Forderung zu binden. So lässt es auch für den deutschen Rechtsbereich die insoweit vergleichbare Bestimmung des § 52 SGB I zu, dass der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnet (vgl Hauck, SGB I, 18. Lfg V/99 Rz 1 zu § 52). Im Übrigen wurde durch die nunmehr trägerübergreifende Aufrechnungsbestimmung für den Versicherten weder eine neue Verbindlichkeit geschaffen noch seine Rechtsposition für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Neuregelung verschlechtert, sondern es wurde für die einzelnen Sozialversicherungsträger nur die Möglichkeit geschaffen, ihre Forderungen nicht mehr nur im Wege der Pensionspfändung, sondern direkt im Wege der Aufrechnung über den leistungspflichtigen Versicherungsträger auch ohne die Pfändungsbeschränkungen der EO einbringlich zu machen. Schließlich muss auch darauf Bedacht genommen werden, dass die Versicherungsträger nur mittels der - im Rahmen der Riskengemeinschaft - geleisteten Beiträge ihren Leistungsverpflichtungen nachkommen können. Damit sieht sich der erkennende Senat aber auch im vorliegenden Fall nicht veranlasst, im Sinne der Ausführungen des Klägers den Verfassungsgerichtshof mit einem Normenprüfungsverfahren zu befassen (ebenso 10 ObS 119/01z, 10 ObS 152/01b, 10 ObS 252/01h ua).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.