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OGH vom 29.04.2019, 8Ob30/19y

OGH vom 29.04.2019, 8Ob30/19y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner, die Hofräte Dr. Hargassner und Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Mag. Julian Korisek MBA, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei T*****, vertreten durch Mag. Ernst Michael Lang, Rechtsanwalt in Hohenems, wegen 7.610 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 22 R 410/18z-13, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hallein vom , GZ 2 C 617/18f-6, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Einrede der mangelnden internationalen und örtlichen Zuständigkeit abgewiesen wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.529,52 EUR (darin enthalten 254,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Zwischenstreits binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der brachte vor, er habe am mit einer Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz zwei Verträge über den Ankauf und die Verwahrung von Edelmetallen geschlossen. Er begehrte vom Beklagten – einem Schweizer Notar und Rechtsanwalt – den Ersatz seiner Investitionskosten von insgesamt 7.610 EUR sA. Dieser Betrag sei mit Lastschriftverfahren in monatlichen Raten von 100 EUR zuzüglich einem einmaligen Depoteröffnungsbetrag von 360 EUR von seinem Girokonto bei der Raiffeisenbank Abtenau-Rußbach reg. Gen.m.b.H. auf ein Konto einer 100%igen österreichischen Tochtergesellschaft der Schweizer Anlagegesellschaft bei der Volksbank Salzburg eG eingezogen, von dort aber nur zum Teil an die Muttergesellschaft weitergeleitet worden. Die Anlagegesellschaft habe ihren Anlegern zugesagt, dass jede Einzahlung eines Anlegers für den Ankauf von Edelmetallen verwendet und den Anlegern das Eigentum an dem für sie angeschafften Edelmetall eingeräumt werde. Sie habe sich außerdem vertraglich gegenüber ihren Anlegern verpflichtet, ihre Edelmetallbestände regelmäßig überprüfen zu lassen. Für den Fall der Insolvenz der Anlagegesellschaft hätte sichergestellt sein sollen, dass das Edelmetall, an welchem die Anleger Eigentum erworben hätten, ausgesondert hätte werden können.

Der Beklagte habe für die Anlagegesellschaft die Buchhaltung und in den Jahren 2011 bis 2014 die Bilanzen erstellt. Zudem habe er in den Jahren 2012, 2013 und 2014 notariell beglaubigte Prüfberichte ausgestellt, in denen er bestätigt habe, dass der IstBestand an Edelmetallen im Besitz der Anlagegesellschaft mit dem SollBestand übereinstimme. Der Beklagte habe aus den Buchhaltungsunterlagen gewusst, dass die Gelder der Anleger nur teilweise zum Ankauf von Edelmetallen, überwiegend aber für andere Zwecke verwendet worden seien. Die nicht den Tatsachen entsprechenden Prüfbestätigungen des Beklagten seien mit seinem Wissen und seiner Zustimmung Anlageinteressenten in Österreich vorgelegt und im Internet veröffentlicht worden.

Aufgrund der Prüfberichte des Beklagten sei der Kläger davon ausgegangen, dass die von der Anlagegesellschaft gemachten Zusicherungen tatsächlich eingehalten würden. Ohne diese Zusicherungen hätte der Kläger das Investment nicht getätigt.

Zwischenzeitig sei über das Vermögen der Anlagegesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden, welches mangels Aktiven eingestellt worden sei. Auch über das Vermögen der österreichischen Tochtergesellschaft sei ein Insolvenzverfahren eröffnet worden, in dem der Masseverwalter zuletzt Masseunzulänglichkeit angezeigt habe. Edelmetalle im Eigentum der Anleger seien nicht vorhanden gewesen.

Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus Art 5 Z 3 LGVÜ. Der Ort des Schadenseintritts liege am Wohnsitz des Klägers; der Schaden habe sich auf seinem Bankkonto im Zuständigkeitsbereich des Erstgerichts verwirklicht. Der Beklagte habe gewusst, dass seine Prüfberichte für die Anwerbung von Anlageinteressenten in Österreich verwendet würden.

Der erhob die Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art 5 Z 3 LGVÜ. Weder der Handlungs- noch der Erfolgsort befinde sich in Österreich. Im Sprengel des angerufenen Gerichts liege lediglich der Überweisungsort. Das Konto des Klägers bzw dessen Wohnort alleine reiche als Anknüpfungspunkt für die Begründung der Zuständigkeit nicht aus.

Das erklärte sich für international und örtlich unzuständig und wies die Klage zurück. Die Voraussetzungen des Deliktsgerichtsstands nach Art 5 Z 3 LGVÜ seien nicht erfüllt. Als Anlagekonto sei das Volksbank-Konto in Salzburg anzusehen, nicht aber das Konto des Klägers, von dem aus die Anweisungen auf das Anlagekonto getätigt worden seien. Spezifische Gegebenheiten, die zur Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte des Ortes führen sollten, an dem sich ein reiner Vermögensschaden verwirklicht habe, seien nicht ersichtlich.

Das gab dem Rechtsmittel des Klägers nicht Folge und billigte die Rechtsausführungen des Erstgerichts. Der Handlungsort liege – nach dem relevanten Klagevorbringen – nicht in Österreich bzw im Sprengel des angerufenen Gerichts. Nach der Rechtsprechung des EuGH (C12/15, Universal Music Holding und C375/13, Kolassa) sei der Ort des Eintritts eines ausschließlich in einem finanziellen Verlust bestehenden Schadens in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte nicht als Erfolgsort anzusehen, es sei denn, dass auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Falls zur Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte dieses Orts führten.

Dem Beklagten werde als schädigendes Ereignis die Herstellung eines Prüfberichts betreffend Edelmetallbeständen in der Schweiz und eine fehlerhafte Buchhaltung vorgeworfen. Ein besonderer Ort der Veruntreuung der Gelder durch die Anlagegesellschaft werde ebenso wenig behauptet, wie ein vorsätzlicher Beitrag des Beklagten zu dieser Veruntreuung. Die Handlungen des Beklagten hätten sich zur Gänze in der Schweiz abgespielt. Ein Bezugspunkt des Sachverhalts zum Gerichtsort sei nur insofern gegeben, als der Kläger das Geld von seinem Girokonto in Annaberg überwiesen habe. Damit liege aber die für die Geltung der Ausnahme vom Beklagtengerichtsstand des Art 5 Z 3 LGVÜ geforderte „besonders enge Beziehung [...], die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt“ nicht vor bzw seien „die anderen spezifischen Gegebenheiten des Falls [die] zur Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte des Orts, an dem sich ein reiner Vermögensschaden verwirklicht hat“, nicht gegeben.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil eine Vielzahl gleichgelagerter Parallelverfahren anhängig bzw weitere zu erwarten seien und noch keine einheitliche höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Ermittlung des Erfolgsorts im Sinne des Art 5 Z 3 LGVÜ und Art 7 Nr 2 EuGVVO bei Anlegerschäden bestehe.

In seinem vom Beklagten beantworteten strebt der Kläger erkennbar die Abänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen dahin an, dass die internationale und örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts bejaht werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist und .

1. Im Hinblick auf den Wohnsitz des Beklagten in der Schweiz und nach dem Datum der Einbringung der Klage () richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem am in Lugano abgeschlossenen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil und Handelssachen (Art 64 Abs 2 lit a LGVÜ 2007). Im Verhältnis zur Schweiz ist das LGVÜ 2007 gemäß seinem Art 63 seit anzuwenden. Es ersetzt in seinem Anwendungsbereich die Zuständigkeitsbestimmungen der JN (RISJustiz RS0106679; RS0109738). Inhaltlich stimmt das LGVÜ 2007 mit den Art 1 bis 61 der Brüssel IVO nahezu wortgleich überein. Um eine einheitliche Auslegung und insbesondere die Parallelität zu EuGVÜ bzw EuGVVO zu gewährleisten, ist im Art 1 des Protokolls Nr 2 über die einheitliche Auslegung des LGVÜ 2007 das ausdrückliche Gebot der Rücksichtnahme auf die EuGHRechtsprechung enthalten (8 Ob 75/18i; vgl auch RS0113569). Weitestgehend kann die zur EuGVVO ergangene Literatur und Judikatur herangezogen werden (Mayr in Rechberger4 Nach § 27a JN Rz 23; RS0115357 [T5] zu Art 5 Nr 3 LGVÜ; 5 Ob 240/18g).

2. Maßgeblich für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit sind die Klageangaben (RS0115860, RS0050455). Sind die die Zuständigkeit begründenden Tatsachenbehauptungen zugleich Anspruchsvoraussetzungen („doppelrelevante Tatsachen“), so ist ihre Richtigkeit zu unterstellen (RS0115860 [T4]; sie sind auch dann der Zuständigkeitsentscheidung zugrunde zu legen, wenn sie vom Beklagten bestritten wurden, RS0050455 [T1]).

3.1 Nach Art 5 Z 3 LGVÜ 2007 kann eine Person, die ihren Wohnsitz in einem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Dies entspricht dem Gerichtsstand für Deliktsklagen nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 (früher Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000).

3.2 Grundsätzlich kann der Geschädigte seine Ansprüche alternativ am Handlungs oder am Erfolgsort geltend machen (RS0115357). Bei Auseinanderfallen der beiden Orte kann der Kläger zwischen Handlungs und Erfolgsort wählen (RS0109078 [T27]).

4. Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst in der Entscheidung 5 Ob 240/18g, die gleichartige Ansprüche eines österreichischen Anlegers gegen den auch hier Beklagten zum Gegenstand hatte, unter ausführlicher Darstellung der Rechtsprechung des EuGH (C375/13, Kolassa;C12/15, Universal Music Holding;C304/17, Löber ua), der Literatur und höchstgerichtlicher Entscheidungen (insbesondere 3 Ob 185/18d, 4 Ob 185/18m und 2 Ob 183/18b) die Grundsätze zusammengefasst. Die Gerichte am Wohnsitz des Anlegers sind für auf deliktische Ansprüche gestützte Klagen dann zuständig, wenn die anlage- und schadenstypisch beteiligten Konten bei Banken in Österreich, gehalten wurden und darüber hinaus auch die sonst vorliegenden Umstände (insbesondere zB Erwerb in Österreich Eingehen der Verpflichtung aufgrund von notifizierter Prospektangaben in Österreich) zur Zuweisung an österreichische Gerichte anstelle der Gerichte am Wohnsitz des Beklagten beitragen.

5. Auch hier spricht eine ganze Reihe von Sachverhaltselementen für die Zuweisung der Zuständigkeit an österreichische Gerichte. Die laufenden Zahlungsflüsse gingen vom österreichischen Konto des Klägers aus. Die Vertragsunterlagen, durch die er seine ihn letztlich schädigende Verpflichtung einging, unterfertigte der Kläger an seinem österreichischen Wohnsitz. Auch das Konto, auf das der Kläger seine Ansparbeträge überwies, wurde in Österreich geführt. Die Frage, ob von vornherein ein geplanter Betrugsfall vorlag oder eine nachträgliche Veruntreuungshandlung durch die Anlagegesellschaft stattgefunden hat, kann daher auf sich beruhen. In jedem Fall wäre der behauptete Erstschaden – Verlust laufender Ansparbetrag –, zu dem der Beklagte beigetragen haben soll, in Österreich eingetreten. Dabei ist in einer Konstellation wie der vorliegenden der Erfolgsort am Wohnsitz des Klägers als Mittelpunkt dessen Vermögens zu lokalisieren.

Die nach der Rechtsprechung des EuGH zudem geforderte Vorhersehbarkeit eines Erfolgsorts in Österreich für den Beklagten ergibt sich aus den Klagsangaben, wonach der Beklagte wusste, dass die von ihm ausgestellten Bestätigungen dazu dienen sollten, österreichische Anleger zu werben.

Damit ist die internationale und die örtliche Zuständigkeit nach den vom EuGH in der Rechtssache C314/17, Löber, postulierten Voraussetzungen auch im vorliegenden Fall zu bejahen (vgl schon 5 Ob 240/18g; vgl auch RS0111094).

Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren somit im Sinne einer Verwerfung der Einrede der Unzuständigkeit abzuändern.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 50, 41 ZPO. Als Kosten des Zwischenstreits sind nur die vom allgemeinen Verfahrensaufwand klar abgrenzbaren Kosten anzusehen; Kosten von Prozesshandlungen, die im fortgesetzten Verfahren verwertbar sind, sind im Rahmen der Entscheidung über die Kosten des Zwischenstreits nicht zuzusprechen (Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.331 mwN). Klar abgrenzbar sind hier nur die Kosten des Rechtsmittelverfahrens in zweiter und dritter Instanz.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00030.19Y.0429.000

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