OGH vom 14.06.2004, 16Ok5/04

OGH vom 14.06.2004, 16Ok5/04

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Birgit Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Manfred Vogel und Dr. Wolfgang Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Fidelis Bauer und Dr. Erich Haas als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin I***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Schuppich, Sporn und Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wider die Antragsgegnerin N***** G*****, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Abstellung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, einstweiliger Verfügung und Verbot einer Vergeltungsmaßnahme , über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Kartellgericht vom , GZ 25 Kt 355, 356, 447/03-23, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Urkundenvorlage der Antragstellerin vom , der Hinweis der Antragsgegnerin zur Rekursbeantwortung vom und die Stellungnahme der Antragsgegnerin vom werden zurückgewiesen.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin ist Rechtsträgerin eines selbständigen Ambulatoriums für physikalische Medizin in T*****.

Die Antragsgegnerin ist die für N***** zuständige Gebietskrankenkasse.

Die Antragsgegnerin schloss im eigenen Namen und im Namen von drei Gebietskrankenkassen, von drei Betriebskrankenkassen und der V***** am einen Vertrag über die physiotherapeutische Behandlung an Versicherten auf Rechnung des Versicherungsträgers. Etwa 75 % aller von der Antragstellerin behandelten Patienten sind von diesem Vertragsverhältnis erfasst. Über 50 % aller anfallenden Behandlungen sind der Antragsgegnerin zuzurechnen. Der Vertrag verpflichtet die antragstellende Krankenanstalt, alle durch einen Vertragsarzt oder eine eigene Einrichtung des Versicherungsträgers zur einschlägigen Behandlung zugewiesenen Patienten in den Behandlungsräumen fachgerecht und ausreichend zu therapieren. Eine Ablehnung der Vertragsbehandlung zugunsten einer privaten Behandlung ist nicht zulässig. Die Behandlung muss ausreichend und zweckmäßig sein und darf das Maß des Notwendigen nicht übersteigen. Der Vertrag regelt die Honorierung der von der Krankenanstalt erbrachten physiotherapeutischen Behandlung, sieht hiefür Honorarsätze und weiters vor, dass er von jedem Vertragspartner unter Einhalt einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres ohne Angabe von Gründen mittels eingeschriebenen Briefes gekündigt werden kann.

Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom mit, dass der Verwaltungsausschuss der Kasse eine Neuregelung der Tarife für physiotherapeutische Behandlungen für das Jahr 2003 beschlossen habe, auf Grund dessen die Anzahl der Leistungen in diesem Jahr, unter Zugrundelegung der Einwohnerzahl des Einzugsgebietes und der zur Verfügung stehenden sonstigen Behandlungseinrichtungen und Therapeuten, auf maximal 115.000 festgelegt wird. Die vorgesehene Deckelung steht mit der an die Krankenkasse gerichteten Forderung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger im Zusammenhang, eine einnahmenorientierte Ausgabenpolitik zu betreiben. Die einnahmenorientierte Ausgabenpolitik ist Ausdruck der zwischen dem Hauptverband und den Krankenversicherungsträgern abgeschlossenen Zielvereinbarung mittels des Zielsteuerungssystems "Balanced Scorecard". Darüber hinaus wurde die Antragsgegnerin im Zuge der Hauptverbandsreform und angesichts der prekären Finanzlage des österreichischen Sozialversicherungssystems dazu verpflichtet, die auf Grund ihrer sparsamen Verwaltungsführung erwirtschafteten Rücklagen großteils dem Hauptverband zur Verfügung zu stellen, der damit eine Verlustabdeckung für die Defizite der weniger sparsam wirtschaftenden Krankenkassen vornimmt.

Die von der Antragsgegnerin der Antragstellerin zur Unterzeichnung übermittelte Zusatzvereinbarung enthält nicht nur die genannte Begrenzung der Anzahl der Leistungen (115.000), sondern auch eine Festlegung des durchschnittlichen Behandlungswerts für das Jahr 2003 mit maximal 5,72 EUR (nach 5,62 EUR für das Jahr 2002) und eine rückwirkend ab vorzunehmende Anhebung der Tarife um linear 1,8 %.

Nachdem sich die Antragstellerin geweigert hatte, die Zusatzvereinbarung abzuschließen, kündigte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom den Vertrag zum . Außer der Antragstellerin unterzeichneten alle physiotherapeutischen Einrichtungen in N***** den Zusatzvertrag vom Juli 2003 mit der darin enthaltenen Deckelungsregelung.

Gestützt auf § 35 KartG begehrt die Antragstellerin , der Antragsgegnerin den Auftrag zu erteilen,

- die Kündigung unverzüglich zurückzunehmen,

- es zu unterlassen, von der Antragstellerin den Abschluss einer Zusatzvereinbarung - mit einem näher beschriebenen Inhalt - unmittelbar oder mittelbar zu erzwingen,

und gestützt auf § 36 KartG, der Antragsgegnerin den Auftrag zu erteilen, die Kündigung als verbotene Vergeltungsmaßnahme unverzüglich zurückzunehmen und eine neuerliche Kündigung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens in der Hauptsache zu unterlassen. Dazu stellte sie Eventualanträge und Sicherungsanträge. Sie legte im Einzelnen dar, worin der Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin gelegen sei. Zur Unternehmereigenschaft der Antragsgegnerin führte sie aus, die Antragsgegnerin stelle sich selbst als "modernes Dienstleistungsunternehmen" dar und spreche in der Werbung für die von ihr betriebenen Physikoambulatorien ihre Kunden an. Im Hinblick auf die Möglichkeit der freiwilligen Selbstversicherung nach § 16 ASVG oder der Möglichkeit des "opting out" für bestimmte Berufsgruppen stünden die Sozialversicherungsträger in einem Wettbewerbsverhältnis entweder zueinander oder aber jedenfalls zu den privaten Krankenversicherungen.

Die Antragsgegnerin beantragte die Zurückweisung bzw die Abweisung der Anträge. Sie sei nicht Unternehmer im Sinn des Kartellgesetzes und habe sich nicht missbräuchlich verhalten und begründete ihre Standpunkte im Detail.

Das Erstgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss die Anträge der Antragstellerin ab. Es traf über die eingangs wiedergegebenen weitere Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus: Die Antragsgegnerin sei Unternehmer im Sinne des Kartellgesetzes, weil die Beziehungen der Träger der Sozialversicherung zu Inhabern von Ordinationen und Ambulatorien durch privatrechtliche Verträge geregelt und Körperschaften öffentlichen Rechts insoweit als Unternehmen behandelt würden, wie sie sich unternehmensähnlich am wirtschaftlichen Verkehr beteiligten. Wenn auch die Antragsgegnerin nicht unmittelbar Leistungen der Antragstellerin in Anspruch nehme, so wirke sie doch mit dem Abschluss von Verträgen mit den Leistungserbringern massiv marktbeeinflussend, weil sie mit dem Vertragsabschluss eine wesentliche Grundlage für die individuelle Nachfrage der Versicherten schaffe. Da sich die Antragstellerin weigere, wie die anderen Institute in N***** das Vertragsverhältnis zu den nicht als unangemessen erkennbaren Bedingungen fortzusetzen, sei die dem Vertrag entsprechende Kündigung auch unter den Gesichtspunkten des § 35 KartG gerechtfertigt.

Gegen die Abweisung der Haupt- und Eventualanträge auf Abstellung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Antragsgegnerin, nicht aber gegen die Abweisung der Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung und des Verbots einer Vergeltungsmaßnahme richtet sich der Rekurs der Antragstellerin , der die Abänderung der angefochtenen Entscheidung - soweit bekämpft - in antragstattgebendem Sinn anstrebt.

Die Antragsgegnerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, die von der Antragstellerin gestellten Anträge zurück- bzw abzuweisen.

Keine der Amtsparteien hat sich am Rekursverfahren beteiligt.

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Antragsgegnerin vertritt in ihrer Rekursbeantwortung - insbesondere gestützt auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom , verb Rs C-159/91 u C-160/91, Poucet und Pistre, Slg 1993, I-637, - weiter den Standpunkt, sie sei - entgegen der in der Entscheidung des Kartellobergerichts vom , 16 Ok 12/03 vertretenen Auffassung - nicht Unternehmer im Sinne des Kartellgesetzes.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Adressaten der kartellgesetzlichen Missbrauchsbestimmungen sind allein (marktbeherrschende) Unternehmer (§§ 34, 35 Abs 1 KartG).

Der Begriff des Unternehmers ist im Kartellgesetz nicht definiert. Unter Zugrundelegung eines funktionalen Unternehmensbegriffs, wie er nach der Rechtsprechung des EuGH auch im Rahmen der Art 81, 82 EG gilt, kam der erkennende Senat in seinem Beschluss 16 Ok 12/03 zu dem Ergebnis, dass Gebietskrankenkassen bei ihrer privatwirtschaftlichen Tätigkeit im Rahmen des Sachleistungssystems als Nachfrager von ärztlichen Leistungen, Heilmitteln und Heilbehelfen - wie sie im dortigen Fall zu beurteilen waren - als Unternehmer im Sinne des Kartellgesetzes einzustufen sind. Dieser Beurteilung stehe nicht entgegen, dass die Krankenkassen Körperschaften öffentlichen Rechts sind und mit dieser Tätigkeit ihre öffentlichrechtliche Versorgungsaufgabe gegenüber ihren Versicherten erfüllen. Die Entscheidung darüber, ob bzw zu welchen Bedingungen Verträge mit Leistungserbringern geschlossen werden, sei auch unmittelbar "marktrelevant": Die Versicherten werden wegen der für sie günstigeren Bedingungen eher einen Arzt aufsuchen, der einen Kassenvertrag hat, als einen Wahlarzt, und sie werden eher ein Heilmittel wählen, das von der Krankenkasse bezahlt wird. In dieser Entscheidung verwies der Senat ferner auf den Umstand, dass der EuGH die Frage, inwieweit Sozialversicherungsträger als "Unternehmen" anzusehen sind, die auf Grund des Sachleistungsprinzips den Versicherten Zugang zu Leistungen Privater eröffnen, noch nicht geklärt hat.

Im Lichte des , C-306/01, C-354/01 und C-355/01, bedarf diese Rechtsauffassung im Hinblick darauf, dass auch dem Kartellgesetz ein funktionaler Unternehmensbegriff zugrunde liegt, einer neuerlichen Prüfung.

Der EuGH urteilte in dieser Entscheidung über vier Vorabentscheidungsersuchen auf Vorlage des Oberlandesgerichts Düsseldorf und des Bundesgerichtshofs. Die erste Frage betraf dabei die Unternehmereigenschaft deutscher Krankenkassen und Kassenverbände, wenn sie Festbeträge festsetzen, bis zu deren Erreichen die Krankenkassen die Kosten von Arzneimittel übernehmen (§ 35 SGB V, vgl Rn 12 bis 18 des Urteils). Der Gerichtshof entschied - entgegen dem Schlussantrag des Generalanwalts -, dass die deutschen Krankenkassen und Zusammenschlüsse von Krankenkassen im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit keine Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen im Sinn des Art 81 EG sind. Er erinnerte unter Hinweis auf seine Rechtsprechung daran, dass der Begriff des Unternehmens im Rahmen der Wettbewerbsvorschriften des EG-Vertrags jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung umfasst (Rn 46). Weiter führte er aus (Rn 47 bis 63):

"47 Im Bereich der sozialen Sicherheit hat der Gerichtshof entschieden, dass bestimmte Einrichtungen, die mit der Verwaltung gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherungssysteme betraut sind, einen rein sozialen Zweck verfolgen und keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Dies ist der Fall bei Krankenkassen, die nur die Gesetze anwenden und keine Möglichkeit haben, auf die Höhe der Beiträge, die Verwendung der Mittel und die Bestimmung des Leistungsumfangs Einfluss zu nehmen. Denn ihre auf dem Grundsatz der nationalen Solidarität beruhende Tätigkeit wird ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt, und die Leistungen werden von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der Beiträge erbracht (Urteil in der Rechtssache Poucet und Pistre, Rn 15 und 18).

48 Der Gerichtshof hat entschieden, dass eine Einrichtung, die kraft Gesetzes mit einem System der Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten betraut ist, wie ... (die italienische) Staatliche Unfallversicherungsanstalt, kein Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsvorschriften des EG-Vertrags ist, weil die Höhe der Leistungen und der Beiträge letztlich vom Staat festgelegt wird (Urteil v , Rs C-218/00, Cisal, Slg 2002, I-691, Rn 22).

49 Dagegen sind andere Einrichtungen, die gesetzliche Systeme der sozialen Sicherheit verwalten und nur einen Teil der in Randnummer 47 dieses Urteils genannten Merkmale aufweisen, nämlich fehlende Gewinnerzielungsabsicht, eine soziale Tätigkeit, die einer staatlichen Regelung unterliegt, die ua Solidaritätsanforderungen stellt, als Unternehmen angesehen worden (Urteile v , Rs C-244/94, Fèdèration française des sociétés d'assurance, Slg 1995, I-4013, Rn 22, und v , Rs C-67/96, Albany, Slg 1999, I-5751, Rn 84 bis 87).

50 Demgemäß hat der Gerichtshof in Randnummer 17 des Urteils Fèdèration française des sociètès d'assurance ua festgestellt, dass die fragliche Einrichtung, die ein System der Zusatzrentenversicherung verwaltete, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Wettbewerb mit den Lebensversicherungsunternehmen ausübte und dass die Betroffenen die für sie günstigste Finanzanlage wählen konnten. In den Randnummern 81 und 84 des Urteils Albany, das einen Zusatzrentenfonds betrifft, der auf einem Pflichtmitgliedschaftssystem beruhte und für die Festlegung der Beitragshöhe und des Leistungsumfangs einen Solidaritätsmechanismus anwendete, hat der Gerichtshof indessen hervorgehoben, dass der Fonds die Höhe der Beiträge und der Leistungen selbst bestimmte und nach dem Kapitalisierungsprinzip arbeitete. Der Gerichtshof ist daher zu dem Schluss gelangt, dass ein solcher Fonds eine wirtschaftliche Tätigkeit im Wettbewerb mit den Versicherungsunternehmen ausübt.

51 Es ist festzustellen, dass die Krankenkassen der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland wie die Einrichtungen, um die es in der Rechtssache Poucet und Pistre ging, an der Verwaltung des Systems der sozialen Sicherheit mitwirken. Sie nehmen insoweit eine rein soziale Aufgabe wahr, die auf dem Grundsatz der Solidarität beruht und ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird.

52 Besonders hervorzuheben ist, dass die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet sind, ihren Mitgliedern im Wesentlichen gleiche Pflichtleistungen anzubieten, die unabhängig von der Beitragshöhe sind. Die Krankenkassen haben somit keine Möglichkeit, auf diese Leistungen Einfluss zu nehmen.

53 Der Bundesgerichtshof weist hiezu in seinen Vorlagebeschlüssen daraufhin, dass die Krankenkassen zu einer Art Solidargemeinschaft zusammengeschlossen seien, die es ihnen ermögliche, untereinander einen Kosten- und Risikoausgleich vorzunehmen. So erfolge nach den §§ 265 ff SGB V ein Ausgleich zwischen den Krankenkassen mit den niedrigsten Gesundheitsausgaben und den Krankenkassen, die kostenträchtige Risiken versicherten und deren Ausgaben im Zusammenhang mit diesen Risiken am höchsten seien.

54 Die Krankenkassen konkurrieren somit weder miteinander noch mit den privaten Einrichtungen hinsichtlich der Erbringung der im Bereich der Behandlung oder Arzneimittel gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen, die ihre Hauptaufgabe darstellt. Aus diesen Merkmalen folgt, dass die Krankenkassen den Einrichtungen gleichen, um die es in den Rechtssachen Poucet und Pistre sowie Cisal ging, und dass ihre Tätigkeit nicht wirtschaftlicher Art ist.

56 Der Spielraum, über den die Krankenkassen verfügen, um ihre Beitragssätze festzulegen und einander einen gewissen Wettbewerb um Mitglieder zu liefern, zwingt nicht zu einer anderen Betrachtung. Wie sich nämlich aus den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen ergibt, hat der Gesetzgeber bei den Beiträgen ein Wettbewerbselement eingeführt, um die Krankenkassen zu veranlassen, im Interesse des ordnungsgemäßen Funktionierens des deutschen Systems der sozialen Sicherheit ihre Tätigkeit nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit auszuüben, dh, so effizient und kostengünstig wie möglich. Die Verfolgung dieses Ziels ändert nichts an der Natur der Tätigkeit der Krankenkassen.

57 Da die Tätigkeit von Einrichtungen wie den Krankenkassen nicht wirtschaftlicher Art ist, sind sie keine Unternehmen im Sinne der Artikel 81 EG und 82 EG.

58 Es lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass die Krankenkassen und die sie vertretenden Einheiten, dh die Kassenverbände, außerhalb ihrer Aufgaben rein sozialer Art im Rahmen der Verwaltung des deutschen Systems der sozialen Sicherheit Geschäftstätigkeiten ausüben, die keinen sozialen, sondern einen wirtschaftlichen Zweck haben. In diesem Fall wären die von ihnen zu treffenden Entscheidungen möglicherweise als Beschlüsse von Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen anzusehen.

59 Daher ist zu prüfen, ob die Festsetzung der Festbeträge durch die Kassenverbände zu den von den Krankenkassen wahrgenommenen Aufgaben rein sozialer Art gehört oder ob sie über diesen Rahmen hinausgeht und eine Tätigkeit wirtschaftlicher Art darstellt.

61 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Kassenverbände, wie sich aus den Akten ergibt, mit der Festsetzung der Festbeträge nur einer Pflicht nachkommen, die ihnen § 35 SGB V auferlegt, um den Fortbestand des deutschen Systems der sozialen Sicherheit sicherzustellen. So regelt diese Vorschrift ausführlich die Einzelheiten der Festsetzung dieser Beträge und bestimmt, dass die Kassenverbände gewisse Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebote beachten müssen. Das SGB V sieht auch vor, dass der zuständige Minister die Festbeträge festsetzt, wenn es den Kassenverbänden nicht gelingt, sie festzusetzen.

62 Nur die konkrete Höhe der Festbeträge wird nicht durch das Gesetz vorgegeben, sondern von den Kassenverbänden unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber festgelegten Kriterien entschieden. Außerdem verfügen die Kassenverbände dabei zwar über ein gewisses Ermessen, dieses bezieht sich jedoch auf den Höchstbetrag, bis zu dem die Krankenkassen die Kosten von Arzneimitteln übernehmen und der einen Bereich darstellt, in dem die Krankenkassen nicht miteinander konkurrieren.

63 Daraus ergibt sich, dass die Kassenverbände bei der Festsetzung dieser Festbeträge kein eigenes Interesse verfolgen, das sich vom rein sozialen Zweck trennen ließe. Vielmehr kommen die Kassenverbände mit dieser Festsetzung einer Pflicht nach, die vollständig zur Tätigkeit der Krankenkassen im Rahmen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung gehört."

Dieses Urteil bezieht sich auf marktrelevantes Verhalten von Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung im Verhältnis zu Leistungserbringern. Die zur Abgrenzung der sozialen von der wirtschaftlichen Tätigkeit gesetzlicher Krankenkassen in dieser Entscheidung angewandten Kriterien lassen sich so zusammenfassen (Mühlenbruch/Schmidt, ZESAR 2004, 171 ff):

1. Mitwirkung an der Verwaltung eines Systems der sozialen Sicherheit,

2. Verwirklichung des Grundsatzes der Solidarität,

3. keine Gewinnerzielungsabsicht,

4. gesetzlich bestimmte Beiträge und gesetzlich bestimmte im Wesentlichen gleiche Pflichtleistungen,

5. Unabhängigkeit der Leistungen von den Beiträgen.

Diese Kriterien treffen auf die Gebietskrankenkassen und die übrigen Träger der Krankenversicherung nach dem ASVG zu, wenn sie im Rahmen des Sachleistungssystems privatrechtliche Verträge mit Ärzten und anderen in Betracht kommenden Personen zur Erbringung von der Krankenbehandlung zuzuordnenden Leistungen an ihre Versicherten schließen (und auflösen):

Die Gebietskrankenkassen und die übrigen Träger der Krankenversicherung nach dem ASVG (§ 23 Abs 1 ASVG) sind als rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 32 Abs 1 ASVG) mit Selbstverwaltung organisiert und nicht auf die Erzielung von Gewinn gerichtet.

Ca 99 % der österreichischen Bevölkerung sind auf Grund einer Pflichtversicherung, einer freiwilligen Selbstversicherung oder einer Mitversicherung als Angehöriger in die soziale Krankenversicherung einbezogen und daher leistungsberechtigt (Mosler in Jabornegg/Resch/Seewald [Hrsg], Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung 47 f).

Die gesetzliche Krankenversicherung nach dem ASVG und ihre Verwaltung verfolgt einen sozialen Zweck, der in der Notwendigkeit der Krankheitsvorsorge liegt. Es besteht eine Pflichtversicherung abhängig Beschäftigter auf Grund des Gesetzes (§§ 4 bis 12 ASVG). Die Krankenversicherung besteht bei einem vom Gesetz bestimmten Versicherungsträger (für die Gebietskrankenkassen vgl §§ 26, 30 ASVG); ein Wahlrecht des Versicherten besteht grundsätzlich nicht (vgl Mosler aaO 48 ff auch zu den Ausnahmen). Den Trägern der Krankenversicherung (Krankenkassen) obliegt es, für die Krankenbehandlung der Versicherten und ihrer Familienangehörigen ausreichend Vorsorge zu treffen (§ 23 Abs 5 ASVG). Wie sich aus § 133 Abs 1 ASVG ergibt, umfasst der Krankenbehandlungsanspruch ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe. Die Krankenbehandlung muss ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 133 Abs 2 ASVG). Die Leistungen der Krankenbehandlung werden grundsätzlich als Sachleistungen erbracht. Das Sachleistungsprinzip bedeutet, dass die Krankenkassen ein Leistungssystem zu organisieren haben, das dem Versicherten die Inanspruchnahme medizinischer Hilfen ermöglicht, ohne mit Honorarforderungen der Leistungserbringer belastet zu werden. Das von den Krankenkassen bereitzustellende Sachleistungssystem setzt voraus, dass Behandlungsleistungen entweder vom Krankenversicherungsträger selbst oder von Dritten - auf Rechnung der Krankenkasse - erbracht werden (16 Ok 12/03 mwN).

Der Gesetzgeber des ASVG hat diese möglichen Alternativen eingeschränkt. Er verpflichtet die Krankenkassen, in erster Linie (§ 338 Abs 1 ASVG) privatrechtliche Verträge mit freiberuflich tätigen Ärzten, Gruppenpraxen sowie anderen befugten Berufsgruppen und anderen Vertragspartnern abzuschließen. Durch solche Verträge ist die ausreichende Versorgung der Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen mit den gesetzlich und satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen sicherzustellen. Eigene Einrichtungen der Versicherungsträger dürfen für die Versorgung mit diesen Leistungen nur nach Maßgabe der hiefür geltenden gesetzlichen Bestimmungen herangezogen werden (§ 338 Abs 2 ASVG). Dementsprechend bedarf die Errichtung, Erwerbung und Erweiterung von Ambulatorien durch Träger der Krankenversicherung des Einvernehmens mit der örtlich zuständigen Ärztekammer bzw - bei Nichteinigung - des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger und der Österreichischen Ärztekammer (§ 339 Abs 1 ASVG). Gemäß § 23 Abs 6 ASVG ist - im Zusammenhang mit der in dieser Gesetzesstelle geregelten Zulässigkeit der Errichtung, des Erwerbs und der Betreibung von Krankenanstalten, Heil- und Kuranstalten, Erholungs- und Genesungsheimen und sonstiger Einrichtungen der Krankenbehandlung durch Krankenversicherungsträger - die Neuerrichtung von Ambulatorien oder deren Erweiterung nur zulässig, wenn der Bedarf von der zur Genehmigung berufenen Behörde festgestellt ist. Auf Grund dieses nach dem Gesetz eng begrenzten Rahmens kann der Anspruch des Versicherten auf Krankenbehandlung (oder Anstaltspflege) durch Regiebetriebe der Krankenkassen nur zum Teil realisiert werden. Die kostenfreie Inanspruchnahme medizinischer Leistungen wird also in erster Linie durch Abschluss privatrechtlicher Verträge mit den in Betracht kommenden Leistungserbringern sichergestellt (Selb/Schrammel in Tomandl, SV-System 570 f).

Die ganz überwiegend gesetzlich festgelegten Versicherungsleistungen - insbesondere die der Krankenbehandlung (§§ 133 ff ASVG) - werden durch Beiträge finanziert, die von den Versicherten und - soweit es die Unselbständigen betrifft - auch von ihren Arbeitgebern in zur Gänze vom Gesetz zwingend bestimmter - hauptsächlich auf der Grundlage des Einkommens des Versicherten (§§ 44 ff ASVG) - Höhe entrichtet werden (§§ 51 ff ASVG). Die Leistungen der Krankenbehandlung sind hinsichtlich der zu den Pflichtleistungen gehörenden Behandlungskategorien im Wesentlichen identisch und weitgehend vom Gesetz vorgegeben (vgl Mosler aaO 49) und vom Einkommen des Versicherten unabhängig. Die Leistungen aus dem Versicherungsfall der Krankheit werden auch dann gewährt, wenn die Krankheit im Zeitpunkt des Beginns der Versicherung bereits bestanden hat; unter bestimmten Voraussetzungen besteht die Anspruchsberechtigung auch nach dem Ausscheiden aus der Versicherung (§ 122 ASVG).

Zusammengefasst lässt sich daher feststellen, dass die Gebietskrankenkassen, wenn sie zur Sicherstellung des gesetzlich vorgegebenen Sachleistungssystems mit den Leistungserbringern privatrechtliche Verträge abschließen (und auflösen), eine Tätigkeit ohne Gewinnerzielungsabsicht entfalten, mit der sie zur Verwaltung des gesetzlichen Krankenversicherungssystems nach dem ASVG betraut sind und die auf dem Grundsatz der Solidarität beruht , der durch die beschriebene Gestaltung der Finanzierung (risikounabhängige Beitragsbemessung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit) und die im Wesentlichen gesetzliche Bestimmung des Leistungsumfangs verwirklicht wird. Sie kommen damit einer gesetzlichen Pflicht nach, die vollständig zur Tätigkeit der Krankenkassen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Insoweit verfolgen sie nach den Kriterien des EuGH einen rein sozialen Zweck und üben keine wirtschaftliche Tätigkeit aus.

An dieser Beurteilung ändert auch die Möglichkeit der Selbstversicherung nach § 16 ASVG nichts, die einen Wettbewerb im Verhältnis zu privaten Krankenversicherern ermöglicht. Es handelt sich hier um einen wirtschaftlich fast unbedeutenden Markt und um eine Annexregelung zur Pflichtversicherung, wobei die günstigen Beiträge genauso mit dem Prinzip des sozialen Ausgleichs verbunden sind wie die Beitragsgestaltung bei der Pflichtversicherung; es wird keine Risikoauslese vorgenommen, der Beitrag ist auch nicht leistungsorientiert (Mosler aaO 58). Ähnliches gilt für die Ausnahme von der Pflichtversicherung für einzelne Berufsgruppen in der Krankenversicherung (§ 5 GSVG, "opting out"), womit der Gesetzgeber ein gewisses Wettbewerbselement einführte (Mosler aaO 58 f).

Da auch dem Kartellgesetz ein funktionaler Unternehmensbegriff zugrunde liegt, ist kein Grund ersichtlich, bei sonst gleichem Begriffsverständnis die vom EuGH zur Einstufung der Tätigkeit von Krankenkassen im Rahmen der Anwendung der Art 81, 82 EG entwickelten Abgrenzungskriterien nach der klärenden Entscheidung des Gerichtshofs zu negieren.

Ist demnach die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall nicht als Unternehmer zu qualifizieren, ist sie nicht Adressatin der §§ 34 ff KartG, sodass schon aus diesem Grund die auf § 35 KartG gestützten Anträge der Antragstellerin und damit der Rekurs nicht berechtigt sind. Auf die Ausführungen im Rekurs muss daher nicht eingegangen werden.

Da jede Partei nur das Recht hat, ein Rechtsmittel und eine Rechtsmittelbeantwortung (Gegenäußerung) zu erstatten, waren die weiteren im Rekursverfahren eingebrachten Schriftsätze der Parteien zurückzuweisen (vgl 16 Ok 3/03 mwN; allgemein RIS-Justiz RS0007007).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 45 Abs 2 KartG. Nach dieser Gesetzesstelle tritt eine Kostenersatzpflicht in Verfahren nach § 35 KartG nur soweit ein, als die Rechtsverfolgung oder -verteidigung mutwillig war. Eine mutwillige Rechtsverfolgung ist hier nicht zu erkennen.