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OGH vom 16.11.1965, 8Ob260/65

OGH vom 16.11.1965, 8Ob260/65

Norm

Aktiengesetz § 61;

Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung Art. XLIII;

ZPO § 304;

Kopf

SZ 38/198

Spruch

Die Namensaktionäre haben ein Recht auf Einsicht in das ganze Aktienbuch

Entscheidung vom , 8 Ob 260/65

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien

Text

Die Kläger sind Aktionäre der beklagten Partei. Das Aktienkapital der Gesellschaft in der Höhe von 15.000.000 S ist in 15.000 Aktien zu einem Nennwert von je 1000 S aufgeteilt. Die Aktien lauten auf Namen; ihre Übertragung ist an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden. Die beklagte Partei verwehrt den Klägern die volle Einsicht in ihr Aktienbuch und gestattet ihnen nur die Einsichtnahme hinsichtlich der eigenen Aktien.

Die Kläger begehren, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihnen die uneingeschränkte Einsicht in das Aktienbuch der beklagten Partei zu gestatten; das Aktienbuch sei eine den Streitteilen gemeinsame Urkunde, in die sie gemäß Art. XLIII EGZPO. und auf Grund des Aktiengesetzes Einsicht zu nehmen berechtigt seien.

Die beklagte Partei entgegnete, das Aktienbuch werde im Interesse er Gesellschaft, nicht aber der Aktionäre geführt. Den Klägern fehle jegliches Rechtsschutzinteresse. Im Gegensatz zu der in deutschen Kommentaren vertretenen Ansicht hinsichtlich des Rechtes der Aktionäre auf Einsicht in das Aktienbuch sei nach österreichischem Recht ein solches Recht abzulehnen.

Das Erstgericht gab der Klage mit der Begründung statt, das Aktienbuch sei eine den Streitteilen gemeinsame Urkunde, die im Interesse der Gesellschaft und der Aktionäre errichtet sei und von den Klägern als Aktionären gemäß § 304 ZPO. eingesehen werden dürfe.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil ab, indem es die Klage abwies und stellte folgende Überlegungen an: Das Aktiengesetz enthalte zwar keine Vorschrift, auf die die Kläger ihr Begehren stützen könnten, doch räume Art. XLIII EGZPO. das Recht ein, die Vorlage einer gemeinschaftlichen Urkunde zu verlangen. Dieser Anspruch gehöre dem materiellen Recht an. § 304 (2) ZPO., auf den Art. XLIII EGZPO. verweise, entspräche dem § 810 DBGB. fast wörtlich und diene dem gleichen Zweck. Allerdings sei in § 810 DBGB. ausdrücklich ein rechtliches Interesse an der Gestattung der Einsichtnahme in die gemeinsame Urkunde festgelegt, während das österreichische Recht diese Einschränkung nicht mache. Doch sei im vorliegenden Fall Voraussetzung des Klageanspruches ein Rechtsschutzinteresse, dessen Fehlen zur Sachabweisung zu führen habe, Die Kläger hätten es unterlassen, ihr Interesse an dem Begehren zu konkretisieren und das Ziel, das sie damit verfolgen, auch nur einigermaßen klarzustellen. Ein uneingeschränktes Einsichtsrecht der Aktionäre könne nur dann mit Recht behauptet werden, wenn das Interesse des Einsicht-Verlangenden so überwiegend sei, daß entgegenstehende Interessen der Gesellschaft oder der übrigen Aktionäre minder schutzwürdig seien. Wenn auch das Aktienbuch als gemeinschaftliche Urkunde zu gelten habe, sei doch das Klagebegehren abzuweisen, weil die Kläger ihr Streitinteresse nicht konkret dargelegt hätten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger Folge und stellte in Abänderung des berufungsgerichtlichen Urteils das erstgerichtliche Urteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Aktienbuch über die auf Namen lautenden Aktien hat nicht nur den Namen, Wohnort und Stand des Aktionärs, sondern auch die Übertragung der Aktie an einen Rechtsnachfolger zu enthalten. Es beurkundet die Rechtsverhältnisse zwischen Aktionär und Gesellschaft und gibt Aufschluß über die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre. Das Aktienbuch wird im Interesse sowohl der Aktionäre als auch der Gesellschaft geführt. Es muß daher als eine den Aktionären und der Gesellschaft gemeinsame Urkunde im Sinne des § 304 (2) ZPO. angesehen werden, deren Vorlage (d. i. die Gewährung der Einsicht) der Aktionär gemäß Art. XLIII EGZPO., welche Bestimmung auf § 304 ZPO. ausdrücklich Bezug nimmt, verlangen kann. Im Aktiengesetz selbst findet sich keine Vorschrift über das Recht des Aktionärs auf Einschau in das Aktienbuch. Doch hat das Interesse des Aktionärs an dem Inhalt des Aktienbuches besonders bei Namensaktien nicht unbeachtet zu bleiben, weil gerade bei Namensaktien die Persönlichkeit des Aktionärs im Vordergrund steht und sowohl der Gesellschaft als auch den Mitaktionären das Recht einzuräumen ist, zu erfahren, mit wem sie es zu tun haben (Godin - Wilhelmi, Aktiengesetz[2], S. 249, zu § 61 Anm. A 1, Gadow, Aktiengesetz[2], 1961, S. 379, Anm. 6 zu § 61, Baumbach - Hueck, Aktiengesetz[11], S. 196 f., zu § 61, Anm. 2). Die Bestimmungen des § 214 (3) AktG., des § 26 GesmbHG. oder des § 14 GenG. können für die Beurteilung des Einschaurechtes des Aktionärs außer Betracht bleiben, da sie Sonderregelungen betreffen, die auf das allgemeine Recht des Namensaktionärs auf Einsicht in das Aktienbuch auch nicht analog angewendet werden können. Wird aber das Interesse des Aktionärs bejaht, seine Mitaktionäre kennenzulernen, kann solange er sie nicht kennt, sein Recht auf Einsicht in das ganze Aktienbuch nicht bestritten und noch vom Nachweis eines zusätzlichen Interesses abhängig gemacht werden. Bei Ablehnung des berechtigten Anspruches kann seiner Durchsetzung im Rechtsweg auch nicht der Mangel eines Rechtsschutzbedürfnisses als entgegenstehend angesehen werden. Petschek - Stagel, Der österreichische Zivilprozes, S. 243 f., zählt die Leistungsverpflichtung nach Art. XLIII EGZPO. zum materiellen Recht und sieht das Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig mit dem fälligen Anspruch als gegeben an (vgl. EvBl. 1957 Nr. 302). Dem schließt sich der Oberste Gerichtshof an.

Die beklagte Partei will unter Hinweis auf die Bestimmungen der §§ 102, 112 AktG. die Befugnisse der Kläger bloß auf ihre Rechte in der Hauptversammlung der Gesellschaft beschränken und ihnen das Recht zur Einschau in das Aktienbuch absprechen. Die zitierten Gesetzesstellen besagen aber nur, daß die Aktionäre ihre Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft in der Hauptversammlung auszuüben haben und ihnen Auskünfte über den Gegenstand der Verhandlung bei der Hauptversammlung zu erteilen sind; sie schließen aber das Recht der Kläger auf Einsicht in das Aktienbuch nicht aus.

Die Revision der Kläger war sohin schon aus rechtlichen Erwägungen begrundet, sodaß auf die Anfechtungsgrunde der Mangelhaftigkeit und der Aktenwidrigkeit nicht mehr einzugehen war. Das Urteil des Berufungsgerichtes war dahin abzuändern, daß das erstgerichtliche Urteil wieder herzustellen war.