OGH vom 11.05.2010, 9ObA39/10s

OGH vom 11.05.2010, 9ObA39/10s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Hon. Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Eva Pernt und KR Mag. Michaela Haydter als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Marco G*****, vertreten durch Mag. Bernhard Kispert, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R*****reg.Gen.m.b.H., *****, vertreten durch Mag. Judith Morgenstern, Rechtsanwältin in Wien, wegen 5.012,07 EUR sA und Feststellung (Streitwert 4.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 148/09x 11, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 7 Cga 23/09w 7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 744,43 EUR (darin enthalten 124,07 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der aufgrund eines Lehrvertrags seit bei der Beklagten beschäftigte Kläger sollte den Lehrberuf des KFZ Technikers erlernen. Der Kläger arbeitete vom Beginn des Lehrverhältnisses bis im Betrieb der Beklagten und besuchte dann ab die Berufsschule. Am wurde von der Beklagten das Lehrverhältnis unter Berufung auf die Probezeit aufgelöst.

Der Kläger begehrt für die Zeit ab seine Lehrlingsentschädigung als Kündigungsentschädigung bis zum und zwar in Höhe von insgesamt 5.012,07 EUR sowie die Feststellung, dass ihm die Beklagte für sämtliche zukünftigen Schäden aus der unrechtmäßigen Auflösung des Lehrverhältnisses hafte. Er stützt dies zusammengefasst darauf, dass, wenn der Lehrling während der ersten drei Monate seine Schulpflicht erfülle, nach § 15 Abs 1 BAG eine Auflösung nur innerhalb einer Probezeit von sechs Wochen erfolgen könne.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass nach § 15 BAG während der ersten drei Monate des Lehrverhältnisses als Probezeit eine Auflösung jederzeit erfolgen könne. Nur darüber hinaus könne, wenn in diese drei Monate der Berufsschulbesuch falle, eine Auflösung jedenfalls in den ersten sechs Wochen während der Ausbildung im Betrieb erfolgen. Auch sei die Geltendmachung der Ansprüche durch den Kläger verspätet erfolgt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es folgerte rechtlich aus dem einleitend dargestellten Sachverhalt, dass § 15 Abs 1 BAG die Auflösung während der ersten drei Monate als Probezeit jederzeit ermögliche. Wenn der Lehrling seine Berufsschulpflicht während der ersten drei Monate erfülle, könne eine Auflösung des Lehrverhältnisses auch während der ersten sechs Wochen der Ausbildung im Lehrbetrieb erfolgen. Zweck der Bestimmung sei es auch, dem Lehrberechtigten die Möglichkeit zu geben, den Lehrling als Person in seinem Verhalten kennen zu lernen, und ihn auf seine Eignung zu prüfen. Die allgemeine Probezeit von drei Monaten werde durch die Berufsschule nicht verkürzt. Daher sei hier die Auflösung innerhalb der Probezeit rechtzeitig erfolgt.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Auch das Berufungsgericht verwies auf die nach § 15 Abs 1 erster Satz BAG bestehende Möglichkeit der jederzeitigen einseitigen Auflösung des Lehrverhältnisses während der ersten drei Monate. Bereits in der Vorentscheidung zu 9 ObA 307/92 sei klargestellt worden, dass die Probezeit stets mit dem Beginn des Lehrverhältnisses anfange. Der Zeitraum von sechs Wochen, der jedenfalls für die tatsächliche Erprobung zur Verfügung zu stehen habe, berühre die allgemeine 3 monatige Probezeit nicht. Die flexible Sechswochenfrist habe nicht den Zweck, diese allgemeine Probezeit zu verkürzen. An diesen Grundaussagen der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs habe sich auch durch die Verlängerung der Fristen nichts geändert. Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur geänderten Fassung des § 15 Abs 1 erster Satz BAG nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger gegen dieses Urteil erhobene Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt. Im Wesentlichen kann auf die zutreffende Entscheidung des Berufungsgerichts verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).

§ 15 Abs 1 BAG erster Satz lautet wie folgt:

„Während der ersten drei Monate kann sowohl der Lehrberechtigte als auch der Lehrling das Lehrverhältnis jederzeit einseitig auflösen; erfüllt der Lehrling seine Schulpflicht in einer lehrgangsmäßigen Berufsschule während der ersten drei Monate, kann sowohl der Lehrberechtigte als auch der Lehrling das Lehrverhältnis während der ersten sechs Wochen der Ausbildung im Lehrbetrieb (in der Ausbildungsstätte) jederzeit einseitig auflösen ... .“

Strittig ist die Frage, ob die Bestimmung dahin zu verstehen ist, dass der zweite Satzteil nur sicherstellen soll, dass dem Lehrberechtigten sechs Wochen „jedenfalls“ zur praxisbezogenen Einschätzung der Eignung des Lehrlings zur Verfügung stehen, ohne dass die Dreimonatsfrist des ersten Satzteils eingeschränkt wird, oder ob im Fall eines Berufsschulbesuchs die Probezeit insgesamt auf diese sechs Wochen der Praxiszeit im Betrieb verkürzt wird.

Im Wesentlichen unstrittige Zielrichtung des ersten Satzes des § 15 Abs 1 BAG ist es, dem Lehrberechtigten die Möglichkeit zu geben, die Eignung des Lehrlings für den Lehrberuf einzuschätzen (4 Ob 18/83, 9 ObA 307/92 ausdrücklich etwa auch die RV 699 der BlgNR 20. GP zur Berufsausbildungs und Gesetznovelle 1997, 8). Dieser Ansatz spricht dafür, dass das Verhältnis der beiden Satzteile des ersten Satzes dahin zu verstehen ist, dass die sechs Wochen dem Lehrberechtigten „jedenfalls“ zur unmittelbaren Einschätzung der Eignung des Lehrlings zur Verfügung stehen sollen, und zwar auch dann, wenn der Lehrling wegen des Berufsschulbesuches so lange abwesend ist, dass von den drei Monaten nicht einmal dieser Zeitraum für die Tätigkeit im Betrieb verbleibt. Eine Einschränkung des Dreimonatszeitraums wäre unter dem Aspekt der Zielrichtung der praktischen Erprobung unverständlich. Es ist kein Grund zu sehen, warum sich die vom Gesetzgeber vorgesehene Dreimonatsfrist rückwirkend auf sechs Wochen verkürzen sollte, nur weil der Lehrling etwa gegen Ende der Dreimonatsfrist mit der Berufsschule beginnt. Dies entspricht auch dem Verständnis der Vorentscheidung 9 ObA 307/92. Entgegen der Ansicht des Klägers haben sich an der Struktur der gesetzlichen Bestimmung keine wesentlichen Veränderungen ergeben, lautete diese doch in der damals geltenden Fassung wie folgt: „Während der ersten zwei Monate sofern in dieser Zeit der Lehrling seine Schulpflicht in einer lehrgangsmäßigen Berufsschule erfüllt, jedoch während des ersten Monats der Ausbildung im Betrieb kann sowohl der Lehrberechtigte als auch der Lehrling das Lehrverhältnis jederzeit einseitig auflösen.“ Diese bereits in der Berufsausbildungsgesetz Novelle 1978 gewählte Systematik eines einerseits fixen allgemeinen Probezeitraums und andererseits eines beweglichen Zeitraums im Falle einer Verkürzung des allgemeinen Zeitraums durch den Berufsschulbesuch (vgl dazu etwa auch Winkler , Die arbeitsrechtlichen Neuerungen der Berufsausbildungsgesetz Novelle 1978, ZAS 1978, 169, oder Pichelmayer , Probezeit bei Besuch einer lehrgangsmäßig geführten Berufsschule RdW 1993, 307) hat sich also nicht wesentlich geändert. Im Ergebnis geht es ausschließlich darum, dass durch den Berufsschulbesuch die praktische Erprobung des Lehrlings nicht unter sechs Wochen verkürzt wird (in diesem Sinne Berger / Fida/Gruber, Berufsausbildungsgesetz [2000], 154). Dies zielt aber gerade nicht in Richtung einer Verkürzung der allgemeinen Probezeit.

Der Revision war dementsprechend nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 2 ASGG, 50 und 41 ZPO.