OGH vom 26.11.1997, 9ObA146/97d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr.Edith Söllner und Dr.Klaus Hajek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Karl H*****, Angestellter, ***** vertreten durch Puttinger, Vogl & Partner, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, wider die beklagte Partei Dr.Peter Bründl, Rechtsanwalt in Schärding als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der G***** G***** GmbH (17 S 2/96t Landesgericht Ried im Innkreis), wegen Feststellung (Streitwert S 205.047,90 netto; Revisionsstreitwert S 61.317,90 netto), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 12/97i-18, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 3 Cga 73/96k-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß sie einschließlich des unangefochtenen Teiles zu lauten haben:
"Es wird festgestellt, daß dem Kläger im Konkurs über das Vermögen der G***** G***** GmbH zu 17 S 2/96t des Landesgerichtes Ried im Innkreis eine weitere Forderung in der Höhe von S 205.047,90 netto zusteht.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger folgende Prozeßkosten binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters zu ersetzen:
Erste Instanz S 27.698,40
(darin enthalten S 4.616,40 Umsatzsteuer)
Verfahrenskosten zweiter Instanz S 14.429,60
(darin enthalten S 1.521,60 Umsatzsteuer und
S 5.300 Barauslagen)
Kosten des Revisionsverfahrens S 4.871,04
(darin enthalten S 811,84 Umsatzsteuer).
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger, der als geschützter Dienstnehmer nach den Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes bei der Gemeinschuldnerin seit als Angestellter beschäftigt war, trat am aufgrund der Vorenthaltung zustehenden Entgelts nach entsprechender Nachfristsetzung aus dem Dienstverhältnis aus. Mit Beschluß vom des Landesgerichtes Ried im Innkreis wurde über das Vermögen der Dienstgeberin der Konkurs eröffnet und der Beklagte zum Masseverwalter bestellt. Der Kläger meldete seine Ansprüche auf rückständige Gehälter und seine austrittsabhängigen Ansprüche im Konkurs an; darunter ua Abfertigung und Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 3.3. bis . Der Kläger berief sich dabei nicht nur auf eine sechsmonatige Kündigungsfrist, sondern auch auf den in § 20 Abs 2 AngG geregelten Kündigungstermin zum Quartal unter Berücksichtigung einer Dienstgeberkündigung.
Der Kläger begehrt nach Einschränkung und Ausdehnung die Feststellung, daß ihm im Konkurs über das Vermögen seines Dienstgebers eine Forderung von S 205.047,90 netto für Kündigungsentschädigung vom bis und Abfertigung zustehe. Sein Austritt wegen Vorenthaltung der ihm zustehenden Entgelte sei berechtigt gewesen. Als geschützter Dienstnehmer nach dem Behinderteneinstellungsgesetz sei der Berechnung der Kündigungsentschädigung eine Kündigungsfrist von 6 Monaten und der Kündigungstermin zum Quartal () zugrundezulegen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung dieses Klagebegehrens. Der Kläger hatte am keinen Entgeltfortzahlungsanspruch gehabt. Auch eine in der Folge stattgefundene Gesundschreibung könne seinen Anspruch auf Kündigungsentschädigung und Abfertigung nicht begründen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren durch Feststellung einer weiteren Konkursforderung von S 143.730 netto statt und wies das Mehrbegehren auf Feststellung von S 61.337,90 netto (= Kündigungsentschädigung vom bis ) ab.
In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht den Anspruch auf Kündigungsentschädigung als Schadenersatzanspruch vom bis , der unabhängig vom Bestehen eines Entgeltfortzahlungsanspruches bestehe. Es führte aus, daß ein Behinderter im Falle des gerechtfertigten vorzeitigen Austrittes Anspruch auf Kündigungsentschädigung unter analoger Anwendung der §§ 21 AngG und 1158 Abs 3 ABGB unter Annahme einer Kündigungsfrist von sechs Monaten habe. Diese analoge Anwendung der zitierten Gesetzesbestimmungen sei nur auf die sechsmonatige Kündigungsfrist beschränkt, nicht jedoch auf den in § 20 Abs 2 AngG normierten Kündigungstermin zum Kalendervierteljahr.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die Revision zulässig sei.
Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Kündigungsentschädigung beim begünstigten Behinderten nicht nach der Kündigungsfrist des Arbeitgebers, sondern nach der des Arbeitnehmers unter analoger Anwendung der §§ 1158 Abs 3 ABGB und 21 AngG berechnet werde. Da dies aber auch in anderen Fällen so gehandhabt würde und die Heranziehung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist zur Lückenfüllung für die Bemessung der Kündigungsentschädigung im Sonderfall des geschützten Behinderten auch sachgerecht sei, bestehe kein Anlaß, für die Berechnung der Kündigungsentschädigung nach einzelnen Auflösungsgründen zu unterscheiden und § 20 Abs 2 AngG analog anzuwenden. Auch die Lehre fasse die analoge Heranziehung der sechsmonatigen Frist bei einem Dienstverhältnis auf Lebenszeit als umfangmäßige Begrenzung der Kündigungsentschädigung mit dieser Dauer auf. Für eine Erweiterung des Anspruches durch Beachtung eines Kündigungstermines zum Quartalsende bleibe kein Raum.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat einem Teil des Schrifttums folgend (Berger, Die Kündigungsentschädigung von Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz, ÖJZ 1985, 22; Kuderna, Einige Probleme des besonderen Kündigungsschutzes, DRdA 1990, 1 f) zu DRdA 1993/51 (kritisch Wachter) = WBl 1993, 88, ausgesprochen, daß ein Behinderter im Falle seines berechtigten vorzeitigen Austrittes unter analoger Anwendung des § 1158 Abs 3 ABGB,§ 21 AngG Anspruch auf Kündigungsentschädigung unter Bedachtnahme auf eine Kündigungsfrist von sechs Monaten habe (Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht5 604). Der Kritik Wachters, daß die Kündigungsentschädigung nach dem Zeitpunkt der hypothetisch nachzuvollziehenden Erteilung der Zustimmung zur Kündigung durch den Behindertenausschuß zu bemessen wäre, ist zu entgegnen, daß die Nachvollziehung einer zeitlich nicht faßbaren, hypothetischen Ermessensentscheidung kein Kriterium für ein an der Rechtssicherheit orientiertes gerichtliches Verfahren sein kann. Es besteht daher kein Anlaß, von dieser Vorentscheidung abzugehen. Sie erging anläßlich eines Austrittes nach Konkurseröffnung. Da der Masseverwalter nur die gesetzliche Kündigungsfrist einzuhalten hatte (§ 25 Abs 1 Z 2 KO), war die Frage der Einhaltung von Kündigungsterminen nicht Gegenstand dieser Entscheidung.
Im vorliegenden Fall erfolgte der Austritt jedoch vor Konkurseröffnung. Die Ansprüche des Klägers sind daher schon in diesem Zeitpunkt entstanden. Da § 29 AngG die Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vorsieht, der bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses durch ordnungsgemäße Kündigung durch den Dienstgeber hätte verstreichen müssen, ist entscheidend, zu welchem Kündigungstermin das vom angestellten Kläger durch berechtigten Austritt beendete Dienstverhältnis ordnungsgemäß hätte aufgekündigt werden können.
Der Zeitpunkt, zu dem eine ordnungsgemäße Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine arbeitgeberseitige Kündigung mit Rücksicht auf die erforderliche (aber nicht erteilte) Zustimmung des Behindertenausschusses möglich gewesen wäre, kann nicht festgestellt werden. Die Ähnlichkeit des Dienstverhältnisses eines Behinderten mit einem auf Lebenszeit oder einem für länger als fünf Jahre abgeschlossenen Dienstverhältnis rechtfertigt die gleichartige Behandlung in der Frage der Auflösung im Sinne der §§ 1158 Abs 3 ABGB bzw 21 AngG. Wenn auch den §§ 1162b ABGB und 29 AngG die Kündigungsfrist des Arbeitgebers zugrunde liegt, den beiden analogiefähigen Vorschriften aber eine vom Arbeitnehmer einzuhaltende Kündigungsfrist, so erscheint es mangels jeglichen anderen gesetzlichen Anhaltpunktes für eine für ein Arbeitsverhältnis auf Lebenszeit geltende Kündigungsfrist und im Hinblick auf die in diesem Zusammenhang bestehende Rechtsähnlichkeit der beiden Arten von Arbeitsverhältnissen gerechtfertigt, die in den bezogenen Bestimmungen genannte Frist für die Berechnung der Kündigungsentschädigung heranzuziehen (DRdA 1993/51 [Wachter]). Der Hinweis des Berufungsgerichtes auf Schrank (Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht, 449), wonach der Oberste Gerichtshof die Kündigungsentschädigung mit 6 Monaten berechnet und begrenzt, ist nicht stichhaltig, weil die zugrundeliegende Entscheidung DRdA 1993/51 nur die Berechnung der Kündigungsentschädigung unter Bedachtnahme auf eine 6-monatige Kündigungsfrist im Auge hat, aber über allenfalls einzuhaltende Kündigungstermine keine Aussage enthält.
Diese Ausführungen gelten aber nur hinsichtlich der Kündigungsfrist für Arbeitsverhältnisse Behinderter, weil § 21 AngG lediglich eine Spezialbestimmung zu § 20 AngG ist, während die Frage des Kündigungstermines im Angestelltengesetz im Gegensatz zum ABGB, das grundsätzlich keine Kündigungstermine kennt (Krejci in Rummel ABGB2 Rz 87 zu §§ 1158 bis 1159c), in § 20 AngG geregelt ist. Im Gegensatz zur Meinung des Berufungsgerichtes bedeutet die analoge Heranziehung der sechsmonatigen Kündigungsfrist nur, daß der Anspruch auf eine Kündigungsentschädigung jedenfalls unter Bedachtnahme auf eine Kündigungsfrist von sechs Monaten gegeben ist. Da eine Regelung des Kündigungstermines abschließend in § 20 Abs 2 AngG erfolgt und § 21 AngG lediglich eine Spezialbestimmung hinsichtlich der Kündigungsfrist ist, steht der Heranziehung des § 20 Abs 2 AngG über den Kündigungstermin für die Bemessung der Kündigungsentschädigung gemäß § 29 AngG nichts im Wege. Unter Heranziehung der sechsmonatigen Kündigungsfrist hätte eine Kündigung daher nur zum ausgesprochen werden können.