OGH vom 27.02.2014, 8ObA4/14t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann Prentner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhold Hohengartner und Mag. Ernst Bassler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** H*****, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer und Dr. Roman Bacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei A***** B*****, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in Wien, wegen 9.284,26 EUR brutto sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 15 Ra 65/13s 26, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 44 Cga 156/11v 15, als nichtig aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 744,43 EUR (darin enthalten 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Mit Mahnklage vom begehrte der Kläger ausständiges Entgelt und eine Urlaubsersatzleistung nach einer angeblich fristwidrigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die beklagte Arbeitgeberin. In der Folge konnte der am erlassene Zahlungsbefehl der Beklagten nicht zugestellt werden. Aus diesem Grund beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom die Bestellung eines Abwesenheitskurators. Mit Beschluss vom bestellte das Erstgericht der Beklagten infolge unbekannten Aufenthalts für die Dauer der Abwesenheit einen Abwesenheitskurator .
Mit Urteil vom gab das Erstgericht dem Klagebegehren zur Gänze statt. Diese Entscheidung wurde dem Klagsvertreter und dem Abwesenheitskurator am zugestellt.
Mit Eingabe vom beantragte die unvertretene Beklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Bewilligung der Verfahrenshilfe. Mit Beschluss vom wies das Erstgericht den Wiedereinsetzungsantrag ab.
Mit Schriftsatz vom erhob die nunmehrige Rechtsvertreterin der Beklagten Berufung gegen das Urteil vom aus den Rechtsmittelgründen der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung sowie Rekurs gegen den Beschluss vom . Zudem beantragte die Beklagte die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a ZPO; dieser Antrag wurde vom Erstgericht abgewiesen.
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Berufungsgericht der Berufung der Beklagten wegen Nichtigkeit Folge, hob das angefochtene Urteil des Erstgerichts als nichtig auf, erklärte „aus Anlass des Rechtsmittels“ das dem Urteil vorangegangene Verfahren bis einschließlich der mit Beschluss vom erfolgten Bestellung des Prozesskurators für nichtig und trug dem Erstgericht die gesetzmäßige Verfahrensdurchführung auf. Den Rekurs der Beklagten gegen den Beschluss auf Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags wies das Rechtsmittelgericht mangels Beschwer zurück. In seiner Entscheidung beurteilte das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten als rechtzeitig, weil eine Heilung des Zustellmangels (durch Zustellung des Ersturteils an den Prozesskurator) gemäß § 7 ZustG nicht eingetreten sei. Die Bestellung des Prozesskurators nach § 116 ZPO sei nichtig gewesen, weil die Klägerin nicht bescheinigt habe, dass der Aufenthalt der Beklagten trotz naheliegender Erhebungen unbekannt geblieben sei. Die Nichtigkeit auch einer nach der Aktenlage rechtskräftigen Kuratorbestellung sei im Verfahren, in dem die Bestellung erfolgt sei, aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels von Amts wegen wahrzunehmen, sofern formelle Rechtskraft der Entscheidung im Rechtsstreit (hier Urteil des Erstgerichts) noch nicht eingetreten sei. Formelle Rechtskraft trete ein, wenn ein Zustellmangel aktenmäßig nicht hätte erkannt werden können. Im vorliegenden Fall sei der Zustellmangel jedoch offenkundig, weil sich die Kuratorbestellung als offenkundig nichtig erweise. Gleichzeitig sprach das Berufungsgericht dazu aus, dass der „Revisionsrekurs“ zulässig sei.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, der Berufung der Beklagten wegen Nichtigkeit keine Folge zu geben bzw die Berufung als verspätet zurückzuweisen.
Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragt die Beklagte, den Rekurs des Klägers als unzulässig zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Der Rekurs erweist sich als unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Im Anlassfall ist der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nicht schon nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig, weil das Berufungsgericht nicht unter Nichtigerklärung des erstinstanzlichen Verfahrens und des Urteils die Klage zurückgewiesen (RIS Justiz RS0043861; 5 Ob 54/10t) oder das Verfahren sonst beendet hat (RIS Justiz RS0043869, RS0043891).
Nach der Rechtsprechung ist der Rekurs an den Obersten Gerichtshof allerdings iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO auch gegen einen Beschluss zulässig, mit dem das Berufungsgericht (teilweise) lediglich das Ersturteil oder (teilweise) auch das ihm vorangegangene Verfahren wegen Nichtigkeit aufgehoben hat, ohne auch auf Zurückweisung der Klage zu erkennen, und gleichzeitig einen Zulässigkeitsausspruch getroffen hat (RIS Justiz RS0041947; 1 Ob 103/03h; Zechner in Fasching/Konecny ² § 519 ZPO Rz 46 mwN). Aufgrund eines solchen Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO wird ein Aufhebungsbeschluss grundsätzlich anfechtbar. Der Zweck des Rekurses besteht allerdings in der Überprüfung der für das (fortgesetzte) Verfahren erheblichen Rechtsansicht des Berufungsgerichts durch den Obersten Gerichtshof. Ohne Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage ist der Rekurs daher trotz Zulässigkeitsausspruchs zurückzuweisen (8 Ob 15/10d; 8 ObA 22/12m).
Im Anlassfall wird im Rekurs an den Obersten Gerichtshof keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.
2.1 Der Kläger führt in seiner Rechtsmittelerklärung zwar aus, dass der Beschluss des Berufungsgerichts aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung angefochten werde. In seinen inhaltlichen Ausführungen bestreitet er allerdings auch die Rechtzeitigkeit der Berufung. In diesem Zusammenhang geht er von einer Heilung des Zustellmangels (aufgrund der Zustellung des Ersturteils an den Abwesenheitskurator der Beklagten) spätestens mit (Wiedereinsetzungsantrag mit Übermittlung einer Urteilskopie) aus.
Die sachliche Erledigung einer verspäteten Berufung begründet wegen Verstoßes gegen die Rechtskraft des erstgerichtlichen Urteils Nichtigkeit. Bei Vorliegen eines rechtzeitigen und zulässigen Rechtsmittels ist diese Nichtigkeit vom Obersten Gerichtshof (auch von Amts wegen) wahrzunehmen (RIS Justiz RS0062118; RS0041896).
2.2 Der vom Kläger geltend gemachte Nichtigkeitsgrund liegt allerdings nicht vor.
Für die Wirksamkeit einer Zustellung ist es erforderlich, dass sowohl in der Zustellverfügung als auch auf dem Zustellstück selbst der nach dem jeweils anzuwendenden Verfahrensrecht richtige Empfänger genannt ist (RIS Justiz RS0106442; RS0083644). Nach § 7 ZustG heilt ein Zustellmangel nur dann, wenn das zuzustellende Schriftstück dem Empfänger, also der Person, an die es gerichtet bzw adressiert ist, tatsächlich zugekommen ist. Es muss somit der richtige Empfänger genannt sein und ihm das für ihm gedachte Schriftstück im Original zukommen. Nicht ausreichend ist, wenn dem Empfänger eine Abschrift oder Kopie des Schriftstücks, die ihm gar nicht zugestellt werden sollte, zugemittelt wird. Auch die bloße Kenntnis vom Inhalt des Schriftstücks reicht nicht aus (RIS Justiz RS0083731; RS0083733; Brenn , Europäischer Zivilprozess, Rz 256).
In der Rechtsprechung wird zudem die Auffassung vertreten, dass ein nachträgliches Berufen auf einen Zustellmangel dann nicht mehr möglich sei, wenn der Empfänger dem „Zustellinhalt gemäß reagiert“ bzw eine Verfügung über das Schriftstück getroffen habe und es zu einer Heilung durch Einlassung gekommen sei; dies könnte insbesondere auch durch die Erhebung eines Rechtsmittels gegen die nicht oder nicht gesetzmäßig zugestellte Entscheidung erfolgen (8 Ob 69/07s, 7 Ob 75/04m, 10 Ob 47/03i, 10 ObS 376/02w; Stumvoll in Fasching / Konecny ² II/2 § 87 ZPO,§ 7 ZustG Rz 23; kritisch Brenn aaO Rz 256).
2.3 Im Anlassfall liegen weder die Voraussetzungen für eine Heilung durch tatsächliches Zukommen noch für eine Heilung durch Einlassung vor. Zum einen verfügte die Beklagte nach der Tatsachengrundlage nur über eine Kopie des Ersturteils. Zum anderen hat die Beklagte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, ohne näher darzulegen, worauf sich dieser Antrag bezieht. Da der Wiedereinsetzungsantrag der nicht vertretenen Beklagten nicht konkret auf die Versäumung der Berufungsfrist gerichtet war, kann in diesem Antrag auch nicht ein Reagieren entsprechend dem Zustellinhalt bzw eine heilungsrelevante Verfügung über das Schriftstück erblickt werden.
3.1 Die vom Berufungsgericht als erheblich qualifizierte Rechtsfrage bezieht sich darauf, ob die (vom Berufungsgericht bejahte) Unzulässigkeit der (nach der Aktenlage rechtskräftigen: vgl 8 Ob 93/06v) Kuratorbestellung (zufolge Nichtbescheinigung naheliegender Erhebungen des Klägers über die Zustelladresse iSd § 116 ZPO) im Rahmen des vorliegenden Hauptverfahrens wahrgenommen werden kann, und zwar mangels Eintritts der formellen Rechtskraft des Ersturteils aufgrund eines aktenkundigen bzw offenkundigen Zustellmangels. Der Zustellmangel besteht im Anlassfall in der Zustellung der verfahrensrelevanten Schriftstücke an einen unzulässigerweise bestellten Abwesenheitskurator. Die „Nichtigkeit“ der Kuratorbestellung bestreitet der Kläger in Wirklichkeit nicht.
3.2 Das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung auf die Erwägung, dass die (für die gestellte Frage maßgebende) formelle Rechtskraft nur eintrete, wenn der Zustellmangel etwa durch Zustellung an eine prozessunfähige Partei (bei formell nach dem ZustG, also augenscheinlich ordnungsgemäßer Zustellung: vgl 2 Ob 128/12f) aktenmäßig nicht hätte erkannt werden können.
Nach der Entscheidung des verstärkten Senats zu 1 Ob 6/01s tritt formelle Rechtskraft dann ein, wenn die Prozessunfähigkeit der Partei, an die zugestellt wurde, nicht erkannt wurde. In diesem Fall ist ein Zustellmangel gerade nicht offenkundig. In der Entscheidung 8 Ob 48/03x wurde der Eintritt der formellen Rechtskraft verneint, weil sich das Vorliegen des Zustellmangels aus der Aktenlage ergab. Die Offenkundigkeit des Zustellmangels (Kuratorbestellung und Zustellung an diesen) folgte aus dem an sich gebotenen Vorgehen nach § 8 Abs 2 ZustG. In der Entscheidung 2 Ob 128/12f wurde der Zahlungsbefehl irrtümlich dem Betroffenen anstelle seines Sachwalters zugestellt. Auch hier war von einem offenkundigen Zustellmangel auszugehen.
Dem Aspekt der Aktenkundigkeit bzw der Offenkundigkeit des Zustellmangels schenkt der Kläger in seinem Rekurs keine Beachtung. Seiner Überlegung, dass die der Entscheidung 8 Ob 48/03x zugrunde liegende Wertung mit jener im vorliegenden Verfahren nicht vergleichbar sei, ist nicht zuzustimmen. Für die Bejahung des Eintritts der formellen Rechtskraft kommt es nicht darauf an, ob der Zustellmangel (hier Zustellung an einen unzulässigerweise bestellten Abwesenheitskurator) am Beginn oder während des Verfahrens eintritt, sondern ob der Mangel aus der Aktenlage klar erkennbar ist.
4. Insgesamt zeigt der Kläger zu den rechtlichen Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts keine erhebliche Rechtsfrage auf. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war der Rekurs trotz Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründeten sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 2 ASGG. Die Beklagte hat in der Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen und dementsprechend auch beantragt, den Rekurs zurückzuweisen (vgl RIS Justiz RS0123222).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:008OBA00004.14T.0227.000