zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 09.09.1997, 10ObS298/97i

OGH vom 09.09.1997, 10ObS298/97i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dipl.Ing.Gustav Poinstingl und Brigitte Augustin (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Norbert Z*****, vertreten durch Dr.Alfred Haslinger ua, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr.Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 52/97i-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 18 Cgs 332/96a-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihrer Vertreter binnen 14 Tagen die mit S 4.058,88 (hierin enthalten S 676,48 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am geborene Kläger hat am das 55. Lebensjahr vollendet und ist infolge Krankheit und anderer Gebrechen bereits seit diesem Zeitpunkt außerstande, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung oder gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit als Landwirt erfordert, welche zuletzt vom Kläger durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt wurde. Die persönliche Arbeitsleistung des Klägers war hiebei zur Aufrechterhaltung seines landwirtschaftlichen Betriebes notwendig.

Mit Bescheid vom wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit ab.

Mit seiner Klage stellte der Kläger das Begehren auf Gewährung dieser vorzeitigen Alterspension ab im gesetzlichen Ausmaß.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Nach der am Stichtag maßgeblichen Rechtslage sei die Vollendung des 57. Lebensjahres Anspruchsvoraussetzung.

Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei, dem Kläger ab die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen und verpflichtete die beklagte Partei überdies zur Leistung einer vorläufigen Zahlung von monatlich brutto S 10.000,-- bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides. Das Erstgericht beurteilte den Sachverhalt rechtlich - zusammengefaßt - dahingehend, daß die Hinaufsetzung des Anfallsalters auf das vollendete 57. Lebensjahr durch das StrukturanpassungsG 1996 erst auf diejenigen männlichen Versicherten Anwendung zu finden habe, welche am oder später das 55. Lebensjahr vollendet haben, sohin nicht auf den Kläger, der bereits am dieses 55. Lebensjahr vollendet hatte.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Es bestätigte die Rechtsmeinung des Erstgerichtes und verwies hiezu auch auf zwei Präzedenzfälle desselben Oberlandegerichtes.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei. Diese ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig, jedoch nicht berechtigt. Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Entgegen der im wesentlichen die Argumente ihrer Berufung wiederholenden Rechtsmeinung der beklagten Partei ist die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes zutreffend.

Rechtliche Beurteilung

Zufolge Außerstreitstellung beider Parteien im Verfahren erster Instanz ist unstrittig, daß der Kläger für den Fall der Nichtanhebung des Anfallsalters von früher 55 auf nunmehr 57 Jahre am alle Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllen würde. Mit der 18. BSVG-Novelle BGBl 1993/337 wurde die vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit als neue Frühpension und neue Leistung der Pensionsversicherung aus dem Versicherungsfall des Alters, die es früher nicht gab, mit der Bestimmung des § 122c BSVG - als Nachfolgebestimmung des § 124 Abs 2 BSVG (10 ObS 2005/96t) - eingeführt (Art I Z 62 leg cit; siehe hiezu auch RV 934 BlgNR 18.GP, 19 und 22 iVm RV 932 BlgNR 18.GP, 49 [zur 51. ASVG-Novelle]). Während durch das StrukturanpassungsG BGBl 1995/297 (Art XXXI 13 und 14) zunächst nur die Wegfallsbestimmungen für den Fall der Weiterausübung der bisherigen selbständigen Erwerbstätigkeit verschärft wurden (RV 134 BlgNR 19.GP, 85), erfolgte durch Art 36 Z 47 und 48 des StrukturanpassungsG 1996 BGBl 201 eine Neufassung dahingehend, daß nunmehr die Anspruchsvoraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Art der Alterspension ua auch durch Anhebung des Pensionsanfallsalters bei Männern verschärft wurden, um - so der Wille des Gesetzgebers (RV 72 BlgNR 20.GP, 247) - "neben arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten einen späteren Pensionsantritt sicherzustellen". Gemäß Art 36 Z 81 leg cit (§ 255 Abs 1 Z 5 BSVG) trat § 122c BSVG in der zuletzt novellierten Fassung am in Kraft. Übergangsbestimmungen zur genannten Bestimmung wurden vom Gesetzgeber nicht erlassen.

Der Oberste Gerichtshof hat in der bereits von den Vorinstanzen zitierten Entscheidung 10 ObS 15/94 (veröffentlicht in SSV-NF 8/34) Begriff und Inhalt des für das Zustehen von Sozialversicherungsleistungen maßgeblichen Versicherungsfalles (dort ging es allerdings um eine vorzeitige Alterspension nach § 253b ASVG) als sog. "sinngebende primäre Leistungsvoraussetzung" einer ausführlichen (auch auf das einschlägige Fachschrifttum Bedacht nehmenden) Untersuchung unterzogen und hiezu - soweit für den vorliegenden Fall relevant - ausgeführt: Besonders deutlich wird die Bezogenheit auf den Versicherungsfall in der sog. Stichtagsregelung der Pensionsversicherung. Die Entscheidung über die Frage, ob eine Leistung der Pensionsversicherung gebührt, ist nach den Verhältnissen an dem durch den Versicherungsfall bzw -antrag ausgelösten Stichtag zu treffen (§ 104 Abs 2 BSVG [dort § 223 Abs 2 ASVG]). Allerdings wird lediglich das Vorliegen der sog. sekundären Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt geprüft. Zwar sieht das Gesetz vor, daß bei bestimmten Leistungen der Stichtag erst durch die Antragstellung fixiert wird, sofern der Antrag nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellt wird, am Vorrang der primären Leistungsvoraussetzungen ändert sich dadurch jedoch nichts. Ohne Vorliegen eines Versicherungsfalles kann auch nie ein Stichtag ermittelt werden. Formal gesehen stellt erst der durch den Versicherungsfall ausgelöste Stichtag die konkrete Verknüpfung der sekundären Leistungsvoraussetzungen mit einer bestimmten Leistung her. Es genügt nicht, daß die sekundären Voraussetzungen zu irgendeinem beliebigen Zeitpunkt vorliegen, sie müssen vielmehr an einem ganz bestimmten Tag gegeben sein, der durch die primären Voraussetzungen bestimmt wird (Schrammel in Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 142).

Beim Versicherungsfall der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit handelt es sich um einen "zusammengesetzten" Versicherungsfall. Das BSVG spricht zwar, ebenso wie das ASVG, von den Versicherungsfällen des Alters, unterläßt es aber, diese Versicherungsfälle im einzelnen zur Unterscheidung mit Bezeichnungen zu versehen. Besondere Bezeichnungen haben nur die aus diesen Versicherungsfällen des Alters resultierenden Leistungen erhalten (vgl dazu Teschner in Tomandl, SV-System, 9. ErgLfg 361ff). Zum Erfordernis des Anfallsalters tritt im Fall des § 122c BSVG die Erwerbsunfähigkeit als weitere Anspruchsvoraussetzung. In einem solchen Fall müssen beide Voraussetzungen als primäre Leistungsvoraussetzungen gesehen werden. Der Versicherungsfall ist danach - in teleologischer Reduktion des § 104 Abs 1 BSVG, wonach der Versicherungsfall bei Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters mit der Erreichung des Anfallsalters als eingetreten gilt - nur dann eingetreten, wenn sowohl das erforderliche Alter erreicht ist als auch die Erwerbsunfähigkeit vorliegt (idS auch Schrammel/Tomandl in Tomandl, System 141 Anm 17; ähnlich Teschner aaO; aA Jabornegg, DRdA 1982, 29f). Im vorliegenden Fall steht fest, daß der Kläger nicht nur im August 1996, also vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung das 55. Lebensjahr vollendet hatte, sondern auch bereits zu diesem Zeitpunkt außer Stande war, der von ihm zuvor durch 60 Monate ausgeübten Tätigkeit weiter nachzugehen. Der Versicherungsfall hat nach den bisherigen Ausführungen mit dem Stichtag nur insofern zu tun, als er ihn im Hinblick auf den Antrag auslöste. Da er nicht auf den Monatsersten fiel, war Stichtag der folgende Monatserste, also der , mit dem die geänderten Bestimmungen des § 122c Abs 1 BSVG in Kraft trat. Mögen auch alle sonstigen auf den Stichtag ausgerichteten sekundären Anspruchsvoraussetzungen nach der zwingenden neuen Rechtslage zu beurteilen sein, so konnte sich hier jedoch an dem bereits vor ihrem Inkrafttreten eingetretenen Versicherungsfall nichts ändern, weil keine Übergangsbestimmungen ihre Einwirkung auf den schon eingetretenen Versicherungsfall regeln. Die neue Regelung konnte daher nur Versicherungsfälle betreffen, die frühestens am eingetreten sind und der vollen Einwirkung der durch das StrukturanpassungsG 1996 geschaffenen neuen Rechtslage unterstanden.

Da somit beim Kläger beide primären Leistungsvoraussetzungen vor dem eingetreten sind, konnte er - zumal Gegenteiliges anordnende Übergangsbestimmungen des Gesetzgebers fehlen - die Pension nach alter Rechtslage trotz des zeitgleich mit der neuen Rechtslage wirksam gewordenen Stichtages beantragen.

Da die Entscheidung des Berufungsgerichtes mit allen diesen Ausführungen im Einklang steht, war der Revision der beklagten Partei ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.