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OGH vom 22.07.2010, 8ObA44/10v

OGH vom 22.07.2010, 8ObA44/10v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Peter Sommerer Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 12.800,98 EUR brutto abzüglich 1.200 EUR netto sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 13/10p 14, mit dem die Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 34 Cga 126/09m 10, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte Entgelt und Beendigungsansprüche aus einem Dienstverhältnis zur Beklagten. Gegen den vom Erstgericht antragsgemäß erlassenen Zahlungsbefehl erhob die Beklagte fristgerecht Einspruch. Nach Anberaumung der vorbereitenden Tagsatzung teilte der Geschäftsführer der Beklagten dem Erstgericht mit, dass er wegen einer Erkrankung zur Verhandlung nicht erscheinen könne. In der vorbereitenden Tagsatzung zu der für den Beklagten niemand erschien, trug ihm das Erstgericht die Vorlage einer Krankenstandsbestätigung einschließlich einer Stellungnahme zur Ausgehfähigkeit innerhalb einer Frist von drei Tagen auf. Daraufhin beantragte der Kläger „für den Fall der nicht bzw nicht rechtzeitigen Vorlage bzw Vorlage einer Bestätigung nicht in der geforderten Qualität“ die Erlassung eines Versäumungsurteils. Das Erstgericht behielt sich die Erlassung des Versäumungsurteils bis vor. Am wurde das Versäumungsurteil schließlich erlassen. Gegen das Versäumungsurteil erhob die Beklagte Berufung wegen Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Der Geschäftsführer habe die geforderte Krankenstandsbestätigung fristgerecht an das Erstgericht gefaxt. Dieser Umstand sei zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Für den Fall, dass der Berufung nicht Folge gegeben werden sollte, stellte die Beklagte einen Wiedereinsetzungsantrag und erhob hilfsweise auch Widerspruch gegen das Versäumungsurteil.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die Berufung als unzulässig zurück. Der Kläger habe einen bloß bedingten Antrag auf Erlassung eines Versäumungsurteils gestellt. Dadurch habe er zu erkennen gegeben, dass er die Erkrankung des Geschäftsführers der Beklagten entgegen § 402 Abs 1 Z 2 ZPO als Hinderungsgrund für dessen Erlassung akzeptiere. Der unzulässig bedingte Antrag gelte als nicht gestellt. Dies führe nach § 398 Abs 1 ZPO zum Ruhen des Verfahrens, mit dem die Rechtswirkungen einer Verfahrensunterbrechung verbunden seien. Das Versäumungsurteil sei somit in Missachtung der Unterbrechungswirkungen ergangen und daher nichtig. Die Nichtigkeit könne aber nur aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels wahrgenommen werden. Ein solches liege hier nicht vor, weil die Beklagte in ihrer Berufung gegen das Versäumungsurteil den Verstoß gegen die Unterbrechungswirkung nicht releviere. Die Berufung erweise sich damit als unzulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Zurückweisungsbeschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht eine Sachentscheidung über die Berufung der Beklagten aufzutragen, hilfsweise das Versäumungsurteil des Erstgerichts zu bestätigen.

Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Der Rekurs ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat. In einem solchen Fall ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der Rekurs ohne Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwerts zulässig (RIS Justiz RS0043893; RS0098745). Das Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof ist nach der bereits anzuwendenden Zivilverfahrensnovelle 2009 (vgl Art XIV Abs 2 ZVN 2009) zweiseitig (RIS-Justiz RS0098745 [T21] = 3 Ob 45/10d).

1.2 Auch die Beschwer des Klägers ist wegen potenzieller prozessualer Nachteile zu bejahen (vgl RIS Justiz RS0041758). Der Kläger erwirkte im erstinstanzlichen Verfahren zu seinen Gunsten eine Sachentscheidung. Wegen seines Interesses an einer das Verfahren beendenden meritorischen, der Klage stattgebenden Entscheidung auch des Berufungsgerichts ist er durch die Zurückweisung der Berufung der Beklagten, die angesichts der noch offenen Anträge der Beklagten das Verfahren nicht beendet, beschwert (1 Ob 68/04p; 3 Ob 163/05z). Der Kläger weist im Übrigen im Rekurs auch zutreffend darauf hin, dass das Berufungsgericht an sich von der Nichtigkeit des von ihm erwirkten Versäumungsurteils ausgehe (vgl dazu RIS-Justiz RS0064476).

2.1 Das Berufungsgericht steht auf dem Standpunkt, dass der bloß bedingte Antrag auf Erlassung des Versäumungsurteils als nicht gestellt gelte, daher in der vorbereitenden Tagsatzung Ruhen des Verfahrens mit Unterbrechungswirkung eingetreten sei, während der Unterbrechungswirkung ein Rechtsmittel nur wegen Verstoßes gegen die Unterbrechungswirkung erhoben werden könne, aus diesem Grund ein zulässiges Rechtsmittel nicht vorliege und die Nichtigkeit des Versäumungsurteils daher nicht aufgegriffen werden könne. Maßgebend für den Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts ist somit die Qualifikation des Antrags auf Erlassung des Versäumungsurteils als unzulässige bedingte Prozesshandlung. Dieser Beurteilung kann nicht beigetreten werden.

2.2 Der Kläger weist in seinem Rekurs zutreffend darauf hin, dass bei der Auslegung von Prozesshandlungen nach deren objektivem Erklärungsinhalt jener Variante der Vorzug zu geben ist, die es erlaubt, eine prozessuale Willenserklärung als wirksame Prozesshandlung anzusehen (RIS-Justiz RS0106326; 10 Ob 101/07m). Bedingte Prozesshandlungen sind auch keineswegs allgemein unzulässig. Vielmehr kennt das Gesetz selbst derartige Prozesshandlungen. In diesem Sinn erlaubt etwa § 261 Abs 6 ZPO dem Kläger einen Überweisungsantrag an das von ihm namhaft gemachte Gericht für den Fall, dass das angerufene Gericht der vom Beklagten erhobenen Einrede der Unzuständigkeit stattgibt. Ebenso sind Prozesshandlungen, die ein gemäß § 38 ZPO vorläufig zugelassener Vertreter vornimmt, bedingt wirksam (RIS-Justiz RS0120145 = 9 Ob 36/05t). Dementsprechend wird in der Rechtsprechung zwischen Bedingungen unterschieden, die - und zwar von einer Verfahrenspartei - an ein außerprozessuales Ereignis geknüpft werden und allgemein unzulässig sind, und solchen, die an innerprozessuale Tatsachen und Vorgänge geknüpft werden und grundsätzlich zulässig sind, sofern dadurch nicht die Vorhersehbarkeit des weiteren Prozessablaufs in unerträglicher Weise beeinträchtigt wird (RIS-Justiz RS0037502; RS0006441).

Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass das Erstgericht dem Geschäftsführer der Beklagten die Vorlage der Krankenstandsbestätigung in der vorbereitenden Tagsatzung aufgetragen hat. Ein nachträglicher Antrag des Klägers auf Fällung des Versäumungsurteils wäre ausgeschlossen gewesen (vgl 9 Ob 36/05t). Er war daher gehalten, den Antrag unverzüglich in der Tagsatzung zu stellen. Daraufhin hat das Erstgericht das Versäumungsurteil vorbehalten.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden, einen bloß bedingten Antrag gestellt und dadurch die Erkrankung des Geschäftsführers der Beklagten als Hinderungsgrund für die Erlassung eines Versäumungsurteils akzeptiert zu haben. Vielmehr nahm er auf die Vorlage der Krankenstandsbestätigung in seinem Antrag deshalb Bedacht, weil das Erstgericht zuvor, und zwar von sich aus, den Vorlageauftrag erließ. Dadurch, dass das Erstgericht die Krankenstandsbestätigung forderte, hat es die Entscheidung über den Antrag auf Erlassung des Versäumungsurteils in Wirklichkeit von der - implizit auch getroffenen - Vorentscheidung über die Berechtigung der Entschuldigung des Geschäftsführers der Beklagten abhängig gemacht. Die Frage nach der rechtzeitigen und ordnungsgemäßen Vorlage der Bestätigung wurde dadurch jedenfalls zum innerprozessualen Umstand (vgl 10 Ob 101/07m). Die vom Berufungsgericht angenommene Bedingung wurde auch nicht vom Kläger, sondern vielmehr vom Erstgericht vorgegeben. Ebenso wenig konnte der Antrag des Klägers Einfluss auf den Fortgang des Verfahrens haben, weil das Erstgericht die Entscheidung über den Antrag auf Erlassung des Versäumungsurteils selbst von der Urkundenvorlage abhängig machte.

Nach seinem objektiven Erklärungswert war der Antrag des Klägers darauf gerichtet, dass das Versäumungsurteil erlassen werden soll, wenn sich die auf den ersten Blick gegebene, nach der Anordnung des Erstgerichts aber noch zu prüfende Säumnis der Beklagten bewahrheitet. Damit sollte das Verständnis des Klägers zum Ausdruck gebracht werden, dass im Fall der rechtzeitigen Vorlage der geforderten Krankenstandsbestätigung das Versäumungsurteil nicht ergehen kann.

2.3 Der zu beurteilende Antrag des Klägers auf Erlassung des Versäumungsurteils ist demnach jedenfalls als zulässige innerprozessual bedingte Prozesshandlung anzusehen. Mangels Unterbrechungswirkung iSd § 398 Abs 1 ZPO erweist sich die Zurückweisung der Berufung der Beklagten durch das Gericht zweiter Instanz daher als verfehlt. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Die Überlegungen des Berufungsgerichts zur Zulässigkeit eines sogenannten vorbehaltenen Versäumungsurteils betreffen die inhaltliche Behandlung der Berufung der Beklagten. Gleiches gilt für die Frage, ob die Entschuldigung wegen einer Erkrankung einem vom Säumigen eingebrachten Vertagungsantrag (vgl dazu Deixler Hübner aaO Rz 2) gleichzuhalten ist.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO (vgl 3 Ob 45/10d für die Rechtslage nach der ZVN 2009).