OGH vom 21.04.2004, 9ObA148/03k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Galutschek und Gerhard Prochaska als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. Alexander G*****, Jurist, ***** vertreten durch Dr. Sabine Berger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei S*****OHG, *****, vertreten durch Dr. Raimund Danner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen EUR 6.619,50 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 49/03t-18, womit über Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 20 Cga 65/02i-12, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:
"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei EUR 6.619,50 samt 10,25 % Zinsen ab zu zahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.457,59 bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens (darin EUR 242,93 Umsatzsteuer) und die mit EUR 1.492,82 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin EUR 178,14 Umsatzsteuer und EUR 424 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen."
Die klagende Partei ist ferner schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.029,39 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 83,23 Umsatzsteuer und EUR 530 Barauslagen) zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war vom bis zur einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt, und zwar zunächst als Sekretär eines Geschäftsführers und ab im Außendienst.
Anlässlich des Wechsels des Klägers in den Außendienst wurde ihm mitgeteilt, dass er nunmehr nach einem System entlohnt werden sollte, das schon seit Jahren für Außendienstmitarbeiter und auch für einen der Geschäftsführer angewendet werde. Demnach werde die Entlohnung so erfolgen, dass zunächst ein Drittel der von ihm lukrierten Nettoerlöse errechnet werde. Dieses Drittel solle dazu dienen, sämtliche der Beklagten durch die Beschäftigung des Klägers anfallenden Kosten (Kilometergeld, Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung und die dem Kläger zufließenden Nettoentgelte) abzudecken. Dem Kläger wurden für das Jahr 2000 monatliche Akontozahlungen von S 9.715,- angeboten, die bei der Erstellung der Jahresabrechnung gegenverrechnet werden sollten.
Der Kläger erklärte sich mit diesem Vorschlag einverstanden. Die genaueren Details sollte ihm in weiterer Folge ein leitender Angestellten erklären, der seit Jahren nach diesem System entlohnt wird. Diesem gegenüber äußerte der Kläger Bedenken, dass es nicht angehe, dass von "seinem Drittel" auch noch die Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung zu zahlen seien.
Ab 2001 wurden die monatlichen Akonti auf S 15.000,- erhöht.
Bei der ersten Abrechnung nach dem vereinbarten System im März 2001 wurden dem Kläger von den angefallenen "Provisionen" (richtig: Drittelbetrag der Nettoerlöse) der Dienstgeberbeitrag zur Sozialversicherung (EUR 2.051,93) sowie weitere vom Dienstgeber zu tragende Beträge von EUR 762,73 (Beitrag zum Familienlastenausgleichsfonds, Kommunalsteuer, Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag zu Gunsten der Wirtschaftskammer) abgezogen. Der Kläger war darüber verärgert, beschloss jedoch, vorerst nichts gegen die ihm ungerechtfertigt erscheinende Verrechnungsweise zu unternehmen. Anlässlich der einvernehmlichen Lösung des Arbeitsverhältnisses erfolgte die Abrechnung für das Jahr 2001, bei der vom angefallenen Erlösdrittel wieder der Dienstgeberbeitrag zur Sozialversicherung in Höhe von EUR 2.518,02 sowie die weiteren vom Dienstgeber zu tragenden Beträge (Beitrag zum Familienlastenausgleichsfonds, Kommunalsteuer, Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag zu Gunsten der Wirtschaftskammer) in der Gesamthöhe von EUR 1.286,82 abgezogen wurden.
Der Kläger begehrt nunmehr den Ersatz der ihm abgezogenen Beträge, weil diese vom Dienstgeber getragen werden müssten und nicht auf ihn überwälzt werden dürften.
Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die von den Streitteilen getroffene Vereinbarung sei wirksam. Der Kläger habe überdies die Jahresabrechnung 2000 ohne Widerspruch anerkannt.
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von EUR 4.569,95 brutto sA und wies das Mehrbegehren des Klägers ab. Die Überwälzung der Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung auf den Kläger sei im Hinblick auf § 539 ASVG unzulässig. Der Kläger habe auf diese Beträge nicht wirksam verzichtet. Zur Unzulässigkeit des Abzugs der übrigen Beträge habe sich der Kläger nur auf die - darauf nicht anwendbaren - §§ 58, 60 ASVG berufen, weshalb das darauf entfallende Klagebegehren abzuweisen sei.
Das Berufungsgericht gab einer von der Beklagten gegen den stattgebenden Teil des Ersturteils erhobenen Berufung nicht Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung in Stattgebung der Berufung des Klägers im Sinne der gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens ab. Ferner sprach es aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
Das Berufungsgericht billigte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes über die Unzulässigkeit der Überwälzung der Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung auf den Kläger. Nach § 51 Abs 3 ASVG seien die Beiträge zur Kranken- und Pensionsversicherung der Arbeiter und Angestellten vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer regelmäßig je zur Hälfte zu tragen. Nach § 539 ASVG seien Vereinbarungen, wonach die Anwendung dieser Bestimmung zum Nachteil der Versicherten oder ihrer Angehörigen im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werde, ohne rechtliche Wirkung. Demnach sei es dem Arbeitgeber verboten, den auf ihn entfallenden Anteil an den Sozialversicherungsbeiträgen vom vereinbarten Entgelt abzuziehen. Eine Umgehung des § 539 ASVG liege nicht vor, wenn der Arbeitgeber noch vor dem Abschluss des Arbeitsvertrages die finanziellen Lasten aus der Zahlung des Entgelts und der auf ihn entfallenden Anteile an den Sozialversicherungsbeiträgen erwachsen, abschätze und dann nach der ihm tragbar erscheinenden Gesamtsumme den nach Abzug der Arbeitgeberanteile verbleibenden Betrag dem Arbeitnehmer als Entgelt anbiete. Hier hätten aber die Streitteile vereinbart, dass für den Kläger ein Drittel der von ihm lukrierten Nettoerlöse zur Verfügung stehen und dieser Betrag alle Kosten decken solle. Eine derartige Vereinbarung habe der Oberste Gerichtshof zu 4 Ob 152/83 als unzulässig und daher wirkungslos erachtet. Dem schließe sich das Berufungsgericht an, zumal die mit dem Kläger getroffene Vereinbarung geeignet gewesen sei, die Höhe der tatsächlichen Bezüge zu verschleiern und einen Vergleich mit den Bezügen anderer Arbeitnehmer sehr zu erschweren. Die Überwälzung des auf den Arbeitgeber entfallenden Anteils an den Sozialversicherungsbeiträgen auf den Kläger sei daher unwirksam.
Entgegen der Meinung des Erstgerichtes sei auch das Vorbringen des Klägers zu den übrigen Abzügen ausreichend und schlüssig. Alle diese Abzüge hätten Beiträge zum Gegenstand, für die nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen ebenfalls der Arbeitgeber zahlungspflichtig sei (siehe im Detail S 9 des Berufungsurteils). Zwar fehle in diesem Zusammenhang eine dem § 539 ASVG vergleichbare gesetzliche Regelung, die die Unwirksamkeit einer Überwälzung auch dieser Beträge anordne. Dennoch sei eine derartige Überwälzung evident widerrechtlich, sodass die Vereinbarung der Streitteile auch in diesem Umfang sittenwidrig sei. Evidenter Zweck dieser Vereinbarung sei die leichte Kalkulierbarkeit der Arbeitnehmerkosten für die Beklagte und die Überwälzung des unternehmerischen Risikos auf den Kläger gewesen. Sie habe bewirkt, dass das Risiko einer Erhöhung der auf den Kläger überwälzten Beträge ausschließlich diesen getroffen habe. Dazu komme die schon oben angeführte Erschwerung der Abschätzung der Höhe der Bezüge und damit auch die Erschwerung des Vergleichs mit den Bezügen anderer Arbeitnehmer dieser Branche.
Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zur Frage der Zulässigkeit der Überwälzung der hier fraglichen Lohnnebenkosten keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege und diese Beurteilung über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung haben könne.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, es im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof die Rechtsauffassung der zweiten Instanz nicht teilt. Sie ist auch berechtigt.
Richtig ist, dass Vereinbarungen, nach denen dem Arbeitnehmer vom vertraglich zugesagten Entgelt auch der Dienstgeberanteil an den Sozialversicherungsbeiträgen abgezogen werden soll, im Hinblick auf § 539 ASVG unwirksam sind (RdW 2000, 500; DRdA 1998/20 [Gerlach]; JBl 1986, 539).
Wie das Berufungsgericht unter Hinweis auf 4 Ob 152/83 (= JBl 1986, 539) richtig ausführt, kann die Frage, ob ein in diesem Sinn gesetzwidriger Abzug vorgenommen wurde, nur auf der Grundlage des vereinbarten Arbeitsentgelts beurteilt werden. Daher liegt - wie ebenfalls schon das Berufungsgericht ausführt - keine Umgehung des § 539 ASVG vor, wenn der Arbeitgeber vor Abschluss des Arbeitsvertrages die mit der Beschäftigung des Arbeitnehmers verbundenen finanziellen Lasten abschätzt und sodann nach Maßgabe der ihm tragbar erscheinenden Gesamtsumme den nach Abzug der Arbeitgeberanteile verbleibenden Betrag dem Arbeitnehmer als Entgelt anbietet.
Hier hat die Beklagte dem Kläger von vornherein nur das als Entgelt zugesagt hat, was nach Abzug der in Rede stehenden Beiträge vom als bloße Rechengröße vereinbarten Drittel der Erlöse verbleibt. Dass - wie der Kläger in der Klage behauptet hat - seine Provision mit einem Drittel der Nettoerlöse vereinbart wurde, ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes unzutreffend. Auch die Formulierung des Berufungsgerichtes, nach der Vereinbarung sein ein Drittel der Nettoerlöse "für den Kläger" zur Verfügung gestanden, ist unpräzise, weil dieses Drittel für sämtliche mit der Beschäftigung des Klägers verbundenen Kosten der Beklagten, also ua für die Dienstgeberbeiträge und das dem Kläger zufließende Entgelt zur Verfügung stehen sollte. Insofern unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall von der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 4 Ob 152/83 (= JBl 1986, 539), in der ein entsprechender Abzug von der mit den Arbeitnehmern vereinbarten Provision vereinbart wurde. Geht man aber davon aus, dass den Arbeitnehmern überhaupt nur der nach Abzug der Dienstgeberanteile von einer Rechengröße verbleibende Rest als Entgelt zugesagt wurde, so kann von einer Überwälzung dieser Anteile auf den Arbeitnehmer nicht gesprochen werden (so schon 9 ObA 194/02y).
Dem Berufungsgericht ist durchaus zuzugestehen, dass es vor diesem Hintergrund unter Umständen nur eine Frage der Berechnung oder auch nur der Formulierung ist, ob dem Arbeitnehmer (in zulässiger Weise) - wie hier - ein nach Abzug der Dienstgeberanteile verbleibender Differenzbetrag als Entgelt zugesagt wird oder ob ihm ein höheres Entgelt zugesagt wird, von dem in unzulässiger Weise Dienstgeberanteile in Abzug gebracht werden. Mit dieser Problematik hat sich der Oberste Gerichtshof auch schon in JBl 1986, 539 auseinandergesetzt und dabei - allerdings vor dem Hintergrund eines ganz anders gelagerten Sachverhalts - die Rechtsauffassung vertreten, dass jedes Abgehen von der im Gesetz vorgesehen Art der Beitragsentrichtung unzulässig sei, weil es geeignet sei, die Höhe der tatsächlichen Bezüge des Arbeitnehmers zu verschleiern und auf diese Weise einen Vergleich mit den Bezügen anderer Arbeitnehmer zumindest zu erschweren. Dem lag aber - wie ausgeführt - ein Sachverhalt zu Grunde, nach dem der Arbeitgeber die Dienstgeberanteile von den zugesagten Provisionen abgezogen hat. Vor diesem Hintergrund sind die damaligen Ausführungen zu verstehen, die darauf hinauslaufen, dass die dem Gesetz nicht entsprechende Form der Beitragsentrichtung nicht mit dem Hinweis auf die Möglichkeit gerechtfertigt werden kann, dass man auch auf zulässige Weise ein wirtschaftlich vergleichbares Ergebnis hätte erzielen können.
Richtig ist allerdings, dass es auch im hier zu beurteilenden Fall die zwischen den Streitteilen getroffene Vereinbarung erschwert, die Höhe des exakten monatlichen Einkommens des Arbeitnehmers vorherzusagen bzw mit dem Einkommen anderer Arbeitnehmer zu vergleichen, sodass es angezeigt erscheinen mag, die Frage der Sittenwidrigkeit der hier zu beurteilenden Vereinbarung zu prüfen. Die Unmöglichkeit, das exakte Einkommen vorherzusagen, ist allerdings bei Angestellten, die (in zulässiger Weise [Martinek/Schwarz/Schwarz, AngG7 255]) ausschließlich auf Provisionsbasis entlohnt werden, keineswegs außergewöhnlich und kann für sich allein die Annahme der Sittenwidrigkeit einer Vereinbarung nicht rechtfertigen, die - anders als im Falle der Entscheidung JBl 1986, 539 - deutlich klarstellt, dass nur der nach Abzug der Dienstgeberanteile verbleibende Betrag als Entgelt zugesagt wird. Dazu kommt, dass der Kläger monatlich fixe Akontozahlungen erhalten hat, die unkalkulierbare Schwankungen seines Einkommens ausglichen, was um so beachtlicher wäre, wenn - wie in der Revision behauptet, allerdings nicht festgestellt (jedoch in der Revisionsbeantwortung auch nicht bestritten) wurde - nach dem Inhalt der Vereinbarung eine Rückforderung der ausgezahlten Akontozahlungen auch im Falle geringer Erlöse ausgeschlossen war. Berücksichtigt man überdies die doch beachtliche Höhe der vereinbarten Rechnungsgröße (ein Drittel der Nettoerlöse, während etwa in JBl 1986, 539 die vereinbarten Provisionssätze vor den Abzügen zwischen 8 und 22 % lagen), fehlt es an rechtfertigenden Gründen, die hier getroffene Gestaltung des Vertrages mit einem rechtskundigen Arbeitnehmer als sittenwidrig zu qualifizieren. Vielmehr erschiene es in hohem Maße unbillig, dem Kläger, dem unmissverständlich klar gemacht wurde, dass sein Entgelt nur der nach Reduzierung der Rechengröße verbleibende Betrag sein sollte, und der dieser Regelung zugestimmt und auch in weiterer Folge dem Arbeitgeber gegenüber nie widersprochen hat, nunmehr den von ihm begehrten Rückersatz zuzusprechen und ihm damit ein Einkommen zu verschaffen, das ihm in dieser Höhe nie zugesagt worden wäre.
Diese für die Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung angestellten Überlegungen müssen naturgemäß auch für die übrigen vom Kläger geforderten Beträge gelten, für die - wie vom Berufungsgericht schon ausgeführt - eine dem § 539 ASVG vergleichbare Bestimmung fehlt.
In Stattgebung der Revision waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.