TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 15.06.1985, B474/80

VfGH vom 15.06.1985, B474/80

Sammlungsnummer

10454

Leitsatz

UStG 1972; Vorschreibung von Selbstverbrauchsteuer gemäß § 29 Abs 2;

keine Bedenken gegen § 2 Abs 3 (gewerbliche oder berufliche Tätigkeit von Körperschaften des öffentlichen Rechtes) und gegen § 29;

Eigentumsverletzung der bf. Gemeinde durch denkunmögliche Auslegung des § 29 dahingehend, daß das Ableiten des Regenwassers und des bei der Straßenreinigung anfallenden Wassers in die von der Gemeinde errichtete Kanalanlage bereits deren tatsächliche Inbetriebnahme in einem Unternehmen der Gemeinde darstelle

Spruch

Die bf. Gemeinde ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Aufgrund der vorgelegten Verwaltungsakten und der übereinstimmenden Ausführungen beider Parteien dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens steht fest, daß die Gemeinde Jenbach in den Jahren 1974 bis 1978 eine Kanalanlage errichtete, in die jedoch wegen des Fehlens einer Kläranlage keine Abwässer abgeleitet werden konnten; jedoch floß in die jeweils verlegten Kanalrohre das Oberflächenwasser (Regenwasser) und das bei der Straßenreinigung anfallende Wasser ein.

Abweichend von den Umsatzsteuererklärungen der Gemeinde Jenbach unterwarf die Finanzlandesdirektion für Tir. mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom folgende für die Kanalisierung angefallenen Baukosten gemäß § 29 des Umsatzsteuergesetzes 1972 (UStG 1972) der Selbstverbrauchsteuer:

1974: 3297174,31 S zu 9 vH = 296745,68 S;

1975: 3353200,00 S zu 6 vH = 201192,00 S;

1976: 652258,00 S zu 4 vH = 26090,32 S;

1977: 1238463,00 S zu 2 vH = 24769,27 S;

1978: 54636,95 S zu 2 vH = 1092,73 S.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte, an den VfGH gerichtete Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

3. Die Finanzlandesdirektion für Tir. als bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Abgabe vorgeschrieben; er greift somit in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8776/1980, 9014/1981) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

2. a) Der angefochtene Bescheid wird auf § 29 UStG 1972 idF der Nov. BGBl. 101/1979 gestützt. Diese Bestimmung lautet auszugsweise:

"(1) In der Zeit vom bis zum unterliegt neben den im § 1 Abs 1 Z 1 bis 3 angeführten Umsätzen auch der Selbstverbrauch der Umsatzsteuer.

(2) Selbstverbrauch liegt vor, wenn ein Unternehmer körperliche Wirtschaftsgüter, die der Abnutzung unterliegen und deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes 1967 im Kalenderjahr der Anschaffung oder Herstellung nicht in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden können, im Inland der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführt; ...

(3) ...

(7) Die Steuer beträgt für den Selbstverbrauch des Kalenderjahres

1973 ....... 12 vH,

1974 ....... 9 vH,

1975 ....... 6 vH,

1976 ....... 4 vH,

1977 ....... 2 vH und

1978 ....... 2 vH

der Bemessungsgrundlage. die Steuer für den Selbstverbrauch ist vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen."

b) Aus dem Wortlaut, aus dem Sinn und aus dem Zusammenhang, in dem diese Bestimmung steht, ergibt sich, daß der Selbstverbrauchsteuerpflicht nur Unternehmer iS des § 2 UStG 1972 unterliegen (vgl. Kranich - Siegl - Waba, Kommentar zur Mehrwertsteuer III, Anm. 18 lita zu § 29).

Unternehmer ist nach § 2 Abs 1 UStG 1972, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt. Die Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind gemäß § 2 Abs 3 leg. cit. nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§2 Körperschaftsteuergesetz 1966 - KStG 1966) und ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. Gemäß § 2 Abs 1 KStG 1966 gehören zu den Betrieben gewerblicher Art von Körperschaften des öffentlichen Rechtes alle Einrichtungen dieser Körperschaften, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen oder anderen wirtschaftlichen Vorteilen dienen. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, ist nicht erforderlich. Die Einrichtung ist als Betrieb gewerblicher Art nur dann steuerpflichtig, wenn sie sich innerhalb der Gesamtbetätigung der Körperschaft wirtschaftlich heraushebt. Diese wirtschaftliche Selbständigkeit kann in einer besonderen Leitung, in einem geschlossenen Geschäftskreis, in der Buchführung oder in einem ähnlichen auf eine Einheit hindeutenden Merkmal bestehen (s. zB /0127).

c) Der VfGH hat § 29 und § 2 Abs 3 UStG 1972 in der bisherigen Judikatur für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet (zu § 29 UStG s. VfSlg. 7513/1975, 7864/1976, 8367/1978, 8598/1979 und 8751/1980; zu § 2 Abs 3 UStG 1972 s. VfSlg. 8943/1980).

Auch unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles sind gegen diese Bestimmungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken entstanden.

3. a) Die bf. Gemeinde könnte daher durch den angefochtenen Bescheid nur dann im Eigentumsrecht verletzt worden sein, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte.

b) Der angefochtene Bescheid wird im wesentlichen wie folgt begründet:

"... Nach herrschender Auffassung wird der Tatbestand des Selbstverbrauches mit dem Beginn der tatsächlichen Verwendung oder Nutzung verwirklicht, und zwar ohne Rücksicht darauf, in welchem Ausmaß das Wirtschaftsgut zunächst verwendet oder genutzt wird.

Auf die in den Jahren 1974 bis 1978 errichteten Kanalanlagen übertragen bedeutet dies, daß diese Einrichtungen jeweils mit dem Beginn der Ableitung des Oberflächenwassers (Regenwassers) und der sich durch die Straßenreinigung ergebenden Abwässer in Verwendung bzw. Nutzung genommen worden sind. Der Umstand, daß in diese Anlage noch kein Abwasser der Anrainer abgeleitet wird, hat auf den Beginn der Verwendung bzw. Nutzung ebensowenig einen Einfluß wie die Tatsache, daß die aufgenommenen Abwässer nicht einer Kläranlage zugeleitet, sondern über ein Sammelrohr nur in einen Bach abgeleitet wurden. In der Sache kann schließlich auch durch den Hinweis nichts gewonnen werden, daß es nicht sinnvoll gewesen wäre, zur Vermeidung der Selbstverbrauchsteuer die Gullis abzudecken bzw. abzudichten, um zu verhindern, daß Regenwasser in die Kanalanlagen gelangt. Abgesehen davon, daß eine solche Vorgangsweise von breiten Schichten der Bevölkerung sicherlich nicht verstanden worden wäre, wäre sie auch mit der den Gemeinden obliegenden Verpflichtung nicht zu vereinbaren gewesen, Vorsorge zu treffen, daß im Gemeindegebiet nicht nur Schmutz- und Fäkalwasser, sondern auch Niederschlagwasser beseitigt wird.

Wirtschaftsgüter wie die gegenständliche Kanalisationsanlage, die entsprechend dem Baufortschritt vor der endgültigen Fertigstellung der Gesamtanlage in Gebrauch genommen werden, sind hinsichtlich des in Verwendung oder Nutzung genommenen Teiles der Selbstverbrauchsteuer zu unterziehen. Die Selbstverbrauchsteuer ist in einem solchen Falle unter Heranziehung des im Jahr der Ingebrauchnahme geltenden Steuersatzes von jenem Wert zu berechnen, der auf den der Verwendung oder Nutzung zugeführten Teil des Wirtschaftsgutes entfällt (siehe dazu Kranich - Siegl - Waba, TZ 210 zu § 29)."

c) Die bf. Gemeinde hält diese Gesetzesauslegung aus folgenden Überlegungen für denkunmöglich:

"... Im gegenständlichen Fall wurden im Zuge von Straßensanierungsarbeiten in der Gemeinde J in den Jahren 1974 bis 1978 aus Kostenersparnisgründen Kanalisierungsrohre verlegt. Diese Kanalisierungsanlage wurde jedoch von der Beschwerdeführerin im Sinne des Umsatzsteuergesetzes bis heute nicht in Verwendung genommen, da bis heute noch keine Fäkalien, Industrie- oder Haushaltsabwässer in dieser Anlage fließen. Die Tatsache, daß Regenwasser durch die Gullis in die Kanalisierungsanlage gelangt, genügt nicht, um den Sachverhalt der Inbetriebnahme der Kanalisierungsanlage zu verwirklichen. Unter Inbetriebnahme kann nur verstanden werden, daß die Anlage ihrer tatsächlichen Bestimmung übergeben bzw. zugeführt wird. Der tatsächliche Zweck einer Kanalisation jedoch ist die Ableitung von Abwässern, da unter Kanalisation eine Einrichtung zur Sammlung von Ab- bzw. Schmutzwässern verstanden wird. Das Abfließen von Regenwasser in die Kanalisation kann daher nach Meinung der Beschwerdeführerin nicht als Inbetriebnahme der Kanalisationsanlage verstanden werden.

Eine Inbetriebnahme der gegenständlichen Anlage war, wie bereits ausgeführt, deshalb nicht möglich, weil die Kläranlage, welche auf dem Gebiet der Gemeinde S errichtet werden soll, bis heute nicht gebaut wurde. Die Kanalisationsanlage konnte aus diesem Grunde daher gar nicht ihrer Bestimmung übergeben und dem Anlagevermögen der Gemeinde J nicht zur Verwendung zugeführt werden. Wie schon in der Berufung ausgeführt, ist durch den Ausdruck im § 29 (2) UStG 'zugeführt' klar ausgedrückt, daß ein positives Tun gefordert wird. Die Gemeinde J hingegen hat heim Abfließen des Regenwassers in die Kanalisation keine positive Handlung gesetzt. Die Gemeinde J hat nichts getan, um Tagwässer in die Kanalisation einzuleiten, sie hat vielmehr nur nicht verhindert, daß Regenwasser in die Kanalisation gelangt. Dies hätte der Abdeckung der Gullis bedurft, was ein wirtschaftlicher Unsinn und geradezu ein Schildbürgerstreich gewesen und auch sicherlich nicht im Sinne des Gesetzgebers gelegen gewesen wäre."

d) In der Tat ist die von der bel. Beh. gewählte Interpretation des § 29 UStG 1972 völlig unvertretbar:

Strittig ist ausschließlich, ob und warum ein "Selbstverbrauch" iS des § 29 Abs 2 vorliegt, nämlich ob und wann die Kanalanlage "der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen" der Gemeinde J zugeführt wurde.

In der Judikatur des VwGH (zB VwSlg. 4955 F/1976; , 23. Feber 1981 Z 17/2231/79) wird - in Übereinstimmung mit der dort zitierten Literatur - der Standpunkt vertreten, daß der Tatbestand des Selbstverbrauches nicht schon mit der Anschaffung oder Herstellung als solcher, sondern erst mit dem Beginn der tatsächlichen Verwendung oder Nutzung (mit der tatsächlichen Inbetriebnahme) des Wirtschaftsgutes im Unternehmen verwirklicht sei.

Eine andere Auffassung ist ausgeschlossen. Beide Parteien dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens gehen offenkundig von ihr aus.

Fraglich ist jedoch, ob das Einrinnen des Regenwassers und des bei der Straßenreinigung anfallenden Wassers in die Kanalanlage bereits deren tatsächliche Inbetriebnahme im Unternehmen darstellt.

Wie sich aus der oben unter II.2. wiedergegebenen Rechtslage mit einer jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt, kann auch die wirtschaftliche Tätigkeit einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes, die nicht nachhaltig der Erzielung von Einnahmen dient, keinesfalls als unternehmerische Tätigkeit iS des UStG 1972 angesehen werden (s. zB VwSlg. 5558 F/1981). Solange eine derartige unternehmerische Tätigkeit aber nicht entfaltet wird, entsteht keine Selbstverbrauchsteuerpflicht.

Die von einer Gemeinde geführte Kanalisationsanlage ist zwar an sich - wie schon aus dem Wortlaut des § 2 Abs 3 UStG 1972 ("Anstalten ... zur Abfuhr von Spülwasser") abzuleiten ist - als Betrieb gewerblicher Art iS dieser Gesetzesstelle anzusehen (vgl. VfSlg. 8995/1980); es liegt daher Selbstverbrauch iS des § 29 leg. cit. vor, sofern mit dem Betrieb Einnahmen (wenn auch kein Gewinn) erzielt werden sollen. Das bloße Ableiten des Regenwassers und des bei der Straßenreinigung anfallenden Wassers von der Straße ist nun aber keinesfalls als "unternehmerische" (nachhaltige, einnahmenorientierte) Tätigkeit zu qualifizieren. Solange die Kanalanlage nur den erwähnten Zwecken dient, ist die Annahme ausgeschlossen, es handle sich hiebei um ein "Unternehmen", dem ein Anlagevermögen iS des § 29 Abs 2 UStG 1972 zugeführt wird.

Die bel. Beh. hat also die zuletzt zitierte Gesetzesstelle denkunmöglich angewendet, wenn sie beim gegebenen Sachverhalt angenommen hat, die Selbstverbrauchsteuerpflicht sei eingetreten, weil die Kanalanlage bereits in einem "Unternehmen" der Gemeinde Verwendung gefunden habe.

Die bf. Gemeinde wurde sohin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

Der angefochtene Bescheid war infolgedessen aufzuheben.