OGH vom 16.06.2009, 10ObS27/09g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Helmut Hutterer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Wolfgang P*****, vertreten durch Dr. Alfred Hawel und Dr. Ernst Eypeltauer, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65, 1201 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Integritätsabgeltung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 100/08t-36, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 16 Cgs 181/06y-32, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil zu lauten hat:
„Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger eine Integritätsabgeltung in der gesetzlichen Höhe zu bezahlen, wird abgewiesen."
Die klagende Partei hat die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe :
Der Kläger wurde am im Betrieb der Firma ***** K***** Holzindustrie (kurz: Firma K*****) von einem von Caslav J***** gelenkten 12-Tonnen-Hubstapler angefahren und verletzt. Er war damals Arbeitnehmer der E***** GmbH, eines zwischenzeitig nicht mehr existierenden Arbeitskräfteüberlassungsunternehmens. Von diesem wurde er an die Firma Sch***** GmbH bzw deren Tochterunternehmen, die Firma S***** GmbH, (im Folgenden kurz: Firma Sch*****) verleast. Dieses Unternehmen führte im Betrieb der Firma K***** werkvertraglich festgelegte Montagearbeiten in Regie durch.
Caslav J***** war bei der Firma K***** als Staplerfahrer beschäftigt. Er erfüllte die erforderlichen Voraussetzungen für das Führen eines Hubstaplers. Der von ihm am gelenkte Hubstapler war auch in betriebssicherem Zustand. Die Breite des Verkehrswegs, den er zum Unfallszeitpunkt befuhr, entsprach § 2 der Arbeitsstättenverordnung. Der Fahrweg war nicht durch Lagerungen verstellt. Zum Unfallszeitpunkt war der Stapler nicht beladen, es war daher keine Sichtbeeinträchtigung durch eine Last gegeben.
Im Unternehmen der Firma K***** gibt es (besondere) Betriebsanweisungen für den Staplerverkehr, die Caslav J***** auch bekannt waren.
Am Morgen des unterwies ein Mitarbeiter der Firma K***** den Obermonteur der Firma Sch***** über die im Betrieb geltende (allgemeine) Betriebsanweisung, wobei ihm auch ein dementsprechendes Schriftstück übergeben wurde, in dem im Wesentlichen über das Verbot des Rauchens, des Hantierens mit offenem Licht und Feuer sowie der Durchführung von Schweiß- und sonstigen Feuerarbeiten, über die Verpflichtung zur Freihaltung der Flucht- und sonstigen Verkehrswege, die Entsorgung der Abfälle, die Benützung der Betriebsmittel und die Abstellung der Fahrzeuge am Firmengelände informiert wird.
Am gegen 15:20 Uhr fuhr Caslav J***** mit dem Hubstapler von der Lagerhalle 5 in die unmittelbar angebaute Lagerhalle 6. Dabei kam es zum Zusammenstoß mit dem Kläger, der zu Fuß unterwegs war.
Der betreffende Bereich des Hallengeländes besteht aus Durchfahrtswegen mit einer Breite von ca 8 m und aus für Holzplattenstapel vorgesehenen, großteils belegten Lagerflächen. Der Kläger ging in der Halle 5 von rechts kommend vor Holzlagerstapeln auf die von J***** benutzte Fahrbahn. Er bewegte sich mit normaler Gehgeschwindigkeit über ca 7 - 8 Sekunden ca 13 m weit in Richtung Halle 6. Dabei bewegte er sich mehr als 2 m in Richtung Fahrbahnmitte. In dieser Zeit war dem ursprünglich ca 7 - 8 Sekunden hinter dem Kläger mit ca 15 - 16 km/h herannahenden J***** die Sicht auf den Fußgänger nur durch den rechten Außen- und Hubmast des Staplers verstellt. Da der Kläger in diesem „sichttoten Bezirk" vom Staplerfahrer unbemerkt blieb, kam es ca 2,5 - 3 m vor dem Ende des Holzplattenstapels in der Halle 6 zum Zusammenstoß. Der Seitenabstand des Staplers zum rechten Fahrbahnrand betrug mehr als 2 m.
Die Unfallursache ist darin zu sehen, dass beide Unfallsbeteiligten nicht aufeinander achteten. Der Unfall hätte dadurch verhindert werden können, dass Caslav J***** durch mehrfache Neigungen des Oberkörpers samt Kopf zur rechten Seite der Fahrerkabine seine durch den rechten Außen- und Hubmast verstellte Sicht auf den herannahenden Kläger entschärfen, diesen rechtzeitig erkennen und dann noch unfallsvermeidend abbremsen bzw ein Warnsignal mit der Hupe abgeben hätte können. Der Kläger hätte wiederum bei gehöriger Aufmerksamkeit den Stapler sehen und stehen bleiben oder seinen Weg am äußersten rechten Rand der Fahrbahn fortsetzen können.
Konkret hätte J***** bei laufender Entschärfung der sichttoten Bereiche durch mehrfache Neigungen des Oberkörpers mehr als 5,5 - 6,5 Sekunden Zeit gehabt, den Fußgänger zu erkennen und unfallsvermeidend abzubremsen. Bei einem Anhalteweg des Staplers von 4,8 - 5,5 m hätte er erst 1,1 - 1,3 Sekunden vor dem Erreichen der Kollisionsstelle mit einer Vollbremsung reagieren müssen, um kollisionsfrei zum Stillstand zu kommen. Bei rechtzeitigem Erkennen hätte J***** auch ein Warnsignal mit der Hupe abgeben können, um den Kläger auf sich aufmerksam zu machen.
Mit - mittlerweile rechtskräftigem - Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom wurde Caslav J***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 1. Fall StGB verurteilt.
Aufgrund des Unfalls bestehen beim Kläger zahlreiche Dauerschäden, die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 vH bedingen. Für die Folgen dieses Arbeitsunfalls gewährte die beklagte Partei dem Kläger eine vorläufige Versehrtenrente von 80 vH der Vollrente samt Zusatzrente und gewährt ihm seit eine Dauerrente von 75 vH der Vollrente samt Zusatzrente.
Mit Bescheid vom hat die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213a ASVG wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom mit der Begründung abgelehnt, dass der Arbeitsunfall nicht durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht worden sei.
Das Erstgericht sprach aus, dass das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger eine angemessene Integritätsabgeltung zu gewähren, dem Grunde nach im Ausmaß von 60 % der am geltenden Höchstbemessungsgrundlage gemäß § 178 Abs 2 ASVG unter Berücksichtigung der Anpassung gemäß § 231a Abs 3 ASVG zu Recht bestehe. Der beklagten Partei wurde aufgetragen, dem Kläger eine vorläufige Zahlung von 5.000 EUR zu erbringen.
Über die eingangs angeführten Feststellungen hinaus traf das Erstgericht die von der beklagten Partei in der Berufung bekämpfte Feststellung, dass der Kläger bei der am Morgen des stattgefundenen Unterweisung durch einen Mitarbeiter der Firma K***** nicht anwesend war, weil er sich an seinem ersten Arbeitstag im Betrieb der Firma K***** verspätete. Weder von seinem Arbeitgeber noch von der Firma K***** wurde er bezüglich Arbeitssicherheit oder den Staplerverkehr eingewiesen.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, dass für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften primär der Arbeitgeber verantwortlich sei. Jeder Arbeitsunfall, der sich im Betrieb des Arbeitgebers ereigne und jede Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften seien unfallversicherungsrechtlich betrachtet im weitesten Sinn der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen. Es liege im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers, seinen Betrieb so zu organisieren, dass es zu keinen Gefahren für die in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers eingegliederten Arbeitnehmer komme. Nicht nur die Übertretung der Arbeitnehmerschutzvorschriften durch Arbeitgeber und ihnen gleichgestellten Personen würden den Anspruch auf Integritätsabgeltung begründen, sondern auch eine grob fahrlässige Übertretung durch andere Personen, insbesondere durch Arbeitskollegen des Versicherten, könne ihn auslösen.
Arbeitgeber des Klägers sei zwar die Firma E***** GmbH gewesen, von der er an die Firma Sch***** überlassen worden sei, die dann im Betrieb der Firma K***** Montagearbeiten durchgeführt habe. Der Unfall habe sich somit zwar nicht direkt im Betrieb des Arbeitgebers des Klägers ereignet. Berücksichtige man allerdings, dass Arbeitnehmer eines Arbeitskräfteüberlassers üblicherweise nicht im Betrieb ihres Arbeitgebers beschäftigt seien und weiters, dass solche Arbeitnehmer, die wie der Kläger an ein Montageunternehmen überlassen werden, das nicht im Betrieb des Beschäftigers Montagearbeiten erbringe, sondern wiederum in einer anderen Betriebsstätte, so seien der Arbeitgeberbegriff und der Betriebsbegriff des § 213a ASVG jedenfalls auch auf derartige Konstellationen anzuwenden. Im Übrigen sei auch auf die Bestimmungen der §§ 8 und 9 ASchG zu verweisen, wonach für die Dauer der Überlassung die Beschäftiger als Arbeitgeber im Sinne des ASchG gelten und diese verpflichtet seien, vor der Überlassung die Überlasser über die für die Tätigkeit erforderliche Eignung und die erforderlichen Fachkenntnisse sowie über die besonderen Merkmale des zu besetzenden Arbeitsplatzes sowie über die für den zu besetzenden Arbeitsplatz oder die vorgesehene Tätigkeit erforderliche gesundheitliche Eignung zu informieren und ihnen im erforderlichen Ausmaß Zugang zu den Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumenten zu gewähren. Überlasser seien außerdem verpflichtet, die Arbeitnehmer vor einer Überlassung über die Gefahren, denen sie auf dem zu besetzenden Arbeitsplatz ausgesetzt werden könnten, über die für den Arbeitsplatz oder die Tätigkeit erforderliche Eignung oder die erforderlichen Fachkenntnisse sowie über die Notwendigkeit von Eignungs- und Folgeuntersuchungen zu informieren. Eine derartige Information des Klägers sei aber nicht erfolgt.
Auch nach § 8 Abs 2 ASchG seien die für die Arbeitsstätte, in der überlassene Arbeitnehmer beschäftigt werden, verantwortlichen Personen verpflichtet, erforderlichenfalls für die Information der betriebsfremden Arbeitnehmer über in der Arbeitsstätte bestehende Gefahren und für eine entsprechende Unterweisung zu sorgen, und die für die betriebsfremden Arbeitnehmer wegen Gefahren in der Arbeitsstätte erforderlichen Schutzmaßnahmen im Einvernehmen mit deren Arbeitgeber festzulegen und für deren Durchführung zu sorgen.
Diesen sich aus den Bestimmungen der §§ 8 und 9 ASchG ergebenden Verpflichtungen seien weder die Verantwortlichen der Firma K***** noch jene der Firma Sch***** oder der Firma E***** GmbH nachgekommen, weil sie es unterlassen hätten, den Kläger über die Gefahren des Staplerverkehrs im Betriebsgelände der Firma K***** aufzuklären.
Voraussetzung für die Zuerkennung einer Integritätsabgeltung sei unter anderem auch das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit. Diese müsse im Hinblick auf die Verletzung des Arbeitnehmerschutzes, nicht hingegen hinsichtlich der Herbeiführung des Unfalls gegeben sein. Es sei daher lediglich zu prüfen, ob die Verletzung bestimmter Arbeitnehmerschutzvorschriften im Einzelfall grob fahrlässig erfolgt sei. Für ein solches grobes Verschulden würden ua auch die Kumulierung der Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und die besondere Gefahrensituation aufgrund schwieriger Bedingungen sprechen. Nicht jede Übertretung einer Unfallverhütungsvorschrift bedeute aber grobe Fahrlässigkeit. Für die Beurteilung des Verschuldens sei ein objektiver, jedoch nach Betriebshierarchie typisierender Maßstab anzulegen.
Im vorliegenden Fall sei es unterlassen worden, den Kläger auf die Gefahren des Staplerverkehrs im Betrieb der Firma K***** hinzuweisen. Berücksichtige man weiters die örtlichen Gegebenheiten, wonach von der Halle 5 eine Durchfahrts- bzw Durchgangsmöglichkeit in die Halle 6 vorhanden gewesen sei und weiters, dass der von Caslav J***** gelenkte Stapler mit der höchstzulässigen Geschwindigkeit gelenkt worden sei (womit zu rechnen gewesen sei) und bei diesen Staplern auch im nicht beladenen Zustand die Sichtbereiche eingeschränkt seien, so hätte der Kläger jedenfalls diesbezüglich belehrt werden müssen. Das Unterbleiben der diesbezüglichen Belehrung über die Gefahren des Staplerverkehrs und die notwendige Aufmerksamkeit beim Zurücklegen von Wegen im Betriebsgelände sei daher jedenfalls als grob fahrlässig anzusehen. Den Kläger treffe zwar zweifelsohne ein Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls, doch würde nur eine ausschließlich den Versicherten selbst treffende grob fahrlässige Missachtung von Arbeitnehmerschutzvorschriften die Gewährung einer Integritätsabgeltung ausschließen.
Unter Berücksichtigung der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 % sei dem Kläger daher eine Integritätsabgeltung zuzuerkennen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es hielt die bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für zutreffend (§ 500a ZPO) und ergänzte, dass es im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers liege, seinen Betrieb so zu organisieren, dass es zu keinen Gefahren für die in seine Betriebsorganisation eingegliederten Arbeitnehmer komme; der Arbeitgeber habe für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften zu sorgen.
Bei Arbeitskräfteüberlassung verhindere § 6 AÜG das Auftreten von Schutzlücken im Bereich des Arbeitnehmerschutzes infolge der faktischen Aufteilung der Arbeitgeberfunktion auf Überlasser und Beschäftiger. Der technische Arbeitnehmerschutz werde durch das Zusammenspiel des § 6 AÜG mit § 9 ASchG gewährleistet. Gemäß § 9 Abs 3 ASchG müsse zunächst der Beschäftiger dem Überlasser alle notwendigen Informationen über die arbeitsplatzbezogenen Anforderungen an die zu überlassende Arbeitskraft erteilen. Dies umfasse insbesondere die Aufklärung über die für die Tätigkeit notwendigen Eignungen und Fachkenntnisse, allenfalls besondere Merkmale des Arbeitsplatzes und die erforderliche gesundheitliche Eignung. Im nächsten Schritt habe der Überlasser die betroffenen Arbeitnehmer über die erwähnten Anforderungen zu informieren. Sodann habe der Überlasser den Beschäftiger über alle für die Einhaltung des persönlichen Arbeitsschutzes, insbesondere des Arbeitszeitschutzes und des besonderen Personenschutzes maßgeblichen Umstände zu informieren. Schließlich habe vor der Arbeitsaufnahme und während der Arbeitszeit die Unterweisung gemäß § 14 ASchG zu erfolgen. Diese müsse gemäß § 14 Abs 4 ASchG dem Erfahrungsstand der Arbeitnehmer angepasst sein. Bei überlassenen Arbeitskräften, die über keine Betriebserfahrung beim Beschäftiger verfügen und deren sonstige Berufserfahrung dieser nicht kenne, müsse die Unterweisung vom Mangel jeglicher Erfahrung ausgehen.
Ausgangspunkt der Überlegungen zu dem für § 213a ASVG maßgeblichen Dienstgeberbegriff sei § 35 ASVG. Demnach sei diejenige Person Dienstgeber, „für dessen Rechnung der Betrieb" (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt werde, in dem der Dienstnehmer in einem Beschäftigungsverhältnis stehe, auch wenn der Dienstgeber den Dienstnehmer durch Mittelspersonen in Dienst genommen habe oder ihn ganz oder teilweise auf Leistungen Dritter anstelle des Entgelts verweise. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung sei es offensichtlich kein Erfordernis, dass der Dienstgeber auch der Vertragspartner des Dienstnehmers sei. Maßgebliche Bedeutung komme vielmehr dem durch die betriebliche Eingliederung gekennzeichneten Kooperationsverhältnis zu.
Aus diesen Überlegungen heraus teile das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass bei Arbeitskräfteüberlassung auch das Beschäftigerunternehmen als Dienstgeber nach § 213a ASVG anzusehen sei.
Abgesehen davon brauche im Verfahren um die Gewährung einer Integritätsabgeltung nicht geklärt zu werden, wer im Einzelnen den Eintritt des Arbeitsunfalls zu verantworten habe. Für die Anspruchsbegründung komme es nämlich nur darauf an, ob Arbeitnehmerschutzvorschriften grob fahrlässig im Bereich des vom Dienstgeber zu vertretenden und ihm zuzuordnenden Bereichs verletzt worden seien. Ob es daher im vorliegenden Fall die Firma K*****, in deren Betrieb der Kläger die Montagearbeiten durchgeführt habe, die Firma Sch***** als Überlasser oder unter Umständen auch die Firma E***** GmbH unterlassen habe, den Kläger vor Antritt seiner Arbeit jedenfalls gemäß § 14 Abs 1 ASchG über den im Betrieb der Firma K***** herrschenden Staplerverkehr und die sich daraus ergebenden Gefahren zu unterweisen und damit Arbeitnehmerschutzvorschriften verletzt habe, könne daher letztlich dahingestellt bleiben.
Der Arbeitsunfall stelle nicht bloß eine Verkettung unglücklicher Umstände dar, sondern der Firma K***** sei die Verletzung der in § 14 ASchG geregelten Unterweisungsverpflichtung als grob fahrlässig vorzuwerfen. Grobe Fahrlässigkeit werde von der Rechtsprechung im Wesentlichen dann bejaht, wenn der Arbeitgeber als Adressat der Arbeitnehmerschutzvorschriften nach objektiver Betrachtungsweise ex ante ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt habe. Die Übertretung von Unfallverhütungsvorschriften allein begründe nicht per se grobes Verschulden. Da die Firma K***** wissen hätte müssen, dass der Sichtbereich eines Staplerfahrers selbst bei unbeladenem Fahrzeug eingeschränkt sei, sei die unterlassene Unterweisung des Klägers vor Antritt seiner Arbeit, insbesondere über die Sichtbeeinträchtigungen der Staplerfahrer, auffallend sorglos und damit grob fahrlässig erfolgt. Im Übrigen hätte der Kläger jedenfalls nicht wissen können bzw müssen, dass die Sichtbereiche der Staplerfahrer selbst ohne Beladung eingeschränkt sind. Ob das Fehlverhalten des Staplerfahrers Caslav J***** als grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zu qualifizieren sei, sei nicht entscheidungsrelevant. Eine mögliche Kenntnis des Klägers von dem bei der Firma K***** herrschenden Staplerverkehr spiele allenfalls für die Bemessung der Verschuldensanteile eine Rolle, was aber wiederum für die Gewährung einer Integritätsabgeltung so lange unerheblich sei, als der Arbeitsunfall nicht ausschließlich durch ein Eigenverschulden des Versicherten herbeigeführt worden sei. Dies sei unbestrittenermaßen nicht der Fall.
Dass es allenfalls aufgrund der vom Kläger gegen den Staplerfahrer Caslav J***** erhobenen zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche und der Zuerkennung einer Integritätsabgeltung zu einer teilweisen Doppelliquidation einzelner Ansprüche des Klägers kommen könne, könne unerörtert bleiben, weil § 213a ASVG selbst für diesen Fall keine eine Gewährung der Integritätsabgeltung entgegenstehende Regelung enthalte.
Hingegen sei die von der beklagten Partei erhobene Mängelrüge betreffend die unterlassene Einvernahme zweier von ihr zum Beweis dafür, dass auch der Kläger durch einen Mitarbeiter der Firma K***** entsprechend eingewiesen und auf den innerbetrieblichen Staplerverkehr hingewiesen worden sei, beantragter Zeugen berechtigt. Aufgrund dieses primären Verfahrensmangels sei das Ersturteil aufzuheben; auf die (in Bezug auf die Unterweisung des Klägers erhobene) Tatsachenrüge müsse nicht mehr eingegangen werden.
Der Rekurs sei zulässig, weil das Berufungsgericht im Ergebnis von der Entscheidung 10 ObS 84/95 abgewichen sei.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der beklagten Partei aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Entscheidung in der Sache selbst im klagsabweisenden Sinn.
Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig; er ist auch berechtigt.
Primäre Anspruchsvoraussetzung der mit der 48. ASVG-Novelle in den Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung aufgenommenen Integritätsabgeltung ist die Verursachung des Arbeitsunfalls bzw der Berufskrankheit durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften (§ 213a Abs 1 ASVG) im Rahmen des vom Arbeitgeber zu vertretenden und ihm zuzuordnenden Bereichs. Jeder Arbeitsunfall, der sich im Betrieb des Arbeitgebers ereignet, und jede Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften sind - unfallversicherungsrechtlich und nicht haftungsrechtlich betrachtet - im weitesten Sinn der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen (10 ObS 145/07g = ARD 5868/12/2008 [Adamovic ARD 5868/13/2008] = RIS-Justiz RS0111032 [T3]). Für die Begründung des Anspruchs auf Integritätsabgeltung kommt es demnach nicht darauf an, dass nachgewiesen wird, welche bestimmten Personen den Unfall grob fahrlässig verursacht haben (RIS-Justiz RS0106719).
Im vorliegenden Fall hängt die Entscheidung allein von der Lösung der Rechtsfrage ab, ob der Arbeitsunfall durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften - nämlich durch die Verletzung einer Belehrungspflicht - verursacht wurde.
Die beklagte Partei steht in ihrem Rekurs nach wie vor auf dem (vom Kläger im Hinblick auf § 14 ASchG bestrittenen) Standpunkt, dass es keine Arbeitnehmerschutzvorschriften gebe, die besagen würden, dass bei Tätigkeiten in Lagerhallen wie im vorliegenden Fall auch auf die Kollisionsgefahr mit dort verkehrenden Transportfahrzeugen hinzuweisen sei. Somit sei der Unfall auch nicht in grob fahrlässiger Weise herbeigeführt worden, sondern auf die Unachtsamkeit zweier Beschäftigter zurückzuführen, die je für sich allein keine grobe Fahrlässigkeit darstelle. Die Unterlassung einer Unterweisung in ohnehin bekannte Gefahren habe nicht zur Folge, dass mit dem Eintritt eines Unfalls geradezu gerechnet werden müsse. Mangels Verursachung des Unfalls durch grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften bestehe auch kein Anspruch auf Integritätsabgeltung.
Nach der ständigen Rechtsprechung (auch des erkennenden Senats) zum Begriff der groben Fahrlässigkeit reicht das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften für sich allein zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht aus (RIS-Justiz RS0026555 [T4], RS0052197). Entscheidendes Kriterium für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades ist auch nicht die Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern die Schwere der Sorgfaltsverstöße und die für den Arbeitgeber erkennbare Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (RIS-Justiz RS0085332). Im Wesentlichen ist zu prüfen, ob nach objektiver Betrachtungsweise ganz einfache und naheliegende Überlegungen in Bezug auf den Arbeitnehmerschutz nicht angestellt wurden (10 ObS 71/05x mwN; RIS-Justiz RS0030644 [T34], RS0085228).
Nun ist richtig, dass § 14 ASchG vor Aufnahme der Tätigkeit eine Verpflichtung des Arbeitgebers vorsieht, für eine ausreichende, auf den Arbeitsplatz und den Aufgabenbereich des jeweiligen Arbeitnehmers ausgerichtete und dem Erfahrungsstand des Arbeitnehmers angepasste Unterweisung der Arbeitnehmer über Sicherheit und Gesundheitsschutz zu sorgen.
Auch dann, wenn man mit den Feststellungen des Erstgerichts davon ausgeht, dass der Kläger an seinem ersten Arbeitstag nicht über die Gefahren am Arbeitsort bei der Firma K***** (wo von der Firma Sch***** werkvertragliche Verpflichtungen zu erfüllen waren) unterwiesen wurde, muss angesichts der gegebenen Umstände das Vorliegen grober Fahrlässigkeit verneint werden.
Nach den erstgerichtlichen Feststellungen handelt es sich bei der Firma K***** um einen Werkauftraggeber der Firma Sch***** und nicht um einen Beschäftiger, weshalb die Firma K***** keine Arbeitgeberpflichten im Zusammenhang mit dem Arbeitnehmerschutz treffen. Gerade bei der Erfüllung werkvertraglicher Verpflichtungen kommt es häufig zu Arbeitsberührungen, die aber noch keine Eingliederung in ein fremdes Unternehmen bewirken. In diesem Sinn traf die Firma K***** auch keine Verpflichtung zur Unterweisung nach § 14 ASchG.
Selbst unter der Prämisse einer Verpflichtung des Überlassers und/oder des Beschäftigers zu einer Sicherungsunterweisung in Bezug auf die Gefahren in dem Betrieb, in dem werkvertragliche Erfüllungshandlungen vorzunehmen sind, muss beachtet werden, dass dieser Arbeitsraum in einem großflächigen „Hallengelände" mit Lagerflächen für Holzplattenstapel gelegen ist, sodass aus Sicht des Überlassers und des Beschäftigers nahe lag, dass ein dort tätiger Arbeitnehmer mit dem Verkehr von Transportmaschinen rechnen muss. Wenn Überlasser und Beschäftiger in dieser augenscheinlichen Konstellation eine Aufklärung unterlassen, dass auf die von solchen Maschinen ausgehenden Gefahren zu achten ist, liegt allein darin möglicherweise leichte, aber noch keine grobe Fahrlässigkeit.
In diesem Sinn ist eine wesentliche Voraussetzung für den Anspruch auf Integritätsabgeltung nicht erfüllt und es erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Anspruchsvoraussetzungen.
Der Aufhebungsbeschluss ist daher aufzuheben und das Klagebegehren abzuweisen (§ 519 Abs 2 Satz 3 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, sind aus dem Akt nicht ersichtlich.