OGH vom 23.11.2006, 8ObA39/06b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Glawischnig sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Walter Zeiler und Dr. Vera Moczarski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Sabine M*****, vertreten durch Dr. Sabine Berger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei B***** OHG, *****, vertreten durch Liebscher Hübel & Lang, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen EUR 2.937,97 brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 108/05i-13, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 56 Cga 171/05x-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird gemäß Art 234 EG folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Handelt es sich bei einer Arbeitnehmerin, die sich einer In-vitro-Fertilisation unterzieht, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ihre Eizellen bereits mit den Samenzellen des Partners befruchtet wurden, also Embryonen „in-vitro" vorhanden sind, diese aber noch nicht der Frau eingepflanzt wurden, um eine „schwangere Arbeitnehmerin" iSd Art 2 lit a erster Halbsatz der RL 92/85/EWG des Rates vom über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (10. Einzelrichtlinie iSd Art 16 Abs 1 der RL 89/391/EWG)?
II. Das Verfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften iSd § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Text
Begründung:
I. Sachverhalt:
Die Klägerin war ab bei der beklagten Partei als Kellnerin beschäftigt. In der Vergangenheit hatte sie bereits zwei Versuche einer künstlichen Befruchtung unternommen. Nach einer rund eineinhalb Monate dauernden Hormonbehandlung wurde am neuerlich eine Follikelpunktion vorgenommen. Vom bis wurde die Klägerin von ihrem Hausarzt krank geschrieben. Am wurden zwei Embryonen in den Uterus der Klägerin transferiert. Anlässlich eines Telefonates am wurde die Klägerin von der beklagten Partei zum gekündigt. Mit Schreiben vom selben Tag informierte die Klägerin die beklagte Partei von der für den geplanten „künstlichen Befruchtung". Es ist davon auszugehen, dass zum Kündigungszeitpunkt die der Klägerin entnommenen Eizellen bereits mit den Samenzellen ihres Partners verschmolzen waren, also „Embryonen in vitro" vorhanden waren.
II. Zum Vorbringen der Parteien:
Die klagende Partei begehrt von der beklagten Partei Lohn und aliquote Jahresremuneration. Die am ausgesprochene Kündigung sei rechtsunwirksam, weil ihr ab der am stattgefundenen Befruchtung der Eizelle in vitro, der Kündigungsschutz nach § 10 Abs 1 Mutterschutzgesetz (MSchG) zukomme. Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung, da zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung eine Schwangerschaft noch nicht vorgelegen habe.
III. Der bisherige Verfahrensverlauf:
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es ging davon aus, dass der in § 10 Mutterschutzgesetz (MSchG) verankerte Kündigungsschutz nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes mit der Befruchtung der Eizelle beginne, weil der Gesetzgeber auf den schützenswerten Zustand der Frau, ab der grundsätzlich zu einer Geburt führenden Empfängnis, bis zum Eintritt der Geburt abstelle. Der Zweck des MSchG liege darin, die wirtschaftliche Existenz der Mutter zu sichern; es sei daher teleologisch auf den frühest möglichen Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Beginn einer Schwangerschaft angenommen werden könne. Wenn dies bei einer In-utero-Konzeption nach der Rechtsprechung der Zeitpunkt der Befruchtung sei, müsse dies auch im Fall der In-vitro-Fertilisation gelten. Verlaufe der Embryotransfer nicht erfolgreich, gehe der Kündigungsschutz ohnedies verloren.
Das Berufungsgericht änderte über Berufung der beklagten Partei das erstgerichtliche Urteil im klagsabweisenden Sinn ab.
§ 10 Abs 1 MSchG lege fest, dass Dienstnehmerinnen während der Schwangerschaft nicht rechtswirksam gekündigt werden können. In der Medizin werde unter dem Begriff der Schwangerschaft der Zustand der Frau von der Konzeption bis zum Eintritt der Geburt verstanden. Auch in der vom Erstgericht zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (9 ObA 23/95) werde die Schwangerschaft als Zustand der Frau, ab der grundsätzlich zu einer Geburt führenden Empfängnis bis zum Eintritt der Geburt definiert. Unabhängig von der Frage, ab welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft tatsächlich hormonelle Veränderungen eintreten, sei daher eine Schwangerschaft losgelöst vom weiblichen Körper denkunmöglich. Daran vermöge auch das vom Erstgericht ins Treffen geführte Argument, wonach es für den Kündigungsschutz des § 10 MSchG bedeutungslos sei, ob der natürliche Verlauf einer Schwangerschaft ab der Konzeption durch chemische, mechanische oder hormonelle Mittel beeinflusst werde, nichts zu ändern. Die genannten Einflussmöglichkeiten auf den natürlichen Verlauf einer Schwangerschaft seien nämlich nicht mit der Einflussnahme auf den Beginn der Schwangerschaft gleichzusetzen. Nach § 17 Abs 1 Fortpflanzungsmedizingesetz (FmedG) können entwicklungsfähige Zellen, das sind nach der Legaldefinition des § 1 Abs 3 FMedG befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen, bis zu zehn Jahren aufbewahrt werden. Nach § 8 FMedG dürfe eine medizinische unterstützte Fortpflanzung überdies nur mit Zustimmung der Partner durchgeführt werden, wobei die Zustimmung der Frau bis zur Einbringung der entwicklungsfähigen Zellen in ihren Körper widerrufen werden könne. Im Fall der In-vitro-Fertilisation könne daher im Gegensatz zu einer natürlichen Befruchtung der Beginn der Schwangerschaft von der Frau willkürlich bestimmt werden. Dementsprechend werde auch in der Lehre vertreten, dass die Schwangerschaft bei In-vitro-Fertilisation mit dem Einsetzen des befruchteten Eies beginne, was der vom Obersten Gerichtshof vertretenen Auffassung, wonach der Beginn der Schwangerschaft im juristischen Sinn sehr früh angesetzt werde, entspreche. Zweck des Kündigungs- und Entlassungsschutzes nach den §§ 10 ff MSchG sei die Wahrung der wirtschaftlichen Existenz der Mutter. Der besondere Kündigungsschutz komme jedoch nur zum Tragen, wenn im Zeitpunkt der Kündigung eine Schwangerschaft tatsächlich schon eingetreten sei; das Mutterschutzgesetz solle schwangere Arbeitnehmerinnen schützen, nicht aber vielleicht künftig schwanger werdende. Dementsprechend werde die vor Beginn der Schwangerschaft ausgesprochene Kündigung durch den Kündigungsschutz nicht berührt. Für eine analoge Anwendung des § 10 Abs 1 MSchG bestehe im vorliegenden Fall kein Raum. Die am ausgesprochene Kündigung sei rechtswirksam.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Anwendung des § 10 Abs 1 MSchG für den Fall der In-vitro-Fertilisation vorliege.
Rechtliche Beurteilung
IV. Das dem Obersten Gerichtshof vorgelegte Rechtsmittel:
Die von der Klägerin erhobene Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichtes ist aus den vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Die Klägerin bekämpft die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsauffassung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (9 ObA 23/95), wonach der Kündigungsschutz gemäß § 10 Abs 1 MSchG ab dem Zeitpunkt der Befruchtung des Eies zum Tragen komme. Der Umstand, dass der Zeitpunkt der Befruchtung bei einer In-vitro-Fertilisation klar feststellbar sei, während bei einer In-utero-Konzeption lediglich mit medizinischen Berechnungsvorgängen ermittelt werden könne, dürfe nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung führen.
V. Zu den Vorlagefragen:
Die hier maßgebliche Regelung des § 10 Abs 1 Mutterschutzgesetz (MSchG) bestimmt, dass Dienstnehmerinnen während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung rechtswirksam nicht gekündigt werden können. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung 9 ObA 23/95 (neuerlich) klargestellt, dass der besondere Kündigungsschutz des § 10 MSchG nur zum Tragen kommt, wenn im Zeitpunkt der Kündigung eine Schwangerschaft tatsächlich eingetreten ist; ausgehend davon sprach er aus, dass der der Disposition entzogene Zweck des Mutterschutzes die Wahrung der gesundheitlichen Interessen der Mutter und des Kindes und im Fall des Kündigungs- und Entlassungsschutzes, der wirtschaftlichen Existenz der Mutter sei. Damit stelle der Gesetzgeber auf den schützenswerten Zustand der Frau, ab der grundsätzlich zu einer Geburt führenden Empfängnis bis zum Eintritt der Geburt ab, weil die Schutzbedürftigkeit für die Dauer dieses veränderten körperlichen Zustandes der Frau unabhängig davon bestehe, ob auch schon eine Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutterschleimhaut (= Nidation) stattgefunden habe und ob der Nachweis der Schwangerschaft leicht zu erbringen sei. Die Einnistung des befruchteten Eis in der Uterusschleimhaut sei nur ein Kettenglied in dem nach herrschender wissenschaftlicher Erkenntnis ab Empfängnis begründeten Stadium der Schwangerschaft und könne nicht für den Bereich des Kündigungsschutzes willkürlich als Zeitpunkt des Beginnes der Schwangerschaft herausgegriffen werden. Der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 10 MSchG liegen allerdings ausschließlich Fälle der In-utero-Konzeption (also der natürlichen Empfängnis) zugrunde. Im vorliegend zu entscheidenden Fall handelt es sich um die erste Befassung des Obersten Gerichtshofes mit der Frage, wann der Kündigungsschutz des § 10 MSchG im Fall einer „In-vitro-Fertilisation" beginnt. Entscheidend ist damit, ob hier von einer „Schwangerschaft" iSd § 10 MSchG auszugehen ist. Diese Bestimmung ist nun im Sinn einer richtlinienkonformen Interpretation unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zur RL 92/85/EWG des Rates vom über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheits- und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (10. Einzelrichtlinie iSd Art 16 Abs 1 der RL 89/391/EWG - im Folgenden: Mutterschutzrichtlinie) auszulegen. In ihren Erwägungsgründen sieht die Mutterschutzrichtlinie unter anderem vor: Die Gefahr aus Gründen entlassen zu werden, die mit ihrem Zustand in Verbindung stehen, kann sich schädlich auf die physische und psychische Verfassung von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen auswirken; daher ist es erforderlich, ihre Kündigung zu verbieten. Nach Art 1 Abs 3 der Mutterschutzrichtlinie lässt sich bei ihrer Umsetzung keine Rechtfertigung für einen Abbau des, den schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen gewährten Schutzes im Vergleich mit der Lage ableiten, die in den einzelnen Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Richtlinie besteht.
Art 2 lit a der Mutterschutzrichtlinie definiert als „schwangere Arbeitnehmerin" jede schwangere Arbeitnehmerin die den Arbeitgeber gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten von ihrer Schwangerschaft unterrichtet; Auch wenn hier die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber erst nach der Kündigung von der „künstlichen Befruchtung" unterrichtete, ist in Fällen, in denen eine derartige Verständigung vor der Kündigung erfolgt, der Begriff der Schwangerschaft im Sinn der Richtlinie einheitlich auszulegen.
Gemäß Art 10 Nr 1 der Mutterschutzrichtlinie haben die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Kündigung der Arbeitnehmerinnen iSd Art 2 während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubes nach Art 8 Abs 1 zu verbieten; wird einer Arbeitnehmerin iSd Art 2 während der in Nr 1 genannten Zeit gekündigt, muss der Arbeitgeber schriftlich berechtigte Kündigungsgründe anführen (Art 10 Nr 2). Letztere Vorgangsweise wurde im vorliegenden Fall nicht eingehalten. Der Europäische Gerichtshof hat (, Christiane Adam verh. Urbing, Slg. 2001 I-07467) unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung (insbesondere Urteile vom in der Rs C-130/95, Giloy, Slg. 1997 I-4291, Rnr. 28, und vom in der Rs C-1/99, Kofisa Italia, Slg. 2001 I-207, Rnr. 32) ausgesprochen, dass, wenn sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung eines innerstaatlichen Sachverhalts nach den im Gemeinschaftsrecht getroffenen Regelungen richten, um sicherzustellen, dass in vergleichbaren Fällen ein einheitliches Verfahren angewandt wird, ein klares Interesse der Gemeinschaft daran besteht, dass die aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsdivergenzen zu verhindern. Diese Feststellung gilt erst recht dann, wenn die nationalen Rechtsvorschriften, die einen in einer gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung enthaltenen Begriff verwenden, erlassen wurden, um die Richtlinie, zu der die Bestimmung gehört, in nationales Recht umzusetzen. Folglich ist in einem solchen Fall der Umstand, dass der gemeinschaftsrechtliche Begriff, um dessen Auslegung ersucht wird, im Rahmen des nationalen Rechts unter anderen Voraussetzungen als den in der entsprechenden Gemeinschaftsbestimmung vorgesehenen angewandt werden soll, nicht geeignet, jeden Zusammenhang zwischen der erbetenen Auslegung und dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits auszuschließen.
Zu fragen ist daher, ob das Verbot der Kündigung gemäß Art 10 Nr. 1 der „Mutterschutzrichtlinie" auf eine Arbeitnehmerin anwendbar ist, die eine In-vitro-Fertilisation durchführen lässt, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung zwar ihre mit Samenzellen verschmolzene Eizellen, also Embryonen in-vitro vorhanden sind, diese aber noch nicht in ihren Körper transferiert wurden. Zur Beantwortung dieser Frage ist die Auslegung des Begriffs der schwangeren Arbeitnehmerin iSd Art 2 lit a von ausschlaggebender Bedeutung.
VI. Zur Verpflichtung zur Vorlage und der Aussetzung:
Bei den hier die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffenden Fragen kann nicht davon ausgegangen werden, dass kein Raum für vernünftige Zweifel verbleibt, sodass der Oberste Gerichtshof verpflichtet ist, ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten (vgl dazu etwa Schiemer in Mayer EU- und EG-Vertrag Art 234 Rz 111 ff mwN; etwa CILFIT, Slg. 1982, 3415; Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren², 116 mwN).
Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.