OGH vom 25.08.1998, 11Os41/98
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kofler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Friedrich K***** wegen des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Schöffengericht vom , GZ 12 Vr 242/97-12, sowie dessen Beschwerde gegen eine Weisung nach § 26 Abs 2 FinStrG nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlaß wird das Urteil zur Gänze aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Mit seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Friedrich K***** des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG schuldig erkannt.
Darnach hat er als Inhaber des gleichnamigen protokollierten Einzelunternehmens, sohin als Abgabepflichtiger, im Amtsbereich des Finanzamtes Steyr in den Jahren 1994 bis 1996 vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des Umsatzsteuergesetzes 1972 bzw 1994 entsprechenden Voranmeldungen für die Zeiträume Juli bis Oktober 1994 sowie Jänner, Februar und April bis Oktober 1995 eine Verkürzung von Vorauszahlungen an Umsatzsteuer in der Höhe von 1,097.451 S bewirkt, indem er Umsatzsteuervorauszahlungen für Juli bis Oktober 1994 und für Jänner, Februar und April 1995 jeweils erst nach diesbezüglicher Erinnerung, also verspätet entrichtete und für die Monate Mai bis Oktober 1995 keine oder ebenfalls verspätete Umsatzsteuervorauszahlungen leistete und die diesfalls einzureichenden Umsatzsteueranmeldungen erst nach Erinnerung durch die Finanzverwaltung am zwischen einem und sechs Monate verspätet abgab, wobei er eine Verkürzung an Umsatzsteuer nicht nur für möglich, sondern für gewiß hielt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der auch die nach § 26 Abs 2 FinStrG (zu Unrecht nicht in Beschlußform: vgl Dorazil/Harbich FinStrG § 26 E 14) erteilte Weisung mit Beschwerde bekämpft.
Mit dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nimmt der Beschwerdeführer den Strafaufhebungsgrund der Selbstanzeige für sich in Anspruch, welche er (in bezug auf die Monate Mai bis Oktober 1995) am , im übrigen aber durch (verspätete) Leistung von Umsatzsteuervorauszahlungen erstattet habe.
Rechtliche Beurteilung
Nach § 29 FinStrG kommt dieser besondere Strafaufhebungsgrund einem Finanzstraftäter insoweit zugute, als er seine Verfehlung der zuständigen Behörde dargelegt (Abs 1) und die Abgabenschuld den Vorschriften entsprechend entrichtet hat oder ihm Zahlungserleichterung gewährt wurde (Abs 2). Gemäß Abs 3 lit b leg cit tritt jedoch (von einer hier nicht interessierenden Sonderregelung für Zollvorschriften verletzende Taten abgesehen) Straffreiheit - unabhängig von einer diese ebenfalls ausschließenden, vorliegend aber nicht angenommenen Verfolgungshandlung - dann nicht ein, wenn zum Zeitpunkt der Selbstanzeige die Tat von der Behörde bereits ganz oder zum Teil entdeckt und dies dem Anzeiger bekannt war. Unter Behörde ist dabei, der Beschwerde zuwider, nicht nur die Finanzstrafbehörde zu verstehen, sondern auch die Abgabenbehörde sowie jede andere Behörde und Dienststelle, die in den §§ 80, 81 FinStrG genannt ist und der dort statuierten Anzeigepflicht an die Finanzstrafbehörde unterliegt (vgl Sommergruber/Reger Komm 196 f; ebenso Fellner, FinStrG Rz 23 zu §§ 29 und 30; Leitner, Grundzüge des Österreichischen Finanzstrafrechts S 85; Scheil, Die Selbstanzeige nach § 29 FinStrG Rz 363 ff).
Ist die Tat durch eine derartige Behörde entdeckt, vermag eine spätere Selbstanzeige nicht mehr strafbefreiend zu wirken. Der Beschwerdeeinwand, wonach die den Gegenstand der Selbstanzeige des Angeklagten vom bildenden Tathandlungen nicht einem "Organ der Strafrechtspflege", sondern der Abgabenbehörde bekannt wurden, ist demnach unbeachtlich.
In diesem Zusammenhang konnte sich der Oberste Gerichtshof allerdings davon überzeugen, daß die Feststellungen des Schöffengerichtes für die Annahme der Tatentdeckung keine hinreichende Grundlage bilden. Damit leidet das Urteil an einem von der Beschwerde in dieser Richtung nicht relevierten materiellen Feststellungsmangel (Z 9 lit b), der demgemäß von amtswegen wahrzunehmen war (§ 290 StPO).
Entdeckt ist eine Tat nämlich erst dann, wenn sich ein Verdacht soweit verdichtet hat, daß bei vorläufiger Tatbeurteilung der Nachweis der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes eines Finanzvergehens wahrscheinlich ist (vgl Tanzer, ÖStZ 1993 S 303; Scheil aaO S 449, 451; Leitner aaO Rz 83). Ein wenn auch begründeter Anfangsverdacht allein genügt nicht ( in ÖStZB 1984, 285; Leitner aaO S 84). Solange ein objektiv erfaßbares und tatsächlich wahrgenommenes Geschehen nicht zum Schluß auf ein im Finanzstrafgesetz vertyptes Vergehen nötigt, sondern noch andere Deutungsmöglichkeiten offen sind, ist die Tat noch nicht einmal teilweise entdeckt (Tanzer aaO).
Im vorliegenden Fall hat das Schöffengericht den Ausschlußtatbestand der Tatentdeckung (§ 29 Abs 3 lit b FinStrG) in der Tatsache erblickt, daß dem Beschwerdeführer hinsichtlich der im Spruch genannten Umsatzsteuervorauszahlungszeiträume von der Abgabenbehörde noch vor den als Selbstanzeigen reklamierten verspäteten Umsatzsteuervorauszahlungen und noch vor der Selbstanzeige vom Zahlungserinnerungen zugestellt worden sind.
Mit der Zusendung von "Erinnerungen" - von der Finanzverwaltung gelegentlich als "Bürgerservice" bezeichnet - reagiert die Abgabenbehörde im Zuge einer in der Regel automatisierten Überwachung auf die Nichtentrichtung von Umsatzsteuervorauszahlungen (und die Nichtabgabe von Voranmeldungen). Seit dem Abgabenänderungsgesetz 1989 besteht, anders als zuvor, eine Verpflichtung zur Einreichung einer Voranmeldung jedoch nur mehr dann, wenn die Vorauszahlung nicht fristgerecht oder nicht zur Gänze entrichtet oder der Abgabepflichtige vom Finanzamt zur Einreichung aufgefordert wird, somit insbesondere dann nicht, wenn sich für einen Vorauszahlungszeitraum keine Abgabenschuld ergibt. Daraus folgt, daß aus der bloßen Nichtabgabe einer Voranmeldung allein oder dem Unterbleiben einer Umsatzsteuervorauszahlung die Verwirklichung eines Finanzvergehens nicht erschlossen werden und somit von einer auch nur teilweisen Tatentdeckung keine Rede sein kann (vgl RdW 1990 S 168 f, 388; Scheil aaO Rz 453).
Hinzu kommt, daß eine Tat nur dann als entdeckt angesehen werden kann, wenn sie ein Organwalter der Behörde wahrgenommen hat (vgl Scheil aaO Rz 453 f; Leitner aaO S 84; nicht eindeutig Sommergruber/Reger Komm 196 f: Trotz Verzichtes auf die Organwalterkenntnis soll etwa bei Vorliegen einer Kontrollmitteilung als Verdachtsmoment erst deren Auswertung durch den zuständigen Beamten zur Tatentdeckung führen können). Kann doch eine Behörde nur durch eine physische Person einen Tatverdacht zur Kenntnis nehmen und auf seine Stichhaltigkeit überprüfen und sodann der in §§ 80, 81 FinStrG statuierten Mitteilungsbeziehungsweise Verfolgungspflicht nachkommen.
Die automatisierte Zusendung von Erinnerungen als Ergebnis einer EDV-mäßigen Überwachung der Entrichtung selbst zu berechnender Abgaben ist daher keine Tatentdeckung und steht einer strafbefreienden Selbstanzeige somit nicht entgegen.
Von diesen Überlegungen ausgehend erweisen sich die Urteilskonstatierungen als mangelhaft, weil sie zum einen eine eindeutige Feststellung der Zusendung automatisierter Erinnerungen (zwar nahelegen, letztlich aber) vermissen lassen, andererseits aber auch nicht klarstellen, ob und bejahendenfalls auf welcher Grundlage die Zusendung der in Rede stehenden Erinnerungen auf persönlichen Wahrnehmungen einer qualifizierten Verdachtslage eines Finanzvergehens durch einen Organwalter beruhen, womit Tatentdeckung gegeben wäre.
Weiters ist zu beachten, daß hinsichtlich der Monate Juli bis Oktober 1994 und Jänner, Februar und April 1995 den Feststellungen zufolge zwar Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben, die Umsatzsteuervorauszahlungen aber nicht rechtzeitig entrichtet wurden. Dem Urteil ist jedoch nicht zu entnehmen, zu welchem Zeitpunkt die Voranmeldungen eingereicht wurden. Diesem Umstand kommt aber entscheidende Bedeutung zu, wäre doch bei rechtzeitiger, dh bis zum
15. des auf den jeweiligen Voranmeldungszeitraum zweitfolgenden Kalendermonats abgegebener Bekanntgabe der Abgabenverbindlichkeit mangels einer Verletzung der Vorschrift des § 21 UStG 1972 bzw 1994 der Tatbestand der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG schon objektiv nicht verwirklicht. Auch insoweit ist das angefochtene Urteil mit einem vom Beschwerdeführer nicht geltend gemachten und daher von amtswegen wahrzunehmenden Feststellungsmangel (Z 9 lit a) behaftet, der in diesem Umfang eine Verfahrenserneuerung erfordert.
Wurden die Voranmeldungen indes nicht rechtzeitig abgegeben, liegt in der - verspäteten - Zahlung eine Selbstanzeige, welcher die exculpierende Wirkung durch die jeweils vorangegangenen Erinnerungen (US 3) nur dann abgesprochen werden könnte, wenn diesen Erinnerungen die Qualität einer Tatentdeckung zuzubilligen wäre. Weil zur Beantwortung dieser Frage nach dem Vorausgesagten das Tatsachensubstrat nicht ausreicht, kommt eine sofortige Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst nicht in Betracht.
In bezug auf die Monate Mai bis Oktober 1995 wiederum erstattete der Beschwerdeführer am Selbstanzeige durch Bekanntgabe der auf diesen Zeitraum entfallenden Zahllast im Betrag von 402.786 S. Zugleich stellte er den Antrag auf Zahlungserleichterung, welche ihm durch Einräumung monatlicher Ratenzahlungen, beginnend mit gewährt wurde.
Unter der - aufgrund der aufgezeigten Feststellungsmängel nicht verifizierbaren - Voraussetzung mangeln- der Tatentdeckung wäre die Einhaltung der gewährten Ratenzahlung der den Abgabenvorschriften entsprechenden Entrichtung der Abgabenschuld (§ 29 Abs 2 FinStrG) gleichzusetzen (11 Os 143/85).
Nun hat aber der Beschwerdeführer nach den Urteilsfeststellungen seiner Ratenzahlungsverpflichtung nur teilweise entsprochen, sodaß eine die Zeiträume August bis Oktober 1995 erfassende Steuerschuld in der Höhe von insgesamt 176.345 S unberichtigt blieb.
Aufgrund des Gesetzeswortlautes ("insoweit" in § 29 Abs 2 FinStrG) käme - wiederum unter der Verneinung einer vorausgegangenen Tatentdeckung - auch eine teilweise Straffreiheit, hier ersichtlich für die Monate Mai bis Juli 1995 (US 4), in Betracht (vgl Leitner aaO S 87; Ritz in RdW 1988 S 101: Sommergruber/Reger Komm S 193 f; Scheil aaO Rz 586, 607, 198, 200; tendenziell aA: SSt 33/74; EvBl 1977/107).
Doch auch hinsichtlich der verbleibenden Monate August bis Oktober 1995 kommt, worauf die Beschwerde, insofern einen Feststellungsmangel (Z 9 lit b) monierend, zutreffend hinweist, der mit Beschluß des Landesgerichtes Steyr vom zum AZ 14 S 151/96w erfolgten Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Beschwerdeführers (Bd I des Einkommensteueraktes) Bedeu-tung zu, weil durch die insolvenzrechtlichen Anordnungen die für die strafbefreiende Entrichtung der Abgabenschuld maßgeblichen Abgabenvorschriften zurückgedrängt werden (vgl Dorazil/Harbich, FinStrG § 29 E 36).
Das Urteil war somit teils in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde, teils aus deren Anlaß zur Gänze zu kassieren, womit auch der mit Beschwerde bekämpften Weisung nach § 26 Abs 2 FinStrG der Boden entzogen ist.