VfGH vom 26.02.2002, B494/99

VfGH vom 26.02.2002, B494/99

Sammlungsnummer

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Leitsatz

Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal durch Unterlassung der Durchführung einer (volks)öffentlichen Verhandlung im Verfahren vor der Landes-Grundverkehrskommission; Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung wie zB im Fall Ringeisen aufgrund der Rechtsansicht des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte über die Ungültigkeit des österreichischen Vorbehalts zu Art 6 EMRK

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal im Sinne des Art 6 EMRK verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit € 2143,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Vertrag vom übergab der Beschwerdeführer den geschlossenen Hof "Rainer" samt den Liegenschaften EZ 106 GB Niederndorferberg und EZ 333 GB Erl an seinen Sohn. Als Gegenleistung für diese Übergabe verpflichtete sich der Sohn des Beschwerdeführers unter anderem zur Einräumung folgender Rechte: lebenslanges, unentgeltliches Wohnrecht am Hof "Rainer" für die Eltern und den erwerbsunfähigen Bruder sowie das lebenslange, unentgeltliche Fruchtgenußrecht an der Liegenschaft EZ 333 GB Erl für den Vater.

Mit Bescheid vom versagte die Bezirks-Grundverkehrskommission Kufstein der Einräumung des Fruchtgenußrechtes die grundverkehrsbehördliche Genehmigung (Spruchpunkt A). Bezüglich der übrigen Rechtserwerbe stellte der Vorsitzende der Bezirks-Grundverkehrskommission Kufstein fest, daß diese keiner Genehmigung der Grundverkehrsbehörde bedürften (Spruchpunkt B).

2. Die gegen die Versagung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung der Einräumung des Fruchtgenußrechtes erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Landes-Grundverkehrskommission vom - ohne Durchführung einer öffentlichen Verhandlung - abgewiesen. Die grundverkehrsbehördliche Genehmigung sei nicht zu erteilen, da der Rechtserwerb den öffentlichen Interessen des § 6 Abs 1 lita Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 zuwiderlaufe.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Im Fall Eisenstecken gegen Österreich (Urteil vom , ÖJZ 2001/7) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - von seiner früheren Rechtsprechung abgehend - den österreichischen Vorbehalt zu Art 6 EMRK ausdrücklich als ungültig angesehen.

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich gehalten, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in dessen neuer Bewertung des österreichischen Vorbehalts zu Art 6 Abs 1 EMRK zu folgen (siehe ).

Die Ungültigkeit des österreichischen Vorbehalts zu Art 6 Abs 1 EMRK hat zur Folge, daß in Verwaltungsverfahren, in welchen über den "Kernbereich" von civil rights abgesprochen wird, eine (volks)öffentliche Verhandlung vor einem Tribunal durchzuführen ist. Einschränkungen der Öffentlichkeit dürfen hier nur vorgesehen werden, soweit Art 6 EMRK dies zuläßt.

Bei Verfahren betreffend die grundverkehrsbehördliche Genehmigung von Rechtsgeschäften steht außer Zweifel, daß es sich um Verfahren handelt, die civil rights in ihrem Kernbereich berühren (; zur Feststellung, daß grundverkehrsbehördliche Verfahren civil rights berühren, vgl. auch VfSlg. 11131/1986, 11211/1987, 12074/1989, 13209/1992 und 14109/1995).

2. Angesichts dessen war die belangte Behörde daher verpflichtet, gemäß Art 6 Abs 1 EMRK eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Für diese hat - abgesehen von den nach Art 6 Abs 1 EMRK zulässigen Ausnahmen, welche in diesem Fall nicht vorliegen - der Grundsatz der Volksöffentlichkeit zu gelten.

Da es die Landes-Grundverkehrskommission unterlassen hat, eine (volks)öffentliche Verhandlung durchzuführen, liegt eine Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK vor. Der angefochtene Bescheid war daher allein schon aus diesem Grund wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal aufzuheben, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Verfahrenskosten sind € 327,- an Umsatzsteuer sowie der Ersatz der gemäß § 17a VfGG zu entrichtenden Gebühr von € 181,68 enthalten. Stempelgebühren für Beilagen waren nicht zuzusprechen, da solche gemäß § 17a VfGG nicht zu entrichten sind.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.