OGH vom 11.05.2005, 9ObA41/05b

OGH vom 11.05.2005, 9ObA41/05b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Friedrich Stefan und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle Graz, Göstinger Straße 26, 8021 Graz, vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Ing. Johann E*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Waltraud Künstl, Rechtsanwältin in Wien, wegen EUR 151.862,47 sA und Feststellung (Streitwert EUR 20.000; Gesamtstreitwert: EUR 171.862,47), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 116/04i-14, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 31 Cga 55/04y-10, bestätigt wurde,in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Das Klagebegehren des Inhalts,

1.) die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von EUR 151.862,47 samt 4 % Zinsen aus EUR 75.434,21 vom bis sowie 4 % Zinsen aus EUR 151.862,47 ab binnen 14 Tagen zu bezahlen,

2.) es werde festgestellt, dass die beklagte Partei verpflichtet ist, der klagenden Partei alle künftigen Pflichtaufwendungen wegen des Unfalls des Ivan S***** vom zu ersetzen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 9.433,20 (darin EUR 1.572,20 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit EUR 7.724,60 (darin EUR 491,10 USt und EUR 4.778 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 8.491,73 (darin EUR 353,45 USt und EUR 6.371 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am erlitt der Mitarbeiter der S***** GmbH in Klagenfurt, Ivan S*****, auf dem Betriebsgelände einen Arbeitsunfall, als er zum Zwecke der Reinigung einer Abflussleitung ein in 5,5 m Höhe befindliches Wellasbesteternitdach betrat, welches einbrach, sodass er aus dieser Höhe auf den Hallenboden fiel und dabei schwere Verletzungen mit Spät- und Dauerfolgen davontrug.

Der Beklagte war Betriebsleiter der Instandhaltungsabteilung und als solcher unmittelbarer Vorgesetzter des Schlossers Ivan S*****. Außerdem war er mit der Funktion einer Sicherheitsfachkraft des Betriebes betraut. Für letztgenannte Tätigkeit hatte er mehrere Kurse besucht, doch war dabei nie auf das erforderliche Verhalten beim Betreten von Dächern aus Wellasbesteternit bzw die damit verbundenen Gefahren hingewiesen worden. Es lag aber ein Exemplar der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) im Betrieb auf. Bei einer sicherheitstechnischen Unterweisung für Betriebsanghörige am , an der auch Ivan S***** teilnahm, erwähnte der Beklagte zwar die Benützung von Gerüsten, Leitern oder Hebebühnen bei Arbeiten über Boden, nicht jedoch besondere Vorsichtsmassnahmen beim Arbeiten auf Dächern, zumal der Beklagte im möglichen Betreten des konkreten, nur leicht geneigten Daches keine besondere Gefahr erkannte.

Im Hinblick auf die geplante Wiederaufnahme des Betriebes nach der Winterpause sollten im März 2000 an Hand eines Checkliste Revisions- und allenfalls Ausbesserungsarbeiten vorgenommen werden. Im Rahmen dieser Tätigkeiten erteilte der Beklagte Ivan S***** den Auftrag, eine auf dem Dach befindliche Abflussleitung zu inspizieren und allenfalls zu reinigen, weil diese in den vergangenen Jahren immer wieder verstopft gewesen war. Wie schon in den vergangenen Jahren benützte S***** eine Leiter, um auf das Dach zu gelangen und dann direkt auf diesem ca 3 m bis zur Abflussleitung zu gehen. Diesmal hielt das Dach der Belastung aber nicht stand und brach ein.

Dem Beklagten war die konkrete, von S***** auch in den vergangenen Jahren eingehaltene Vorgangsweise bekannt. Er schätzte diese aber als nicht besonders gefährlich ein, weil Mitarbeiter externer Unternehmen, welche mit Arbeiten auf dem Dach beauftragt worden waren, ebenfalls so vorgegangen waren.

Ivan S***** machte zu 32 Cgs 185/02s des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht gegenüber der dort beklagten und hier klagenden Partei seinen Anspruch auf Integritätsabgeltung nach § 213a ASVG geltend und erhielt EUR 91.561,91 zugesprochen. Erst- und Berufungsgericht vertraten dort die Rechtsauffassung, dass das Verhalten des Beklagten als Vorgesetzter eine Verletzung des § 18 Abs 6 AAV dargestellt habe und als grob fahrlässig zu werten sei. Die außerordentliche Revision der dort beklagten und hier klagenden Partei wies der Oberste Gerichtshof mit der Begründung zurück, dass in der Entscheidung des Berufungsgerichtes ein vertretbares Ermessen im Einzelfall zu sehen sei.

Die Klägerin will mit der vorliegenden Klage am Beklagten Regress nach § 334 Abs 1 ASVG für Leistungen nehmen, die sie aus Anlass des Arbeitsunfalles vom - mit Ausnahme der Integritätsabgeltung - an den Arbeitnehmer Ivan S***** erbracht habe.

Der Beklagte bestritt, dass ihm grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die Missachtung der Schutzvorschrift grob fahrlässig gewesen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Besonderes Gewicht komme dem Umstand zu, dass vom Beklagten als Sicherheitsfachkraft ein besonderes Problembewusstsein hätte erwartet werden dürfen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten mit einer Rechtsrüge.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil dem Kriterium, dass der Beklagte nicht nur Aufseher im Betrieb, sondern überdies Sicherheitsfachkraft war, keine entscheidende Bedeutung zuzumessen ist.

Grobe Fahrlässigkeit iSd § 334 Abs 1 ASVG ist (nur) anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht vorliegt, die den Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich vorhersehbar erscheinen lässt. Weder eine strafgerichtliche Verurteilung (- eine solche unterblieb hier infolge einer Diversionsmaßnahme -) noch etwa das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften für sich allein reichen zur Annahme grober Fahrlässigkeit aus (8 Ob 285/81 = Arb 10.087; 10 ObS 97/92; RIS-Justiz RS0030644, zuletzt 9 ObA 146/03s; RS0031083 ua). Die Frage, ob ein Arbeitsunfall in diesem Sinn grob fahrlässig verursacht wurde, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu beurteilen.

Gemäß § 18 Abs 6 AAV dürfen Dachflächen und Oberlichten aus sprödem Material, wie Glas oder Wellasbestzement, bei denen beim Durchbrechen Absturzgefahr besteht, nur auf Laufstegen oder Laufbrettern begangen werden. Diese Vorschrift war dem Beklagten nicht bekannt und war deren Inhalt, wie festgestellt, in keinem der von ihm besuchten Kurse gelehrt worden. Dazu kommt, - was im Vorprozess über die Integritätsabgeltung ebenfalls noch nicht bekannt war -, dass der Beklagten Kenntnis davon hatte, dass auch externe Professionisten das Dach immer ohne solche Sicherungsbehelfe betreten hatten und dabei, wie auch bei den früheren, von Ivan S***** gleichartig vorgenommenen Revisionsarbeiten, nie Anzeichen für eine mögliche Überbelastung des Daches aufgetreten waren.

Der Vorwurf gegenüber dem Beklagten reduziert sich daher auf den der bloßen Unkenntnis einer Schutzvorschrift, was aber allein, wie oben dargelegt, regelmäßig - und so auch hier - für die Annahme grober Fahrlässigkeit nicht ausreicht. Damit fehlt es aber an einer für den Regress nach § 334 Abs 1 ASVG notwendigen Voraussetzung.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO.