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OGH vom 29.06.2017, 8ObA33/17m

OGH vom 29.06.2017, 8ObA33/17m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingomar Stupar und Nicolai Wohlmuth als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gemeinsamer Betriebsrat E***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch die Herbst Kinsky Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, aus Anlass der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 26/17f-12, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 16 Cga 108/16g-8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

A. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind Art 45 AEUV und Art 7 Abs 1 der Verordnung 492/2011/EU über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, wie der im Ausgangsverfahren (§ 3 Abs 2 Z 1 iVm § 3 Abs 3 und § 2 Abs 1 des Urlaubsgesetzes, UrlG) entgegenstehen, wonach einem Arbeitnehmer, der insgesamt 25 Dienstjahre aufweist, diese aber nicht beim selben österreichischen Arbeitgeber absolviert hat, ein Jahresurlaub nur im Ausmaß von fünf Wochen gebührt, während einem Arbeitnehmer, der 25 Dienstjahre beim selben österreichischen Arbeitgeber erbracht hat, ein Anspruch auf sechs Wochen Urlaub pro Jahr zusteht.

B. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

Text

Begründung:

I. Verfahrensgegenstand

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art 45 AEUV und Art 7 Abs 1 der Verordnung 492/2011/EU über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Der Rechtsstreit betrifft die Frage der Anrechnung von Vordienstzeiten, die nicht beim selben Arbeitgeber, sondern bei unterschiedlichen („anderen“) Arbeitgebern zurückgelegt werden, für die Bemessung des Urlaubsausmaßes. Nach den zugrunde liegenden nationalen Rechtsvorschriften beträgt der Urlaubsanspruch nach 25 Dienstjahren sechs Wochen, wenn die Dienstzeit beim selben Arbeitgeber absolviert wurde. Hat der Dienstnehmer bei verschiedenen (in- oder ausländischen) Arbeitgebern gearbeitet, so folgt eine Anrechnung nur im Höchstausmaß von insgesamt fünf Jahren. Es stellt sich somit die Frage, ob die unterschiedliche Regelung für Dienstzeiten beim selben Arbeitgeber einerseits und bei verschiedenen Arbeitgebern andererseits eine mittelbare Diskriminierung nach Art 45 AEUV iVm Art 7 Abs 1 der Verordnung 492/2011/EU oder eine Beschränkung nach Art 45 AEUV darstellt. Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, stellt sich zudem die Frage nach der Rechtfertigung.

II. Anwendungsbereich des Unionsrechts

Beim beklagten Arbeitgeber sind zumindest drei Arbeitnehmer beschäftigt, die Vordienstzeiten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (im EUAusland) erworben haben und hinsichtlich derer sich die Frage nach der Anrechnung dieser Vordienstzeiten für das Urlaubsausmaß stellt. Unter Anrechnung der gesamten Vordienstzeiten weisen diese Arbeitnehmer insgesamt zumindest 25 (Dienst-)Jahre an unselbständigen Beschäftigungszeiten auf, weshalb sie im Fall der vollen Anrechnung der Vordienstzeiten in den Genuss der sechsten Urlaubswoche gelangen würden.

Die Ermittlung des Urlaubsausmaßes stellt eine Arbeitsbedingung dar und fällt damit auch in den sachlichen Geltungsbereich der angeführten Rechtsgrundlagen. Der Anwendungsbereich des (auch primären) Unionsrechts ist damit eröffnet.

III. Berechtigung zur Vorlage

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs kann mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts nicht mehr angefochten werden (Art 267 AEUV). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hat in einem Verfahren nach Art 267 AEUV nur das befasste nationale Gericht sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden, das Unionsrecht betreffenden Fragen zu beurteilen. Aus Sicht des Obersten Gerichtshofs liegt zur Vorlagefrage kein Acte clair vor, weshalb die Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union geboten ist.

IV. Unionsrechtliche Grundlagen

Art 45 AEUV lautet:

(1) Innerhalb der Union ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

(3) Sie gibt – vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen – den Arbeitnehmern das Recht,

c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staats geltenden Rechts-

...“

Art 7 der Verordnung 492/2011/EU über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union lautet:

(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos

...

Art 7 der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung lautet:

(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

...

V. Innerstaatliche Rechtsvorschriften

Das österreichische Urlaubsgesetz (UrlG), BGBl Nr 1976/390 in der Fassung BGBl I Nr 2013/3, lautet auszugsweise wie folgt:

§ 2

(1) Dem Arbeitnehmer gebührt für jedes Arbeitsjahr ein ununterbrochener bezahlter Urlaub. Das Urlaubsausmaß beträgt bei einer Dienstzeit von weniger als 25 Jahren 30 Werktage und erhöht sich nach Vollendung des 25. Jahres auf 36 Werktage.

§ 3

(1) Für die Bemessung des Urlaubsausmaßes sind Dienstzeiten bei demselben Arbeitgeber, die keine längeren Unterbrechungen als jeweils drei Monate aufweisen, zusammenzurechnen.

(2) Für die Bemessung des Urlaubsausmaßes sind anzurechnen:

1. Die in einem anderen Arbeitsverhältnis … im Inland zugebrachte Dienstzeit, sofern sie mindestens je sechs Monate gedauert hat;

(3) Zeiten nach Abs 2 Z 1 … sind insgesamt nur bis zum Höchstausmaß von fünf Jahren anzurechnen. …

...

VI. Sachverhalt und bisheriges Verfahren

Bei der zugrunde liegenden Klage handelt es sich um eine besondere Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG, die der Betriebsrat eines bestimmten Unternehmens erheben kann. Dieser besonderen Feststellungsklage liegt der Gedanke des kollektiven Klagerechts zugrunde. Er beruht auf der Überlegung, dass es den parteifähigen Organen der Arbeitnehmerschaft in Bezug auf arbeitsrechtliche Streitigkeiten möglich sein soll, Verfahren selbst zu führen, die im Interesse einzelner oder mehrerer Arbeitgeber oder Arbeitnehmer gelegen sind. Mit einer solchen Feststellungsklage kann zwischen dem Arbeitgeber und den zuständigen Organen der Arbeitnehmerschaft das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen geltend gemacht werden. Ein solches Verfahren kann nur individualrechtliche Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 ASGG aus dem Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Gegenstand haben. Es handelt sich um ein streitiges Feststellungsverfahren, für das der gerichtliche Instanzenzug zur Verfügung steht. Voraussetzung für die besondere Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG ist, dass von den dem Verfahren zugrunde liegenden Rechten oder Rechtsverhältnissen mindestens drei Arbeitnehmer betroffen sein müssen. Diese Voraussetzungen sind im Anlassfall gegeben.

Der klagende Betriebsrat erhob folgendes Begehren:

Es werde festgestellt, dass sämtliche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, welche unter Zusammenrechnung von Vordienstzeiten aus anderen EU-Mitgliedstaaten von über fünf Jahren insgesamt 25 Jahre an unselbständigen Beschäftigungszeiten aufweisen, einen Anspruch auf die sechste Urlaubswoche nach § 2 Abs 1 UrlG haben.

Dazu wurde vorgebracht, dass die Beschränkung der Anrechnung von Vordienstzeiten aus anderen EU-Staaten auf fünf Jahre mit dem Unionsrecht nicht vereinbar sei. Durch die angegriffene Bestimmung würden Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt. Die Belohnung nach dem Urlaubsgesetz erfolge deshalb, damit von der Freizügigkeit nicht Gebrauch gemacht werde.

Die beklagte Partei entgegnete, dass weder eine unionsrechtliche Diskriminierung noch eine Beschränkung vorliege. Im gegebenen Zusammenhang gehe es nicht um die Berücksichtigung der einschlägigen Berufserfahrung für die Entlohnungsstufen, weshalb die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht einschlägig sei. Gäbe es die zeitliche Schranke im Urlaubsgesetz nicht, so würde ein Arbeitnehmer, der entweder laufend oder nach 24 Dienstjahren den Arbeitsplatz wechsle, nach insgesamt 25 Jahren Anspruch auf die sechste Urlaubswoche haben. Damit müsse ein einziger Arbeitgeber die gesamte Last für die zusätzliche Urlaubswoche tragen, was einer gerechten Lastenverteilung widerspreche.

Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren ab. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu C-514/12, SALK, sei für den Anlassfall nicht einschlägig. Im Urlaubsgesetz würden nämlich nicht diejenigen Arbeitnehmer begünstigt, die für eine bestimmte Gebietskörperschaft arbeiten. Da alle Vordienstzeiten bei (anderen) in- und ausländischen Arbeitgebern gleich behandelt würden, liege keine Diskriminierung vor. Es müsse den Mitgliedstaaten freistehen, Begünstigungen für langjährige Mitarbeiter in einem Unternehmen vorzusehen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei es nicht ausgeschlossen, dass sich ein Arbeitnehmer durch den Verlust der sechsten Urlaubswoche davon abhalten lasse, von seiner Freizügigkeit Gebrauch zu machen. Eine derartige Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit sei allerdings gerechtfertigt. Das Schutzziel der Bindung der Arbeitnehmer an ihren Arbeitgeber sei als Rechtfertigungsgrund nicht ausgeschlossen. Bei der Bemessung des Urlaubsausmaßes werde die Treue des Arbeitnehmers gegenüber einem bestimmten Arbeitgeber honoriert. Da nur die Treue zu einem einzelnen Arbeitgeber mit der sechsten Urlaubswoche belohnt werde, sei die Beschränkung der Anrechnung der Vordienstzeiten nach § 3 Abs 2 Z 1 UrlG gerechtfertigt. Die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil die Frage, ob die Fünfjahresgrenze des § 3 UrlG mit dem Unionsrecht vereinbar sei, bisher nicht geklärt sei.

Gegen diese Entscheidung erhob der klagende Betriebsrat Revision an den Obersten Gerichtshof, mit der er beantragt, dem Klagebegehren stattzugeben. Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragte die beklagte Partei, der Revision der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

VII. Begründung der Vorlagefragen

1. Diskriminierung

1.1 Dazu stellt sich folgende Zwischenfrage:

Ist für die Bejahung einer mittelbaren Ungleichbehandlung die gesicherte Annahme erforderlich, dass inländische Arbeitnehmer weniger häufig den Arbeitsplatz wechseln als Wanderarbeitnehmer?

1.2 Art 45 Abs 2 AEUV verbietet jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Art 7 Abs 1 der Verordnung 492/2011/EU stellt eine besondere Ausprägung dieses Diskriminierungsverbots dar. Der Grundsatz der Gleichbehandlung nach diesen beiden inhaltsgleichen Rechtsgrundlagen verbietet nicht nur eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verschleierten Formen der Diskriminierung (mittelbare Diskriminierung), die durch die Anwendung anderer Unterscheidungskriterien de facto zum gleichen Ergebnis führen (C-514/12, SALK, Rn 23 und 25).

1.3 Nach dem Wortlaut des § 3 Abs 2 Z 1 UrlG werden Vordienstzeiten bei einem „anderen“ Arbeitgeber nur dann berücksichtigt, wenn sie im Inland zugebracht wurden. Nach unzweifelhafter Ansicht des Obersten Gerichtshofs (vgl dazu auch 8 ObA 10/09t) und einhelliger Literaturmeinung (Reissner in Zeller Kommentar2§ 3 UrlG Rz 14; Cerny, Urlaubsrecht10§ 3 Erl 11; Gerhartl, Urlaubsrecht § 3 UrlG Rz 13) sind Vordienstzeiten bei anderen inländischen und ausländischen Arbeitgebern gleich zu behandeln und daher auch ausländische Vordienstzeiten im Ausmaß von insgesamt höchstens fünf Jahren anzurechnen. Damit liegt – aufgrund der den Wortlaut korrigierenden Rechtsprechung – keine unmittelbare Ungleichbehandlung vor, auch wenn der Gesetzgeber nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art 4 Abs 3 EUV verpflichtet wäre, unionsrechtswidrige Bestimmungen im Anwendungsbereich des Unionsrechts aus dem Normenbestand zu entfernen.

1.4 Eine in Bezug auf die Staatsangehörigkeit neutral formulierte Vorschrift stellt nach ihren Auswirkungen eine mittelbare Ungleichbehandlung dar, wenn sie sich ihrem Wesen nach stärker auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt, also die Gruppe der Wanderarbeitnehmer in besonderer Weise betrifft und daher die Gefahr besteht, dass Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt werden. Eine solche Vorschrift ist unionsrechtlich nur dann zulässig, wenn sie durch ein legitimes Schutzziel objektiv gerechtfertigt ist.

Auf den ersten Blick scheint durch die Begrenzung der Anrechnung von Vordienstzeiten bei „anderen“ (in- und ausländischen) Arbeitnehmern eine mittelbare Ungleichbehandlung nicht ausgeschlossen zu sein, weil die Mehrzahl der Wanderarbeitnehmer zunächst bei einem ausländischen Arbeitgeber die Berufslaufbahn beginnen wird. Dies legt den Schluss nahe, dass von der die Anrechnung der „anderen“ Vordienstzeiten beschränkenden Vorschrift in erster Linie Ausländer betroffen sind, weil sie eher als Inländer Dienstzeiten bei einem anderen Arbeitgeber aufweisen und bei ihnen die Anrechnungsbeschränkung daher häufiger zur Anwendung gelangt. Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs würde die Bejahung einer mittelbaren Ungleichbehandlung allerdings die Annahme voraussetzen, dass inländische Arbeitnehmer signifikant häufiger beim selben Arbeitgeber bleiben und daher weniger häufig als Wanderarbeitnehmer von der Anrechnungsbeschränkung nach § 3 Abs 2 Z 1 iVm Abs 3 UrlG betroffen sind. Nur in diesem Fall wäre die Gruppe der Wanderarbeitnehmer von der Anrechnungsbeschränkung in besonderer Weise betroffen und benachteiligt. Eine gerichtsnotorische Tatsache, dass Inländer in einer relevanten Anzahl von Fällen ihren Arbeitsplatz über 25 Jahre hindurch nicht wechseln und daher eher als EU-Ausländer in den Genuss der sechsten Urlaubswoche gelangen, besteht nicht. Vielmehr wechseln auch inländische Arbeitnehmer häufig ihren Arbeitsplatz.

2. Beschränkung

2.1 Dazu stellen sich folgende Zwischenfragen:

Ist die in Rede stehende Beschränkung der Anrechnung von Vordienstzeiten bei 'anderen' Arbeitgebern sowohl geeignet als auch ausreichend aktuell, um einen ausländischen Arbeitnehmer daran zu hindern oder davon abzuhalten, den Arbeitsplatz nach Österreich zu verlegen?

Ist die fragliche Regelung ausreichend aktuell und in ihren Auswirkungen ausreichend gewiss, um einen inländischen Arbeitnehmer daran zu hindern oder davon abzuhalten, den Arbeitsplatz von Österreich ins Ausland zu verlegen, wenn er beabsichtigt, später wieder nach Österreich zurückzukehren und in Österreich zu arbeiten?

2.2 Neben dem Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält Art 45 AEUV – so wie jede Grund- bzw Verkehrsfreiheit – auch ein allgemeines Beschränkungsverbot. Danach sind nationale Regelungen verboten, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beeinträchtigen. Verboten ist jede Maßnahme, die geeignet ist, den Zugang zum Arbeitsmarkt in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Auf das Element der Spürbarkeit kommt es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht mehr an. So wurde in der Entscheidung C-514/12, SALK, Rn 34 ausgeführt: „Die Artikel des Vertrags über den freien Warenverkehr, die Freizügigkeit sowie den freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr stellen grundlegende Bestimmungen für die Union dar, und jede Beeinträchtigung dieser Freiheit, mag sie auch unbedeutend sein, ist verboten.“ In der Entscheidung C-315/13, De Clercq, Rn 61, bekräftigte der Gerichtshof diesen Rechtssatz wie folgt: „Nach dem AEUV ist jedenfalls auch eine geringfügige oder wenig bedeutende Beschränkung einer Grundfreiheit grundsätzlich untersagt.

2.3 Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs ist jedoch fraglich, ob im Anlassfall der Beschränkungstatbestand erfüllt ist. Dazu wäre vorausgesetzt, dass ein Wanderarbeitnehmer deshalb von einem Arbeitsplatzwechsel nach Österreich absieht, weil seine bisherige ausländische Dienstzeit nicht zur Gänze auf das Urlaubsausmaß angerechnet wird. Dies scheint schon deshalb ausgeschlossen, weil der jährliche Urlaubsanspruch in Österreich auch ohne derartige gänzliche Anrechnung der Vordienstzeiten in jedem Fall fünf Wochen pro Jahr beträgt und daher über dem in der Richtlinie 2003/88/EG normierten europäischen Mindesturlaub liegt.

Davon abgesehen liegt das Ereignis, das die zusätzliche sechste Urlaubswoche entstehen lässt, nämlich die Vollendung von 25 Dienstjahren, in der Regel noch in weiter Ferne, sodass nur ein nicht aktuelles, zukünftiges Ereignis vorliegt, das die aktuelle Berufsentscheidung in aller Regel nicht beeinflussen kann. Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs denkt ein Arbeitnehmer bei seiner Entscheidung, den Arbeitsplatz nach Österreich zu verlegen, nicht an das Urlaubsausmaß nach 25 Dienstjahren, weshalb ihn die Vorschrift nicht daran zu hindern oder davon abzuhalten vermag, den Arbeitsplatzwechsel zu vollziehen. Die in Rede stehende Regelung über die Beschränkung der Anrechnung von Vordienstzeiten wirkt daher zu indirekt, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten beeinträchtigen zu können (vgl C-190/98, Graf, Rn 24). Anders als in der Rechtssache C-514/12, SALK, Rn 33, geht es hier nicht um die Beurteilung des diskriminierenden Charakters einer nationalen Vorschrift, sondern um die Frage, ob eine Beschränkung vorliegt.

2.4 Vom Beschränkungsverbot sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch Heimkehrer erfasst. Dies betrifft nationale Bestimmungen, die einen Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, daran hindern oder davon abhalten, seinen Herkunftsstaat zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen (C-514/12, SALK, Rn 30). Das Beschränkungsverbot gilt demnach auch für einen späteren potenziellen Heimkehrer, der sich aktuell dafür entscheidet, seinen Arbeitsplatz in Österreich aufzugeben und ins EU-Ausland zu wechseln, aber nicht ausschließt, später einmal wieder nach Österreich zurückzukehren. Wenn er später seine Arbeit beim ursprünglichen österreichischen Arbeitgeber fortsetzt, würde er unter die Beschränkung der Anrechnung der Vordienstzeiten fallen. Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs ist eine solche Auswirkung für einen potenziellen Heimkehrer allerdings nicht nur nicht aktuell, sondern auch ungewiss. Bei einem Arbeitsplatzwechsel ins Ausland kann in den seltensten Fällen vorhergesehen werden, ob eine Rückkehr in den Ausgangsstaat auch tatsächlich erfolgt. Noch fraglicher bleibt, ob es dem Arbeitnehmer gelingt, bei seinem früheren Arbeitgeber wieder einen Arbeitsplatz zu erlangen. In diesem Zusammenhang wirkt die in Rede stehende Regel daher ebenfalls zu indirekt, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die als Arbeitnehmer Österreich verlassen und später wieder zurückkehren wollen, beeinträchtigen zu können.

2.5 Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs mangelt es im Anlassfall damit schon an der Tatbestandsmäßigkeit einer mittelbaren Ungleichbehandlung sowie einer Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit.

3. Rechtfertigung

3.1 Dazu stellt sich folgende Zwischenfrage:

Ist die volle Anrechnung der Vordienstzeiten nur beim selben Arbeitgeber (für die Bemessung des Urlaubsausmaßes) geeignet und angemessen, um das beschäftigungspolitische Schutzziel der Belohnung der Betriebstreue der Arbeitnehmer zu einem bestimmten einzelnen Arbeitgeber zu verwirklichen?

3.2 Selbst bei Bejahung einer mittelbaren Ungleichbehandlung und/oder einer Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit wäre die zu beurteilende nationale Maßnahme (hier Beschränkung der Anrechnung der Vordienstzeiten bei „anderen“ Arbeitgebern) zulässig, wenn sie objektiv gerechtfertigt ist. Dafür ist vorausgesetzt, dass die Maßnahme ein legitimes Ziel bzw ein zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses verfolgt, sowie dass die Maßnahme zur Verwirklichung dieses Schutzziels geeignet ist und in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Ziel steht (C-514/12, SALK, Rn 26 und 36). An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs den Mitgliedstaaten sowie den Sozialpartnern auf nationaler Ebene bei der Festlegung sozial- und beschäftigungspolitischer Schutzziele sowie der für ihre Erreichung geeigneten Maßnahmen ein weiter Ermessensspielraum zusteht (C-297/10, Hennigs, Rn 65; C-141/11, Hörnfeldt, Rn 32; 8 ObA 20/12t; 8 ObA 76/12b).

3.3 In dieser Hinsicht vertritt der Oberste Gerichtshof die Auffassung, dass die volle Anrechnung der Vordienstzeiten für die Bemessung des Urlaubsausmaßes nur hinsichtlich jener Dienstzeiten, die bei ein und demselben Arbeitgeber erbracht wurden, eine Belohnung für die Betriebstreue und damit eine Treueprämie darstellt, mit der ausschließlich die Arbeitnehmer belohnt werden sollen, die ihre langjährige Laufbahn beim selben Arbeitgeber absolvieren. Dazu hat der Europäische Gerichtshof bereits anerkannt, dass das beschäftigungspolitische Ziel der Bindung an den Arbeitgeber ein legitimes Schutzziel bzw ein zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses darstellt (C-224/01, Köbler, Rn 83; C-178/04, Marhold, Rn 34).

In den Genuss der vollständigen Berücksichtigung der Vordienstzeiten für die Bemessung des Urlaubsausmaßes kommen ausschließlich Arbeitnehmer, die für ein und denselben Arbeitgeber gearbeitet haben. Die in Rede stehende Anrechnungsregelung ist demnach geeignet, die Treue eines Dienstnehmers gegenüber einem bestimmten Arbeitgeber zu honorieren. Mit Rücksicht auf den weiten beschäftigungspolitischen Gestaltungsspielraum erscheint die in Rede stehende Anrechnungsregelung aus Sicht des Obersten Gerichtshofs auch als angemessen.

3.4 Abschließend weist der Oberste Gerichtshof darauf hin, dass eine Anrechnung aller Vordienstzeiten bei sämtlichen Arbeitgebern für die Bemessung des Urlaubsausmaßes dem besonders gewichtigen beschäftigungspolitischen Ziel, wonach älteren Arbeitnehmern die Eingliederung in den Arbeitsprozess ermöglicht werden soll, entgegenstehen würde. Ist ein potenzieller Arbeitgeber der Situation ausgesetzt, sich zwischen einem älteren Arbeitnehmer mit einem erhöhten Urlaubsanspruch einerseits und einem jüngeren Arbeitnehmer ohne derartigen Anspruch zu entscheiden, so liegt es nahe, dass sich die Urlaubsfrage in der Regel zum Nachteil des älteren Arbeitnehmers auswirkt. Für ältere Arbeitnehmer könnte es aufgrund der zusätzlichen Belastung für den betroffenen Arbeitgeber damit noch schwieriger sein, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

4. Aussetzung des Verfahrens

Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00033.17M.0629.000
Schlagworte:
1 Generalabonnement,11 Arbeitsrechtssachen,23 Entscheidungen zum Europarecht

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