VfGH vom 04.12.2003, B497/03

VfGH vom 04.12.2003, B497/03

Sammlungsnummer

17076

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch verfassungswidrige Gesetzesauslegung bei Verhängung einer Verwaltungsstrafe über den Beschwerdeführer wegen Verkürzung der Tiroler Aufenthaltsabgabe; Tatbild der Abgabenverkürzung durch bloße Nichtentrichtung der Abgabe bei Erfüllung der gesetzlich vorgesehenen Meldepflichten nicht erfüllt

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Landeshauptmann von Tirol ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 2.142,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Über den Beschwerdeführer, einen Tiroler Hotelier, wurde mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kufstein wegen Verkürzung der Tiroler Aufenthaltsabgabe eine Verwaltungsstrafe verhängt; er habe als Unterkunftgeber die fällige Abgabe für abgabepflichtige Nächtigungen im Jänner 2002 nicht bis zum Ende des folgenden Monats ohne weitere Aufforderung an den Tourismusverband abgeführt, sondern sie erst nach rechtskräftiger bescheidmäßiger Vorschreibung entrichtet. Die Berufung des nunmehrigen Beschwerdeführers dagegen wurde als unbegründet abgewiesen. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes gerügt werden.

2. Die für den vorliegenden Fall maßgebende Rechtslage stellt sich folgendermaßen dar:

Gemäß § 2 des im Beschwerdefall anzuwendenden Tiroler Gesetzes vom über die Erhebung einer Aufenthaltsabgabe (Aufenthaltsabgabegesetz 1991), LGBl. 35/1991, in der Fassung der Novelle LGBl. 140/1998, sind alle Nächtigungen im Gebiet eines Tourismusverbandes (u.a.) in Beherbergungsbetrieben abgabepflichtig.

§5 Aufenthaltsabgabegesetz 1991 legt die Höhe der Abgabe betragsmäßig fest. Gemäß § 6 leg.cit. entsteht der Abgabenanspruch grundsätzlich mit der Beendigung des Aufenthaltes. § 7 leg.cit. ordnet an, daß der Unterkunftgeber die innerhalb eines Monats von den Abgabenschuldnern - den nächtigenden Personen - an ihn entrichteten Abgabenbeträge bis zum Ende des folgenden Monats ohne weitere Aufforderung an den Tourismusverband abzuführen hat.

Sofern nicht Statistische Meldeblätter im Sinne des § 9 der Fremdenverkehrsstatistik-Verordnung 1986, BGBl. 284, verwendet werden oder die statistischen Daten automationsunterstützt übermittelt werden dürfen, hat der Unterkunftgeber zugleich mit der Abfuhr der Aufenthaltsabgabe dem Tourismusverband unter Bezugnahme auf die Gästeblattsammlung nach § 10 des Meldegesetzes 1991 die Zahl der beherbergten Personen, die Zahl der abgabepflichtigen und der nicht abgabepflichtigen Nächtigungen sowie die sich daraus ergebenden Abgabenbeträge zu melden. Für diese Meldungen sind die von der Abgabenbehörde zur Verfügung zu stellenden Verrechnungshefte zu verwenden (§9 Aufenthaltsabgabegesetz 1991).

Gemäß § 10 Abs 4 leg.cit. ist die Aufenthaltsabgabe vom Amt der Landesregierung mit Bescheid vorzuschreiben, wenn der Unterkunftgeber Abgabenbeträge nicht oder nicht vollständig abgeführt bzw. entrichtet hat.

Der unter der Überschrift "Strafbestimmungen" stehende § 12 Aufenthaltsabgabegesetz 1991, in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung LGBl. 140/1998, lautet auszugsweise folgendermaßen:

"(1) Wer durch Handlungen oder Unterlassungen die Aufenthaltsabgabe hinterzieht oder verkürzt, begeht, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 60.000,- Schilling zu bestrafen, soweit im Abs 3 nichts anderes bestimmt ist.

(2) (...)

(3) Wer entgegen einer Aufforderung nach § 7 Abs 5 die Aufenthaltsabgabe nicht oder verkürzt entrichtet, begeht, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 500,- Schilling zu bestrafen."

Mit LGBl. 85/2003, in Kraft getreten am , wurde das für den Beschwerdefall maßgebende Aufenthaltsabgabegesetz 1991 durch das Gesetz vom über die Erhebung einer Aufenthaltsabgabe (Tiroler Aufenthaltsabgabegesetz 2003) ersetzt. Dabei wurde (u.a.) der mit "Strafbestimmungen" überschriebene § 12 neu formuliert. Sein Abs 3 lautet nunmehr:

"Nicht strafbar ist, wer der Abgabenbehörde spätestens bis zu jenem Zeitpunkt, zu dem die Abgabe zu entrichten bzw. abzuführen gewesen wäre, die Höhe der geschuldeten Abgabe und die Gründe der nicht rechtzeitigen Entrichtung bzw. Abfuhr bekannt gibt."

3. Zur Begründung seiner Beschwerde bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, daß er seiner Mitteilungspflicht gemäß § 9 Aufenthaltsabgabegesetz 1991 fristgerecht nachgekommen sei und lediglich die Aufenthaltsabgabe nicht rechtzeitig im Sinne des § 7 leg.cit. bezahlt habe. Eine Abgabenverkürzung sei schon deshalb nicht eingetreten, weil er die Höhe der Abgabe richtig gemeldet und nach bescheidmäßiger Vorschreibung auch entrichtet habe. Ohne Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht sei lediglich eine Verzögerung im Zahlungstermin eingetreten.

Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes sei die Ansicht der belangten Behörde, daß die bloße Nichtbezahlung der Abgabe auch unter Bedachtnahme auf die Meldepflichten den Tatbestand der Abgabenverkürzung erfülle, "denkunmöglich und sie würde dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen, da sie sachlich nicht gerechtfertigt ist und eine überschießende Reaktion auf ein Fehlverhalten des Abgabepflichtigen darstellt". Damit sei der Beschwerdeführer durch die Verhängung einer Geldstrafe in seinen Grundrechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Voraussehbarkeit der Straffolgen gemäß Art 7 EMRK verletzt worden. Die Behörde habe, weil der Bescheid keine sachliche Rechtfertigung finde, willkürlich gehandelt.

Sollte die Ansicht der Behörde im Gesetz selbst Deckung finden, sei § 12 Abs 1 Aufenthaltsabgabegesetz 1991 selbst verfassungswidrig. Es träfen auf diese Bestimmung dieselben Vorwürfe der Verfassungswidrigkeit wie auf den vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 16.564/2002 als verfassungswidrig erkannten § 15 Kommunalsteuergesetz zu.

Die Strafbestimmung widerspreche dem in Art 18 B-VG verankerten Gebot der Rechtsstaatlichkeit, weil eine nähere Determinierung, welche Handlungen oder Unterlassungen den Tatbestand der "Verkürzung" darstellten, fehle. § 12 Abs 1 Aufenthaltsabgabegesetz 1991 verletze überdies den Verfassungsgrundsatz "nullum crimen, nulla poena sine lege", der verlange, daß das strafbare Verhalten, das zu einer Verurteilung führen könne, gesetzlich eindeutig umschrieben sei.

Überdies bestehe im konkreten Fall kein Bedürfnis der Bestrafung der bloßen Nichtentrichtung der Abgabe, weil nicht entrichtete Beträge gemäß § 10 leg.cit. mit Bescheid vorgeschrieben und auf dem Exekutionsweg eingetrieben werden könnten.

4. Die belangte Behörde legte innerhalb der ihr gesetzten Frist die Verwaltungsakten vor und nahm förmlich von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die - zulässige - Beschwerde ist begründet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988, 14.442/1996) liegt eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz insbesondere dann vor, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat. Dies ist im vorliegenden Fall geschehen.

2. Gemäß § 12 Abs 1 des Tiroler Aufenthaltsabgabegesetzes 1991 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer durch Handlungen oder Unterlassungen die Aufenthaltsabgabe hinterzieht oder verkürzt, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß § 12 Abs 1 leg.cit. in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung nicht bereits die bloße Nichtentrichtung der Abgabe unter Strafe stellt, sondern dies nur dann tut, wenn es sich um eine Hinterziehung oder Verkürzung handelt, die (kausal) auf pflichtwidrige Handlungen oder Unterlassungen zurückzuführen ist. Ein solches Normverständnis wird vom Verwaltungsgerichtshof in langjähriger, einheitlicher Rechtsprechung den vergleichbaren Vorschriften im Landes- und kommunalen Abgabenrecht zugrundegelegt: "Eine Abgabenverkürzung liegt demnach dann vor, wenn die Abgabe unter Verletzung einer Anmeldepflicht nicht zu den vorgesehenen Terminen entrichtet wird" (Verwaltungsgerichtshof vom , Zl. 97/15/0172, zur Wr. Vergnügungssteuer unter Verweis auf Verwaltungsgerichtshof vom , Zl. 94/17/0333, und vom , Zl. 97/15/0099; vgl. überdies schon Verwaltungsgerichtshof vom , Zl. 74/68, sowie vom , Zl. 95/17/0109, und vom , Zl. 2002/15/0013; ferner vom , Zl. 93/17/0250 zur Wr. Getränkesteuer; anders lediglich Verwaltungsgerichtshof vom , Zl. 99/13/0035 zur Kommunalsteuer; vgl. dazu VfSlg. 16.564/2002). Im Erkenntnis vom , Zl. 94/17/0333, hat der Verwaltungsgerichtshof diese Auffassung damit begründet, daß bei Erfüllung der Anmeldepflichten der Behörde der abgabenrechtlich relevante Sachverhalt bekannt sei; komme es in diesem Fall zu einer Nicht- oder Minderabfuhr der Abgabe, so führe dies (nach § 149 WAO) zwingend zu einer bescheidmäßigen Abgabenvorschreibung in der gesetzmäßigen Höhe. "In solchen Fällen kann daher durch die Nicht- oder Minderbemessung und -entrichtung ein Verkürzungserfolg nicht eintreten."

3. Anders als im Fall des § 15 Kommunalsteuergesetz, der dem hg. Erkenntnis VfSlg. 16.564/2002 zugrundelag, sind dem Tiroler Aufenthaltsabgabegesetz 1991 mit hinreichender Deutlichkeit jene Pflichten zu entnehmen, deren Verletzung in Kombination mit einer Nichtentrichtung der Abgabe zum Fälligkeitstermin den Tatbestand des § 12 Abs 1 leg.cit. erfüllen, schreibt doch das Gesetz in § 9 leg.cit. ausdrücklich (detaillierte) Meldepflichten vor, die in Verbindung mit der Entrichtung der Abgabe zu erfüllen sind. Der Gerichtshof teilt daher die von der Beschwerde gegen § 12 Abs 1 leg.cit. erhobenen Bedenken im Hinblick auf Art 18 B-VG nicht.

4. Allerdings bestünden gegen § 12 Abs 1 Aufenthaltsabgabegesetz 1991 gleichheitsrechtliche Bedenken, hätte die Norm den Inhalt, daß sie (auch) die bloße Nichtentrichtung der Aufenthaltsabgabe zum Fälligkeitstermin ohne Verletzung der Meldepflichten unter Strafe stellt. Der Gerichtshof hat nämlich sowohl im erwähnten Erkenntnis VfSlg. 16.564/2002 als auch zuletzt im Erkenntnis vom , G287/02 u.a. Zlen., die Verhängung von strafrechtlichen Sanktionen bei bloßer Nichtentrichtung von Abgaben, die auch durch rechtzeitige Meldung des abgabepflichtigen Tatbestandes nicht verhindert werden können, als - im allgemeinen - unverhältnismäßig und dem Gleichheitsgebot widersprechend beurteilt.

Ein solcher Inhalt muß der hier angewendeten Norm aber nicht beigelegt werden. Sie kann - wie die Beschwerde zutreffend ausführt - auch so verstanden werden, daß die Nichtentrichtung der Abgabe nur in Kombination mit pflichtwidrigem Verhalten zur Strafbarkeit führt, die Nichtentrichtung allein hingegen in Fällen, in denen der Behörde die maßgeblichen Daten ohnehin in einer Weise bekanntgegeben wurden, daß ihr die Festsetzung der Abgabe möglich ist, die Voraussetzungen des § 12 Abs 1 leg.cit. nicht erfüllt. Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf das - angeblich Gegenteiliges aussagende - Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 93/17/0250 verweist, so ist ihr entgegenzuhalten, daß der Verwaltungsgerichtshof dort (im Zusammenhang mit einer vergleichbaren Strafbestimmung im Wr. GetränkesteuerG) ausgeführt hat, das fragliche Tatbild sei auf eine Verkürzung der Abgabe entweder durch ein aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen abgestellt. Vom Tatbild erfaßt seien nur Handlungen und Unterlassungen, die in einem Kausalzusammenhang mit der Verkürzung stünden. Es trifft daher nicht zu, daß der Verwaltungsgerichtshof dort die bloße Nichtentrichtung der Abgabe unter den fraglichen Straftatbestand subsumiert hat.

5. Indem die belangte Behörde der Vorschrift des § 12 Abs 1 Tiroler Aufenthaltsabgabegesetz 1991, idF LGBl. 140/1998, entnommen hat, daß die bloße Nichtentrichtung der Abgabe - trotz Erfüllung der gesetzlich vorgesehenen Meldepflichten - das Tatbild der Abgabenverkürzung erfülle, hat sie dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt und den Beschwerdeführer dadurch in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

III. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist eine Eingabegebühr iHv € 180,- und Umsatzsteuer iHv € 327,- enthalten.

IV. Diese Entscheidung wurde gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen.