OGH vom 04.03.2013, 8Ob3/13v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Familienrechtssache des S***** Z*****, geboren am *****, vertreten durch die Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters W***** J*****, vertreten durch Dr. Rainer Handl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 45 R 424/12d 28, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom , GZ 36 FAM 1/12t 22, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Antragsteller und Antragsgegner haben die Kosten ihrer Rechtsmittelschriften jeweils selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Mit Beschluss des Erstgerichts vom wurde der Vater ab von seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn S***** wegen Erfolglosigkeit der (laufenden) Schulausbildung enthoben. Am stellte das Kind den Antrag, den Vater ab zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 620 EUR sowie zur Leistung eines einmaligen Sonderbedarfsbeitrags zu verpflichten. Aufgrund des Einverständnisses des Vaters setzte das Erstgericht mit Beschluss vom die Unterhaltsleistung des Vaters für den Zeitraum vom bis mit 300 EUR fest. In der Folge begehrte das Kind, den Vater auch ab zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 300 EUR zu verpflichten. Das Kind hat die zweite Klasse der Fachschule für Computertechnik und Kommunikationstechnik zum dritten Mal nicht positiv abgeschlossen. Aus diesem Grund ist der Schulbesuch beendet.
Das Erstgericht wies die Anträge des Kindes auf Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags ab sowie auf Zahlung des einmaligen Sonderbedarfsbeitrags ab. Da keine begründete Aussicht auf einen Ausbildungsabschluss oder die Aufnahme und zielstrebige Verfolgung einer geeigneten Ausbildung bestehe, habe sich das Kind wie ein Selbsterhaltungsfähiger behandeln zu lassen. Der Schulschikurs und die Sprachreise hätten jeweils schon im Sommersemester 2011 stattgefunden.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung hinsichtlich der Abweisung des Sonderbedarfs. Im Übrigen gab es dem Rekurs des Kindes Folge und verpflichtete den Vater, dem Kind ab bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit, einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 300 EUR zu zahlen. Der Schulschikurs und die Sprachwoche seien nicht als Sonderbedarf zu qualifizieren. Der Vater sei allerdings verpflichtet, dem Kind auch nach Beendigung des Schulbesuchs Unterhalt zu gewähren. Analog zum Anspannungsgrundsatz für Unterhaltspflichtige müsse auch einem Unterhalts-berechtigten, der seine Schulausbildung mangels Erfolgs hätte abbrechen müssen, ein mehrmonatiger Zeitraum zur Neuorientierung zugebilligt werden. In dieser Zeit könne das Kind nicht als fiktiv selbsterhaltungsfähig angesehen werden. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage der Berücksichtigung eines mehrmonatigen Zeitraums zur beruflichen Neuorientierung eines unterhaltsberechtigten Schulabbrechers höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Gegen diese stattgebende Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters, der auf eine Abweisung der beantragten Unterhaltsfestsetzung abzielt.
Mit seiner (inhaltsleeren) Revisionsrekurs-beantwortung beantragt das Kind, dem Rechtsmittel des Vaters den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil zur Beurteilung des Unterhaltsanspruchs bei Schulabbruch eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint. Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.
1. Allgemein wird die Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit eines unterhaltsberechtigten Kindes nach Abschluss einer Berufsausbildung bejaht (RIS Justiz RS0047621). Daher mangelt es bis zum Abschluss einer beruflichen Grundausbildung in der Regel an der Selbsterhaltungsfähigkeit. Nach der Berufsausbildung ist dem Unterhaltsberechtigten noch ein angemessener Zeitraum für die zielstrebige Arbeitsplatzsuche einzuräumen, der in etwa sechs Monate beträgt (RIS Justiz RS0114658; 3 Ob 270/97w). Findet das Kind in angemessener Zeit keine entsprechende Arbeit, so muss letztlich auch eine Hilfsarbeit angenommen werden (RIS Justiz RS0047632; RS0107720; Gitschthaler , Unterhaltsrecht² Rz 358).
Ergreift ein Kind nach Abschluss der Pflichtschule weder eine zielführende Schul- oder Berufsausbildung noch einen (Hilfs-)Beruf, so gilt es fiktiv als selbsterhaltungsfähig ( Neuhauser in Schwimann/Kodek 4 § 140 Rz 413; vgl auch EFSlg 83.715). Die fiktive Selbsterhaltungsfähigkeit setzt allerdings voraus, dass das Kind am Scheitern einer angemessenen Ausbildung oder Berufsausübung ein Verschulden trifft (RIS Justiz RS0047605; Gitschthaler aaO Rz 354), ihm also etwa fehlende Eigeninitiative bei der Arbeitssuche vorzuwerfen ist ( Neuhauser aaO Rz 414).
2. Nach den dargestellten Grundsätzen ist eine Berufsausbildung von einer in der Regel vorangehenden Schulausbildung zu unterscheiden. Während der Schulausbildung ist das Kind nicht verpflichtet, eine damit nicht im Zusammenhang stehende Erwerbstätigkeit auszuüben ( Neuhauser aaO Rz 418). Ebenso ist anerkannt, dass der Unterhaltspflichtige für Zeitabschnitte, in denen das Kind die (Schul-)Ausbildung nicht ernsthaft oder zielstrebig betreibt, keinen Unterhalt leisten muss (vgl EFSlg 104.044).
Im Allgemeinen schließt somit erst an die Beendigung (den Abschluss oder Abbruch) der Schule die Berufsausbildung an (vgl RIS Justiz RS0047527; RS0047625). Daraus folgt, dass ein Schulabbruch allein noch nicht das Erlöschen des Unterhaltsanspruchs bewirkt ( Neuhauser aaO Rz 413; Schwimann/Kolmasch , Unterhaltsrecht 6 145). Auch in einem solchen Fall ist dem Kind eine angemessene Zeit für eine zielstrebige Grundausbildung und Arbeitsplatzsuche einzuräumen. In diesem Sinn ist ihm daher eine gewisse Zeit der Neuorientierung zuzubilligen (vgl EFSlg 100.023).
3.1 Im Anlassfall ist zu berücksichtigen, dass sich das Kind noch nicht im Stadium der Berufsausbildung befindet. Darauf, dass sich die Verhältnisse im Vergleich zum Enthebungsbeschluss vom nicht geändert hätten, kann sich der Vater schon deshalb nicht berufen, weil er der beantragten Neubemessung ab (wenn auch nur für die Dauer eines halben Jahres) zugestimmt hat. Außerdem war der Enthebungsbeschluss durch die besondere Situation der Erfolglosigkeit der immer noch andauernden Schulausbildung bedingt. Der erst jetzt zu beurteilende Abbruch der Schulausbildung und die (bevorstehende) Aufnahme einer Lehre hat auf den Unterhaltsanspruch des Kindes aber erhebliche Bedeutung und begründet damit geänderte Verhältnisse (vgl 6 Ob 197/08a).
Inhaltlich wirft der Vater seinem Sohn vor, dass der schulische Misserfolg abzusehen und ein positiver Abschluss im Sommer 2012 nicht realistisch gewesen sei. Der Vater behauptet damit, dass das Kind die Schule schon während des Sommersemesters hätte abbrechen und mit einer Berufsausbildung hätte beginnen müssen. Dieser Argumentation steht zunächst entgegen, dass auch der Vater durch sein Einverständnis zur befristeten Unterhaltsleistung für die Zeit vom 1. 1. bis dem Kind den weiteren Schulbesuch bis zum Ende des Sommersemesters 2012 zugestand. Außerdem weist der Vater in seinem Revisionsrekurs selbst darauf hin, dass das Kind in zwei Fächern seine negative Beurteilung ausbessern konnte, weshalb ihm die behaupteten schulischen Bemühungen nicht völlig abgesprochen werden können.
3.2 Auch bei schlechtem Schulerfolg eines Kindes bleibt der Unterhaltsanspruch aufrecht, solange ein endgültiges Scheitern der Schulausbildung nicht vorliegt ( Gitschthaler aaO Rz 369; vgl EFSlg 59.546). Die Frage, wann ein Kind seinen Unterhaltsanspruch verliert, weil es seine Schul oder Berufsausbildung nicht zielstrebig betreibt, kann nur nach den Umständen des konkreten Einzelfalls beurteilt werden (1 Ob 2064/96b; Gitschthaler aaO Rz 354). Dies gilt ebenso für die Bestimmung des Zeitpunkts eines gebotenen Schulabbruchs als letzte Konsequenz für die Ausbildungsunwilligkeit eines Kindes außerhalb des Pflichtschulalters. Der in dieser Hinsicht anzulegende Maßstab ist weniger streng als jener bei der Anspannung des Unterhaltspflichtigen ( Neuhauser aaO Rz 414; Gitschthaler aaO Rz 357).
Da das Kind auch während des Sommersemesters 2012 noch mit schulischen Belangen befasst war, ist im konkreten Einzelfall die Beurteilung des Rekursgerichts nicht zu beanstanden, dass das Kind das Sommersemester 2012 noch ohne nachteilige Auswirkungen auf seinen Unterhaltsanspruch absolvieren konnte. Dass das Kind überhaupt arbeitsunwillig und auch nicht bereit wäre, sich um eine Lehrstelle zu bemühen, behauptet der Vater nicht (vgl EFSlg 62.623).
4. Auch mit seiner Überlegung, dass die Unterhaltsverpflichtung ab nur befristet für den Zeitraum zur beruflichen Neuorientierung hätte ausgesprochen werden dürfen, ist der Vater nicht im Recht. Die Beurteilung des Eintritts der Selbsterhaltungsfähigkeit richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (2 Ob 126/10h) und ist daher von den konkreten Bemühungen des Kindes, sich um eine geeignete Berufsausbildung umzusehen, sowie von der tatsächlichen Berufsausbildung abhängig. Aus diesem Grund lässt sich der angemessene Zeitraum für das Aufrechtbleiben des Unterhaltsanspruchs nach Beendigung der Schulausbildung nicht vorweg bestimmen.
5.1 Zusammenfassend ergibt sich:
Der Unterhaltsanspruch eines Kindes außerhalb des Pflichtschulalters erlischt grundsätzlich erst dann, wenn das Kind nach Beendigung (Abschluss oder Abbruch) der Schulausbildung eine zielstrebige Berufsausbildung oder zumutbare Erwerbstätigkeit nach Abschluss der Berufsausbildung unterlässt. Nach Beendigung der Schulausbildung ist dem Kind ein angemessener Zeitraum für eine zielstrebige Berufsausbildung und Arbeitsplatzsuche einzuräumen.
5.2 Die angefochtene Entscheidung steht mit diesen Grundsätzen im Einklang. Dem Revisionsrekurs des Vaters war daher der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 AußStrG. Die Revisionsrekursbeantwortung des Kindes war zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig.