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OGH vom 29.05.2018, 8ObA51/17h

OGH vom 29.05.2018, 8ObA51/17h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer und Wolfgang Cadilek in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. A***** S*****, vertreten durch Dr. Barbara John-Rummelhardt, Rechtsanwältin in Wien, der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Siemer-Siegl-Füreder & Partner Rechsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Alexandra Knell, Rechtsanwältin in Wien, wegen 13.016,13 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 148/16z-27, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 12 Cga 91/14k-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin war vom bis im Rahmen eines als Auftrag bezeichneten Vertragsverhältnisses mit der Beklagten auf Basis eines fixen Stundensatzes für das Projekt „V***** Center“ (kurz: VEC) tätig.

Sie verpflichtete sich in insgesamt zwei von beiden Parteien unterfertigten Verträgen (die sich nur in der Höhe des Stundensatzes unterschieden) gegenüber der Beklagten zur Übernahme bestimmter Aufgabenbereiche, zur Geheimhaltung aller ihr im Zusammenhang mit der vertraglichen Tätigkeit für die Beklagte zur Kenntnis gelangten Umstände und Unterlagen, zur Rückgabe aller Unterlagen an die Beklagte nach Beendigung des Vertragsverhältnisses sowie zum Verzicht auf alle Urheber- und Nutzungsrechte an den von ihr erzielten Arbeitsergebnissen zugunsten „ausschließlich und alleine“ der Beklagten.

Die Aufträge wurden auf unbestimmte Zeit mit einer 30-tägigen Kündigungsfrist geschlossen (Beilage ./P) und bildeten „nach dem Willen der Parteien die rechtliche Grundlage für das Tätigwerden der Klägerin“.

Die Beklagte stand in einem Vertragsverhältnis zur Betreiberin des VEC-Projekts, der Nebenintervenientin. Sie stellte dieser Personal und diverse Sachleistungen gegen Ersatz der Aufwendungen zur Verfügung, weil die Nebenintervenientin nicht unmittelbare Vertragspartnerin der Projektmitarbeiter sein wollte.

Der Inhalt der Einzelverträge und die Höhe der darin vereinbarten Stundensätze beruhten auf Vorgaben der Nebenintervenientin, ebenso entschied sie im Innenverhältnis über den Inhalt von Inseraten und die Auswahl der Suchplattformen für Stellenbewerber, deren Auswahl und über die Beendigung von Vertragsverhältnissen.

Die Verrechnung der Honorare der Auftragnehmer erfolgte durch die Beklagte im eigenen Namen. Sie überprüfte die verrechneten Stunden durch Rücksprache mit der Nebenintervenientin und verrechnete dieser dann die an die Auftragnehmer bezahlten Honorare weiter. In der Rahmenvereinbarung zwischen der Beklagten und der Nebenintervenientin war bedungen, dass „nur tatsächlich geleistete Projekt- oder begleitende Dienstleistungsstunden“ verrechnet werden durften (Beilage ./E, Punkt 6.). Ansonsten hatte die Beklagte zu den Auftragnehmern keinen Kontakt.

Die Klägerin hatte ihren Dienstort im Büro der VEC, wo ihr ein fixer Arbeitsplatz zugeteilt war. Von Urlauben und Krankenständen abgesehen war sie von Montag bis Freitag von etwa 9:00 Uhr bis etwa 18:00 Uhr im VEC tätig und leistete pro Woche etwa 40 Arbeitsstunden.

An jedem Arbeitstag fand um 10:00 Uhr ein Meeting statt, an dem die Klägerin wie alle Teammitglieder bei sonstiger Rüge teilnehmen musste und in dem die Arbeitsaufgaben zugeteilt wurden. Im Unterteam der Klägerin musste in der Kernzeit immer jemand anwesend sein, um Kundenanfragen rasch beantworten zu können. Art und Umfang der der Klägerin zugewiesenen Tätigkeiten führten dazu, dass sie jeweils im Ausmaß eines Arbeitstages von ca acht Stunden beschäftigt war. Eine Home-Office-Arbeit war grundsätzlich möglich, aber nur mit ausdrücklicher Erlaubnis. Während ihrer Tätigkeit nahm die Klägerin das Home-Office etwa an acht bis zehn Arbeitstagen in Anspruch. Das Ergebnis ihrer Arbeit kam ausschließlich dem Konzern der Nebenintervenientin zugute. Sämtliche Betriebsmittel für ihre Tätigkeit erhielt sie zur Verfügung gestellt.

Ihre „verschiedentlich“ konsumierten Urlaube musste die Klägerin mit einer Kollegin aus dem Unterteam koordinieren, aber sich nicht um eine Vertretung kümmern. Während eines Urlaubs oder Krankenstands erhielt die Klägerin kein Entgelt.

Im Jahre 2014 wurde das VEC von der Beklagten über Anweisung der Nebenintervenientin aufgelöst und abgewickelt. Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte deshalb den Vertrag der Klägerin zum .

Die Klägerin begehrt Urlaubsentgelt, Urlaubsersatzleistung und Kündigungsentschädigung. Das Vertragsverhältnis mit der Beklagten sei nicht als Werkauftrag, sondern als unselbstständiges (Leih-)Arbeitsverhältnis zu beurteilen, aus dem noch die geltend gemachten gesetzlichen Ansprüche zustünden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin sei nach dem Sachverhalt zwar in persönlicher Abhängigkeit wie eine Dienstnehmerin beschäftigt gewesen, ihre Dienstgeberin sei aber nicht die Beklagte, sondern die Nebenintervenientin, die sämtliche mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehenden Entscheidungen getroffen habe. Es sei ein sogenanntes „Payroll-System“ gepflogen worden, bei dem der Beschäftiger nicht nur (wie bei einer Arbeitskräfteüberlassung) einen Tarif für jede geleistete Arbeitsstunde zu bezahlen habe, sondern weitestgehend selbst eine verdeckte Arbeitgeberposition übernehme.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin keine Folge.

Es führte aus, das sogenannte „Payrolling“ im Zusammenhang mit Arbeitskräfteüberlassung liege vor, wenn die wesentlichen Personalentscheidungen vom Beschäftiger getroffen würden und der Überlasser nur die Funktion einer Verrechnungsstelle ausübe. Es handle sich um eine Art „arbeitsrechtlicher Treuhandkonstruktion“, die dazu führe, dass in Wahrheit der Beschäftiger als Dienstgeber anzusehen sei. Die Beklagte sei nach den Feststellungen nicht als Arbeitskräfteüberlasser, sondern iSd § 2 Abs 4 AMFG nur als Arbeitsvermittler aufgetreten.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil es zur Qualifikation eines „Payroll-Systems“ und zur Frage, ob aus § 2 Abs 4 AMFG abgeleitet werden könne, dass der Beschäftiger bei Vorliegen einer bloßen Arbeitsvermittlung in die Rolle des Arbeitgebers „gedrängt“ werden könne, noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung gebe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil die Rechtslage im Sinne des Ausspruchs des Berufungsgerichts einer über den Einzelfall hinaus wesentlichen Klarstellung bedarf.

Die Revision ist auch berechtigt.

1. Nach § 3 AÜG ist die Überlassung von Arbeitskräften die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte. Überlasser ist derjenige, der Arbeitskräfte oder arbeitnehmerähnliche Personen zur Arbeitsleistung an Dritte vertraglich verpflichtet. Der Überlasser ist Arbeitgeber im arbeitsrechtlichen Sinn, der Beschäftiger ist derjenige, der die Arbeitskräfte für betriebsbezogene Aufgaben einsetzt und die Arbeitsleistung faktisch entgegennimmt. Den Beschäftiger treffen nur einzelne Arbeitgeberpflichten, etwa Schutz- und Sorgfaltspflichten (Schindler in ZellKomm² I, § 3 AÜG Rz 7 ff).

Für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, ist der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform (zB die Bezeichnung des zwischen Überlasser und Beschäftiger bestehenden Vertragsverhältnisses) maßgeblich (§ 4 AÜG).

Auch das sogenannte „Payrolling“, bei dem der Überlasser sich faktisch auf die Aufgaben einer Verrechnungsstelle beschränkt und der Beschäftiger fast alle Arbeitgeberfunktionen übernimmt, insbesondere über die Auswahl der einzustellenden Personen sowie deren Kündigung entscheidet, kann grundsätzlich Arbeitskräfteüberlassung sein. Der Anwendungsbereich des AÜG ist nicht von der internen Verteilung der Verantwortungsbereiche zwischen dem Überlasser als Arbeitgeber und dem Beschäftiger abhängig.

2. Arbeitsvermittlung liegt hingegen vor, wenn ein Arbeitsverhältnis gerade nicht mit dem Vermittler selbst, sondern mit einem Dritten zustandekommen soll.

In diesem Sinn gilt nach § 2 Abs 4 AMFG als Tätigkeit im Sinne des Abs 1 leg cit (Arbeitsvermittlung) auch die Überlassung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte, sofern der Überlasser nicht die Pflichten des Arbeitgebers trägt.

Diese nicht zivil-, sondern verwaltungsrechtliche Bestimmung grenzt den Umfang des Gewerbes der Arbeitskräfteüberlasser von jenem der Arbeitsvermittlung ab, die nur im Rahmen des § 4 AMFG ausgeübt werden darf.

Maßgeblich für die Beurteilung, ob der Überlasser die Pflichten eines Arbeitgebers trägt, ist allein das rechtliche Verhältnis zwischen ihm und dem Arbeitnehmer und nicht die Vereinbarung zwischen Überlasser und Beschäftiger (so auch die stR: 14 Ob 224/86; 14 Ob 180/86; 9 ObA 76/87, 9 ObA 233/98z). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist schon der Entscheidung 14 Ob 224/86 eine Aussage des Obersten Gerichtshofs dazu, ob im Fall einer als Überlassung getarnten Arbeitsvermittlung dennoch ein Arbeitsverhältnis zum Überlasser bejaht werde, zu entnehmen. Der Oberste Gerichtshof hat in dieser Entscheidung ein gegen den Überlasser klagsstattgebendes Urteil der zweiten Instanz bestätigt und seine Passivlegitimation als Arbeitgeber nicht ansatzweise in Frage gestellt. Mit den Ausführungen zu § 9 Abs 4 (nunmehr § 2 Abs 4) AMFG wurde in dieser und allen folgenden Entscheidungen nur die Teilnichtigkeit des Ausschlusses typischer Arbeitgeberrisiken begründet, mit der Konsequenz, dass dem Arbeitnehmer gegen den Überlasser (Vertragspartner) auch das unwirksam abbedungene Entgelt zuerkannt wurde.

3. Die Zahlung des Entgelts zählt zu den zentralen Vertragspflichten des Dienstgebers im arbeitsvertraglichen Synallagma. Wenn sich der Überlasser im eigenen Namen gegenüber dem Arbeitnehmer zur Entgeltzahlung verpflichtet, dann übernimmt er Pflichten und Risiken des Arbeitgebers und kann von bloßer Arbeitsvermittlung iSd § 2 Abs 4 AMFG keine Rede sein.

Entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts spielt es für diese Beurteilung grundsätzlich keine Rolle, wie der Überlasser seine Personalkosten an seinen Kunden weiterverrechnet. Wie auch die Revision zutreffend darlegt, ist es geradezu selbstverständlich, dass im Rahmen der Arbeitskräfteüberlassung im Ergebnis alle Personalkosten (einschließlich der vorhersehbaren Zeiten der entlohnungspflichtigen Nichtbeschäftigung, Verwaltungs-kosten und Gewinnspanne) wirtschaftlich am Ende zur Gänze von den Beschäftigern getragen werden sollen und die Überlasser ihre Preise dementsprechend zu kalkulieren trachten. Die Weiterverrechnung des Aufwands hat mit der Frage, wer gegenüber dem Arbeitnehmer als Arbeitgeber anzusehen ist, nichts zu tun.

4. Für die in der Literatur von Schindler (in ZellKomm², § 3 AÜG Rz 5) angesprochene Fallkonstellation eines Beschäftigers, der sich auch zur Übernahme des Risikos sämtlicher Entgeltfortzahlungsansprüche verpflichtet und über den Bestand der Arbeitsverhältnisse entscheidet, vertritt der Autor die Ansicht, dass der Beschäftiger dann selbst ein „verschleierter“ Arbeitgeber sei. Dies wird allerdings nicht näher begründet, vor allem aber legt der Autor nicht dar, welche weiteren zivilrechtlichen Konsequenzen sich daraus ergeben sollen.

In keinem Fall lässt sich daraus die Rechtsansicht der Vorinstanzen ableiten, dass es mit dem Schutzzweck des AÜG vereinbar wäre, einem Arbeitnehmer, der typischerweise überhaupt keinen Einblick in die Vertragsbeziehung zwischen Überlasser und Beschäftiger hat, in einem solchen Fall jeglichen Anspruch gegen den Partner seines schriftlichen Arbeitsvertrags zu versagen (vgl auch RIS-Justiz RS0050887 = 9 ObA 76/87).

In der vorliegenden Rechtssache bedarf diese These aber im Übrigen auch schon deswegen keiner vertieften Betrachtung, weil sich die Nebenintervenientin im unbestrittenen, daher auch ohne Wiedergabe in den erstgerichtlichen Feststellungen der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden, „Payroll“-Rahmenvertrag nur zur Bezahlung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden der überlassenen Mitarbeiter verpflichtet hat. Über diese für eine Arbeitskräfteüberlassung typische Bezahlung der Stundensätze hinaus ist keine Übernahme arbeitsrechtlicher Risiken vereinbart worden, insbesondere auch nicht des Risikos von zusätzlichen Aufwendungen, die sich aus einer rechtlichen Qualifikation der „Aufträge“ als echte Arbeitsverträge ergeben könnten. Dieses „wirtschaftliche Wagnis“ des Arbeitgebers (vgl 9 ObA 233/98z) trägt vielmehr die Beklagte.

5. Von diesen Grundsätzen ausgehend erweist sich das Ergebnis der Vorinstanzen, die Beklagte sei im vorliegenden Verfahren nicht passiv legitimiert, als korrekturbedürftig.

Da das Erstgericht ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht noch keine hinreichenden Feststellungen getroffen hat, die eine Beurteilung von Grund und Höhe der einzelnen Klagsforderungen ermöglichen würden, war ihm die neuerliche Entscheidung nach entsprechender Verfahrensergänzung aufzutragen.

Angesichts der Ausführungen unter Punkt A der rechtlichen Beurteilung des erstinstanzlichen Urteils ist zur Vermeidung von allfälligen Missverständnissen festzuhalten, dass die Bestimmungsmerkmale der persönlichen Abhängigkeit eines Dienstnehmers sich beim überlassenen Arbeitnehmer typischerweise im Beschäftigerbetrieb (und nicht beim Überlasser) manifestieren.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00051.17H.0529.000

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