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OGH vom 29.04.2003, 11Os42/03

OGH vom 29.04.2003, 11Os42/03

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Burtscher als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Marianne M***** wegen des Vergehens der Kurpfuscherei nach § 184 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Generalprokurators zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Leonfelden vom , GZ U 8/01z-18, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, des Verteidigers Dr. Minichmayr, jedoch in Abwesenheit der Beschuldigten, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Bezirksgerichtes Leonfelden vom , GZ U 8/01z-18, verletzt das Gesetz in § 9 StGB (iVm § 184 StGB).

Text

Gründe:

Im Verfahren U 8/01z des Bezirksgerichtes Leonfelden warf die Staatsanwaltschaft Linz Marianne M***** mit Antrag auf Bestrafung vom (ON 16) als Vergehen der Kurpfuscherei nach § 184 StGB vor, seit 1998 in Vorderweißenbach eine den Ärzten vorbehaltene Tätigkeit in Bezug auf eine größere Anzahl von Menschen gewerbsmäßig ausgeübt zu haben, indem sie bei Personen Untersuchungen vornahm, durch Augendiagnostik Diagnosen erstellte und Therapien sowie Medikamente empfahl.

Mit - unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem - Beschluss vom (ON 18) stellte das Bezirksgericht Leonfelden das Verfahren gemäß § 451 Abs 2 StPO ein.

Begründet wurde dies mit einem der Beschuldigten bei Verwirklichung des Tatbestandes der Kurpfuscherei zugute kommenden nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum. Sie habe "offensichtlich bereits seit 1994 mit der ihr zur Last gelegten Tätigkeit überwiegend ihr Einkommen verdient und [sei] (...) ein gerade wegen dieser Tätigkeit eingeleitetes Verfahren wiederum eingestellt [worden], wobei die Beschuldigte seither (...) keine Änderung der Berufsausübung vorgenommen hat, sie insbesondere nach wie vor die Irisdiagnostik anwendet und vor allem homöopathische Mittel empfiehlt". Zudem sei "die in der Bevölkerung weitverbreitete Toleranzgrenze bzw das Vertrauen in nichtärztliche heilende Tätigkeiten" ein Indiz dafür, "dass die Beschuldigte infolge Rechtsirrtums das mit ihrer beruflichen Tätigkeit verbundene (neuerliche) Unrecht ebensowenig erkannt hat wie wohl auch die Mehrzahl der sie aufsuchenden Klienten (...), zumal sie offensichtlich aufgrund ihrer Ausbildung zur Heilpraktikerin in Deutschland dort zur gleichgelagerten Entfaltung einer beruflichen Tätigkeit berechtigt wäre, dem jedoch in Österreich durch den Tatbestand der Kurpfuscherei und wettbewerbsrechtliche Beschränkungen (im Hinblick auf eventuelle europarechtliche Entwicklungen: noch) ein Riegel vorgeschoben ist". Dazu komme, dass es ihr offensichtlich möglich war, eine den Ärzten vorbehaltene - wenn auch speziell als Irisdiagnostik nach den Vorgaben der ärztlichen Standesvertretung und der Krankenkassen verpönte bzw verbotene - Diagnosetätigkeit sogar als Gewerbe anzumelden.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Beschluss steht - wie der Generalprokurator in seiner deshalb gemäß §§ 33 Abs 2, 292 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend geltend macht - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Vorwerfbar - und damit nicht schuldausschließend - ist ein Rechtsirrtum, wenn das Unrecht für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war oder er sich mit den einschlägigen Vorschriften nicht bekanntgemacht hat, obwohl er seinem Beruf, seiner Beschäftigung oder sonst den Umständen nach dazu verpflichtet gewesen wäre (§ 9 Abs 1, Abs 2 StGB).

Bei der Prüfung der zweiten Variante des § 9 Abs 2 StGB - die hier allein in Frage kommt, weil ein leichtes Einsehen des Unrechtes der in concreto inkriminierten Tathandlungen (wie im Fall 9 Os 83/85 = RIS-Justiz RS0089340) ausscheidet - kann nach dem gebotenen objektiv subjektiven Doppelmaßstab (Leukauf/Steininger Komm3 § 9 RN 13; Kienapfel/Höpfel AT10 Z 18 RN 26 mwN) der Lösung des Bezirksgerichtes Leonfelden nicht beigetreten werden.

Die versäumte Erkundigungspflicht (Höpfel in WK2 § 9 Rz 14) ist der Beschuldigten im Gegenstand den Umständen nach schon deshalb vorwerfbar, als sie nach ihrer eigenen Einlassung (S 90 in U 8/01z des Bezirksgerichtes Leonfelden) Zweifel an der Vereinbarkeit ihrer Tätigkeit mit dem Ärztegesetz hatte (13 Os 171/86 = RZ 1987/39). Und dies - wieder unter Zugrundelegung ihrer eigenen Verantwortung (S 31, 89), aber auch zahlreicher Zeugenaussagen (S 95 ff) - völlig zu Recht: Denn ihre "Beratungen" nach "Schilderung der Situation" und "Betrachtung der vorderen Augenabschnitte mittels Iriduskops" sind nichts anderes als "die Untersuchung auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von körperlichen und psychischen Krankheiten oder Störungen" sowie "die Beurteilung von diesen Zuständen bei Verwendung medizinisch-diagnostischer Hilfsmittel" im Sinne von § 2 Abs 2 Z 1, Z 2 ÄrzteG 1998, sohin Ausübung des ärztlichen Berufes (§ 2 Abs 2 leg cit), was selbständig aber nur Ärzten vorbehalten ist (§ 3 Abs 1 leg cit) - Arzt war und ist die Beschuldigte jedoch nicht. Die - angeblich - "in der Bevölkerung weit verbreitete Toleranzgrenze und das Vertrauen in 'nichtärztliche heilende Tätigkeiten'" sind als vom Gesetzgeber nicht gebilligte Ansichten über Strafbarkeit (9 Os 177/78 = SSt 50/14), mangelnde Strafwürdigkeit und Sozialschädlichkeit der Tat unerheblich (Leukauf/Steininger aaO § 9 RN 19).

Ebensowenig gibt der Umstand, dass die Beschuldigte "offensichtlich aufgrund ihrer Ausbildung zur Heilpraktikerin in Deutschland dort zur gleichgelagerten Entfaltung einer beruflichen Tätigkeit berechtigt wäre", einen Grund ab, ihr deshalb einen Rechtsirrtum zuzubilligen, war sie sich doch der unterschiedlichen Rechtslage und somit des von ihr in Österreich nicht erfüllten Anforderungsprofils positiv bewusst (neuerlich S 31 in den zitierten U-Akten); die - von der Verteidigung im Beschwerdeverfahren aufgeworfenen - (europarechtlichen) Fragen der (Nicht-)Anrechung ausländischer Befähigungsnachweise können daher auf sich beruhen.

Der von der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung aufgrund § 340 Abs 4 GewO 1973 ausgestellte Gewerbeschein vom , GZ Ge/292/1993-7/93/B (S 13 in U 63/95 des Bezirksgerichtes Leonfelden), steht dem nicht entgegen: er berechtigt Marianne M***** zwar zur "Harmonisierung und Regenerierung körpereigener Energien, Betrachtung vorderer Augenabschnitte sowie Kosmobiologie", nicht aber zu der ihr (aktenkonform) angelasteten Untersuchungs- und Diagnose-Tätigkeit.

Aus der fehlenden Akzeptanz der Irisdiagnostik sogar bei Vornahme

durch Ärzte kann nicht auf mangelnde Erkennbarkeit solcher Diagnosen

als Ausübung einer (grundsätzlich) nur Ärzten erlaubten Tätigkeit

geschlossen werden. Selbst der Einsatz einer wissenschaftlich nicht

anerkannten Untersuchungsmethode ändert nichts daran, dass (schon)

die (bloße) Untersuchung auf das Vorliegen einer Krankheit den Ärzten

vorbehalten ist (11 Os 99, 100/83 = SSt 54/52 = EvBl 1984/88 = JBl

1984, 329 = RZ 1984/35; 12 Os 109/97 = ÖJZ-LSK 1998/34;

Leukauf/Steininger aaO RN 5, Fabrizy StGB8 Rz 3, Mayerhofer in WK2 Rz

3 - alle zu § 184; ebenso die Erstellung einer Diagnose - vgl 4 Ob

14/00p mwN).

Schließlich lässt sich füglich nicht mit der Einstellung eines früheren Verfahrens wegen eines gleichen Sachverhaltes argumentieren, weil diese - wie die davon verständigte Marianne M***** selbst betont (ON 17; vgl S 1a in U 63/95 des Bezirksgerichtes Leonfelden) - aus dem Grunde des § 42 StGB (sohin mangels Strafwürdigkeit, nicht aber Strafbarkeit) erfolgte, demnach den begründeten Verdacht voraussetzte, dass die Verdächtige den Tatbestand der Kurpfuscherei verwirklicht hatte. Für einen nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum ist daraus bei unverändert fortgesetzter einschlägiger Tätigkeit somit nichts zu gewinnen (vgl 10 Os 61/79 = EvBl 1980/115 und Mayerhofer StGB5 § 9 E 17d).

Da sich die aufgezeigte Verletzung von § 9 StGB (iVm § 184 StGB) zum Vorteil der Beschuldigten auswirkte, muss es mit ihrer Feststellung das Bewenden haben.