OGH vom 11.05.2017, 16Ok8/16m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, 1020 Wien, Praterstraße 31, gegen die Antragsgegnerin S***** GmbH, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Hausdurchsuchung (§ 12 Abs 1 und 3 WettbG iVm Art 22 Abs 1 VO [EG] 1/2003), über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Hausdurchsuchungsbeschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom , GZ 25 Kt 5/16x-6, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Mit dem angefochtenen Hausdurchsuchungsbeschluss ordnete das Kartellgericht zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen infolge Vorliegens des begründeten Verdachts von Zuwiderhandlungen gegen Art 101 AEUV, und zwar durch horizontale Preisabsprachen sowie Markt und Kundenaufteilungen zwischen Mitbewerbern in den Märkten der ***** und der *****, die Hausdurchsuchung in den Geschäftsräumlichkeiten und den Fahrzeugen der Antragsgegnerin an.
Dagegen richtet sich der von der Antragstellerin beantwortete Rekurs der Antragsgegnerin, mit dem sie die Zurück, in eventu Abweisung des Antrags auf Erlassung des Hausdurchsuchungsbefehls anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
1. Die Antragstellerin wurde aufgrund eines Ersuchens des deutschen Bundeskartellamts, bei der Antragsgegnerin eine Nachprüfung im Weg der Amtshilfe gemäß Art 22 Abs 1 VO (EG) 1/2003 durchzuführen, tätig.
2.1. Nach Art 22 Abs 1 VO (EG) 1/2003 darf die Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts im Namen und für Rechnung der Wettbewerbsbehörde eines anderen Mitgliedstaats alle Nachprüfungen und sonstige Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung durchführen, um festzustellen, ob eine Zuwiderhandlung gegen Art 101 oder Art 102 AEUV vorliegt. Der Austausch und die Verwendung der erhobenen Informationen erfolgen gemäß Art 12 VO (EG) 1/2003.
2.2. Art 22 Abs 1 VO (EG) 1/2003 ermächtigt demnach die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten, die in ihren nationalen Rechten vorgesehenen Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung auch für eine andere Wettbewerbsbehörde durchzuführen und die auf diese Weise erhaltenen Informationen an diese Behörde weiterzuleiten. Die Ermittlungshilfe ist auf Verfahren begrenzt, in denen es um eine mögliche Verletzung von Art 101 und/oder Art 102 AEUV geht. Wettbewerbsverfahren außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung sind damit nicht umfasst, insbesondere nicht Verfahren zur Untersuchung möglicher Verletzungen nationaler Vorschriften (16 Ok 7/09; Miersch in Dalheimer/Feddersen/Miersch, EUKartellver-fahrensverordnung, Art 22 Rz 6). Die Befugnis der nationalen Wettbewerbsbehörden, einander bei der Ermittlungstätigkeit unter Nutzung aller unter dem jeweiligen nationalen Recht verfügbaren Mittel zu unterstützen, soll es ihnen ermöglichen, die für die vollständige Ermittlung kartellrechtsrelevanter Sachverhalte erforderlichen Auskünfte und Unterlagen zu erlangen, auch wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat gelagert sind (Barthelmeß/Rudolf in Loewenheim/ Meessen/Riesenkampf/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartell-recht³ Art 22 VerfVO Rz 2).
3.1. Nach § 12 Abs 1 WettbG hat das Kartellgericht, wenn dies zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen erforderlich ist, auf Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde bei Vorliegen des begründeten Verdachts einer Zuwiderhandlung gegen §§ 1, 5 oder 17 KartG 2005, Art 101 oder Art 102 AEUV eine Hausdurchsuchung anzuordnen.
3.2. Mit Beziehung auf die Anwendung der Art 101 und Art 102 AEUV und der aufgrund der Art 42 und Art 43 AEUV erlassenen Wettbewerbsregeln im Einzelfall ist zuständige (österreichische) Wettbewerbsbehörde im Sinn der VO (EG) 1/2003 1. das Kartellgericht für die Erlassung von Entscheidungen und 2. die Bundeswettbewerbsbehörde und der Bundeskartellanwalt für die Antragstellung beim Kartellgericht (§ 83 Abs 1 iVm § 3 Abs 1, § 4 Abs 1 WettbG). Der Bundeswettbewerbsbehörde obliegt ua das Zusammenwirken mit den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten (§ 3 Abs 1 WettbG) im Netzwerk der Wettbewerbsbehörden, worunter auch die Kooperation im Rahmen des Art 22 Abs 1 VO (EG) 1/2003 fällt (Matousek in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG 2005² § 3 WettbG Rz 7 ff).
3.3. Entgegen der (auf § 24 Abs 2 KartG 2005 gestützten) Ansicht der Rekurswerberin nahm das Erstgericht nicht eine internationale Zuständigkeit in Anspruch, die es nicht hat. In Anwendung des Art 22 Abs 1 VO (EG) 1/2003 dürfen nationale Wettbewerbsbehörden Hausdurchsuchungen auf ihrem Hoheitsgebiet auch bei Sachverhalten anordnen und durchführen, die keine kartellrechtlich relevante Auswirkung auf den inländischen Markt (vgl § 24 Abs 2 KartG 2005) haben (16 Ok 7/09).
4.1. Dass die Antragstellerin „im Namen und für Rechnung“ des Bundeskartellamts tätig wird, soll nach Ansicht der Rekurswerberin dazu führen, dass das Bundeskartellamt Partei im Sinn des § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG des Rechtsmittelverfahrens ist. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Amtshilfehandlungen mangels Kompetenz und Weisungsbefugnis im fremden Hoheitsgebiet (vgl 16 Ok 7/09) nicht als Handlungen der unterstützten Behörde gelten können; sie werden vielmehr von der ersuchten Behörde zwar im Interesse der ersuchenden Behörde, aber im eigenen Namen durchgeführt. Ermittlungen „im Namen“ der anderen Behörde bedeutet insoweit nur, dass deutlich zu machen ist, dass die Ermittlungshandlungen für eine andere Behörde vorgenommen werden (Miersch in Dalheimer/Feddersen/Miersch, EUKartell-verfahrensverordnung, Art 22 Rz 5; Burrichter/Hennig in Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht I/25 Art 22 VO 1/2003 Rz 24;). Nach Maßgabe des anzuwendenden österreichischen Rechts (§ 12 Abs 1 WettbG) kann allein die Bundeswettbewerbsbehörde die Anordnung einer Hausdurchsuchung durch das Kartellgericht erwirken, sodass neben der Bundeswettbewerbsbehörde nicht auch noch die nach Art 22 Abs 1 VO (EG) 1/2003 ersuchende Wettbewerbsbehörde Parteistellung im Rechtsmittelverfahren hat. Im Übrigen hat sich der Präsident des Bundeskartellamts den Ausführungen der Rekursbeantwortung der Antragstellerin angeschlossen (Blg ./Z).
4.2. Unzutreffend ist die Auffassung der Rekurswerberin, dem Erstgericht hätte das Amtshilfeersuchen des Bundeskartellamts vorgelegt werden müssen. Art 22 Abs 1 VO (EG) 1/2003 schreibt nämlich keine bestimmte Form des Amtshilfeersuchens vor, sodass Formerfordernisse grundsätzlich zu verneinen sind (Burrichter/Hennig in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht I/25 Art 22 VO 1/2003 Rz 13; Barthelmeß/Rudolf in Loewenheim/ Meessen/Riesenkampf/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartell-recht³ Art 22 VerfVO Rz 8; Jaeger in Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Art 22 VO 1/2003 Rz 5). Demnach kann keine Pflicht zur Vorlage des Amtshilfeersuchens bestehen, auch wenn es zweckmäßig scheint, dass die Bundeswettbewerbsbehörde dem Kartellgericht ein schriftliches Amtshilfeersuchen oder das schriftlich festgehaltene mündliche Amtshilfeersuchen vorlegt. Die ersuchte Behörde hat in formeller Hinsicht nur offenzulegen, dass sie für eine Wettbewerbsbehörde eines anderen Mitgliedstaats ermittelt (vgl Burrichter/Hennig in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht I/25 Art 22 VO 1/2003 Rz 24; de Bronnet, Europäisches Kartellverfahrensrecht² Art 22 Rz 3). Dem entsprach die Antragstellerin in ihrem Antrag.
4.3. Entgegen den Ausführungen der Rekurswerberin hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 16 Ok 7/09 nicht ausgesprochen, dass das Amtshilfeersuchen der Wettbewerbsbehörde eines anderen Mitgliedstaats den Anforderungen des in Strafsachen anzuwendenden § 56 Abs 2 ARHG entsprechen muss.
5. Entgegen der Ansicht der Rekurswerberin legen die bisherigen Ermittlungshandlungen des Bundeskartellamts nicht den Schluss nahe, dass sich die Ermittlungen der ersuchenden Wettbewerbsbehörde auf einen Sachverhalt beschränken, der ausschließlich innerdeutsche Auswirkungen hat. Insbesondere aus den vorgelegten „Niederschriften über die Anhörung eines Betroffenen“ des Bundeskartellamts (Beilagen ./E, F, I, K und X) ergibt sich, dass das Bundeskartellamt das Ordnungswidrigkeiten-verfahren wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen Art 101 AEUV führt, erfolgten doch die Anhörungen wegen des Verdachts der Durchführung wettbewerbsbeschränkender Absprachen „gemäß § 81 Abs 1 Nr 1 in Verbindung mit § 1 GWB“. Nach § 81 Abs 1 Nr 1 GWB handelt ordnungswidrig, wer gegen den AEU-Vertrag verstößt, indem er vorsätzlich oder fahrlässig entgegen Art 101 Abs 1 AEUV eine Vereinbarung trifft, einen Beschluss fasst oder Verhaltensweisen aufeinander abstimmt. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat ein Kartell, das sich auf das Gesamtgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen; es verhindert somit die vom Vertrag gewollte gegenseitige wirtschaftliche Durchdringung und schützt die inländische Produktion (16 Ok 7/09 mwN). Nach den bescheinigten Behauptungen der Antragstellerin beziehen sich die vermuteten Preisabsprachen und Markt- und Kundenaufteilungen auf das gesamte deutsche Staatsgebiet.
6.1. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 16 Ok 7/09 ausgeführt, dass ein Ersuchen einer nationalen Wettbewerbsbehörde nach Art 22 VO (EG) 1/2003 nur dann berechtigt sein wird, wenn die Voraussetzungen für einen entsprechenden innerstaatlichen Ermittlungsakt nach dem nationalen Recht der ersuchenden Behörde (insbesondere ein Anfangsverdacht) gegeben sind; Ermittlungsakte im Ausland sollen damit nicht niedrigeren Anforderungen unterliegen als im Inland. Die ersuchende Wettbewerbs-behörde wird daher Angaben zu sämtlichen Umständen zu machen haben, die nach dem nationalen Recht der ersuchten Behörde erforderlich sind, um das Vorliegen der danach benötigten Eingriffsvoraussetzungen prüfen zu können. Insbesondere sind die betroffenen Unternehmen sowie Hinweise auf einen Anfangsverdacht, der Gegenstand und der Zweck der Untersuchung zu spezifizieren (vgl Burrichter/ Hennig in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht I/25 Art 22 VO 1/2003 Rz 10, 14; Barthelmeß/Rudolfin Loewen-heim/Meessen/Riesenkampf/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht³ Art 22 VerfVO Rz 7 f; Jaeger in Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Art 22 VO 1/2003 Rz 3 f; de Bronnet, Europäisches Kartellverfahrensrecht² Art 22 Rz 3).
6.2. Die Rekurswerberin schließt daraus, ein deutscher Richter hätte das Amtshilfeersuchen des Bundeskartellamts wegen des Grundrechtseingriffs (Art 13 Abs 2 dGrundG) darauf prüfen müssen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Durchsuchung nach deutschem Recht vorliegen. Zumindest hätte das Bundeskartellamt in seinem Amtshilfeersuchen konkrete Anhaltspunkte vorbringen müssen, die eine effektive richterliche Prüfung der beantragten Maßnahme nach deutschem Recht durch das Kartellgericht ermöglichte.
Dem ist zu erwidern:
6.3. Die Rechtsmittelwerberin legt nicht dar, welche Norm des deutschen Rechts die Prüfung eines Amtshilfeersuchens des Bundeskartellamts nach Art 22 Abs 1 VO (EG) 1/2003, bevor es gestellt wird, durch einen deutschen Richter, insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, vorsieht. Aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 16 Ok 7/09 erhellt, dass weder eine derartige Vorab-Prüfung durch Gerichte des ersuchenden Staates noch eine Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen nach dem Recht der ersuchenden Behörde durch das Kartellgericht von Art 22 VO (EG) 1/2003 oder nach österreichischem Recht gefordert wird. Die Entscheidung gibt der ersuchenden Wettbewerbsbehörde vielmehr auf, jene Umstände anzugeben, die die ersuchte Behörde benötigt, um das Vorliegen der nach deren nationalem Recht erforderlichen Voraussetzungen für den begehrten Eingriff beurteilen zu können. Ein möglicher Rechtsschutz gegen das Ersuchen selbst richtet sich gegen die ersuchende Behörde, beurteilt sich nach dem auf sie anwendbaren Recht und obliegt den Gerichten des Mitgliedstaats, dessen Wettbewerbsbehörde das Amtshilfeersuchen stellt (Barthelmeß/Rudolf in Loewenheim/ Meessen/Riesenkampf/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartell-recht³ Art 22 VerfVO Rz 22; Burrichter/Hennig in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht I/25 Art 22 VO 1/2003 Rz 51). Ob die Anordnung der Hausdurchsuchung dem in Deutschland bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit angewandten Maßstab widersprach, ist nicht zu prüfen, ist doch insoweit gemäß Art 22 Abs 1 VO (EG) 1/2003 österreichisches Recht maßgeblich.
7.1. Das Kartellgericht hat die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Hausdurchsuchung damit begründet, es liege nahe, dass die bisher vorliegenden Beweise über die Absprachen bzw Abstimmungen zwischen den deutschen Tochterunternehmen der Antragsgegnerin und Mitbewerbern unvollständig sind und bei der am operativen Geschäft beteiligten Antragsgegnerin weitere Geschäftsunterlagen zu den Absprachen auffindbar sein werden. Auch wenn bisher noch kein begründeter Verdacht der Teilnahme der Antragsgegnerin an den vermuteten kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen der Tochterunter-nehmen aufgekommen sei, habe die Antragstellerin schlüssig und rational plausibel die begründete Vermutung dargetan, dass sich kartellrechtlich relevante Geschäftsunterlagen bei der Antragsgegnerin befinden könnten. Es sei auch zu erwarten, dass durch die Hausdurchsuchung weitere Hinweise und Beweismittel gewonnen werden können, durch die der Umfang der verbotenen Verhaltensweisen und der Kreis der an solchen Absprachen beteiligten Unternehmen sowie der Tatzeitraum festgestellt werden könne.
7.2. Die Rekurswerberin meint, die Hausdurchsuchung sei nach den Maßstäben österreichischen Rechts nicht erforderlich. Es sei unerfindlich, warum bei einem Unternehmen, das ohnehin uneingeschränkt mit dem Bundeskartellamt im Rahmen einer Bonusregelung (siehe Bekanntmachung Nr 9/2006 des Bundeskartellamts vom über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen – Bonusregelung) kooperiere, eine Verdunkelungsgefahr bestehen sollte. Das Bundeskartellamt habe bereits am an den deutschen Standorten der Gruppe der Antragsgegnerin Hausdurchsuchungen durchgeführt. Im Hinblick auf die (aufgrund der Bonusregelung bestehende) Kooperationspflicht der deutschen Konzerngesellschaften der Antragsgegnerin und den drohenden Entzug der Bußgeldreduktion wäre es dem Bundeskartellamt jederzeit möglich, sämtliche relevanten Informationen und Beweismittel bei der Antragsgegnerin anzufordern. Ein Grund, anstelle einer einfachen Anordnung gegenüber den Konzerngesellschaften der Antragsgegnerin eine Hausdurchsuchung vorzunehmen, sei nicht ersichtlich.
7.3. Mit ihren Ausführungen gelingt es der Rekurswerberin nicht, eine fehlerhafte rechtliche Beurteilung der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit der angeordneten Hausdurchsuchung aufzuzeigen:
a) Eine Hausdurchsuchung muss zur Erfüllung der den Wettbewerbsbehörden übertragenen Aufgaben erforderlich sein, also die Prüfung der vermuteten Zuwiderhandlung ermöglichen. Wenn bereits Beweise oder Indizien für Zuwiderhandlungen vorliegen, sind die Behörden berechtigt, zusätzliche Beweise zu erheben und Auskünfte einzuholen, die es ermöglichen, das Ausmaß der Zuwiderhandlung, deren Dauer oder den Kreis der daran beteiligten Unternehmen genauer zu bestimmen (16 Ok 5/11).
b) Während § 11a WettbG voraussetzt, dass die Unterlagen schon bekannt sind bzw freiwillig zur Verfügung gestellt werden, kann bei einer Hausdurchsuchung nach § 12 WettbG nach Informationsquellen gesucht werden, die noch nicht bekannt sind, oder die Vollständigkeit bereits vorliegender Beweise überprüft werden (RIS-Justiz RS0127267 [T1]). Die Erforderlichkeit ist anhand des verfolgten und dem Adressaten bekanntgegebenen Zwecks zu beurteilen. Die Ermittlungen sind aber nicht auf Tatsachen beschränkt, die unmittelbar die Tatbestandsvoraussetzungen eines Wettbewerbsverstoßes betreffen, sondern umfassen auch Informationen über den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, in dem der Verfahrensgegenstand beurteilt werden muss (16 Ok 7/11).
c) Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stehen die Ermittlungsbefugnisse der Antragstellerin nicht in einer hierarchischen Ordnung. Es ist daher weder die Durchführung eines Auskunftsverlangens noch dessen Ankündigung Voraussetzung eines Hausdurchsuchungsbefehls. Auskunftsverlangen und Nachprüfung sind vielmehr zwei voneinander unabhängige Ermittlungsinstrumente (RIS-Justiz RS0127267).
d) Vor dem Hintergrund der referierten Rechtsprechung war es nicht notwendig, dass vor dem Antrag auf Hausdurchsuchung andere Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung gesetzt werden. Dass die in Deutschland ansässigen Konzerngesellschaften der Antragsgegnerin im Rahmen einer Bonusregelung mit dem Bundeskartellamt kooperieren, ist kein Grund, die Hausdurchsuchung, um die diese Behörde ersucht hat, abzulehnen, ist doch das Interesse des Bundeskartellamts angesichts der Höhe der garantierten Reduktionen der Geldbuße berechtigt, durch von der Kooperation des Bonusantragstellers unabhängige Ermittlungsmaßnahmen zu überprüfen, ob die Begünstigten der Bonusregelung tatsächlich vollständig kooperieren.
8.1. Die Rekurswerberin vertritt schließlich, aufgrund des Art 12 Abs 1 VO (EG) 1/2003 in Verbindung mit Rz 40 f der Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden (ABl Nr C 101 vom , S 43 ff; „Netzwerkbekanntmachung“) sei das Bundeskartellamt nicht berechtigt gewesen, den Bonusantrag (Kronzeugenunterlagen) ohne Zustimmung der Begünstigten der Bonusregelung an die Antragstellerin zu senden. Die Bonusregelung des Bundeskartellamts nehme unmittelbar Bezug auf die Netzwerkbekanntmachung und unterwerfe sich damit den darin enthaltenen Regelungen. Dieser Verstoß gegen Art 12 VO (EG) 1/2003 führe dazu, dass die übermittelten Unterlagen einem Verwertungsverbot unterlägen. Ein effektiver Schutz des Konzerns der Antragsgegnerin auf Geheimhaltung des Kronzeugenantrags– auch außerhalb des Europäischen Wettbewerbsnetzes – lasse sich nur gewährleisten, indem jede Rechtshandlung, die unter Verletzung dieses Anspruchs gesetzt worden sei, für unwirksam erklärt werde, sodass der Hausdurchsuchungsbeschluss aufzuheben sei.
Dem ist zu erwidern:
8.2.1. Der mit „Informationsaustausch“ überschriebene Art 12 Abs 1 VO (EG) 1/2003 ermächtigt die Kommission und die Wettbewerbsbehörden, einander für die Zwecke der Anwendung der Art 101 und Art 102 AEUV tatsächliche oder rechtliche Umstände einschließlich vertraulicher Angaben mitzuteilen und diese Informationen als Beweismittel zu verwenden. Die Bestimmung gilt sowohl für das Verhältnis zwischen Kommission und Mitgliedstaaten als auch zwischen den Mitgliedstaaten untereinander (vgl Rz 27 der Netzwerkbekanntmachung; Bechthold/Bosch/ Brinker, EU-Kartellrecht³ Art 22 VO 1/2003 Rz 2; Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts 173).
8.2.2. Art 12 Abs 2 VO (EG) 1/2003 schränkt den Informationsaustausch ein: Die ausgetauschten Informationen dürfen nur für die Anwendung der Art 101 und Art 102 AEUV als Beweismittel verwendet werden, bei paralleler Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts entsprechend Art 3 Abs 1 VO (EG) 1/2003 im gleichen Fall aber auch für diesen Zweck (Bechthold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht³ Art 22 VO 1/2003 Rz 4).
8.2.3. Art 12 Abs 3 VO (EG) 1/2003 sieht weitere Beschränkungen der Verwendung der ausgetauschten Informationen als Beweismittel im Fall der Verhängung von Sanktionen gegen natürliche Personen wegen Verstoßes gegen Art 101 und Art 102 AEUV vor.
8.3. Art 22 VO (EG) 1/2003 gehört in den Zusammenhang des in den Art 11 bis 14 der Verordnung geregelten Netzwerks (Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts 175). Nach Art 22 Abs 1 VO (EG) 1/2003 erfolgen der Austausch und die Verwendung der erhobenen Informationen gemäß Art 12 der Verordnung. Art 12 VO (EG) 1/2003 gibt aber auch die Befugnis zur Übermittlung von Informationen zur Vorbereitung der Amtshilfe einer anderen Wettbewerbsbehörde. Die ersuchende Wettbewerbsbehörde muss zunächst die notwendigen Informationen und Beweismittel übermitteln, damit die ersuchte Wettbewerbsbehörde zB einen Durchsuchungs-beschluss beantragen kann (Bardong in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht I² Art 12 VO 1/2003 Rz 23).
8.4. Nach Rz 40 der Netzwerkbekanntmachung, die für die (Gerichte der) Mitgliedstaaten nicht verbindlich ist (EuGH C-360/09, Pfleiderer, Rz 21 f, ECLI:EU:C:2011:389), findet, wenn in einem Fall ein Antrag nach einer Bonusregelung/Kronzeugenregelung (Leniency-Antrag) gestellt wurde, insoweit grundsätzlich kein Informationsaustausch nach Art 12 VO (EG) 1/2003 Rz 23 statt, ohne dass sich der Antragsteller damit zuvor einverstanden erklärt hätte (vgl Bardong in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht I² Art 12 VO 1/2003 Rz 51; Vollrath in Schröter/Jakob/ Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbsrecht² 1083 [A 3 Art 12 Rz 18]).
8.5. Entgegen der Ansicht der Rekurswerberin erfasst diese Selbstbeschränkung nicht die Übermittlung von Informationen aus einem Leniency-Antrag, der bei der Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats gestellt wurde, an die Wettbewerbsbehörde, die um Amtshilfe nach Art 22 Abs 1 VO (EG) 1/2003 ersucht wurde:
Eine Ausnahme vom Grundsatz, Informationen nur mit Zustimmung des Antragstellers eines LeniencyAntrags zu übermitteln, sieht Rz 41 Z 3 der Netzwerkbekanntmachung vor. Nach dieser Bestimmung bezieht sich die Selbstbeschränkung nicht auf Informationen, die eine um Amtshilfe nach Art 22 Abs 1 VO (EG) ersuchte Wettbewerbsbehörde im Namen und auf Rechnung der ersuchenden Behörde erhoben hat. Die Möglichkeit, Amtshilfe nach Art 22 VO (EG) 1/2003 als Mittel der Sachverhaltsaufklärung zu benutzen, soll erkennbar nicht eingeschränkt werden. Im Fall der Amtshilfe wird die ersuchte Behörde gleichsam als verlängerter Arm der ersuchenden Behörde tätig und darf die übermittelten Informationen nur zum Zweck der Amtshilfe benutzen (Bardong in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht I² Art 12 VO 1/2003 Rz 56 f; Vollrath in Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbsrecht² 1083 [A 3 Art 12 Rz 19]). Der Kommission kann nicht die Absicht unterstellt werden, die Möglichkeiten, die die nationale Wettbewerbsbehörde, bei der der Leniency-Antrag gestellt wurde, zur Sachverhaltsaufklärung hat, einschränken zu wollen.
9. Dem Rekurs war aus diesen Gründen ein Erfolg zu versagen.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0160OK00008.16M.0511.000 |
Schlagworte: | Durchsuchung in Österreich - Hausdurchsuchung III,25 Kartellobergericht |
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