OGH vom 22.10.2010, 9ObA40/10p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gillinger und Dr. Gerda Höhrhan Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei L***** J*****, vertreten durch Dr. Clemens Völkl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W***** B*****, Unternehmer, *****, vertreten durch die Jeannee Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen 14.946,66 EUR brutto abzüglich 1.591,84 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 131/09i 18, womit das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 14 Cga 83/08i 11, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters kann gemäß § 82 lit f zweiter Tatbestand GewO 1859 durch Entlassung beendet werden, wenn er beharrlich seine Pflichten vernachlässigt. Unter „Pflichtenvernachlässigung“ ist nicht nur die Nichterfüllung oder die nicht gehörige Erfüllung der den Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag, den kollektivvertraglichen Normen oder dem Gesetz treffenden, mit der Ausübung seiner Arbeit verbundenen und ihm zumutbaren Pflichten, sondern auch ein Verstoß gegen Anordnungen des Arbeitgebers zu verstehen ( Kuderna , Entlassungsrecht², 138; 9 ObA 313/00w; RIS Justiz RS0104135 ua). Unter „beharrlich“ ist die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit des in der Nichtbefolgung der Anordnung zum Ausdruck kommenden Willens zu verstehen. Dabei muss sich die Weigerung entweder wiederholt ereignet haben oder von derart schwerwiegender Art sein, dass auf die Nachhaltigkeit der Willenshaltung des Arbeitnehmers mit Grund geschlossen werden kann (vgl 9 ObA 29/02h ua). Nur im ersten Fall bedarf es einer vorangegangenen Ermahnung oder einer wiederholten Aufforderung zur Dienstleistung bzw Befolgung der Anordnung (vgl RIS Justiz RS0029746 ua). Die Beurteilung der Pflichtwidrigkeit und der Beharrlichkeit des Verhaltens eines Arbeitnehmers hängt regelmäßig von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und begründet keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (vgl RIS Justiz RS0105987 ua). Gleiches gilt für die Frage, ob das pflichtwidrige Verhalten des Arbeitnehmers so schwerwiegend ist, dass es keiner vorangehenden Ermahnung bedarf (vgl RIS Justiz RS0060669 ua).
Der gegenständlichen Entlassung des beim Beklagten beschäftigten Klägers lag nach den Feststellungen zugrunde, dass der Kläger im Zeitraum vom 21. bis in nicht weniger als zumindest vier Angriffen versuchte, eine im Betrieb auf selbständiger Basis tätige Person in Abwesenheit des Beklagten zu überreden, ihm unter Umgehung des Pin Codes des Beklagten von dessen Computer eine E-Mail weiterzuleiten. Dies geschah trotz ausdrücklichen Verbots des Beklagten gegenüber dem Kläger, in Abwesenheit des Beklagten an dessen Computer zu arbeiten. Das Verbot war erlassen worden, weil der Beklagte der Überzeugung war, dass der Kläger bereits in der Vergangenheit wichtige Kundendaten vom Computer des Beklagten auf seinen privaten Computer übermittelt hatte. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger im vorliegenden Fall den Entlassungsgrund der beharrlichen Pflichtenvernachlässigung nach § 82 lit f zweiter Tatbestand GewO 1859 verwirklicht hat, ist nicht zu beanstanden. Vertretbar ist auch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der mehrfache Versuch des Klägers, sich entgegen des ausdrücklichen Verbots des Beklagten und unter Umgehung des Pin-Codes des Beklagten Zugang zu dessen Computer zu verschaffen, ein so schwerwiegender Pflichtenverstoß des Klägers war, dass es vor dem Ausspruch der Entlassung keiner weiteren Ermahnung mehr bedurfte. Auf die Frage, ob der Kläger auch noch andere Entlassungsgründe verwirklicht hat, kommt es hier nicht an. Die diesbezüglichen Überlegungen können daher dahingestellt bleiben. Mit theoretischen Abgrenzungsfragen zu anderen Entlassungsgründen wird im vorliegenden Fall keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.
Richtig weist der Revisionswerber darauf hin, dass es grundsätzlich dem Arbeitgeber obliegt, das Vorliegen eines Entlassungsgrundes zu beweisen (RIS Justiz RS0029127 ua). Dieser Beweispflicht ist der Beklagte auch nachgekommen. Von einer „krassen Fehlbeurteilung“ dieser Frage durch das Berufungsgericht kann hier keine Rede sein. Nach der Lage des Falls kommt es auf den konkreten, nicht feststellbaren Inhalt der E-Mail, die der Kläger ohne Wissen des Beklagten an sich weitergeleitet haben wollte, nicht an. Die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Klägers resultiert nicht erst aus einem besonderen Inhalt der E-Mail. Pflichtwidrig war bereits der wiederholte Versuch des Klägers, sich über einen Dritten trotz ausdrücklichen Verbots und unter Umgehung des Pin Codes des Beklagten Zugang zu dessen Computer zu verschaffen. Entgegen der Behauptung in der Revision hat der Kläger in erster Instanz nicht vorgebracht, dass es nur um die Weiterleitung einer „Werbe E-Mail“ gegangen sei; er hat nur vorgebracht, dass die Weiterleitung vom Beklagten genehmigt worden sei. Tatsächlich hatte ihm der Beklagte verboten, in seiner Abwesenheit an seinem Computer zu arbeiten. Aussagen im Rahmen der Parteienvernehmung vermögen ein fehlendes Vorbringen nicht zu ersetzen (RIS Justiz RS0043157 ua).
Neue tatsächliche Behauptungen oder Beweise können im Revisionsverfahren nur zur Unterstützung (oder Bekämpfung) der Behauptung vorgebracht werden, dass das Berufungsurteil wegen eines der im § 477 ZPO bezeichneten Mängel nichtig sei, oder das Berufungsverfahren an einem wesentlichen Mangel leide (§ 504 Abs 2 ZPO). Derartiges wird mit der Behauptung, dass nun bekannt geworden sei, dass der Beklagte auch andere Mitarbeiter aus dem Betrieb unrechtmäßig entfernt habe, „um seinen Pensionsantritt nicht durch unliebsame Ansprüche dieser Dienstnehmer zu belasten“, und dem diesbezüglichen Antrag, zwei Zeugen zu vernehmen, nicht dargetan. Eine Nichtigkeit wird vom Revisionswerber nicht geltend gemacht; eine erhebliche Rechtsfrage im Zusammenhang mit der Rüge einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) und der Rüge einer Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 3 ZPO) liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Da der Revisionswerber auch sonst keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist seine außerordentliche Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).