OGH vom 25.06.2003, 9ObA31/03d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle und Gerhard Prochaska als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gerhard R*****, Kunststoffverarbeiter, *****, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab und Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei P***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Thomas Gratzl, Rechtsanwalt in Wels, wegen EUR 6.070,98 brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 82/02v-25, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 32 Cga 39/01f-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 499,39 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 83,20 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war von bis bei der Beklagten als Schichtführer beschäftigt. In dieser Zeit fielen bei ihm keine außergewöhnlichen Krankenstandszeiten an.
Am kündigte er das Arbeitsverhältnis zum "aus gesundheitlichen Gründen" auf und legte gleichzeitig ein ärztliches Attest vor, in dem bestätigt wird, dass er sich "wegen einer venösen Insuffizienz an beiden Beinen" seit 1998 in ärztlicher Behandlung befindet und dass es "eine Hilfe (wäre), wenn der Patient eine stehende Arbeit nicht mehr verrichten müsste".
Beim Kläger besteht eine mittelgradige Krampfadernbildung an beiden Beinen verbunden mit einer geringgradigen venösen Insuffizienz. Eine Krampfadernoperation hat der Kläger bislang nicht durchführen lassen, obwohl sie zweckmäßig und indiziert wäre.
Der Kläger kann aus medizinischer Sicht leichte, mittelschwere, aber auch schwere Arbeiten durchführen. Die Arbeiten sollten vorwiegend im Gehen, aber auch im Stehen und Sitzen geleistet werden. Für das Heben und Tragen von Lasten ist der Kläger keinen Einschränkungen unterlegen. Mit wesentlichen Krankenständen ist aus medizinischer Sicht nicht zu rechnen. Der Kläger wäre in der Lage gewesen, seine bisherige Tätigkeit bei der Beklagten ohne Schaden für seine Gesundheit fortzusetzen; ein ad-hoc-Schaden war nicht zu befürchten. Allerdings ist anzunehmen, dass die Fortsetzung dieser Tätigkeit über Jahre die weitere Entwicklung seiner Krampfadern beschleunigt hätte. Diese weitere Entwicklung hätte der Kläger selbst durch eine Operation und durch das Tragen von elastischen Kompressionsstrümpfen beeinflussen können.
Etwa 70 % aller über 40-Jährigen haben Krampfadern. Arbeitsunfähigkeit infolge eines unbehandelten Krampfadernleidens ist eine seltene Situation, die dem Kläger nicht unmittelbar droht.
Personen mit Krampfadern sind grundsätzlich Arbeiten zu empfehlen, die wechselweise vorwiegend im Gehen, aber auch im Stehen und allenfalls in geringem zeitlichem Ausmaß im Sitzen verrichtet werden. Für Personen mit Krampfadern ist jedenfalls die Bewegung, also das Gehen, bei weitem besser als das statische Sitzen. Permanentes Sitzen ist das Schlechteste. Auch langes Stehen, insbesondere in gebückter Haltung und extreme immer wiederkehrende Betätigung der Bauchpresse, etwa beim Heben schwerer Gegenstände, ist Krampfadernpatienten nicht zu empfehlen. Doch kann der negative Effekt, der durch das Heben entsteht, durch das Tragen von Kompressionsstrümpfen ausgeglichen werden.
Der Kläger musste bisweilen an einem durchschnittlichen Arbeitstag eine gewisse Zeit lang einiges heben, zB eine 1,4 m lange Kunststoffbadewanne oder eine 20 kg schwere Plastikpalette. Beim Zuschneiden von Folien musste der Kläger stehen. Außerdem übte er regelmäßig Kontrolltätigkeiten aus, die er im Stehen und Gehen verrichtete. Die Haupttätigkeit des Klägers lag in der Bedienung und Kontrolle der Produktionsmaschinen; diese Arbeit erfolgte im Stehen, wobei keine Notwendigkeit für eine ganz starre Haltung bestand. Insgesamt bedurfte die vom Kläger bei der Beklagten ausgeübte Tätigkeit regelmäßiger Haltungsänderungen. Der Kläger war viel gehend unterwegs.
Zwischen den Parteien ist strittig, ob sich der Kläger auf den Austrittsgrund des § 82a lit a GewO 1859 berufen kann, der verwirklicht ist, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit ohne erweislichen Schaden für seine Gesundheit nicht fortsetzen kann.
Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass der Austrittsgrund des § 82a lit a GewO nicht verwirklicht sei. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es insofern ausreicht, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Rechtliche Beurteilung
Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:
Gemäß § 82a lit a GewO 1859 darf ein Arbeitnehmer die Arbeit vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Kündigung verlassen, wenn er die Arbeit ohne erweislichen Schaden für seine Gesundheit nicht fortsetzen kann. Hiebei genügt es, dass durch die Fortsetzung der Arbeit ein gesundheitlicher Schaden befürchtet werden muss (Arb 10.144; SZ 60/134; 8 ObA 278/98k; 9 ObA 113/99d = ecolex 2000, 60 [Mazal]; zuletzt 9 ObA 297/01v). Die Gesundheitsgefährdung muss nicht allein durch die Arbeitsleistung verursacht sein, sondern auch die Verschlechterung eines anlagebedingten oder auf andere Ursachen zurückzuführenden Leidens durch die Arbeitsleistung berechtigt den Arbeitnehmer zum Austritt (ARD 4548/14/94; 9 ObA 297/01v). Wesentlich ist, dass die Bedrohung der Gesundheit des Arbeitnehmers schon im Zeitpunkt der Austrittserklärung besteht; die bloße Befürchtung, eine solche Bedrohung könnte in Zukunft eintreten, reicht hingegen nicht aus (ZAS 1976/20; 9 ObA 297/01v).
Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 9 ObA 297/01v die Rechtsauffassung vertreten hat, dass der Tatbestand des § 82a lit a GewO 1859 auch dann verwirklicht ist, wenn mit der Fortsetzung der Arbeit eine stetig fortschreitende, in absehbarer Zeit zu einer Schädigung führende Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden ist. Daran ist festzuhalten, jedoch ist der damals zu beurteilende Sachverhalt mit dem vorliegenden Fall nicht zu vergleichen. Der damalige Kläger litt bereits längere Zeit unter chronischen Beschwerden, die aber noch nicht das Ausmaß einer Gesundheitsschädigung erreicht hatten. Es stand aber fest, dass die Fortsetzung seiner Arbeit mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Gesundheitsschädigung zur Folge gehabt hätte, die innerhalb eines Jahres nach seinem Austritt jedenfalls einen Berufswechsel erfordert hätte. Von einer damit vergleichbaren Situation kann hier nicht die Rede sein:
Der Kläger stützt sich in seiner Revision auf die Feststellung, dass die Fortsetzung seiner Arbeit "über Jahre" die weiter Entwicklung seiner Krampfadern beschleunigt hätte. Diese Feststellung darf aber nicht aus ihrem Zusammenhang herausgelöst werden, sondern muss vor dem Hintergrund des gesamten festgestellten Sachverhalt gesehen werden, dem zu entnehmen ist, dass der Kläger in der Lage war, seine bisherige Tätigkeit bei der Beklagten ohne Schaden für seine Gesundheit fortzusetzen und dass die bei der Beklagten von ihm zu verrichtende Tätigkeit im Wesentlichen dem entspricht, was einem Krampfadernpatienten zu empfehlen ist. Ferner steht fest, dass 70 % aller über 40Jährigen Krampfadern haben, dass Arbeitsunfähigkeit damit selten verbunden ist, dass die Krampfadernbildung beim Kläger mittelgradig ist und ihm Arbeitsunfähigkeit nicht unmittelbar droht. Das Berufungsgericht hat die vom Revisionswerber völlig isoliert betrachtete Feststellung im Zusammenhang mit den übrigen Feststellungen daher zu Recht dahin interpretiert, dass damit ein diffuses, nicht aktuell drohendes und in seinen Auswirkungen nicht fassbares Risikomoment beschrieben wird, das aber nicht ausreicht, die - nach den Feststellungen ja besonders geeignete - Arbeit des Klägers als unzumutbar erscheinen zu lassen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der von der Beklagten verzeichnete Kostenbetrag ist allerdings weit überhöht und daher zu reduzieren: Die Bestimmung des § 23 Abs 9 RATG, die die Verzeichnung des dreifachen Einheitssatzes ermöglicht, ist nach ihrem völlig unmissverständlichen Wortlaut im Revisionsverfahren nicht anwendbar.