OGH vom 24.11.2010, 9ObA139/09w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** M*****, vertreten durch Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei H***** S*****, vertreten durch Dr. Heinz-Dietmar Schimanko, Rechtsanwalt in Wien, wegen 3.244,22 EUR brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 89/09p-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 3 Cga 21/09t-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidungen zu lauten haben:
„Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 3.244,22 EUR brutto samt 11,70 % Zinsen seit zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 849,86 EUR (darin 140,98 EUR USt und 4 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit 779,29 EUR (darin 91,05 EUR USt und 233 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 679,52 EUR (darin 61,92 EUR USt und 308 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war vom bis beim Beklagten als Stubenfrau beschäftigt. Ab befand sie sich im durchgehenden Krankenstand. Der Beklagte kündigte ihr Arbeitsverhältnis zum auf.
Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage den Betrag von 3.244,22 EUR brutto sA an Entgeltfortzahlung (acht Wochen voll, vier Wochen halb) für die Zeit vom bis und anteiliger Sonderzahlung. Mit habe ein neues Arbeitsjahr begonnen, in das der am begonnene Krankenstand hineinreiche. Die Kündigung durch den Arbeitgeber habe wegen des fortdauernden Krankenstands das Entstehen eines neuen Entgeltfortzahlungsanspruchs im neuen Arbeitsjahr ab nicht verhindern können.
Der Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte dessen Abweisung und wendete ein, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin bereits vor Beginn eines neuen Arbeitsjahres infolge Kündigung beendet worden sei. § 5 EFZG begründe keinen Entgeltfortzahlungsanspruch ad infinitum, insbesondere nicht für Entgeltfortzahlungszeiträume, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses beginnen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass § 5 EFZG nach der Rechtsprechung so auszulegen sei, dass bei fortdauerndem Krankenstand unabhängig von der Arbeitgeberkündigung ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch in einem neuen Arbeitsjahr entstehe.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es berief sich dabei insbesondere auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 9 ObA 115/05k. Wenn nach dieser Entscheidung die Lage des Beginns des neues Arbeitsjahres erst nach Ende des Arbeitsverhältnisses den Anspruch nach § 5 EFZG nicht ausschließe und ein laufender Entgeltfortzahlungsanspruch zum Zeitpunkt der Beendigungserklärung nicht erforderlich sei, dann sei kein Grund erkennbar, den vorliegenden Fall anders zu entscheiden als jenen, der 9 ObA 115/05k zugrundegelegen sei. Es könne keinen Unterschied machen, ob der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers bei Ausspruch der Beendigungserklärung bzw bei Beginn des neuen Arbeitsjahres schon erschöpft gewesen sei oder nicht. Der in 9 ObA 115/05k skizzierte „Extremfall“ liege hier nicht vor. Es gehe nicht um einen mehrjährigen Krankenstand der Klägerin, sondern um Entgeltfortzahlungsansprüche für den zehnten bis zwölften Monat ihrer Arbeitsunfähigkeit.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil die hier vorliegende Konstellation insofern von 9 ObA 115/05k abweiche, als hier weder ineinander übergreifende Entgeltfortzahlungszeiträume vorliegen, noch eine bloß vorübergehende Arbeitsverhinderung der Klägerin feststehe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig. Die vorliegende Frage wurde zwar bereits vom Senat in einem vergleichbaren Fall einer neuerlichen rechtlichen Beurteilung der Problematik unterzogen und entschieden (9 ObA 36/10z). Diese Entscheidung lag jedoch bei Zulassung der ordentlichen Revision durch das Berufungsgericht noch nicht vor. Die Revision des Beklagten ist auch berechtigt.
Seit der Entscheidung 8 ObA 163/98y (= ZAS 1999/18 [ Pernkopf ] = SZ 72/17 ua) geht die einhellige Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0111429 ua) in Übereinstimmung mit der in der Entscheidung zitierten herrschenden Lehre dahin, dass bei ununterbrochen fortdauernder krankheitsbedingter Arbeitsverhinderung mit Beginn des nächsten Arbeitsjahres ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch auch dann entsteht, wenn der Arbeitnehmer zuerst wegen Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs kein Entgelt mehr erhalten hatte. Dieser Rechtsprechung lagen jedoch immer fortdauernde, das heißt im relevanten Beurteilungszeitraum noch nicht beendete Arbeitsverhältnisse zu Grunde.
Wird der Arbeitnehmer während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 EFZG gekündigt, ohne wichtigen Grund vorzeitig entlassen oder trifft den Arbeitgeber ein Verschulden an dem vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers, so bleibt gemäß § 5 EFZG der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die nach diesem Bundesgesetz vorgesehene Dauer bestehen, wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet.
Diese Regelung soll verhindern, dass sich der Arbeitgeber von der Pflicht zur Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer dadurch befreit, dass er während der Arbeitsverhinderung das Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder ungerechtfertigte Entlassung löst; der Anspruch auf Entgeltfortzahlung soll so auch über die rechtliche Dauer des Arbeitsverhältnisses hinaus gewahrt werden. Für die Frage der Entgeltleistung wird in diesem Fall die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses ohne den Hinderungsgrund fingiert, die vereinbarte Leistung gilt als geleistet. Sonst könnte der Arbeitgeber über den Kündigungszeitpunkt bzw den Zeitpunkt der Entlassung zeitlich hinausgehende Ansprüche des Arbeitnehmers zunichte machen (RIS-Justiz RS0109426 ua).
Zu 9 ObA 115/05k hatte sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage auseinanderzusetzen, ob im Fall, dass ein Arbeiter während des Krankenstands gekündigt wird und ein neues Arbeitsjahr zwar erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, aber noch während des fortdauernden Krankenstands beginnt, ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht. Der Oberste Gerichtshof bejahte diese Frage. Der Schutzzweck des § 5 EFZG gebiete auch dann das Entstehen eines neuen Entgeltfortzahlungsanspruchs, wenn das Arbeitsverhältnis noch im alten Arbeitsjahr, aber während eines fortdauernden Krankenstands geendet habe, und wenn die Fortzahlungszeiträume des alten und (fiktiven) neuen Arbeitsjahres ineinander übergriffen.
Diese Entscheidung wurde in der Lehre geteilt aufgenommen:
Kallab (DRdA 2007/24, 237 f) begrüßt das Ergebnis dieser Entscheidung, hält jedoch im Fall des durchlaufenden Krankenstands eine Einschränkung wie das Ineinanderübergehen des „alten“ und „neuen“ Entgeltfortzahlungszeitraums für verfehlt, weil § 5 EFZG nur auf die Dauer des Krankenstands abstelle. Dem Einwand, dass bei mehrjährigem Krankenstand trotz beendetem Arbeitsverhältnis in jedem fiktiven neuen Arbeitsjahr unbegrenzt ein neuer Fortzahlungsanspruch entstehen könnte, hält er lediglich entgegen, dass „es der Gesetzgeber offensichtlich hingenommen habe, dass in diesen wenigen Fällen extreme Lösungen möglich sind“.
Rauch (Krankenentgelt nach EFZG und neues Arbeitsjahr, in ASoK 2007, 18 [21]) führt dagegen ins Treffen, dass nach der Rechtsprechung der Grundsatz „neues Arbeitsjahr neuer Anspruch“ gelte. Ein neuer Jahresanspruch iSd § 2 Abs 1 EFZG setze somit den Beginn eines neuen Arbeitsjahres voraus. Die Verpflichtung des Arbeitgebers sei daher für jedes Arbeitsjahr gesondert zu beurteilen. Übertragen auf die Fälle der Kündigung während des Krankenstands bei Ablauf des Arbeitsjahres nach Ende der Kündigungsfrist sei festzuhalten, dass ein neues Arbeitsjahr keine Rolle spielen könne, wenn das Arbeitsverhältnis noch im alten Arbeitsjahr beendet worden sei, weil bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses im alten Arbeitsjahr ein Anspruch aus einem neuen Arbeitsjahr nicht mehr entstehen könne. Ansprüche nach § 5 EFZG aus einem neuen Arbeitsjahr würden somit voraussetzen, dass das Arbeitsverhältnis erst im neuen Arbeitsjahr ende. Laufe hingegen die Kündigungsfrist noch im alten Arbeitsjahr ab, so gebe es für dieses Arbeitsverhältnis kein „neues Arbeitsjahr“ und könne daher auch die Formel „neues Jahr neuer Anspruch“ nicht zur Anwendung gelangen. § 5 EFZG beziehe sich immer nur auf die Beendigung im laufenden Arbeitsjahr, bezwecke aber keinesfalls uferlose Ansprüche für eine unbeschränkte Zukunft.
Ähnlich kritisch argumentiert Rothe (Entgeltfortzahlung: Neues Jahr neuer Anspruch? Alles beim Alten?, ecolex 2010, 585), der darauf hinweist, dass allein das Abstellen auf den von einem in das andere Jahr übergreifenden Krankenstand bei mehrjähriger Arbeitsunfähigkeit keine taugliche Eingrenzung sei. Dem Gesetzgeber sei aber nicht zuzusinnen, mit § 5 EFZG eine solche Konsequenz beabsichtigt zu haben.
Die vorgenannte Kritik veranlasste den erkennenden Senat vor kurzem (9 ObA 36/10z), von der zu 9 ObA 115/05k eingenommenen Position Abstand zu nehmen. Gerade die im Ergebnis zustimmende Meinung Kallabs (in DRdA 2007/24) zeigt deutlich auf, dass eine Eingrenzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs bei arbeitsjahr-übergreifendem Krankenstand auf ineinander übergreifende Fortzahlungszeiträume aus dem Gesetz nicht ableitbar ist. Bei näherer Betrachtung überzeugt aber auch das Argument nicht, dass der Gesetzgeber trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Fall des mehrjährig fortdauernden Krankenstands für ein immer wieder neues Aufleben des Entgeltfortzahlungsanspruchs in Kauf nehmen wollte (9 ObA 36/10z).
§ 5 EFZG geht grundsätzlich davon aus, dass ein Krankenstand der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während der Dauer der Arbeitsverhinderung nicht entgegensteht. Dem kranken Arbeitnehmer soll aber der volle Anspruch auf Ausschöpfung des nicht verbrauchten Kontingents an Entgeltfortzahlung aus dem laufenden Arbeitsjahr auch dann gewahrt bleiben, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung erfolgt. Endet jedoch das Arbeitsverhältnis vor Beginn des neuen Arbeitsjahres und kann daher kein neues Arbeitsjahr zu laufen beginnen, gibt § 5 EFZG trotz fortdauernden Krankenstands keine geeignete Grundlage ab, einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 2 Abs 1 EFZG entstehen zu lassen (9 ObA 36/10z).
Der Revision des Beklagten ist deshalb Folge zu geben und spruchgemäß im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens zu erkennen.